Irland wurde in den letzten Monaten des Öfteren als Beispiel in Sachen Corona herangezogen. Anfang Dezember wurden nach einem vierwöchigen Lockdown auf modifizierter höchster Stufe einige Regionen in Irland vom Robert Koch-Institut nicht mehr als Risikogebiet eingestuft. Die Inzidenzen lagen dort unterhalb des Grenzwertes. Nach Lockerungen im Dezember zählten die Inzidenzwerte zu den „höchsten der Welt“ und deutsche Medien zeigen mit dem Finger auf Irland. Im täglichen Leben ist man viel in den eigenen vier Wänden oder Hecken und von diesen Extremen ist nicht so viel zu verspüren. Ein persönlicher Eindruck aus Irland von Moritz Müller.
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Am irischen Nationalfeiertag St. Patricks Day am 17. März letzten Jahres hielt der damalige irische Taoiseoch (Häuptling=Premierminister) Leo Varadkar im Radio und Fernsehen eine Rede, die mich damals sehr bewegte. Er bereitete uns auf schwere Zeiten in der aufkommenden Seuche vor. Das Volk müsse zusammenstehen und wir würden bald alle Tote und Kranke kennen. Die jährlichen Paraden waren an diesem Tag abgesagt gewesen, Kneipen und Restaurants geschlossen und alle Schulen hatten ihre Schüler schon nach Hause geschickt. Der Unterricht ging dann erst Ende August/Anfang September weiter.
Einige Zeit später legten auch die Bauarbeiter ihre Werkzeuge nieder, alle nicht-essentiellen Geschäfte schlossen und es legte sich für einige Wochen eine gespenstische Stille über das Land. Aber es war auch eine Ruhe und der Himmel verlor seine Kondensstreifen. Täglich gab es alarmierende Nachrichten aus Krankenhäusern und Seniorenheimen, aber es kam nicht zum Kollaps des gesamten Gesundheitswesens.
In diesen Monaten setzte auch der bargeldlose Zahlungsverkehr zu immer neuen Höhenflügen an. Es gab aber auch schnell vergleichsweise ordentliche finanzielle Unterstützung. Jeder, der irgendwie nachweisen konnte, am Stichtag in ordentlicher Beschäftigung gestanden zu haben, bekam entweder 200 oder 350 Euro die Woche. Vor ein paar Tagen hörte ich im Radio, dass von den fünf Millionen Einwohnern Irlands 375.000 Menschen diese Zahlungen beziehen. Da kommt bei vielen erst einmal keine existenzielle Panik auf.
In den ersten Monaten starben in Irland im Zusammenhang mit Corona, wie es hier mittlerweile genannt wird, ca. 1.600 Menschen, während die Übersterblichkeit von März bis September auf zwischen 876 und 1.192 Todesfälle geschätzt wird. Im Mai und Juni nahm dann auch die Zahl der positiven Tests rapide ab, was aber auch daran lag, dass weniger Tests vorgenommen wurden, wie damals nebenbei bemerkt wurde.
Daraufhin machten dann Schritt für Schritt, und auf einmal sehr schnell, die Geschäfte wieder auf. Frisöre durften ihrem Handwerk wieder nachgehen, und „Elite Sports“ durften hinter verschlossenen Türen stattfinden. Auf Deutsch nennt man das wohl Leistungssport, und hier in Irland umfasst das Sportveranstaltungen, die für das Fernsehen von Interesse sind. Zurzeit hat das die kuriose Auswirkung, dass Pferderennen ohne Zuschauer, aber mit der ganzen nötigen Organisation stattfinden dürfen, während Begräbnisse auf zehn Trauernde begrenzt sind. Ein Freund sagte mir, dass bei professionellen Pferderennen Hygienemaßnahmen leichter durchzusetzen sind als bei privaten Trauerfeiern mit Amateuren. Das stimmt wahrscheinlich, aber trotzdem steht hier wohl viel unbewältigte Trauer ins Haus.
