Der amerikanische Journalist Max Blumenthal konnte mit Hilfe geleakter Dokumente aus dem Umfeld des britischen Außenministeriums belegen, was vielfach im öffentlichen Diskurs als „Verschwörungstheorie“ abgetan wird. Zusammen mit privaten Sicherheitsunternehmen hat die britische Regierung ein umfassendes Netzwerk aufgebaut, dessen Aufgabe der Infokrieg gegen Russland und dessen Einfluss auf benachbarte Staaten ist. Das Ziel: Der „Regime Change“ in Russland. Eingespannt in das Netzwerk sind den Dokumenten zufolge nicht nur von der britischen Regierung und der NATO finanzierte Propagandaorganisationen wie die Integrity Initiative oder das auch von deutschen Medien gerne zitierte „Recherchenetzwerk“ Bellingcat, sondern mit Reuters und der BBC auch zwei Medienorganisationen, die immer noch als Leuchtfeuer des westlichen Qualitätsjournalismus gelten. Von Jens Berger.
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Thomson Reuters verpflichtet sich in seinen „Vertrauensgrundsätzen“, dass man sich niemals den Interessen einer Person, Gruppe oder Fraktion ausliefert und die Integrität, Unabhängigkeit und Freiheit von Einflussnahme jederzeit in vollem Umfang bewahrt bleiben müsse. Dass solche Slogans das Papier, auf dem sie stehen, nicht wert sind, zeigen die jüngsten Leaks des Hackerkollektivs „Anonymous“, die der amerikanische Journalist Max Blumenthal ausgewertet hat. Demnach war und ist der „gemeinnützige“ Teil der Thomson-Reuters-Gruppe, die Thomson Reuters Foundation, tief in ein verdecktes Projekt des britischen Außenministeriums eingebunden, dessen Ziel es ist, russischen Journalisten die „Positionen Großbritanniens näherzubringen“. Durchgeführt wurden diese als „Fortbildungsprogramme“ getarnten Anwerbekampagnen von Reuters; initiiert, koordiniert und finanziert wurden sie vom britischen Außenministerium – unter dem mit offiziell mit fünf Millionen Pfund finanzierten Programm „Counter Disinformation & Media Development“, dessen Ziel die Meinungshoheit im „Informationskrieg“ gegen Russland ist. Beraten wird dieses Programm übrigens von der britischen Botschaft in Moskau. Nach den geleakten Dokumenten hat Reuters mindestens 80 russische Journalisten in diesem Programm „fortgebildet“. Wobei diese Fortbildung offenbar vor allem im Aufbau eines Netzwerkes bestand, das auf konkreter Ebene von Projektpartnern aus dem direkten Umfeld des britischen Auslandsgeheimdienstes gemanagt wird.
Mit an Bord dieses Programms ist auch die altehrwürdige BBC über deren ebenfalls „gemeinnützige“ Tochter BBC Media Action. Aufgabe der BBC war und ist es dabei, Journalisten und Medienmanager in den Nachbarländern Russlands fortzubilden und im Rahmen des Programms zu „vernetzen“. Aktiv war und ist man in den drei baltischen Republiken, in der Ukraine, in Moldawien und Georgien. Ziel ist die Beeinflussung vor allem der russisch-sprechenden Minderheiten und die Kommunikation von Positionen, die pro-westlich und pro NATO sind. Auch diese Programme werden über das britische Außenministerium finanziert und im Rahmen des Infokrieg-Programms koordiniert.
Dass sich diese angeblich unabhängigen Medienorganisationen von der britischen Regierung – und wohl auch von der NATO – einspannen lassen, um auf Seiten des Westens einen Informationskrieg gegen Russland zu führen, ist allenfalls für diejenigen überraschend, die noch immer an die Unabhängigkeit westlicher Medien glauben. Für regelmäßige Leser der NachDenkSeiten dürfte dies weniger überraschend sein. Die eigentliche Besonderheit dieser Leaks ist es vielmehr, dass man nun schwarz auf weiß nachlesen kann, was man immer schon ahnte.
Von größerer geopolitischer Brisanz ist jedoch die Einbindung dieser Programme in ein undurchsichtiges Netz von geheimdienstnahen Unternehmen, deren Wirken nur selten an die Öffentlichkeit kommt. So war neben der Thomson Reuters Foundation und der BBC Media Action ein Unternehmen namens Aktis Strategy der dritte Projektpartner der britischen Regierung im Vorläufer der aktuellen Programme. Die Aufgabe von Aktis war der Netzwerkaufbau und die aktive Informationskriegsführung in Gebieten mit besonderer politischer Brisanz – dazu zählen das umkämpfte Donezbecken, Transnistrien, Abchasien und Südossetien, also die Regionen, in denen der Krieg gegen russische Interessen auch heiß geführt wird. Anders als bei den Projekten der BBC ist hier auch aktiv von einer militärischen Ausbildung im Kontext der „elektronischen Kriegsführung“ die Rede. Organisatorisch befinden sich diese drei Programme übrigens unter einem Dach.
