Ein interessanter Leserbrief zur Situation in Myanmar

Ein Artikel von:

In der letzten Woche hatte unser Autor Marco Wenzel auf den NachDenkSeiten eine spannende Analyse zum Putsch in Myanmar verfasst. Dazu schrieb uns der mit der Region vertraute Botschafter a.D. Horst Rudolf einen ebenfalls spannenden Leserbrief. Wir freuen uns, Ihnen den Leserbrief samt einer Erwiderung von Marco Wenzel präsentieren zu dürfen.

Leserbrief zu Marco Wenzel:

“Gebrochene Flügel“ vom 8. Februar 2021

Der Artikel von Marco Wenzel ist sehr informativ und korrekt; er stimmt weitgehend mit der internationalen Sicht der Dinge überein. Trotzdem erscheint mir ein ergänzender Blick „hinter die Kulissen“ Nachdenkens wert, da ich die Protagonistin Aung San Suu Kyi persönlich gut kenne und die Ereignisse über meine Freunde in Myanmar und Thailand direkt verfolgt habe.

Die Wahlen in Myanmar gingen tatsächlich noch schlechter für die Militärs aus, als von diesen befürchtet.Fehler und Fälschungen gab es durchaus relative viele, das Endergebnis war aber tendenziell korrekt.

Zuerst: das Militär wollte nach diesem Schock natürlich sein Gesicht wahren und zumindest einige Sitze mehr im Parlament erstreiten, da dort auch ehem. Militärs als Zivilisten „geparkt“ waren, die dringend Immunität brauchten, um nicht endlos Ärger zu haben. Einzelheiten wären zu umfangreich – aber Burmesen können durchaus rachsüchtig sein.

Die Wahlkommission (UEC) stellte sich (auf Weisung von Aung San Suu Kyi (ASSK)?) dumm und wies die Forderung der Militärs nach einer Nachprüfung ab, was die Militärs zusätzlich verärgerte.Zumindest hätte ASSK mit der Einbestellung des Parlaments abwarten sollen (eine weitere dringende Forderung der Militärs), bis eine teilweise Neuauszählung der Stimmen gelaufen wäre.
 
All dies interessierte ASSK nicht; vielmehr hatte sie schon seit Wochen Druck gemacht, mit der starken Mehrheit nun endgültig auf eine Verfassungsänderung zu drängen – d.h. die Militärs letztendlich zu entmachten.

Damit wären auch die korrekt beschriebenen Pfünde der Militärs gefährdet. Was allerdings fehlt, ist die Information, das diese Wirtschaftsaktivitäten praktisch die Renten- und Krankenversicherung aller Militärs und ihrer Familien im Land darstellen. Bei einem Verlust wäre das ein Absturz in bisher unbekannte soziale Tiefen – was ASSK nie offen mit den Militärs diskutiert hat.
 
Ich weiß das alles aus persönlicher Erfahrung. 1998 (!) hatte ich sie bei der ersten (von den Militärs genehmigten) Parteiversammlung beraten, wie sie (auch mit deutscher Hilfe) an einer Verfassung arbeiten kann – doch sie hat sich schlicht verbeten, ihr Ratschläge zu erteilen.
 
Vorletzte Woche hatte (der „Putschist“) Min Aung Hlaing sie immer wieder gewarnt, dieses Risiko-Szenario für seine Militärs nicht akzeptieren zu können.

Der Vorschlag hieß, Neuauszählung der Stimmen, ggf. ein paar mehr Stimmen für die befreundete USDP und die Garantie seitens der „Dame“, die Verfassung nicht anzutasten. Für die nächsten Wahlen könne man dann über eine vorsichtige Verschiebung der Macht, bzw. weitere Demokratisierungsschritte diskutieren. Diese (friedliche) Lösung lag auf dem Tisch – doch sie wollte mit Gewalt “das Recht” durchsetzen. Früher hieß das “lieber tot, als rot” (Reihenfolge korrekt).
 
Schon Nelson Mandela hatte ASSK geraten, sich kooperativ zu zeigen, statt das militärische Machtsystem (das ja ihr eigener Vater Bogyoke Aung San) aufgebaut (und anschließend auch die zitierten Karen betrogen) hatte, in die Ecke zu drängen.

Das Militär selber hatte mehrfach (auch im eigenen Interesse) über zwei Jahrzehnte einige vernünftige Angebote unterbreitet, die vor ihr allesamt abgeschlagen wurden – da hat sich auch bei den Uniformierten viel Frust und Ärger aufgebaut. Schließlich waren dies erst die zweiten Wahlen nach fast 60 Jahren wechselnde Militärherrschaft – und die ethnischen Gruppen Karen, Shan, Chin, Wa, Mon etc. sind auch keine Engel, sondern teilweise auch brutale Militärs und Drogenbarone.
 
Das aktuelle Szenario war also klar programmiert. 

Wen – ebenfalls nicht „Mainstream“- konforme Informationen aus fachlicher Sicht interessieren, dem sei der Artikel „Sturz der unbeugsamen Lady“ von Franzis Pike in deutscher Übersetzung in der „Weltwoche“ Nr. 5-2021 empfohlen.

Anhang: Erwiderung von Marco Wenzel

Es ist nicht falsch, wenn einige Autoren anmerken, dass es sich in Myanmar eigentlich nicht um einen Putsch handelte: die Militärs haben die Macht nie abgegeben, sie konnten sie daher auch nicht durch einen Putsch übernehmen. In der Tat war die Duldung von Suu Kyi und ihrer NLD-Regierung durch das Militär nur eine Geste um der internationalen Weltöffentlichkeit über die wahren Machtverhältnisse in Myanmar Sand in die Augen zu streuen. Die Militärs wollten den Anschein von Einsicht und Läuterung und einer Nation auf dem Weg zur Demokratie erwecken. Und die Weltöffentlichkeit hat die Illusion für bare Münze genommen. Sie wollte einfach daran glauben.

