Alexander Neu sitzt für die Partei Die LINKE im Bundestag und ist Obmann im Verteidigungsausschuss. Eine innerparteiliche Debatte und Vorschläge für ein neues Parteiprogramm, in dem es auch darum geht, in der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands „Verantwortung“ zu übernehmen, droht die bisher klare Friedensposition der LINKEN aufzuweichen. Den ersten Teil des Interviews finden Sie unter diesem Link. Mit Alexander Neu sprach Karin Leukefeld.
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In einem Beschluss des Parteivorstandes der Partei Die LINKE (23.01.2021, Beschluss 2021/015) heißt es, dass friedenspolitische Positionen nicht aufgeweicht werden sollen. Es wird klargestellt: „Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden, neue Auslandseinsätze lehnen wir ebenfalls ab, unabhängig davon, unter welcher Organisation sie stattfinden.“ Nun haben die Verteidigungsminister der NATO nicht den Abzug, sondern eine Ausweitung der NATO-Mission im Irak beschlossen. Wie reagiert Ihre Partei?
In der Linkspartei gibt es einige Kräfte, die eine Anpassungspolitik betreiben in Richtung SPD und Grüne und dabei in Kauf nehmen wollen, außenpolitische Grundpositionen zu schleifen. Das bedeutet die Akzeptanz der NATO und einer imperialen Politik. Auch wenn es so nicht ausgesprochen wird, steckt genau das dahinter. Man ist bereit, wesentliche Prinzipien und Alleinstellungsmerkmale der Partei aufzugeben.
Gibt die Linkspartei ihre Friedenspolitik auf?
Es ist ja nicht so, dass in den letzten 20 Jahren die Weltpolitik friedlicher geworden wäre. Im Gegenteil, spätestens seit 2000 hat sich herausgestellt, dass Russland wieder der neue Feind ist. Stichwort Georgienkrieg. Die Rüstungsexporte, die Rüstungsausgaben steigen von Jahr zu Jahr. Und einige „Experten“ haben jetzt nichts Besseres zu tun, als unsere Position in Richtung Grüne und SPD in die Mitte zu schieben. Anstatt die Entwicklung anzukreiden. Das lehne ich nachdrücklich ab, und ich denke, das trifft – bis auf wenige – für die ganze Partei zu. In Nordrhein-Westfalen, wo ich herkomme, gibt dafür keine Zustimmung.
Noch lehnt die LINKE Auslandseinsätze und deren Erweiterung also ab, aber wie wird es in Zukunft sein?
Janine Wissler hat jetzt gegenüber dem Spiegel kundgetan, dass sie sich strikt gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ausspricht. Im Entwurf des neuen Parteiprogramms heißt es allerdings nur, dass man „Auslandseinsätze beenden“ möchte. Der zweite Satz, auch keine neuen Auslandseinsätze zu beginnen, wurde gar nicht erwähnt. Dieser Entwurf wurde von Katja Kipping und Bernd Riexinger nach meinen Informationen ohne Absprache im Parteivorstand in die Welt gesetzt. Dieser Entwurf ist durchsetzt von Mehrdeutigkeiten, Begriffe können sowohl in die eine als auch in die andere Richtung weisen. Da ist enormer Bedarf an Verbesserungen. Würde aus diesem Entwurf das neue Parteiprogramm werden, wäre die LINKE in der Friedenspolitik weitgehend offen. Das wäre das Ende der LINKEN.
Warum kommt so eine Debatte kurz vor den Wahlen auf, die es in diesem Jahr sowohl in verschiedenen Bundesländern als auch zum Bundestag gibt?
Ich frage mich immer wieder, warum es in der LINKEN Kräfte gibt, die keinen Selbstbehauptungswillen haben, die sich unbedingt ausliefern wollen. Die in Kauf nehmen, dass die LINKE weiter an Zustimmung verlieren würde. Vor vier Jahren – also vor den Bundestagswahlen (2017) – hatten wir Umfragewerte zwischen 9 und 11 Prozent, in den aktuellen Umfrageergebnissen haben wir 6 bis 8 Prozent unter der Führung von Bernd Riexinger und Katja Kipping. Die 5 Prozent sind nicht mehr weit und dann ist man auch schnell darunter. Ich bedauere es sehr, dass es keine Bereitschaft gibt in Teilen der Partei, diese Realität anzuerkennen.
In der Bundespolitik spricht man von „Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“, während die Linken von Frieden reden wollen. Die Bereitstellung von Militär für Einsätze in fernen Ländern wird als „Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ bezeichnet, ist aber nichts, was Frieden herstellt. Für Frieden müsste man andere Maßnahmen ergreifen und auch andere Maßstäbe setzen.