In den Pub durfte man ab sofort nur gehen, wenn man gleichzeitig wenigstens eine Mahlzeit für mindestens neun Euro zu sich nahm und nach 90 Minuten (dann verlängert auf 105 Minuten, weil der Gesetzgeber die 15-minütige Halbzeitpause bei den „Elitesportarten“ wohl vergessen hatte) wieder von seinem Sitzplatz verschwand. Ich habe damals von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht.
Masken in Geschäften und öffentlichen Transportmitteln wurden am 10. August gesetzlich vorgeschrieben, obwohl man schon einige Wochen vorher den Eindruck bekam, dass dies ohnehin bereits so sei. Ähnlich verhält es sich mit der 14-tägigen Quarantäne, die für Einreisende aus allen Ländern galt/gilt, die sich nicht auf einer „grünen Liste“ befinden. Deutschland befand sich für 10 Tage im September auf dieser mittlerweile abgeschafften Liste. Wirklich gesetzlich verpflichtend ist diese Quarantäne auch erst seit Mitte Januar und die Polizei hat gerade erst bemängelt, dass es unklar ist, wie dies zu durchzusetzen sei.
Ab September nahm die Zahl der positiv Getesteten dann wieder zu, was Ende Oktober zu einem Lockdown auf der höchsten Stufe 5 führte. Allerdings gab es einige Abmilderungen und die Schulen blieben bis Weihnachten geöffnet. Man durfte sich ohne „triftigen“ Grund nicht weiter als fünf Kilometer von seinem Domizil entfernen. Die Polizei kontrollierte das alles recht behutsam und oft mit Augenmaß. Aber auch hier werden bei Regelverstößen mittlerweile hohe Bußgelder verhängt.
Ab Dezember durften wir dann innerhalb unserer Grafschaft verreisen und ab dem 18. Dezember waren auch weitere Reisen erlaubt, um ein „sinnerfülltes Weihnachtsfest“ zu ermöglichen. Gleichzeit waren die Inzidenzen auf Werte gesunken, die das Robert Koch-Institut dazu veranlassten, die meisten Regionen Irlands nicht mehr als Risikogebiet einzustufen. Auch Restaurants und alle Geschäfte für den weihnachtlichen Konsum waren in dieser Zeit wieder geöffnet und es kamen Iren aus der Diaspora ins Land, wenngleich die Zahlen nur einen Bruchteil des langjährigen Durchschnitts ausmachten. Auch die direkte Einreise aus Großbritannien wurde am 20. Dezember wegen der dortigen neuen Corona-Variante komplett gestoppt. Es ist allerdings Teil der irischen Staatsräson, dass die Landgrenze nach Nordirland offenbleibt. Vor Weihnachten waren viele der Fähren von Liverpool und Schottland nach Nordirland ausgebucht.
Über Weihnachten waren auch Treffen mehrerer Haushalte erlaubt. Im Moment darf man, wie schon im November, zu Hause gar keinen Besuch bekommen. Auch wenn man das Glück hat, einen Garten zu besitzen, sind auch dort Besucher tabu. Wahrscheinlich führen diese Verbote direkter Kommunikation zu einer Zunahme der Telekommunikation, welche dann oft die Einbahnstraße zum Fernseher ist, wo dann weitere alarmierende Nachrichten konsumiert werden. Ich bin froh, dass ich schon seit Jahrzehnten keinen Fernseher besitze und ich kann das ohnehin nur empfehlen. Auch das Radio kann man tagsüber eigentlich nicht anschalten, denn es werden täglich die gleichen Botschaften wiederholt, ohne dass wirklich die Faktenlage hinterfragt wird. Seit Beginn der Corona-Krise vor fast einem Jahr wird von den hiesigen Politikern und Experten wiederholt, dass wahlweise die nächsten zehn Tage oder zwei Wochen alles entscheidend seien. Vielleicht wäre eine etwas längerfristige Ausrichtung doch überzeugender für die Bürger. Abschalten ist oftmals meine Praxis der Medienkompetenz.
