Serbien in Zeiten der Corona-Pandemie – Kein Lockdown und freie Wahl des Impfstoffes

Serbien in Zeiten der Corona-Pandemie – Kein Lockdown und freie Wahl des Impfstoffes

Serbien in Zeiten der Corona-Pandemie – Kein Lockdown und freie Wahl des Impfstoffes

Ein Artikel von Bernd Duschner

Unmittelbar nach der Nato-Aggression gegen Serbien 1999 haben wir in der oberbayerischen Kreisstadt Pfaffenhofen unsere Friedensgruppe „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ gegründet. Unser Ziel war es, humanitäre Hilfe zu leisten, Jugendaustausch zu organisieren und beispielgebend eine Freundschaft zwischen ihrer Stadt und der serbischen Stadt Valjevo aufzubauen. Im vergangenen Jahr gehörte Valjevo samt den eingegliederten Dörfern mit seinen rund 86.000 Einwohnern zu den Hotspots der Pandemie in Serbien. Bis einschließlich 21.1.2021, so der Chefredakteur der Lokalzeitung „Napred“, Slobodan Ciric, waren 151 Bürger mit oder infolge des Virus verstorben. Insgesamt gesehen aber liegen die Sterbefälle in Serbien (knapp 3.900) auf die Bevölkerung umgerechnet deutlich unter den Zahlen in Bayern. Welche Maßnahmen wurden getroffen und wie stellt sich die Situation heute in Valjevo und in Serbien dar? Von Bernd Duschner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Impfung ist kein Zauberstab

Wie im ganzen Land wurde mittlerweile in Valjevo mit der Impfung begonnen. [1] Sie ist freiwillig und wird zunächst den besonders von COVID-19 gefährdeten Bürgern mit über 65 Jahren angeboten. Für den serbischen Virologen Milanko Sekler ist die Impfung „kein Zauberstab“, er ist jedoch optimistisch, dass im Zusammenwirken von Präventivmaßnahmen, Impfung und des hohen Anteils von Bürgern, die als Folge einer Erkrankung bzw. einer asymptomatisch verlaufenen Infektion bereits Immunität erworben haben, das Virus bald seine Bedeutung verlieren wird. [2] Aktuell können sich die Bürger Serbiens zwischen drei Impfstoffen entscheiden, dem neuartigen Impfstoff von BioNTech-Pfizer (mit Nanopartikeln umhüllter mRNA-Impfstoff), dem russischen Impfstoff Sputnik (vektorbasierter mRNA-Impfstoff) und dem herkömmlichen Impfstoff von Sinofarm (Impfstoff mit inaktiviertem Virus). Präsident Aleksandar Vucic war Mitte Januar persönlich zum Belgrader Flughafen Nikola Tesla geeilt, um die erste Lieferung von 1 Million Impfdosen aus China in Empfang zu nehmen. Er bezeichnete die Lieferung als „Ausdruck der großen Freundschaft“, die zwischen beiden Ländern besteht. [3] Als erster Impfstoff wird seit vergangener Woche das Produkt von Sinofarm in Valjevo angeboten.

Die serbische Bevölkerung ist im Allgemeinen sehr kritisch gegenüber Aussagen und Maßnahmen ihrer Regierung. Nach einer repräsentativen Umfrage des Institutes DEMOSTAT vom September 2020 hatten sich nur 46% der Bevölkerung bereiterklärt, sich impfen lassen. 31% erklärten, eine Impfung auf jeden Fall abzulehnen.[4] Zu ihnen gehört der populäre Lungenfacharzt und Universitätsprofessor Branislav Nestorovic, der seinen Mitbürgern vielmehr empfiehlt, ihr eigenes Immunsystem zu stärken und ihr Leben zu genießen.[5]

Die Belgrader Regierung bemüht sich deshalb sehr stark, ihre Bürger von der Notwendigkeit der Impfung zu überzeugen. Ministerpräsidentin Ana Barnabic ließ sich bereits öffentlichkeitswirksam mit dem Produkt von BioNTech-Pfizer, Parlamentspräsident Ivica Dacic und Innenminister Aleksandar Vulin mit dem russischen Produkt impfen. Präsident Vucic hat angekündigt, sich in Kürze mit dem Impfstoff von Sinofarm impfen zu lassen.[6]

Was die EU in den vergangenen zwei Jahrzehnten versäumt hat, macht heute China: Im Rahmen seiner „Neuen Seidenstraße“ errichtet es u.a. Autobahnen, die Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Belgrad und Budapest und baut das Wärmekraftwerk in Kostolac aus. Chinesische Firmen haben die großen Stahlwerke in Smederevo, das Kupferbergwerk in Bor, den Haushaltsgerätehersteller Gorenje in Valjevo übernommen und errichten ein Reifenwerk in Zrenjanin. Die serbische Telekom arbeitet eng mit Huawei zusammen. Es ist deutlich sichtbar, dass sich der chinesische Einfluss in Serbien verstärkt.

