Administrationswechsel in den USA, keine Begnadigung, aber anscheinend weitere Verfolgung von Julian Assange

Administrationswechsel in den USA, keine Begnadigung, aber anscheinend weitere Verfolgung von Julian Assange

Administrationswechsel in den USA, keine Begnadigung, aber anscheinend weitere Verfolgung von Julian Assange

Ein Artikel von Moritz Müller

Weder Julian Assange noch die Whistleblower Reality Winner oder Edward Snowden sind im Zuge von Donald Trumps rekordverdächtiger Begnadigungswelle an seinem letzten Tag im Amt begnadigt worden. Nun gibt es eine neue Administration, die, wie aus Erfahrung anzunehmen ist, die Politik der letzten Jahrzehnte wohl mit einem neuen freundlich und intelligent erscheinenden Anstrich weiter fortsetzen oder noch verschärfen wird. Eine Einschätzung von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

In den letzten Wochen gab es drei Hoffnungen für Julian Assange, seine Familie und seine Unterstützer.

  1. Am 4. Januar lehnte Bezirksrichterin Vanessa Baraitser das Auslieferungsersuchen der USA im Fall Assange aus medizinischen Gründen ab, während sie den anderen Punkten der Anklage weitgehend folgte. Das war für die Presse- und Meinungsfreiheit wie ein Schlag in die Magengrube, obwohl etablierte Medien das Urteil als Sieg des Rechtsstaates im Vereinigten Königreich feierten. Leider währte die verhaltene Freude bei Assanges Familie und Freunden nur kurz, da die US-Ankläger angekündigt hatten, Berufung einzulegen. Die Bezirksrichterin (Magistrate) lehnte 2 Tage später einen Antrag auf Kaution, mit dem Hinweis auf Fluchtgefahr, ab und schickte Assange zurück in seine Quasi-Isolationshaft. Es gibt mit Hinweis auf Covid auch keine Besuche, aber zur Freilassung auf Kaution reichte die Covid-Gefahr in den Augen der Bezirksrichterin auch nicht.
  2. Die Berufung der USA musste innerhalb von 2 Wochen eingereicht werden, und es gab die meiner Meinung nach trügerische Hoffnung, die US-Behörden würden die Anklage im Zuge des Administrationswechsels fallenlassen. So hatte sich zumindest der zeitgleich mit Trump aus dem Amt scheidende Strafverfolger Zachary Terwilliger geäußert. Leider wurde der Berufungsantrag am 15. Januar eingereicht. Da anzunehmen ist, dass das Übergangsteam der Biden-Administration mit den noch für den Berufungsantrag zuständigen Vertretern Trumps über den Fall Assange gesprochen hat, sieht es zumindest so aus, als ob sich die neue Administration den Fall offenhalten will, anstatt sich dessen elegant vor Amtsantritt zu entledigen.

    Inhaltlich sprechen hierfür auch historische Äußerungen von Biden, in denen er Assange als Terrorist bezeichnet. Siehe auch hier.

    Außerdem ist Julian Assange dem Establishment der Demokratischen Partei ein Dorn im Auge, seitdem Wikileaks im Jahr 2016 E-Mails veröffentlichte, in denen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton als nicht so nette Person entblößt wurde.

    Trotzdem wird von den Mainstreammedien bis zum heutigen Tag weniger über den Inhalt der E-Mails geredet, als vielmehr darüber spekuliert wird, wie Wikileaks an die E-Mails gelangte. Es ist leichter, den Überbringer schlechter Nachrichten zu verfolgen, als sich mit deren Inhalten auseinanderzusetzen.

    Im Zuge dieser Spekulationen war und ist oft von einer Assange-Putin-Trump-Verschwörung die Rede gewesen. Julian Assange hat mit Hinweis auf Quellenschutz die Herkunft dieser E-Mails nie öffentlich gemacht. Eine Gruppe von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern legt in diesem Artikel dar, warum es eher ein Insider war, der die E-Mails an Wikileaks weitergegeben hat. Interessant sind in diesem Zusammenhang CIA- und FBI-Akten, die in den letzten Wochen ans Tageslicht gekommen sind.

    Dies ist eigentlich nicht Teil der Anklage gegen Assange, aber es beschreibt die allgemeine Atmosphäre in einflussreichen Kreisen in den USA.