Kurz vor Weihnachten nahm die Zahl der positiven PCR-Tests dann wieder zu und erreichte Mitte Januar ihren Höhepunkt, weit über den Fallzahlen von März/April, was sicher auch mit mehr Tests zu tun hat. Aber auch die Todesfälle im Zusammenhang mit Corona schnellten in die Höhe und es gab in Irland im Januar über 1.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Corona. Am 24. Januar wurden z. B. 24 Todesfälle gemeldet – im Alter von 61 bis 99 Jahren. Das Durchschnittsalter wurde mit 84 Jahren angegeben.
Es kursieren hier in der Republik Irland mittlerweile auch Vorstellungen, dass eine „Zero-Covid-Politik“ machbar sein könne. Man will dazu die Nordiren überzeugen, ihre innerbritischen Reiseverbindungen so zu kontrollieren, als ob es sich um eine internationale Grenze handele. Was die probritischen Unionisten, die im Zuge des Brexit schon zugestimmt haben, dass Nordirland in der Zollunion mit der EU verbleibt, davon halten, scheint bei diesen Überlegungen eine untergeordnete Rolle zu spielen. In den letzten Tagen haben sich die Zollkontrollen, die in den Häfen Nordirlands mit Hilfe von EU-Beamten durchgeführt werden, zu einem Zankapfel entwickelt. Dazu vielleicht mehr an anderer Stelle. Natürlich wäre es logischer, auf einer relativ kleinen Insel wie Irland keine Grenze zu haben und diese, wenn überhaupt, auf dem Meer zu positionieren. Aber es gibt historische Realitäten, die sich nicht kurzfristig ändern werden. Bis zum Brexit hat man auch nicht viel von der Grenze zwischen Irland und dem UK gespürt.
Auch die Frage, ob es für eine Volkswirtschaft, deren Tourismusbranche zu 70% von ausländischen Touristen lebt, verhältnismäßig ist, das Ziel „Zero-Covid“ anzupeilen, wenn dies mit Quarantäneregeln, einer Testpflicht und anderen weitreichenden Regeln einhergeht, muss gestellt werden. Das mag für einen Inselstaat am anderen Ende der Welt praktikabel sein, aber vielleicht nicht für ein Land, welches ein aktiver und lebendiger Teil von Europa ist. Zwei Drittel der Inhaber irischer Pässe leben im Ausland. Meine Einstellung zu dieser Idee hat natürlich auch damit zu tun, dass viele meiner Verwandten und Freunde auf der anderen Seite des Meeres wohnen. Aber wie schon gesagt, das ist auch kein Einzelfall.
Überhaupt ist die Diskussion über „Zero Irgendwas“ immer eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Auch „null Verkehrstote“ wären machbar, wenn man jeglichen Verkehr unterbinden würde oder wenn man ein generelles 20-km/h-Limit einführen würde und Fußgänger dürften dann bei Glatteis oder bei Heuschnupfengefahr nicht mehr auf die Straße. Jedem ist wohl klar, dass man über Jahrzehnte die Zahl der Verkehrsopfer recht erfolgreich gesenkt hat und jetzt an einem Punkt ist, wo man einen Kompromiss gemacht hat aus Vorsicht, notwendigem Verkehr und „Freie Fahrt für freie Bürger“. Man könnte auch „null Krebs“ anpeilen, aber viele akzeptieren Krebs heute als Zivilisationskrankheit und Krebs ist bei seiner Behandlung wahrscheinlich auch profitabel, wie so vieles im heutigen Gesundheitswesen profitabel sein muss, wenn man die Krankenhäuser an Investoren verkauft, die auf ihren Profit achten müssen. Beim Thema Krebs wäre in der Vorbeugung sicher noch viel Luft drin. Stattdessen genehmigen und benutzen wir Menschen immer neue Technologien, ohne vorher wirklich zu bedenken, was die langfristigen Folgen, nicht nur für die Gesundheit, sind. Oder wir finden für ein Problem eine Lösung und am Ende wirft diese Lösung vielleicht noch mehr Probleme auf.
