Heute früh im Deutschlandfunk ging es – wie in anderen Medien auch – über weite Strecken um den Disput der Europäischen Union mit dem Impfstofflieferanten AstraZeneca. Auch die Presseschau nach den 7-Uhr-Nachrichten war voll davon. Zunächst einmal wären alle NDS-Leserinnen und -Leser, die am Durchschauen von Manipulationsvorgängen interessiert sind, darauf hinzuweisen, dass hier die Manipulationsmethode „B sagen, um A zu transportieren“ angewandt wird. (Methode Nr. 11 in Teil III. von „Glaube wenig. …“. Text ist unten angehängt). Es wird um Lieferungen und Lieferschwierigkeiten und um Vertragsverstöße gestritten. Mit dieser Botschaft B (Streit um Lieferungen) wird die Botschaft A transportiert, das Impfen sei gut und unstrittig, quasi selbstverständlich. Und je mehr die Debatte so weitergeführt wird, umso schwieriger wird es werden, die notwendigen Fragen zur Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität der Impfstoffe zu stellen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass der Streit um die Lieferschwierigkeiten deshalb inszeniert worden ist. Aber der Streit wirkt wie beschrieben. Wichtige Fragen werden in diesem Kontext nicht oder kaum gestellt, jedenfalls beiseitegeschoben. Albrecht Müller.
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Hier sind einige relevante Fragen:
- Warum sind die Verträge zwischen Europäischer Union und anderen öffentlichen Stellen einerseits und den Herstellern andererseits geheim? Wer hat dieser Geheimhaltung zugestimmt? In Brüssel der Ministerrat? In Deutschland die Bundeskanzlerin? Der Gesundheitsminister? Der Bundestag?
- Was ist geheimgehalten worden und warum?
- Wie sind insbesondere die Haftungsfragen geregelt? Trifft es zu, dass die Öffentlichkeit, dass wir als Steuerzahler für Schäden haften müssen, die bei Impfungen eintreten?
- Waren die riesigen Vorauszahlungen Voraussetzung für das Tätigwerden der Impfproduzenten? Oder waren das in der allgemeinen Stimmung dargebotene Gefälligkeiten? „Einem EU-Vertreter zufolge kassierte AstraZeneca dafür eine Vorauszahlung von 336 Millionen Euro“, heißt es in einer Meldung. Wer hat das abgesegnet? Frau von der Leyen?
- Ist es richtig, dass die Europäische Kommission zu wenig Impfstoffe bestellt hat? Oder hat sie sogar zu viel bestellt? Ist es eigentlich überhaupt ihre Aufgabe, Impfstoffe zu bestellen?
- Was hat der ganze Vorgang noch mit den ansonsten vielbeschworenen marktwirtschaftlichen Gepflogenheiten zu tun? Warum haben die staatlich Verantwortlichen nicht schon längst erwogen, die Impfstoff-Produktion und -Verteilung in einem solch dramatischen Fall in öffentliche Regie zu übernehmen? Das Produkt hat doch über weite Strecken den Charakter eines öffentlichen Gutes angenommen. Marktwirtschaft funktioniert offensichtlich nicht. Viele der Forschungen sind ohnehin mit öffentlichem Geld finanziert worden und/oder an öffentlichen Einrichtungen, an Universitäten und Kliniken entwickelt worden. Da liegt es doch wohl nahe, das Ganze in öffentliche Regie zu übernehmen. Oder zumindest entweder die öffentliche Haftung auszuschließen oder den Staat und die Allgemeinheit auch an den potentiellen Gewinnen zu beteiligen!?
Die Eigentümer von Unternehmen wie BioNTech sind mitten in der Krise zu Milliardären geworden. Kann das mit rechten Dingen zugehen? Ist das zu akzeptieren? Siehe dazu diesen Text von Jens Berger in den NachDenkSeiten:
Notierten die Aktien dieses Unternehmens im Herbst 2019 noch bei 12 Euro das Stück, hat sich der Wert seitdem verachtfacht und notiert aktuell bei rund 95 Euro. Das kleine Mainzer Unternehmen ist damit mehr als 20 Milliarden Euro wert – mehr als der große Medizinkonzern Fresenius und mehr als die Pharmasparte von Bayer. Das Gründerpärchen Uğur Şahin und Özlem Türeci ist damit dank Corona in den erlauchten Kreis der deutschen Milliardäre aufgestiegen. Richtig profitieren konnten auch die Milliardärsbrüder Andreas und Thomas Strüngmann, die mit dem Generikahersteller Hexal reich wurden und früh als Großaktionäre bei BioNTech einstiegen. Heute gehören ihnen mehr als 50% des Unternehmens und alleine diese Beteiligung katapultierte sie, die laut Forbes Liste vor Corona ein Vermögen von 4,4 Milliarden US$ hatten, in den Kreis der reichsten Deutschen.
