Zensieren Medien in Deutschland? Die Antwort darauf kann nur lauten: Selbstverständlich. Eine Zensur findet statt. Und sie ist so weitreichend, dass unser demokratisches und gesellschaftliches Gefüge längst Schaden genommen hat. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Zensur? Hier in Deutschland? Dem Land, dessen Grundgesetz immerhin klar und unmissverständlich sagt: „Eine Zensur findet nicht statt“. Hier soll es eine Zensur geben? Wie kann das sein?
Fest steht: Wer sich mit der Zensur in unserer Medienlandschaft auseinandersetzen möchte, muss sich auf komplexe Zusammenhänge gefasst machen. Nicht wenige halten an einem enggefassten Zensurverständnis fest, das es nicht erlaubt, die real stattfindende Zensur in der Berichterstattung zu erkennen. Das ist bequem, weil sich so eine gefällige Wirklichkeit von einem funktionierenden Mediensystem zeichnen lässt. Aber das ist auch gefährlich, nämlich für unsere Demokratie und für unsere Gesellschaft.
Der Tagesspiegel hat jüngst in einem Beitrag aufgezeigt, wie es aussieht, wenn die Zensurvorwürfe gegenüber Medien nicht ausreichend erfasst werden. Der Tenor des Artikels lautet: Staatliche Eingriffe in die Berichterstattung finden nicht statt. Deshalb ist der Zensurvorwurf unangebracht. Wäre es nur so einfach.
Richtig ist zunächst: Auch wenn es Einflussversuche „von oben“ auf Medien gibt, existiert keine dauerhafte, breitflächige Lenkung der Presse durch eine staatliche Stelle. Auch Akteure oder Machtgruppen, die aus dem Hintergrund dafür sorgen, dass alle relevanten Medien dauerhaft in ihrem Sinne zensieren, gibt es mutmaßlich nicht.
Richtig ist aber auch: Zensur ist in unseren Medien trotzdem allgegenwärtig und vor allem auch nahezu umfassend. Die Zensur, die die Berichterstattung prägt, je politischer und gesellschaftlich relevanter das Thema ist, ist soweit in die journalistischen Produkte eingeschliffen, dass es schon einer hartnäckigen Realitätsverweigerung bedarf, um sie nicht zu erkennen. Die Zensur, die in unseren Medien zu beobachten ist, kommt – und das führt zu Missverständnissen – aber gerade eben nicht zuerst von außen. Sie ist nicht bedingt durch einen externen Zensor. Diese Zensur kommt aus dem Innern der Medien selbst. Womit wir es zu tun haben, ist eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur.
Um zu verstehen, wie diese Zensur entsteht und wie sie funktioniert, hilft ein eindimensionales Zensurverständnis nicht weiter.
Seit langem ist aus verschiedenen Studien bekannt, dass die soziale Zusammensetzung der Medien einseitig ist (z.B. Siegfried Weischenberg). Auch wenn es mittlerweile gewisse Bestrebungen gibt, für etwas mehr soziale Vielfalt innerhalb der Medien zu sorgen, gilt festzuhalten: Viele Journalisten stammen aus der „veritablen Mittelschicht“ , aus ähnlichen Milieus und sie haben eine ähnliche Sozialisation erfahren. Wer die Berichterstattung über einen längeren Zeitraum verfolgt, stellt fest, dass in den Redaktionen – wohlgemerkt medienübergreifend – Journalisten agieren, deren Wahrnehmungs- , Denk- und Handlungsschemata sich ähneln – ganz so, wie es ihre sozialisationsbedingten und bildungsbiographischen Hintergründe erwarten lassen. „Rund zwei Drittel der Väter von Journalisten (67 %) sind oder waren Angestellte oder Beamte; Kinder von Arbeitern stellen eine kleine Minderheit“, wie es in der großen Journalistenstudie aus dem Jahr 2006 heißt (eine aktuelle vergleichbare Studie gibt es nicht. Man kann aber davon ausgehen, dass die soziale Schließung der Medien noch weiter fortgeschritten ist).
Deutlich formuliert: Je politischer es wird, je bedeutungsvoller die thematisierten gesellschaftlichen Fragen sind, umso mehr ähneln sich die Standpunkte und folglich auch die Berichterstattung.
Der Journalismus in unseren Medien, das kann man gar nicht oft genug betonen, wird geprägt von einem weitestgehend sozial geschlossenen Milieu. Dieses Milieu ist, das zeigt die Beobachtung der Medien jeden Tag aufs Neue, nahezu außerstande, in kontroversen politischen und gesellschaftlichen Fragen so zu berichten, wie es die Aufgabe von Journalisten ist: möglichst objektiv, möglichst vorurteilsfrei, sachlich abwägend, die eigene Weltanschauung hintenanstellend. Wer seiner Alltagsbeobachtung nicht traut und es akademisch fundiert möchte: Es gibt Studien, die aufzeigen, dass Journalisten wohl bewusst eine objektive Berichterstattung zugunsten ihres Weltbildes unterlaufen.