Ich hoffe, dass die derzeit in Rekordzeit produzierten, getesteten und eingesetzten Corona-Impfstoffe auch auf lange Sicht funktionieren und sich zumindest keine später erscheinenden Nebenwirkungen einstellen. Wie wohl die Befürworter von „Zero-Covid“ zu „Zero-Nebenwirkungen“ stehen würden? Denn „Zero“ würde hier bedeuten, dass man selbst seltene Einzelfälle schwerer Nebenwirkungen nicht akzeptiert.
Ich bin kein Naturwissenschaftler, aber trotzdem – oder vielleicht genau deshalb – kann ich nicht verstehen, wie man klinische Untersuchungen, welche man über einige Monate an einigen Zehntausend Probanden auf Millionen oder Milliarden Menschen für Jahrzehnte hochrechnen kann oder will. Um ein Sofa zu testen, kann man eine Maschine bauen, die tausendfaches Hinsetzen und Aufstehen in kurzer Zeit simuliert. Bei dem komplexen Säugetier Mensch, das nach althergebrachter Vorstellung auch noch mit einer Seele ausgestattet ist, finde ich das vermessen oder zumindest leichtsinnig. Natürlich kann man argumentieren, dass bei Corona Gefahr im Verzug ist und man nicht lange testen konnte. Auch hier muss man abwägen, und es steht zu hoffen, dass wir diese Abwägung noch selber treffen dürfen.
Aber wie gesagt, ich hoffe, dass es nicht zu schweren Problemen kommt. Was natürlich auch sein kann, ist, dass man ähnlich wie bei der Grippe merkt, dass man jedes Jahr einen neuen Impfstoff braucht. Gestern las ich, dass die Firma Biontech erklärt hat, nur sechs Wochen zu brauchen, um eine neue Variante ihres Impfstoffes zu produzieren. Als vor knapp zwei Monaten die ersten Berichte über die „englische Mutation“ eintrafen, hieß es von offizieller Seite noch, dass man annehme, dass der Biontech/Pfizer-Impfstoff bei den Varianten ähnlich wirksam sei, wie in der Studie getestet. Das ist nun vielleicht doch nicht so, wie man hier lesen kann. Ein jährlich neu zu produzierender Impfstoff ist sicher auch gut für die Gewinnmaximierung. Manchmal komme ich mir vor wie ein Versuchskaninchen in einem riesigen Experiment. Das waren einige Spekulationen, wie es weitergehen könnte, und darum zurück zur Lage in Irland.
Bei Gesprächen mit hier in Irland im Gesundheitswesen beschäftigten Personen (ab hier GbP) ergab sich in manchen Punkten ein ähnliches Bild, bei manchen auch sehr verschiedene Einschätzungen. Einig waren sich meine Gesprächspartner, dass es in der ersten Januarhälfte in den jeweiligen Krankenhäusern zu krisenhaften Zuständen gekommen sei. „Die Kollegen in der Covid-Station hatten eine Horror-Zeit“. Sofort erwähnt wurde von allen auch die Tatsache, dass die Patienten isoliert und ohne Angehörige sterben. Hier herrschte Ratlosigkeit bei den GbP. Interessant war, dass die jetzige sogenannte dritte Welle von einer Person als „erste Welle“ bezeichnet wurde, weil es in deren Krankenhaus im Januar ungleich heftiger zugehe als im letzten März/April.
