In Zeiten gezielt hergestellter Sprachlosigkeit und politischer Polarisierung kommt dem kulturellen Austausch eine zentrale, ja überlebenswichtige Rolle zu. Ein beispielhaftes gemeinsames Projekt von deutschen und russischen Schülern baut solche Brücken – während sie von westlichen Medien und Politikern eingerissen werden. Von Tobias Riegel.
In den letzten Tagen war angesichts des Jahrestags der Befreiung von Auschwitz durch die Sowjetunion wieder viel von der Bedeutung der Völkerverständigung die Rede. Diesen Lippenbekenntnissen für Völkerfreundschaft haftet aber zum Teil der Eindruck der Heuchelei an: etwa wenn westliche Politiker am Jahrestag wohlklingende Phrasen von den „Lehren aus der Geschichte“ formulieren, aber am nächsten Tag wieder Eskalationen und Sanktionen gegenüber Russland fordern.
Aktuell werden in vielen deutschen Medien und durch viele westliche Politiker neue Höhepunkte der antirussischen Meinungsmache erreicht, Stichpunkte wären unter anderem etwa die Agitation gegen Nord-Stream-2 oder der Umgang mit dem Fall Nawalny – zu beiden Themen haben die NachDenkSeiten diverse Artikel veröffentlicht.
Völkerverständigung: Jugend springt ein – gegen eine destruktive Politik
Auf dem Feld der Verständigung mit Russland spielen Politik und Medien also zu weiten Teilen eine destruktive Rolle, es gibt sogar Bestrebungen, den kulturellen Austausch mit dem Land zu sabotieren, wie die NachDenkSeiten geschrieben haben:
„Das ZDF fragt, ob man ‚wegen Nawalny‘ den Kulturaustausch mit Russland beenden solle. Derweil boykottiert Außenminister Maas ein deutsch-russisches Wissenschaftsprojekt. Nach dem Sport (‚Staatsdoping‘) sollen nun weitere Bereiche der deutsch-russischen Verständigung ‚politisiert‘ und ein Dialog unmöglich gemacht werden.“
Wegen dieser Zustände müssen andere Akteure einspringen, um eine irrationale Gegnerschaft zwischen den Bürgern Deutschlands und Russlands zu verhindern. Ein solches wichtiges Vorhaben ist die Zusammenarbeit deutscher und russischer Schüler am Projekt „Musik für den Frieden“: Jugendliche aus dem russischen Twer produzieren dabei mit ihren deutschen Freunden aus Grenzach-Wyhlen Musik-, Tanz- und Video-Projekte auf hohem Niveau. Vor Corona war das auch mit realen Treffen und Austauschen sowie gemeinsamen Proben und Auftritten verbunden. Das neueste Ergebnis der sich über 2500 Kilometer erstreckenden Zusammenarbeit ist das seit Mitte Januar präsentierte Video “Wolga trifft Rhein“:
Den Song und die Choreografie haben die Jugendlichen an der Wolga (in Twer) und am Rhein (in Grenzach-Wyhlen) mit professioneller Hilfe aufgenommen, der Videoclip beruht auf der Komposition „You Are The Only One“, die auch Sergey Lazarev interpretierte. Das Lied wurde von den Jugendlichen in einer Coverversion zusammen mit ihrer Band aufgenommen, insgesamt sind 30 Schüler aus Russland und 70 aus Deutschland beteiligt.
Der gleiche Wunsch an Wolga und Rhein: „Wir wollen Frieden!“
Die deutsche Musical-Company unter der Leitung von Thomas und Ulrike Vogt hat im Sommer 2018 die Idee ihres Projektes „Musik für den Frieden“ bei der Stiftung deutsch-russischer Jugendaustausch vorgestellt, worauf sich die Jugendtheatergruppe „Premier“ unter der Leitung von Andrey Korjakov aus Twer meldete. Beide Gruppen wurden schon mit Musik- und Theaterpreisen ausgezeichnet und waren sich schnell über das Grundkonzept einig: Die Theatergruppen besuchen sich gegenseitig in Russland und Deutschland und erarbeiten basierend auf ihrem jeweiligen Musical-Repertoire ein gemeinsames Konzertprogramm. Dabei tauschen sie über das Internet ihre Songs und Choreografien aus und bereiten zunächst zu Hause die „fremden“ Stücke vor. Bei den Begegnungen in Russland und Deutschland wird dann das Konzertprogramm gemeinsam geübt und ausgefeilt. Die Initiatoren erklären ihre Motivation so:
„Wo die große Politik im zwischenstaatlichen Handeln versagt, möchte ‚Musik für den Frieden‘ aus der Zivilgesellschaft heraus einen Kontrapunkt setzen. Die friedliche und sinnstiftende Begegnung der Jugend aus Russland und Deutschland zeigt den Weg zur Völkerverständigung.”
Das aktuelle Musikvideo „Wolga trifft Rhein“ ist aus der Not geboren, wie die Macher erklären. Eigentlich sollten in Moskau und Berlin zu dieser Zeit gemeinsame Konzerte des deutschen und des russischen Ensembles stattfinden. Wegen Corona musste die Zusammenarbeit in den digitalen Raum verlegt werden. Das Video zeigt aber dennoch, dass sich die Wünsche der Jugendlichen an beiden Flüssen nicht so sehr unterscheiden. Die Botschaft: Wir wollen in Frieden leben!
Titelbild: Musical Company LMG