Am 1. Februar haben die Militärs in Myanmar ihre Maske abgelegt. Sie zeigen nun wieder ihr wahres Gesicht, das Gesicht der kaltblütigen und korrupten Despoten, Mörder, Kriegsverbrecher und Kleptokraten, die sie immer schon waren. Sie haben sich nie geändert, sie versuchten bloß, sich zu verstellen.

Es stimmt, dass die Ereignisse vom 1. Februar vorhersehbar waren und so auch angedroht worden sind. Ich kann aber nur schwer nachvollziehen, wenn man, wie unser Leser und auch manche Autoren in verschiedenen Blättern, Frau Suu Kyi aufgrund ihrer „Sturheit“ und „Beratungsresistenz“ eine Mitschuld am Putsch (wir wollen es weiterhin so nennen), geben möchten.

Die Wahlergebnisse sind klar: Die Partei von Suu Kyi hat bei weitem die absolute Mehrheit in beiden Kammern erhalten und dies trotz der Tatsache, dass das Militär 25% der Mitglieder ernenn darf. Die von den Militärs Ins Rennen geschickte USDP bekam gerade mal 25 Sitze von 440 noch zu vergebenden Sitzen, das sind nicht einmal 6%, eine eindeutige Wahlschlappe. Die Wahl vom November ist Ausdruck der Ablehnung der Bevölkerung Myanmars an die Militärherrschaft. Der Wahlerfolg der NLD übertraf sogar noch den Wahlerfolg von 2015, auch die Wahlniederlage der USDP war dieses Mal noch deutlicher. Die Macht der Generäle kommt aus den Gewehrläufen und nicht vom Willen des Volkes.

In der Zeit von 2015 bis 2020, der ersten Regierungsperiode der NLD, hatten die Militärs genug Zeit, sich in den Demokratisierungsprozess einzubringen. Es ist ihnen nicht gelungen, die Bevölkerung zu überzeugen, dass sie es mit einem demokratischen Übergang ernst meinten. Bei beiden Wahlen, 2015 und 2020 haben die Tatmadaw haushoch verloren. Die Burmesen haben in der Wahl vom November letzten Jahres klar ihre Ablehnung der Tatmadaw zum Ausdruck gebracht, sie wollen sie nicht mehr haben.

In welchen Punkten sollte man da noch weiter auf sie zugehen, welche Kompromisse soll man denn noch machen? Warum sollte man die Eröffnung des Parlamentes, wie vom Militär wegen angeblichen Wahlbetruges gefordert, auf unbestimmte Zeit verschieben. Warum sollte man den Militärs noch mehr Sitze geben, Sitze, die sie benötigen, um im Schutze der parlamentarischen Immunität weiterhin ihren korrupten Geschäften nachzugehen und das Volk weiterhin auszuplündern? In den mehr als 50 Jahren Militärherrschaft haben die Generäle Burma so weit heruntergewirtschaftet, dass aus einem der reichsten Ländern Asiens ein Armenhaus geworden ist. Warum die Übergabe der Macht von einem Scheinparlament an eine Zivilregierung um mindestens 5 weitere Jahre auf die lange Bank schieben?

Und was die Pensionsansprüche der Militärs angeht: ihr Pensionsfonds liegt bei der militäreigenen Myawaddy Bank. Selbst bei einer Übernahme der Bank durch die Regierung stünde der Auszahlung einer Rente in gerechtfertigter Höhe an ehemalige Soldaten nichts entgegen. Millionenzahlungen an Putschgeneräle fallen allerdings nicht unter die Kategorie „Rentenansprüche in gerechtfertigter Höhe“. Milliardäre brauchen keine Rentenzahlungen, noch dazu von einem Staat, den sie Jahrzehntelang ausgeplündert haben.

Frau Suu Kyi mag Fehler gemacht haben, sie mag auch stur sein, aber ihr Charakter steht hier nicht zur Debatte. Das burmesische Volk hat ihr mit überwältigender Mehrheit ein Mandat gegeben, die Politik der NLD weiter zu führen. Es möchte eine weitere, zunehmende zivile Kontrolle über das Militär. Es möchte eine weitere Demokratisierung, eine Verfassungsänderung und damit einhergehend eine Demokratisierung der Wirtschaft, sprich ein Ende der Kleptokratie. Das ist der Auftrag, den die NLD vom Volk bekommen hat. Diesen zu erfüllen ist ihre Aufgabe.

Nein, wenn man von Sturheit sprechen will, dann sind es die Generäle, die mit Sturheit an ihren Privilegien festhalten und mit brutaler Gewalt und Unterdrückung daran festhalten wollen. Das Mandat des Volkes an Suu Kyi ist es, die Macht der Militär einzuschränken. Weitere Zugeständnisse wären ein Verrat an diesem Auftrag gewesen.

Ein Putsch geht gar nicht. Der Militärputsch ist Ausdruck der Sturheit der Militärs, Ausdruck ihrer Weigerung, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Der Putsch ist mitnichten das Resultat der Sturheit von Suu Kyi.

Jetzt liegt das Kind im Brunnen, das Militär hat es hineingestoßen. Eine Versöhnung ist kaum noch möglich. Es geht jetzt nur noch um Sieg oder Niederlage. Die Schuldigen für diesen Putsch müssen bestraft werden…

Den Lesern sei an dieser Stelle noch der Artikel von THITINAN PONGSUDHIRAK in der Bangkok Post vom 12. Februar empfohlen: Who’s culpable for Myanmar’s coup?

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