Alle waren sich auch einig, dass Personalprobleme die Situation verschärfen. Viele Ärzte und Pfleger waren und sind in Quarantäne, weil sie testpositiv waren oder mit Erkrankten oder positiv Getesteten in engem Kontakt standen. Ich hörte von einer Station, wo über Weihnachten eine ganze Schicht in Quarantäne war. Eine andere Person sagte, dass 20% des Personals in Quarantäne seien, eine andere 50 bis 60%. Eine GbP erzählte, sie sei im Mai an Covid erkrankt und bei ihr habe sich das Virus in Herzrhythmusstörungen bemerkbar gemacht und es habe eine ganze Weile gedauert, bis sich das gelegt habe. In ihrem Krankenhaus mit über zweihundert Angestellten sei kein Personal im Zusammenhang mit Corona gestorben. Mit einer anderen GbP kam ich auch auf die Personaldecke im Allgemeinen zu sprechen und der Pflegeberuf scheint hier in Irland nicht gerade attraktiv gemacht zu werden. Die Gewerkschaften sind nicht sehr einflussreich, auch weil längst nicht alle Beschäftigten dort organisiert sind und weil bedingt durch die Art der Tätigkeit im Heilberuf Streiken auch nur sehr eingeschränkt möglich ist.
Beim letzten Arbeitskampf vor einigen Jahren war eine zentrale Forderung, dass nach der Finanzkrise vor mittlerweile zwölf Jahren eingestelltes Personal endlich die gleiche Bezahlung bekommt wie die davor Beschäftigten. Die in der Ausbildung befindlichen Krankenpfleger wurden zu Beginn von Corona als Pflegehilfskräfte rekrutiert und als solche bezahlt. Diese Regelung gibt es nun nicht mehr. Eine GbP erzählte mir, dass die Ausbildung im Moment ausgesetzt sei und die angehenden Pflegekräfte in den letzten Wochen und Monaten unglaublich harte Arbeit geleistet hätten, aber dafür nicht bezahlt würden. Im September hatte es im Parlament den Vorschlag gegeben, dass dieser Personenkreis mit 14 Euro pro Stunde entlohnt werden solle, solange die Pandemie andauert. Aber die zwei konservativen Parteien Fianna Fail und Fine Gael und die Grünen, die zusammen regieren, lehnten dies ab, was zu Protesten an der Basis der Letztgenannten führte. Wahrscheinlich wird nach dieser Legislaturperiode nicht mehr sehr viel von den Grünen übrigbleiben, denn sie haben sich auch hier zur Partei des „Establishments auf Fahrrädern“ gewandelt, wie ein Freund von mir letztens anmerkte.
Eine GbP sagte, dass es in ihrem Krankenhaus auch wieder Patienten gegeben habe, die die Nacht auf Rollbetten auf den Gängen verbringen mussten. Dies kennt man aus vergangenen Wintern. Aber da viele andere Behandlungen im Moment ausgesetzt sind, um Bettenkapazitäten für Covid-Patienten zu haben, ist auch dies eine alarmierende Tatsache.
Es gab in meinen Gesprächen verschiedene Auffassungen über die Frage, wie die Covid-Toten genau gezählt werden. Manche GbP meinten, man solle die offiziellen Zahlen mit Skepsis genießen, bzw. dass manches sehr rätselhaft sei. Das trifft auch auf den Verlauf der Krankheit zu, der sich nicht immer an der Definition der Risikogruppen orientiert. Da gäbe es z.B. einen 34-Jährigen ohne bekannte Vorerkrankungen, der auf der Intensivstation beatmet werden müsse, während ein 65-jähriger Raucher und Trinker mit recht milden Symptomen im Krankenhaus sei. Diese GbP äußerte Zweifel, ob wirklich jeder positive PCR-Test wirklich eine Covid-Erkrankung bedeute und was bei manchen an Covid Erkrankten wirklich genau als Todesursache zu zählen sei.
Dies wies ein anderer Gesprächspartner zurück und sagte, dass viele alte Leute, auch wenn vielleicht vorerkrankt oder altersbedingt anfälliger, noch einige Jahre vor sich gehabt hätten und hier Corona wirklich das war, was den Auslöser zum jetzigen Ableben gab. Diese Person war es auch, die sinnierte, wie wir wohl im Rückblick die jetzige Zeit betrachten werden. Ich fing dann an, von abgehängten Schülern zu sprechen, während die Person das Sterben in ihrem Krankenhaus als Zeichen einer ausgelöschten Generation wertete.
