Robert Habeck und Reiner Hoffmann haben für die FAZ einen gemeinsamen Aufsatz verfasst. Es geht darin um Staatsverschuldung und Investitionen, aber auch um die Corona-Krise und um Steuerpolitik. Dieser Aufsatz ist gleich aus vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Er enthält sehr viel Kluges und Progressives; das jedoch auch nicht wirklich neu ist und auch von den NachDenkSeiten schon seit Ewigkeit so gepredigt wird. Der Aufsatz ist zudem ein raffinierter macht- und parteipolitischer Zug. Die Grünen suchen und finden den Anschluss an die Gewerkschaften, die sich wiederum ihren Zugang zur Macht in einer politischen Zukunft ohne SPD oder gar Linkspartei absichern. Gleichzeitig ist der Aufsatz jedoch auch eine Hintertür für die Grünen, um sich einer progressiven Steuerpolitik in den Weg zu stellen. Die größte Schwäche des Textes ist es jedoch, dass Habeck und Hoffmann antreten, um die Widersprüche linker Forderungen aufzulösen, sich dabei jedoch selbst in Widersprüchen verheddern. Von Jens Berger.
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Kommen wir zunächst zum Positiven. Was Habeck und Hoffmann zu den Fragen der Staatsverschuldung und zu Investitionen schreiben, ist nicht nur vollkommen richtig, sondern gerade auch aus ihrer Feder erfreulich. Ja, Schulden und Kredite sind nicht per se negativ oder problematisch; zumal dann nicht, wenn sie für Investitionen genutzt werden, die in einer sinnvollen Art und Weise die ökonomische Basis unserer Volkswirtschaft erhalten oder besser noch ausbauen und für die Zukunft fit machen. Ja, die Ideologie von schwarzen Nullen und Schuldenbremsen ist kontraproduktiv und sollte lieber heute als morgen überwunden werden. Ja, in einer wirtschaftlichen Krise darf der Staat nicht „sparen“, sondern sollte ordentlich viel Geld in die Hand nehmen, um den Abschwung mit sinnvollen Investitionen abzufedern. Ja, Deutschland hat kein Schuldenproblem, sondern einen dramatischen Investitionsrückstand. Und letztendlich: Ja, wenn wir die ökonomischen Probleme unserer Zeit lösen wollen, dürfen wir nicht nur auf die Schulden schielen, sondern sollten diese Probleme aktiv angehen und jetzt Geld in die Hand nehmen. Denn die Verschuldung muss immer auch im Kontext der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gesehen werden und es wäre ohnehin besser, kreditfinanzierte Investitionen auch als Investitionen und nicht als Schulden zu sehen. Last but not least benennen Habeck und Hoffmann die Probleme sogar recht präzise: Die aktuelle Corona-Krise, die Klimaziele, die Energiewende, die Verkehrswende, erneuerbare Energien, Umbau von Industrie und Landwirtschaft und vor allem die soziale Ungleichheit, die laut den Autoren auch „schon vor der Pandemie ein großes gesellschaftliches Problem“ war. Sehr richtig! Für all diese Aufgaben benötigt der Staat Geld und es ist wichtig, es zu enttabuisieren, die dafür nötigen Investitionen mit Krediten zu finanzieren, die im Widerspruch zur herrschenden Austeritätsideologie stehen.
So richtig und wichtig diese Argumente sind, so bekannt dürften sie regelmäßigen Lesern der NachDenkSeiten sein. Albrecht Müller hat sie beispielsweise bereits 2004 in seinem Buch „Die Reformlüge“ ausführlich behandelt. Seit Bestehen der NachDenkSeiten predigen wir schon fast gebetsmühlenartig die Positionen, die jetzt Habeck und Hoffmann als neue gemeinsame Linie verkaufen. Auch progressive Ökonomen wie Heiner Flassbeck vertreten seit Ewigkeiten diese Positionen. Das macht den Aufsatz natürlich nicht schlechter; im Gegenteil. Es ist sehr erfreulich, dass mit Habeck und Hoffmann nun zwei sehr einflussreiche Personen des politischen Deutschlands sich derart klar zu progressiven makroökonomischen Aussagen positionieren. Vor allem die Grünen waren ja in der jüngeren Vergangenheit nicht gerade durch makroökonomische Vernunft aufgefallen, liebäugelten sie doch ganz offen mit der Austeritätspolitik und verloren sich überdies in sinnfreien Phrasen von Wachstumskritik und Nullwachstum. Gemessen an diesen grünen Irrlehren ist es schon geradezu revolutionär, wenn ihr Parteivorsitzender sich klar zum Ziel eines ökologisch und sozioökonomisch ausgerichteten Wachstums bekennt und hier die Forderungen der Gewerkschaften übernimmt. Einige Parteimitglieder werden sicher im Karree springen. Gut so!