Über den Namen Aktis Strategy lässt sich ein Zusammenhang dieser Programme in die größere Infokrieg-Strategie der britischen Regierung herstellen. Arktis war Teil des Konsortiums des sogenannten „Expose Networks“, das im Umfeld der umtriebigen „Integrity Initiative“ ins Leben gerufen wurde. Die NachDenkSeiten hatten 2019 ausführlich über dieses Propaganda-Unternehmen von britischer Regierung und NATO berichtet.
Die Infokrieger im Dienste ihrer Majestät
Der Zweck und die Absicht von Integrity Initiative ist eine Propagandaoperation
Bestandteile des 2018 initiierten „Expose Network“ sind die Unternehmen Zinc Network, Institute for Statecraft, Aktis Strategy, Bellingcat, DFR Lab, das Media Diversity Institute, Toro Risk Solutions und Ecorys – allesamt Unternehmen, die sich auf die Führung des Informationskrieges gegen Russland spezialisiert haben und von ehemaligen hohen Mitarbeitern der britischen Dienste, der Militärs und der NATO geleitet werden bzw. – wie im Fall des „Recherchenetzwerks“ Bellingcat – von diesen finanziert werden.
Leider sind die Leaks zu diesem Netzwerk hauptsächlich aus dem Jahr 2018 und im Detail nicht mehr aktuell. So gibt es das Unternehmen Aktis Strategy beispielsweise seit 2019 nicht mehr. Dafür dürften die früheren Leaks von Anonymous übrigens eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die ehemaligen Geheimdienstler und Militärs, die diese Unternehmen führten, haben mittlerweile neben ihren Tätigkeiten in den einschlägigen Think Tanks neue Sicherheits- und Beraterfirmen gegründet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tätigkeit in diesem oder einem neuen Netzwerk unter einem neuen Namen 1:1 fortführen.
Interessant ist vor allem im aktiven Kontext zur „Nawalny-Affäre“ die Arbeit dieses „Konsortiums“ beim Aufbau einer „Gegenöffentlichkeit“ in Russland. So war es Aufgabe des Konsortium-Teilnehmers Zinc Network, „YouTuber“ in Russland zu beraten, zu finanzieren und zu vernetzen. Dabei ging es laut der als „privat und vertraulich“ eingestuften Dokumente auch darum, westliche Zahlungen an diese Einflussagenten unter Umgehung der russischen Gesetze zu verschleiern, sie in Sachen Kommunikationsstrategien zu beraten und zentrale Botschaften zu formulieren. Ob Alexej Nawalny selbst finanziert wurde, ist aus den Dokumenten nicht zu erkennen. Auf der Gehaltsliste der Briten steht jedoch offenbar ein hochrangiger Mitarbeiter Nawalnys. Wladimir Aschurkow, der heute Exekutivdirektor und Stellvertreter Nawalnys in dessen „Anti-Korruptionsstiftung“ ist. Er wurde 2013 vom russischen Geheimdienst dabei gefilmt, wie er einem britischen Agenten vorschlug, ihm „10 oder 20 Millionen US$“ dafür zu geben, dass er „ein anderes Bild von der politischen Landschaft in Russland generiert“. 2018 tauchte Aschurkow, der zuvor in Großbritannien um politisches Asyl bat, in den geleakten Dokumenten als Einflussagent der „Integrity Iniative“ auf.
Die Konfrontation geht weiter: Zwei Sichten auf den Vorgang Nawalny
Heute wird Aschurkow gerne von westlichen Medien als „Kronzeuge“ im Fall Nawalny zitiert und durfte unlängst auch seine Version über „Putins Palast“ zum Besten geben. Er gehörte auch zu der Gruppe der „Nawalny-Unterstützer“, die vor wenigen Wochen der EU-Kommission eine Sanktionsliste vorlegte – dabei ist Großbritannien doch gar nicht mehr in der EU.
Ist es nicht erstaunlich, dass man über all diese Dinge in „unseren“ Medien nichts hört oder liest? Stellen Sie sich doch einmal vor, es gäbe Unterlagen, die belegen, dass der größte russische Fernseh- und Radiosender mit Geldern des russischen Außenministeriums deutsche Blogger finanziert und ihnen bei der Geldwäsche hilft. Stellen Sie sich vor, russische Geheimdienstler würden deutsche Journalisten „fortbilden“ und ein Netzwerk von pro-russischen Journalisten in Deutschland aufbauen und finanzieren. Stellen Sie sich vor, die russische Botschaft in Berlin würde einen deutschen YouTuber dabei unterstützen, wie er ein Video über einen ausgedachten „Merkel-Palast“ dreht, der dann in den russischen Medien Schlagzeile Nummer Eins wird. Die Aufregung wäre sicher groß. Aber wenn die Briten dies tun, herrscht beredtes Schweigen. „Wir“ sind nun einmal Großmeister in der Anwendung doppelter Standards.
Titelbild: Anelo/shutterstock.com