Hierzu fällt mir dieser Artikel mit dem Titel „Die Generationenkrise“ ein, der am 25. Januar erschien. Auch diese Person hatte schon die Pfizer/Biontech-Impfung erhalten und war auch der Meinung, dass die Impfung auch davor schütze, andere anzustecken, auch wenn man selber keine Symptome habe. Nach ihrer Ansicht gebe es keine Alternative zu den jetzigen Lockdowns, auch weil die steigenden Zahlen nach Weihnachten eindeutig mit den Lockerungen zusammenhingen. Auch Zero-Covid sei eine Überlegung wert. Nach einer langfristigen Prognose gefragt, wurde die Hoffnung geäußert, dass die strikte Lockdown-Politik und die Corona-Impfungen zu einer Entlastung des Gesundheitswesens führen werden. Das Gespräch endete mit einem Zitat des irischen Nobelpreisträgers Seamus Heaney: „If we winter this one out, we can summer anywhere.” (Wenn wir dies überwintern, können wir den Sommer überall verbringen.)
Die GbP, die im Mai an Covid erkrankt war, erzählte mir, dass sie sich trotzdem habe impfen lassen – hauptsächlich in der Hoffnung, dann vielleicht endlich wieder Freunde in England besuchen zu können. Hier war der Optimismus auch eher gedämpft, was die medizinische Forschung anbelangt, und die gesamte Situation wurde als „Muddle“ (Durcheinander) bezeichnet. Dieses „Muddle“ gibt auch irgendwie mein diffuses Gefühl in der jetzigen Situation wieder und hat sich auch im vorliegenden Artikel niedergeschlagen und die Leser mögen dies bitte entschuldigen. Ich finde die derzeitige Lage einfach sehr unübersichtlich und „Wissende“ jedweder Richtung stimmen mich eher misstrauisch. Nix gwiss woas ma net. Interessanterweise brachte diese im Krankenhaus angestellte Person auch den Begriff „Herdenimmunität“ bei gleichzeitigem, verstärktem Schutz der Risikogruppen ins Spiel. Ich fand das beachtlich angesichts der Tatsache, dass diese Strategie auch in Schweden jetzt nicht mehr konsequent angewendet wird. Auf die Frage, ob sie „Zero-Covid“ für realistisch halte, stellte sie mir dies als Gegenfrage.
Nun hört man in unserer überschaubaren Gegend auch von Covid-Fällen. Der Besitzer eines Restaurants in seinen Fünfzigern überstand Covid auf der Intensivstation und ist jetzt glücklicherweise wieder zu Hause. Seine Mutter war im April an einem Herzleiden gestorben. Er erzählte mir damals, sie habe wegen Covid das Krankenhaus gemieden. Ein älterer Second-Hand-Shop-Betreiber starb an Covid. Der Besitzer des Gebäudes, von dem ich vor Monaten gehört hatte, dass er unheilbaren Krebs habe, starb auch mit Covid. Das ist alles nicht sehr empirisch, aber reflektiert doch irgendwie die Schilderungen aus den Krankenhäusern.
Manchmal muss ich bei der Betrachtung der Lage an den schönen Buchtitel: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ denken. Einerseits werden wir wohl höchstwahrscheinlich nicht zu dem gleichen Zustand zurückkehren, den wir vor der Krise und den dann eingeschlagenen Maßnahmen hatten. Es gab auch damals schon genug Krisen, die uns allen mittelfristig das Leben ziemlich schwer bis unmöglich machen könnten.
