Sigmund Jähns Name verschwindet – aus politischen Gründen. Oder: Was hat Täve Schur mit Tiger Woods zu tun?
Kürzlich hat Frank Blenz in diesem Artikel über den Namens-Streit um das neue Planetarium in Halle berichtet : Aus politischer Motivation sollte eine weitere Benennung nach dem DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen im All, verhindert werden. Ein Vorgang, der großes Kopfschütteln hervorrief. Nun aber hatte das Ansinnen Erfolg. Das neue Planetarium wird nicht wie das alte nach Jähn benannt. Von Frank Blenz.
Nun wurde es doch wahr. Nach einer einstündigen Debatte im Stadtrat Halle wurde am vergangenen Mittwoch die Entscheidung gefällt: gegen den Namen Sigmund Jähn für das Planetarium in Halle. Der ARD-Regionalsender MDR meldete:
„Das neue Planetarium in Halle wird nicht nach dem DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn benannt. Das hat der Stadtrat am Mittwoch beschlossen. Die Mehrheit stimmte dem Vorschlag zu, dass der Neubau “Planetarium Halle” heißen soll. 28 Stadträte stimmten für den Vorschlag der Grünen-Fraktion, 18 waren dagegen, drei Stadträte enthielten sich. Vor der Entscheidung war erneut eine Debatte um den Namenszusatz “Sigmund Jähn”, dem ersten Deutschen im All, entbrannt. Die Fraktion der Linken hatte diesen Vorschlag gemeinsam mit weiteren Fraktionen eingebracht. Die Gegner einer solchen Benennung führten an, dass Jähn ein Repräsentant des DDR-Regimes gewesen sei. Die Linke: “Mutloser Kompromiss”. Die Linke im Stadtrat bezeichnete den neuen Namen als “mutlosen Kompromiss”. Andere Fraktionen brachten vor dem Beschluss weitere Namenszusätze ins Spiel. Die Fraktion des Vereins “Hauptsache Halle” schlug beispielsweise den Namen des US-Astronauten Neil Armstrong vor. Auch der Name des 44-jährigen deutschen Astronauten Alexander Gerst fiel in der Diskussion, die fast eine Stunde dauerte.“
Und die Zeitung „Neues Deutschland“ führte aus:
„Im All geehrt, in Halle nicht. Die Mehrheit im Stadtrat von Halle will das neue Planetarium nicht nach Sigmund Jähn benennen. Im Weltall gilt Sigmund Jähn als würdiger Namensgeber. 2001 wurde nach dem DDR-Kosmonauten, der im September 2019 verstorben ist, der Asteroid 17 737 benannt – ein Steinbrocken von fünf Kilometern Durchmesser, der in 3,8 Jahren einmal um die Sonne fliegt. Auf die Ehrung verwies die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) in einem Brief an den Stadtrat von Halle (Saale). Dort wurde zuletzt gestritten, ob Jähn als Namensgeber für das Planetarium taugt, das Ende 2021 im früheren Gasometer eröffnet werden soll. Ein Vorschlag von Linksfraktion, SPD und Mitbürgern/Die Partei plädierte für die Namenswahl. Allerdings stieß die Fürsprache der DGLR bei der Ratsmehrheit nicht auf offene Ohren. Mit 28 zu 18 Stimmen nahm der Stadtrat am Mittwoch den Antrag an, die Einrichtung künftig schlicht »Planetarium Halle (Saale)« zu nennen.
