Wahrscheinlich wird das Wort „Mob“ nur von einer Minderheit genutzt. Aber es fällt auf, wie oft in letzter Zeit davon Gebrauch gemacht wird. Zum Beispiel als eine große Zahl von Trump-Anhängern das Kapitol besetzte. Frau von der Leyen nutzte das Wort in ihrem diesjährigen Beitrag zur virtuellen WEF-Sitzung in Davos. Siehe hier. Auch in einem Spiegel-Beitrag zur Besetzung des Kapitols taucht das Wort auf (Minute 0:12). Bundespräsident Steinmeier spricht hier von „bewaffnetem Mob“. Die Bild-Zeitung gebraucht das Wort in Bezug auf den „Sturm“ von Demonstranten auf die Treppen des Reichstags am 1. August 2020. Es wird dabei auch mit den Querdenkern verbunden. Auch im Artikel eines Friedensaktivisten und NDS-Autors tauchte das Wort auf. Diese auffallende Häufung und Mischung hat mich dazu veranlasst, die im Titel aufgeworfene Frage zu stellen. Nach meinem Empfinden hat dieser Begriff im Gedankenaustausch und im Streit unter Demokraten nichts zu suchen. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Zunächst will ich noch auf weitere Beispiele für den Gebrauch aufmerksam machen:
- Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat vor einer Radikalisierung der sogenannten Querdenker-Szene gewarnt.
“Auch wenn die Umfragewerte der AfD sinken, besteht die Gefahr, dass sich aus ihrem Umfeld heraus in Deutschland ein Corona-Mob oder eine Art Corona-RAF bilden könnte, die zunehmend aggressiver und sogar gewalttätig werden könnte”, sagte Söder im Interview mit der “Welt am Sonntag”. - Die Querdenker werden auch hier mit dem Begriff Mob verbunden. So heißt es zum Beispiel in diesem Beitrag:
„Menschen mit Auschwitz-Pullovern und Fellmütze mit Hörnern, die das US Kapitol erstürmen, die Büros der Abgeordneten und Senatoren durchwühlen und Inventar stehlen: Die Bilder vom Mob in Washington D.C. machen fassungslos. Sie erinnern aber gleichzeitig daran, erst vor kurzem auch in Deutschland Anhänger der Querdenker-Bewegung versucht haben, den Reichstag in Berlin zu erstürmen.“
- Offenbar wurden 2015 auch die Gegner von Pegida mit dem Etikett „Mob“ versehen. So sieht es jedenfalls die Berliner Morgenpost. Siehe hier.
Zur Kennzeichnung von Pegida wurde der Begriff auch benutzt: Hier zum Beispiel, oder hier:
Das Etikett Mob wird also freimütig verteilt und angeheftet. Das ist erstaunlich.
Es ist erstaunlich, weil in einer demokratischen Gesellschaft die mit dem Gebrauch verbundene herablassende Art des Umgangs miteinander eigentlich ausgeschlossen sein sollte. Mit der Etikettenverteilung direkt verbunden ist eine Grundeinstellung, die man mit einer heute oft gängigen Haltung markieren könnte: „Wir sind die Guten“. Dort sind die Asozialen. – Das ist beim Reden und Schreiben über den Vorgang am und im US-Kapitol so gewesen; das war bei der Kennzeichnung der Demonstration auf den Treppen des Reichstags so; das kennzeichnete die Haltung gegenüber Pegida.
Teilweise waren bei diesen Gelegenheiten äußerst unsympathische und teilweise gewaltbereite Menschen unterwegs. Aber rechtfertigt dies den Quasi-Ausschluss aus der demokratischen Gesellschaft? Die Verwendung des Wortes Mob ist immer zugleich Exklusion statt Inklusion. Wollen wir mit den Ausgeschlossenen wirklich so verfahren?
Wenn man die Bereitschaft zur Gewalt gegenüber einem „Ausländer“, wie in einem der Beispiele oben gezeigt, einbezieht, wenn man gar die NSU-Morde und den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten in die Erwägungen einbezieht, dann erscheint der Gebrauch des Begriffes Mob noch verharmlosend zu sein.
Aus meiner Sicht gibt es trotzdem gute Gründe dafür, das Wort Mob aus dem Sprachgebrauch der politischen Debatte zu streichen. In den USA wird man gut daran tun, die Menschen, die das Kapitol gestürmt haben, nicht pauschal zu verurteilen. Wenn man Brücken schlagen will zu diesen Anhängern von Trump, was allgemein von den Siegern der Wahl verkündet wird, dann wird man die mit dem Gebrauch des Wortes Mob verbundene Stigmatisierung unterlassen müssen. Dann wird man auch den Ursachen nachgehen müssen. Dann wird man untersuchen müssen, warum so viele US-Amerikaner meinen, zu den Verlierern der wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Entwicklung zu gehören. Analoges gilt für uns hierzulande.
P. S.: Weil das Thema dieser kurzen Betrachtung viel mit der Frage zu tun hat, ob wir wirklich in einer Demokratie leben, ist dieser Artikel die Nr. 2 der Serie Leben wir wirklich in einer Demokratie? (Nr.1)