Eine gesunde Medienlandschaft, die so funktioniert, wie sie es sollte, könnte diese Angriffe aus dem Innern auskontern. Ein Mediensystem, das im Hinblick auf den politischen und gesellschaftlich relevanten Journalismus nur noch als dysfunktional beschrieben werden kann, ist dazu nicht mehr in der Lage.
Ohne an dieser Stelle in die Details zu gehen: Durch ein Zusammenspiel aus
- sozialisationsbedingten Einflüssen bei den einzelnen Journalisten
- der sozialen Zusammensetzung der Medien
- der vorherrschenden Rekrutierungspraxis
- der beruflichen Sozialisation und den Kräfteverhältnissen und Dynamiken innerhalb der Medien
formt sich Tag für Tag aufs Neue eine Zensur, die für jeden, der mit offenen Augen die Berichterstattung verfolgt, erkennbar ist. Da, wie angesprochen, diese Zensur aber ohne greifbaren Zensor abläuft und sich Journalisten, die sie ausüben, ihr längst nicht immer selbst bewusst sind, sind ihre Entstehungsbedingungen nur schwer fassbar.
In vielen Redaktionen herrscht eine Art weltanschauliches Vakuum. Journalisten bestätigen sich permanent gegenseitig in ihren Weltbildern. Ihr Blick nach „draußen“ – das heißt leider vor allem auch: auf andere Medien – verstärkt sie in ihrem Glauben, die „richtige“ Ansicht zu teilen, da andere Medien ihnen eine identische Wahrheit widerspiegeln. Da die Sichtweisen denen ihrer Kollegen in anderen Medien ähnlich sind, ja nahezu identisch, kommt es zu einer Art kollektivem Bestätigungsfehler innerhalb des Mediensystems. Ein Journalist, ein Medium, stützt sich auf das andere. Einen echten, gewichtigen Widerspruch von innen gibt es nicht mehr. Interne Diskussionen, ja, auch teilweise heftige Debatten, etwa bei den Redaktionskonferenzen, gibt es zwar. Aber bei diesen Auseinandersetzungen geht es allenfalls um Marginalien innerhalb eines sehr enggefassten Kreises von als „legitim“ festgelegten Meinungen. Die Auswahl, Gewichtung und Aufbereitung von Nachrichten und der Berichterstattung, die vorgeblich mit hoher journalistischer Professionalität ablaufen, aber in Wirklichkeit bis ins Mark weltbildhaft geprägt sind, treffen auf keinen ernstzunehmenden Widerspruch mehr aus den eigenen Reihen.
Das heißt nun nicht, dass es keinen echten Widerspruch gibt. Es gibt ihn. Aber er kommt von außen.
Allein schon die Existenz all der so genannten alternativen Medien verweist deutlich darauf, dass innerhalb der traditionellen Medien etwas gewaltig aus dem Ruder läuft. Würden Journalisten großer Medien so qualitativ hochwertig berichten, wie sie es vorgeben, erfolgte ihre Berichterstattung wirklich nach den hochgehaltenen journalistischen Idealen, fänden alternative Medien nicht einen so großen Zuspruch.
Fest steht: Alternative Medien sind schon lange kein Randphänomen mehr. Die soziale Beobachtung zeigt, dass Staatsbürger aus allen Klassen, Schichten, Einkommensverhältnissen und sozialen Positionen auf alternative Medien zugreifen. Viele Bürger nutzen alternative Medien, weil sie erkennen, dass Medien Zensur ausüben.
Für die traditionellen Medien sind die alternativen Medien eine Bedrohung, da sie die „Wahrheiten“, die bei ARD und Co zu finden sind, grundlegend hinterfragen. Viele Journalisten der Leitmedien reagieren auf diese „äußere Bedrohung“ genauso, wie man es von bedrohten Glaubensgemeinschaften kennt.
Je mehr die eigenen Glaubenssätze von außen kritisiert werden, umso größer ist die innere Abschottung. Mittlerweile ist ein Grad an weltanschaulicher Ignoranz in den Redaktionen erreicht, der zu einer fast schon sektenhaften Berichterstattung führt.
Nur zur Erinnerung: Wir erleben derzeit die schwerwiegensten Grundrechtseingriffe seit Bestehen der Bundesrepublik. Dass hier Medien, die sich ihrer rechtsstaatlichen und demokratischen Verantwortung bewusst sind, zwingend eine echte Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern dieser Grundrechtseingriffe ermöglichen müssen, ist geradezu demokratische Pflicht.