In Halle gab es fast 40 Jahre lang ein Planetarium mit dem Namen »Sigmund Jähn«. Der damals sehr moderne Bau mit einer Kuppel aus Betonschalen wurde 1978 eröffnet. Am 26. August jenes Jahres war Jähn gemeinsam mit dem sowjetischen Raumfahrer Waleri Bykowski im Raumschiff Sojus 31 zur Raumstation Salut 6 geflogen und hatte binnen acht Tagen 125 Erdumrundungen absolviert. Er war damit der erste Deutsche im All und ein »wichtiger Teil der gesamtdeutschen Geschichte«, schrieb die DGLR. Sie würdigte auch Jähns Engagement in der Europäischen Raumfahrtagentur ESA nach 1989 und appellierte, ihn mit der Taufe als »Botschafter der deutschen Raumfahrt« zu würdigen.“
Mich macht es sprachlos. Ich kann nur eine Wortmeldung aus den sozialen Medien (Facebook) zitieren, die zum Neuen-Deutschland-Artikel formuliert wurde, die sich mit meiner Ansicht zu dieser Entwicklung deckt. Ein Leser schreibt:
“Ich habe einmal in meinem Leben erlebt, wie die Schilder mit meinem Namen über Nacht abgehängt wurden, ich muss mir nun am Ende meines Lebens nicht noch einmal anschauen, wie sie wieder aufgehängt werden.” – Sigmund Jähn
Das, was wir heute mit dem Anglizismus ‘cancel culture’ betiteln (wohl, weil die deutschen Begriffe Geschichtsrevisionismus und Geschichtsklitterung zu scharf klingen), haben 17 Millionen DDR-Bürger vor 30 Jahren schon einmal erlebt. Da wurde quasi über Nacht vom westdeutschen Eroberer beschlossen, dass alles, was die Menschen in der DDR geleistet haben, aus den Geschichtsbüchern zu verschwinden hatte oder “nicht traditionswürdig” sei. Und genau aus diesem Grunde war es auch keine Wiedervereinigung, sondern eine Angliederung (aka Annexion).Wenn man also beklagt, dass die Bürger in Ostdeutschland sich “bis heute als Deutsche zweiter Klasse” fühlen oder sich mit dem System der BRD schwer anfreunden können, dann hat das direkt damit zu tun, dass z.B. ein Stadtrat in Halle (Bürgermeister ist – wie so oft – gebürtiger Wessi) wegen einer vermeintlichen “Systemnähe” einem gesamtdeutschen Vorbild die ihm zustehende Ehre verweigert, nur weil er den “falschen” deutschen Pass hatte.“
Und so schreibe ich doch noch ein paar Bemerkungen: Sigmund Jähn bleibt in unseren ostdeutschen Herzen – ich denke, hoffe, wünsche mir auch in vielen Herzen mit westlicher Sozialisation (das schreibe ich mit einem Lächeln). Wir Deutsche haben uns doch 1990 auf einen Weg begeben, um als Menschen aus zwei Teilen eines Landes zusammenzukommen. Das ist bisher in Teilen gelungen, in Gänze indes nicht wirklich geglückt. Es hat etwas damit zu tun, dass nicht anerkannt wird, dass zwei Teile nur gleichwertig behandelt eine Einheit ergeben. Doch es ist kein Naturgesetz, da die Teilung noch irgendwie besteht, also sollten wir nicht aufgeben. Dass es schwer ist mit dieser Einheit, mit Glück und Herz und Verstand, und dass es bisher nicht voll klappte, das hat auch etwas mit Macht, mit Deutungshoheit, mit Überlegenheit und mit Arroganz zu tun. Und mit Dummheit und fehlendem Gespür. Ich wünschte mir sehr, dass gerade im Bereich der Feinsinnigkeit, also dabei, charmant und rücksichtsvoll miteinander umzugehen, eine Schippe draufgelegt wird. Das nützt nix mehr bei Sigmund. So hat Halle halt nur ein Planetarium.
Ach so. Noch etwas zum Thema Wertschätzung von Persönlichkeiten ostdeutscher Sozialisation. Stichwort: Tiger Woods. Jeder Golf-Freund kennt diesen Namen. Golf ist ja Volkssport in Deutschland. Und vor allem Tiger Woods ein Held. Ein US-amerikanischer. Okay. Die Frage kommt jetzt sicher auf, warum ich den Golfer Woods erwähne, der ist ja kein Ostdeutscher. Es geht mir um die permanente Nichtwürdigung von Menschen aus dem Osten innerhalb der Deutschen Einheit.
Woods nenne ich, weil dieser Mann jüngst in Los Angeles einen Autounfall hatte. Das Unglück (er verletzte sich schwer) war allen GEZ-Sendern eine Hauptnachrichtenmeldung wert und nachfolgende Boulevard-Magazine brachten umfassende Beiträge, um Woods Unfall „aufzukochen“. Am selben Tag hatte Täve Schur, der berühmteste Sportler aus der DDR, Geburtstag: 90 Jahre wurde der erfolgreiche Radsportler. Es gibt nun einen Unterschied zwischen Tiger Woods und Täve Schur. Der Golfer mit Verkehrsunfall in den USA war ARD, ZDF und Co etwas wert, bei Täve Schur musste der Regionalsender MDR reichen.
Und was hat das mit Sigmund Jähn zu tun? Jähn und Schur sind eine Generation, sie sind Stars der DDR gewesen. Beiden wird im vereinigten Land die Wertschätzung verwehrt, die sie verdienen, und zwar deshalb, weil sie aus der DDR stammen.