Dass man vielleicht in der Zukunft weniger Flugzeuge benutzen wird, ist ja vielleicht keine schlechte Entwicklung, wenn man die von dieser Branche abhängigen Personen irgendwie sozial verträglich unterbringen kann. Insgesamt wäre es schön, und auch unabdingbar, dass die Menschheit viele ihrer Aktivitäten auf ihren Sinn und ihre Folgen abklopft. Die jetzige Krise könnte also durchaus eine Chance sein. Den jetzigen Zustand mit den eingeschränkten menschlichen Kontakten als neue Normalität zu bezeichnen, finde ich allerdings unerträglich.
Hier in Irland gehören zu den mittelfristig nötigen Maßnahmen sicher auch mehr Investitionen im Gesundheitswesen, eine effektivere Anwendung der Gelder, und dass die Politiker und Beamten, die diese Dinge planen, sich dann auch wirklich verantwortlich für ihre Politik fühlen. Andererseits merkte die GbP, die Seamus Heaney zitierte, auch an, dass in richtigen Notfällen die Gesundheitsbehörde HSE doch funktioniert und es dort sehr fähige und gute Leute gäbe. Das ist auch meine Erfahrung, aber ich habe auch schon viel erlebt und gehört, was sehr fragwürdig war.
Wenn das Gesundheitssystem besser ausgestattet wäre, könnte man Bedrohungsszenarien auch entspannter betrachten. Hier ein Vergleich der Intensivbetten/100.000 Einwohner in ausgewählten Ländern Europas. Deutschland führt in dieser Tabelle mit 33 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner, während Irland mit 5 Betten das Schlusslicht ist, aber auch nur knapp hinter Dänemark. Wenn man diese Zahlen, die sicher interpretierungsbedürftig sind, sieht, grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass das Gesundheitswesen hier noch nicht kollabiert ist, und man fragt sich, warum in Deutschland ein ähnlicher Alarmzustand herrscht wie hier in Irland.
Ich bin auch mal gespannt, wie es hier bei uns in Irland weitergeht und in welche Richtung wir treiben oder getrieben werden oder uns treiben lassen. Von den Kollateralschäden habe ich bis jetzt ziemlich wenig geschrieben. Hier seien die geschlossenen Schulen erwähnt. Das ist für viele Schüler und Eltern, besonders bei Schülern mit besonderen Bedürfnissen, eine Katastrophe, obwohl ich auch schon gehört habe, dass sich Geschwister während des Lockdowns besser vertragen als je zuvor. Vielleicht gibt es ja irgendwann mal ein Modell, wo Schule optional ist und dank ihre Anziehungskraft funktioniert.
Wie die lebhafte Musikszene mit den vielen kleinen Bands die jetzige Situation übersteht, bleibt auch abzuwarten. Dass Kneipen als Treffpunkte für direkte Kommunikation weggefallen sind, ist auch eine unschöne Entwicklung, auch wenn ein verminderter Alkoholkonsum vielen Menschen sicher guttut. Allerdings wäre es besser, dies würde aus freien Stücken geschehen, und die Verlagerung des Alkoholkonsums in private und manchmal einsame Gefilde hat auch ihre Schattenseiten.
Es gibt noch endlos viele Beispiele, wie z.B. die Verteilung von Vermögen nicht nur seit Beginn der Corona-Krise und Entwicklungen wie Ausnahmezustand und mangelnde Kontrolle der Legislative oder mehr Überwachungsmöglichkeiten aufgrund sprunghaft gestiegener Telekommunikation, die es an anderer Stelle zu beobachten und zu beschreiben gilt.
Insgesamt kann man sagen, dass sich die Situation hier in Irland zeitweise schon sehr bleiern angefühlt hat, aber dass wir versuchen, unseren (Galgen-)Humor zu behalten, und Irland im Krisenmodus irgendwie immer ganz gut funktioniert. Das war auch während der Finanzkrise zu beobachten. Verglichen mit den meisten Gegenden der Welt geht es hier im Moment noch richtig gut, was natürlich keine generelle Negierung des Vorgenannten sein soll.
Ob wir in einem halben Jahr mehr Überblick haben?
Titelbild: Der verwaiste Cork International Airport am 1. Februar 2021 – © Moritz Müller