  3. Was die angebliche Assange-Trump-Verbindung angeht, scheint diese auch nicht wirklich zu existieren, denn am Mittwoch um 18:00 MEZ zerschlug sich mit dem Abgang von Trump auch die vage Hoffnung darauf, dass Trump Assange begnadigen würde. Mittlerweile sind die Lage und der Zustand von Assange so ernst, dass selbst dieser Weg von Assanges Verwandten und Freunden eingeschlagen wurde. Seine Verlobte Stella Moris appellierte noch in letzter Minute an Trump und auch Pamela Anderson hatte dies am Montag getan, wie auch Nils Melzer vor einigen Wochen.

    Dieser Schritt, einen irrationalen Menschen wie Trump um Begnadigung zu bitten, wenn man von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist, ist den Vorgenannten sicher nicht leichtgefallen, und leider wurde auch diese Hoffnung enttäuscht und Trump begnadigte neben Personen, deren Verurteilung von Menschenrechtsgruppen als zu hart angeprangert wurde, hauptsächlich Personen, die ihm nahestehen oder von denen er sich erhofft, dass sie ihm in Zukunft einen Dienst erweisen werden.

    Bei Assange wäre es wohl eher umgekehrt gewesen und eine Begnadigung hätte den Unmut von zahlreichen Mitarbeitern im US-Justiz-Apparat nach sich gezogen, auf deren Wohlwollen Trump angewiesen sein wird, wenn es um die über ihm schwebenden Verfahren wegen seiner Finanzen und den Vorgängen im Kapitol am 6. Januar geht. So sieht es wenigstens der US-Journalist Kevin Gosztola.

    Ich schätze, dass jetzt von den Demokraten mit viel Tamtam Verfahren wegen des „Angriffs auf das Herz der Demokratie“ u.ä. angestrengt werden, die dann später relativ sang- und klanglos im Sande verlaufen werden. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Auch Trump hatte seinen Anhängern im Wahlkampf 2016 immer wieder versprochen, Hillary Clinton ins Gefängnis zu schicken, aber auch von dieser Forderung war nach seiner Wahl nichts mehr zu hören. Wahrscheinlich werden eher Trumps Anhänger, die ins Kapitol eindrangen, mit aller Härte verfolgt werden. So verstehe ich zumindest die Äußerungen zahlreicher US-Politiker.

    Edward Snowden und die Whistleblowerin Reality Winner wurden von Trump auch nicht begnadigt, obwohl es entsprechende Ersuchen gab. Snowden zeigte sich in seinem Moskauer Exil „überhaupt nicht enttäuscht“ darüber.

Insgesamt muss man sich fragen, wieso der US-Präsident mit einer Unterschrift das Wirken der US-Justiz einfach aushebeln kann. Das ist in einem demokratischen Staat schon eine zweischneidige Angelegenheit, auch wenn es bei der Aussetzung von Chelsea Mannings langjähriger Haftstrafe durch Barack Obama sicherlich gut war.

Es bleibt abzuwarten, ob sich in den USA nun etwas ändert, aber wenn man sich das von Joe Biden bestellte Personal anschaut, dann wird man wohl nicht zu viel erwarten können, außer einer appetitlicheren Verpackung der imperialen US-Politik.

Derweil harrt Julian Assange im Gefängnis weiterhin in Ungewissheit der Dinge, die auf ihn zukommen.

Der Berufungsantrag der USA bezieht sich nur auf den abgelehnten Teil des Auslieferungsersuchens. Die Bezirksrichterin Baraitser hatte entschieden, dass der suizidgefährdete Assange im „unterdrückenden“ Regime des US-Gefängnisses einen Weg finden würde, sich das Leben zu nehmen. Am High Court werden die Ankläger nun versuchen, diese Elemente irgendwie abzumildern.

Die Verteidigung von Assange hat die Möglichkeit, die anderen von Baraitser akzeptierten Elemente der Anklageschrift anzufechten, und außerdem könnte gegen die Verweigerung des Kautionsersuchens Einspruch erhoben werden. Dies sind schwierige justiztaktische Fragen, die noch zusätzlich dadurch erschwert werden, dass der Kontakt zwischen Assange und seinem Team praktisch nicht stattfindet, und das nicht erst seit den Corona-Vorschriften im Gefängnis.

Weitere Informationen zu praktischer Hilfe für Assange finden sich hier.

Freiheit für Julian Assange!

Titelbild: Nuno21/shutterstock.com

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!