Selbstverständlich. Wer Friedenspolitik machen will, der muss erstmal sein Vokabular ändern. Begriffe wie Abrüstung, vertrauensbildende Maßnahmen, Empathie, Rüstungskontrolle sind ja Begriffe, die in Berlin politisch so gut wie keine Rolle mehr spielen. Wenn ich das im Verteidigungsausschuss einbringe, ernte ich bestenfalls ein müdes Lächeln. Im Ausschuss geht es um Rivalitäten unter Großmächten, Abschreckung und Dialogbereitschaft, wobei die eigene Dialogbereitschaft der deutschen Politik nicht sehr ausgeprägt ist. Die Sprache sagt viel darüber aus, wie Leute sich positionieren, und die Sprache in Berlin ist fast schon bellizistisch und nicht auf Entspannung gerichtet. Da ist es fatal, wenn aus der LINKEN heraus einzelne Personen das Narrativ der Bundesregierung und der NATO übernehmen und von da ausgehend versuchen, Außen- und Sicherheitspolitik zu erklären. Das hat ein bekannter Kollege aus der Linkspartei, der auch im Verteidigungsausschuss sitzt, gemacht und er erkennt nicht, dass er so die LINKE weiter in die Defensive treibt.
Sie sprechen von Matthias Höhn, auf dessen „Diskussionsangebot“ Sie ja auch geantwortet haben. Höhn bezeichnet die NATO ja als „Verteidigungsbündnis“. Müssen Europa und Deutschland im Irak verteidigt werden?
Ich glaube, da hat der Kollege Matthias Höhn nicht wirklich tief reflektiert. Die NATO ist kein Verteidigungsbündnis. Sie ist es in der Satzung, ja, das kann man nachlesen. Aber sie ist in der Realpolitik kein Verteidigungsbündnis. Das hat sie ja programmatisch auch festgestellt, als sie 1992 das erste strategische Konzept vorlegte, wo das ad acta gelegt wurde. 1999, noch während des Angriffskrieges gegen Jugoslawien, hat die NATO das zweite strategische Konzept vorgelegt. Aus dem geht ganz klar hervor, dass die NATO einen globalen Ordnungsanspruch formuliert. Das hat nichts mit Verteidigung zu tun.
Da möchte ich gern Oskar Lafontaine zitieren, der zu dem Satz von dem damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) „Wir verteidigen Deutschland am Hindukusch“ anmerkte, das sei genau so, als wenn die Taliban sagten: „Wir verteidigen Afghanistan am Rhein“. Der Verteidigungsbegriff ist ein territorial gebundener Begriff, so wie er in der UNO formuliert ist. Und er steht so auch im Grundgesetz, Artikel 87a in Verbindung mit Artikel 115a – es ist klar, dass die Verteidigung eine territoriale Verteidigung darstellt und nicht irgendwelche „Interessenverteidigung“ oder „Vorneverteidigung“ vor den Türen Russlands oder in Indien oder China. Das sind Versuche, dem Verteidigungsbegriff seinen territorialen Bezug zu nehmen, nach dem Motto „wir verteidigen die Werte“ oder „wir verteidigen die Interessen“, wie wir es von den anderen Parteien hören. Das ist nichts anderes, als die Formulierung von verkappten Angriffskriegen , unter dem rhetorischen Mantel von „Verteidigung“. Und leider gibt es nun auch Experten in unserer Partei, die meinen, das übernehmen zu müssen. Damit würde die letzte parlamentarische Partei, die LINKE im Bundestag, deren Pflicht es ist, Friedenspolitik einzufordern, diesem Mainstream angepasst. Das halte ich für massiv fatal.
Am kommenden Wochenende ist ein Parteitag der LINKEN, geht es da auch um das Programm?
Nein, der Programmparteitag ist im Sommer. Jetzt wird der Vorstand neu gewählt. Und da ist es natürlich wichtig, dass linke Kräfte in den Vorstand gewählt werden, die ein friedenspolitisches Programm auch leben und es sich nicht wie eine Tapete an die Wand hängen.
Es gibt Stimmen bei den LINKEN, die im Bund mitregieren wollen, in einer rot-rot-grünen Koalition. Kann es da eine klare Linie in der Friedenspolitik der LINKEN überhaupt geben, wie bisher?
Wir werden entsprechende Änderungs- und Ergänzungsanträge vorlegen, um eine scharfe, klare Position in Friedensfragen im Programm zu verankern. Da geht es um Auslandseinsätze, das Verhältnis zur UNO, die Frage von Rüstung und Rüstungsexporten, die nicht perspektivisch, sondern sofort beendet werden müssen. Es kann nicht darum gehen, SPD und Grünen zu signalisieren, wir sind doch willig, nehmt uns doch. Alles, was aus diesem Grund wachsweich formuliert wurde, muss klar und unmissverständlich umformuliert werden. Damit die Parteibasis und unsere Wähler uns auch wiedererkennen.