Ein unterfinanziertes Gesundheitswesen

Die Epidemie hatte Serbien im Frühjahr 2020 ebenso wenig vorbereitet getroffen wie die deutsche Regierung: Es fehlte an der erforderlichen Schutzausrüstung in den Krankenhäusern und Altenheimen, es fehlt an Ärzten und Pflegepersonal. Es waren vor allem China und Russland, die damals Hilfe leisteten.[7] In den Jahren nach der schweren Banken- und Wirtschaftskrise 2008/09 hatte Serbien unter dem Druck des IWF und der internationalen Finanzinvestoren die Ausgaben für das Gesundheitswesen drastisch gekürzt und seine Privatisierung vorangetrieben. Zwischen 2013 und 2015, so die Journalistin Ana Otasevic, seien die Ausgaben für das Gesundheitswesen um 20% gesenkt worden.[8]

Dr. Rade Panic, Anästhesist und Chef der Gewerkschaft der Ärzte und Apotheker, beklagt die Folgen: 700-900 Ärzte verlassen jedes Jahr das Land. Bereits jetzt fehlten 3.000-4.000 Ärzte und 7.000 Krankenschwestern. Die personelle Ausblutung des serbischen Gesundheitswesens werde zudem noch durch ein spezielles Abkommen zwischen Deutschland und der serbischen Arbeitsagentur forciert. Dabei müssen bereits jetzt wegen der Einsparungen beim Personal Krankenpfleger häufig zusätzlich zur eigenen Arbeit auch noch die Arbeit von Reinigungskräften übernehmen, sodass die Zahl der Erkrankungen durch Krankenhausinfekte stark steige.[9] Dass die Belastung der vorhandenen Mitarbeiter jetzt wegen der Epidemie und des fehlenden Personals unvergleichlich höher ist als in den Vorjahren, bestätigte dem Verfasser auch Primarius Dr. Mihailo Markovic vom Krankenhaus Valjevo. Jegliche Hilfe, gerade auch in Form von medizinischer Ausrüstung, sei deshalb hilfreich und willkommen.

Lockdown? Wird nicht akzeptiert!

Im Frühjahr 2020 hatte die serbische Regierung zeitweise einen Lockdown und drastische Ausgehverbote verfügt, um die Ausbreitung der Epidemie zu verhindern. Vor den Parlamentswahlen am 21. Juni konnten jedoch selbst wieder Fußballspiele vor Tausenden von Zuschauern wie in Belgrad stattfinden. Kurz darauf, Anfang Juli, kündigte Präsident Vucic erneut einen Lockdown an. Es folgten tagelange, schwere Unruhen, sodass die Regierung die Pläne fallenließ und seither nicht mehr aufgenommen hat.[10] Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr und geschlossenen Räumen sowie Abstandspflicht gelten jedoch heute auch in Serbien. Nicht mehr als 5 Personen dürfen sich versammeln und in den Schulen wechseln sich Präsenz- und Distanzunterricht ab. Allerdings können Einzelhandelsgeschäfte, Gaststätten, Dienstleister wie Friseurläden oder Fitnesscenter, Kinos, Theater und Museen bis 21 Uhr geöffnet bleiben und eine nächtliche Ausgangssperre gibt es nicht.[11]

Diese Regelungen galten auch über die Weihnachtszeit, als Zehntausende im Ausland lebende Serben zu ihren Verwandten nach Hause fuhren. Die Befürchtungen, es werde nach den Feiertagen zu einem starken Anstieg der Corona-Erkrankungen führen, haben sich bis heute nicht bestätigt. Die Infektions- und Krankheitsfälle sind in den letzten Wochen, wie bei uns, stark rückläufig. Von einer Stabilisierung der Lage und einem Rückgang der Zahl an Corona-Patienten in seinem Krankenhaus in Valjevo spricht auch Primarius Dr. Mihailo Markovic. Hoffen wir, dass es weiterhin so bleibt!

Die Pandemie hat die serbische Wirtschaft stark getroffen. Das Bruttoinlandsprodukt ist um schätzungsweise 1,5% gesunken.[12] Das ist allerdings deutlich weniger als in den meisten EU-Ländern und in Deutschland. Neben den Besonderheiten der Wirtschaftsstruktur des Landes dürfte der Verzicht auf einen weiteren Lockdown dafür ein entscheidender Faktor gewesen sein.


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