Die Realität aber ist: Bürger müssen eine Petition einreichen, die diese Diskussion an prominenter Stelle innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen fordert. Es gibt ein Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen Verantwortlichen der ARD und Kritikern, um über die Forderungen zu diskutieren (denen dann natürlich nicht nachgekommen wird). So zeigen sich im Dezember 2020 öffentlich-rechtliche Medien, die „keine“ Zensur ausüben?
Mit anderen Worten: Funktionierten Medien so, wie sie es sollten, wäre die in der Petition geforderte Diskussion seit langem am Laufen. Es dürfte nicht den Hauch eines Anlasses geben, eine derzeitige Petition überhaupt nur anzudenken.
Die Realität aber ist: In einer Medienlandschaft, deren Berichterstattung von einer Zensur geprägt ist, die auf weltanschaulichen Bewertungsprinzipien beruht, wird diese Diskussion bewusst unterdrückt.
Kritiker des Zensurvorwurfs, die darauf hinweisen, dass eine, wie sie sagen, „echte“ Zensur, die von einem diktatorischen Regime ausgehe, nicht ansatzweise mit den Verhältnissen hierzulande zu vergleichen sei, irren.
Auch wenn es zweifelsfrei zwischen der Zensur hierzulande und der in einer Diktatur Unterschiede gibt (dort gibt es kaum noch Freiräume mehr, sondern härteste Strafen gegenüber Personen, die gegen die Zensur verstoßen), sind die jeweiligen Bedingungen, unter denen Zensur stattfindet, für die hier gemachte Betrachtung ein Nebenschauplatz. Aus analytischer Sicht hat zunächst die Frage zu stehen, ob Zensur in einer Medienlandschaft zu finden ist. Wenn diese Frage bejaht werden kann, ist es im Hinblick auf das Ergebnis mehr oder weniger unerheblich, ob die Zensur durch klar sichtbare repressive Mittel, die von einem Regime ausgehen, erzeugt wird oder aber auf „sanften“, unsichtbaren, sozialstrukturell ausgeformten Bedingungen beruht.
Im Ergebnis sind beide Zensurformen sehr ähnlich. Auf der einen Seite sorgt ein Regime dafür, dass unerwünschte Ansichten gnadenlos unterdrückt werden (man denke beispielsweise an jene Journalisten, die aufgrund ihrer Arbeit von einem Regime inhaftiert, teilweise gefoltert werden), auf der anderen Seite sorgen Journalisten aus freien Stücken dafür, dass unerwünschte Ansichten und Informationen, die ihrer Weltsicht entgegenstehen, aus der öffentlichen Diskussion verbannt sind (und Kollegen, die versuchen, sich dieser nicht förmlich ausgesprochenen Zensur zu widersetzen, sehen sich sozialen Angriffen ausgesetzt).
Für die Demokratie ist eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur Gift. Eine Medienlandschaft, die den freien demokratischen Diskurs so untergräbt, wie es bei uns der Fall ist, treibt die Gesellschaft förmlich auseinander. Die integrierende Kraft eines zensurfreien Diskurses kann nicht mehr greifen.
Dass Medien seit geraumer Zeit versuchen, Kritiker der Corona-Maßnahmen regelrecht zu bekämpfen, entbehrt nicht einer gewissen Komik und Ironie in einem ansonsten traurigen Kapitel einer von Zensur geprägten Berichterstattung. Diskussionswürdige Inhalte und Positionen, die von einem nicht unerheblichen Teil der Bürger eines Staates vertreten werden, aber denen kein Raum im öffentlichen Diskurs der großen Medien eingeräumt wird, finden sich irgendwann dann eben als „querdenkender“ Protest auf der Straße. Medien bekämpfen also einen „Feind“, den sie selbst erzeugt haben. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen sind auch der sichtbare Ausdruck eines journalistischen Feldes, in dem sich eine pervertierte Vorstellung von Journalismus verankert hat. Nicht mehr „sagen, was ist“, lautet die Maxime, sondern „sagen, was dem eigenen Weltbild nach sein soll“.
Das Ergebnis der hier skizzierten Verhältnisse ist ein „Journalismus“, dem man, auch wenn das hart klingt, seine Daseinsberechtigung momentan absprechen muss.
Titelbild: studiostoks / Shutterstock
In dem Buch “Sabotierte Wirklichkeit – Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird” beschreibt der Autor dieses Textes, wie Zensur in unserem Mediensystem entsteht.
Marcus B. Klöckner: „Sabotierte Wirklichkeit oder Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“ , 240 Seiten, Westend Verlag, 14.10.2019