Schon alleine dieser Vermögenszuwachs macht sichtbar, dass es sich nicht mehr um marktwirtschaftlich steuerbare Prozesse handelt. Oder? Aber auch diese Frage wird von den gegenwärtig Verantwortlichen nicht einmal gestellt.
Hinter dem Schattenboxen um Lieferschwierigkeiten verschwindet auch die Tatsache, dass es in vielen Bereichen zum Himmel stinkt.
Anhang:
Text der Methode III.11. „B sagen und A meinen“ aus „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Wie man Manipulationen durchschaut“
11. B sagen und A meinen
Das eine sagen, aber das andere meinen. Diese Methode wird unentwegt angewendet. So ist der Niedergang der SPD des Öfteren mit der Behauptung begleitet worden, die SPD verkaufe sich schlecht (= B). Damit transportiert wurde die Botschaft, ihre Politik sei eigentlich gut gewesen (= A). Auf allen Ebenen der SPD spukt derweil dieses Gespenst herum: Wir sind ja gut, aber wir verkaufen uns schlecht.
Auch die Agenda 2010 wurde und wird uns immer wieder auf diese Weise nahegebracht: Bundeskanzler Schröder habe sich, seine Kanzlerschaft und seine Partei geopfert, um das Land voranzubringen (= B). Damit wird die Botschaft A transportiert, die Agenda 2010 sei notwendig gewesen und nützlich.
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat Angela Merkel 2012 ermahnt, ihre Politik in der Euro-Krise besser zu erklären. Der Spiegel hat ihn wegen dieser Ermahnung kritisiert: »Mahnende Worte an die Kanzlerin. Gauck trifft Merkels schwächsten Punkt«. Beides, die Ermahnung durch den Bundespräsidenten wie die Kritik des Spiegel an ihm, waren Teil der Botschaft B, mit der vermittelt werden sollte, wie grandios die Politik der Bundeskanzlerin Merkel ist (= A).
Die Methode B sagen und A meinen wurde in Kombination mit der Methode Übertreiben von der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes 1975/1976 angewandt. Wir stellten damals mithilfe von Umfragen fest, dass Bundeskanzler Schmidt nicht als besonders leistungsfähig galt. Im Herbst 1975 haben wir dann zusammen mit Kollegen aus der SPD-Zentrale nach einer Möglichkeit gesucht, diese Einschätzung zu verbessern. Das Ergebnis des Nachdenkens: Der Bundeskanzler und andere Spitzenpolitiker sollten künftig bei der Darstellung unseres Landes und ihrer Politik vom »Modell Deutschland« sprechen und zugleich den eigentlich arrogant klingenden Begriff fortschrittlich füllen: gute Nachbarschaft mit allen Völkern, ein eng geknüpftes und festes soziales Netz, ferner viele und gute Arbeitsplätze, Reformen wie das gleiche Kindergeld für alle statt der ungerechten Kindersteuerfreibeträge, ganz geringe Arbeitslosigkeit und so weiter. Das sollte das »Modell Deutschland« charakterisieren, und das tat es damals auch.
Helmut Schmidt hat diese Idee positiv aufgenommen und seine öffentlichen Äußerungen darauf abgestellt. »Modell Deutschland« war die Klammer vieler Äußerungen von Schmidt selbst und der Bundesregierung.
Es gab offensichtlich einen Disput wegen des Eindrucks »nationalistischer Überheblichkeit«, wie Helmut Schmidt notierte. Aber es sollte mit den Begriffen Versöhnung und Nachbarschaften gefüllt werden.
Das war im Vorfeld der Bundestagswahl 1976 und hat vermutlich einiges dazu beigetragen, bei knapp gewordenem Abstand zu Helmut Kohls CDU/CSU die Wahl noch einmal zu gewinnen.
In Kenntnis dieser Methode und der Erfahrung, dass sie sehr oft angewandt wird, kann man lernen, nicht auf den ersten Teil einer Aussage hereinzufallen und stattdessen besser noch einmal zu hinterfragen, was dahintersteckt.
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