Im bayerischen Dingolfing herrscht Aufregung: Seit Monaten demonstrieren Bürger immer wieder gegen die Corona-Maßnahmen, Bürger werden mit hohen Bußgeldern bei Verstößen belegt und nun hat auch noch der „Feindsender“ seine Aufmerksamkeit auf den kleinen Ort gerichtet. RT DE ließ in einem 7-minütigen Beitrag unter anderem eine 71-jährige herzkranke Frau zu Wort kommen, die mit einem Bußgeld von über 400 Euro belegt wurde, weil sie auf dem Dingolfinger Marienplatz angeblich gegen die Abstandsregel verstoßen haben soll. Landratsamt und Polizei sahen sich genötigt, eine eigene Pressemitteilung zu veröffentlichen, der CSU-Ortsvorsitzende Valentin Walk meldete sich in der Lokalzeitung per Leserbrief zu Wort. Darin wirft er RT DE „Einfluss auf unsere Demokratie“ und eine „Destabilisierungspolitik“ vor.
Der „Kalte Krieg“ scheint in Dingolfing noch nicht beendet, sagt Marcus Klöckner in einem Kommentar.
„Bei allem Verständnis für Kritik, Demonstrationen und anderen Meinungen: Wir dürfen nicht zulassen, dass das russische Staatsfernsehen uns gegeneinander aufhetzt und wir sollen dem Sender keine Plattform bieten.“ Diese Zeilen stehen in einem Leserbrief, den der Dingolfinger CSU-Ortsvorsitzende Valentin Walk an die Öffentlichkeit gerichtet hat.
So sieht es aus, wenn nicht verstanden wurde, dass der Kalte Krieg schon lange beendet ist. So sieht Feindbildaufbau aus.
Mal wieder sitzt der „Feind“ also im Osten. Walk zeichnet das Bild von einem hinterhältigen russischen Aggressor, der Schlimmes im Schilde führt: die Destabilisierung unserer Demokratie. Da kommt die große Verschwörungstheorie durch. McCarthy lässt grüßen.
Natürlich haben Staaten Interessen. Und: Staaten verfügen über vielfältige Instrumente, um neben der Politik auf der Vorderbühne auch eine Tiefenpolitik umzusetzen. Das gilt neben Russland auch für viele andere Länder, insbesondere auch für die USA und andere NATO-Mitgliedsstaaten. Erinnert sei beispielsweise an die weitreichende Wirkung der sogenannten „Brutkastenlüge“, die auch deutsche Medien verbreitet haben und die propagandistisch den Weg für den Krieg gegen den Irak geebnet hat.
Oder, aktuell: Geleakte Dokumente aus dem Umfeld des britischen Außenministeriums, die einen Einblick gewähren, wie es aussieht, wenn ein westlicher Staat versucht, tiefenpolitischen Einfluss auf Russland zu nehmen. Angeführt seien die Stichworte „Counter Disinformation & Media Development“ und „Integrity Initiative“. Es ist jedoch nicht erkennbar, in welcher Art und Weise die RT-DE-Berichterstattung aus Dingolfing irgendetwas mit dieser Form der interessengeleiteten Propaganda zu tun haben könnte.
Wer sich vorurteilsfrei mit dem russischen Sender RT DE auseinandersetzt, kann feststellen: In weiten Teilen wird dort, entgegen Walks Annahme, sauberer Journalismus geboten. RT DE sorgt dafür, dass der enge Meinungskorridor in deutschen Medien, wie ihn selbst der ehemalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier beklagte, ein Stück erweitert wird. Gut so!
- Gegen Russland und RT: Feindbild-Aufbau und EU-Propaganda
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- „Warum der russische Sender RT Deutsch für Deutschlands demokratische Willensbildung wichtig ist“. Hier das Video mit der Einführung des Chefredakteurs Rodionov zum Pleisweiler Gespräch
- Albrecht Müller im Gespräch mit Ivan Rodionov (RT Deutsch Chefredakteur)
- Wenn es die von Russland finanzierten Medien in Deutschland nicht gäbe, müsste man sie erfinden.
Worüber regt sich Walk eigentlich auf? Darüber, dass Bürger von ihren demokratischen Grundrechten Gebrauch machen, ihren Unmut gegen die Corona-Maßnahmen bei Abendspaziergängen zum Ausdruck bringen – und RT DE über entsprechend verhängte Bußgelder berichtet?
Halten wir fest: Eine 71-jährige herzkranke Frau wird – wie eine Schwerverbrecherin – von Polizisten umringt, weil sie gegen die „Corona-Vorschriften“ verstoßen hatte. Ihr Vergehen: Sie soll im öffentlichen Raum den Mindestabstand zu ihren Gesprächspartnern nicht eingehalten haben. 428,50 Euro verlangt die Bußgeldstelle von der Rentnerin – abgesegnet von der Politik.
Anstatt sich des Wahnsinns einer Corona-Politik anzunehmen, der offensichtlich Maß und Ziel verlorengegangen ist, empört sich das politische Dingolfing über einen legitimen Bericht eines russischen Senders.
„Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen.“ Aber auch: „Grundrechte kann man nicht beliebig entziehen und neu vergeben“. Diese Aussagen stammen nämlich nicht etwa vom „Kreml finanzierten Sender“ RT DE, sondern sind einem aktuellen Interview entnommen, das DIE WELT mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, geführt hat.
Anders gesagt: Dass die nun schon seit Monaten andauernden schweren Grundrechtseingriffe mit unserer Verfassung kollidieren, das pfeifen mittlerweile selbst die Spatzen von den Dächern.
Dafür, dass Menschen in der gegebenen Situation gegen die Beschneidung ihrer Freiheitsrechte demonstrieren, braucht es keine fiese Verschwörung eines russischen Fernsehsenders, der die Bürger hierzulande aufstachelt, wie Walk es anklingen lässt. Die Proteste in Dingolfing und anderen Städten sind der gesunde Reflex von Demokraten.
Als Bedrohung für die Demokratie nimmt man in Dingolfing offensichtlich nicht etwa die schwersten Grundrechtseinschränkungen seit dem Bestehen der Bundesrepublik wahr, wie etwa abendliche Ausgangssperren, sondern die RT-DE-Berichterstattung über die Auswüchse eben dieser Grundrechtseinschränkungen.
In Dingolfing scheint derzeit einiges aus dem Ruder zu laufen.
Pauschale Verdächtigungen und Feindbildaufbau gegenüber Russland sind deplatziert. Deutschland hat, vielleicht muss man das tatsächlich nochmal erwähnen, etwa 27 Millionen Tode bei seinem wahnsinnigen Krieg gegen Russland auf dem Gewissen. Vielleicht sollte der eine oder andere „Kalte Krieger“ darüber nochmal nachdenken, um dann mit etwas mehr Demut dem „Feind“ entgegenzutreten. Aber vor allem: Das Gerede von der russischen „Destabilisierungspolitik“ in Deutschland seinlassen. Nicht, dass am Ende wieder „zurückgeschossen“ wird – wie damals.
Das, da bin ich mir sicher, kann auch Valentin Walk nicht wollen.
Titelbild: Screenshot/RT DE