Vielleicht liegt die eigentliche Sprengkraft des gemeinsamen Aufsatzes aber auch gar nicht im Inhalt, sondern in dessen Symbolik. Die Grünen gelten – nicht zu Unrecht – eher als Partei der liberalen Akademiker und Besserverdienenden, die keinen größeren Bezug zu den „normalen“ werktätigen Arbeitern und Angestellten haben. Deren politisches Zuhause waren bislang vor allem die SPD und die Linkspartei und leider mehr und mehr auch die AfD. Wenn man sich den Aufsatz von Habeck und Hoffmann durchliest, würde man sich geradezu wünschen, dass derlei klare Positionen auch einmal von den Spitzen der SPD so vorgebracht würden. Man stelle sich nur einmal vor, Olaf Scholz würde einen Aufsatz zu diesem Thema verfassen. Gerade für die SPD ist diese Annäherung von Grünen und DGB daher auch ein Schlag ins Kontor, könnte diese clevere Strategie der Grünen ihr doch auch noch Teile der letzten Wähler abspenstig machen. Offenbar wollen die Grünen der SPD die Rolle als linksliberale Volkspartei abnehmen. Das kann man ihnen nicht verdenken, hat die SPD doch alles in ihrer Macht Stehende getan, um sich selbst überflüssig zu machen. Leider.
Aber auch für den DGB stellt diese Annährung eine äußerst clevere Strategie dar. War man bislang doch parteipolitisch sehr auf die SPD und – wenn auch in viel geringerem Maße – auf die Linkspartei fixiert, so erweitert man mit einer solchen Partnerschaft seine Optionen. Habeck und Hoffmann beenden ihren Aufsatz mit dem Satz „Das brauchen wir, damit die großen und notwendigen Veränderungen gelingen können“. Das klingt schon nach einer gemeinsamen Agenda und das ist ja auch machtstrategisch durchaus klug. Auch beim DGB scheint man bereits die Hoffnung verloren zu haben, dass SPD und Linkspartei künftig in der Bundesregierung vertreten sein werden. Da ist es natürlich klug, schnell auf den Zug aufzuspringen, der am Ende das Rennen machen wird. So sichert sich der DGB ein offenes Ohr bei einer künftigen Regierungspartei und seinen politischen Einfluss.
Kommen wir nun aber zu den Kritikpunkten. Habeck und Hoffmann sind angetreten, um einen „Widerspruch“ aufzulösen, in den sich laut dem Titel des Aufsatzes „Linke verheddert“ hätten. Es geht dabei um die implizite Logik, dass man – krisenbedingte – Mehrausgaben durch Steuererhöhungen ausgleichen müsse. Und da haben sie ja auch recht. Gerade in Krisenzeiten ist es überhaupt nicht sinnvoll, das Geld, was man an einer Stelle investiert, im gleichen Zeitraum an anderer Stelle über Steuern und Abgaben abzuschöpfen. Investitionen dürfen durchaus über Kredite finanziert werden, die erst in späteren Zeiträumen getilgt werden. Es besteht also auf der Sachebene kein Zwang, höhere Ausgaben im gleichen Zeitraum durch höhere Einnahmen auszugleichen. So weit, so gut. Aber warum adressieren die beiden Autoren dies an die „Linke(n)“? Zumindest ich kenne keinen namhaften linken Finanzpolitiker, der diesen Zusammenhang so herstellen würde. Es ist natürlich richtig, dass sowohl die Linkspartei als auch viele Personen aus dem erweiterten linken Spektrum höhere Steuern fordern; aber doch nicht, um damit direkt zusätzliche Investitionen zu finanzieren.
Um es klar zu sagen: Die Forderung nach höheren Steuern für Spitzenverdiener, einer Vermögenssteuer oder gar einer Vermögensabgabe ist keine Absage an kreditfinanzierte Investitionen. So haben wir beispielsweise zurzeit ein großes Problem, dass die Bundesländer und die Kommunen ihre laufenden Kosten nicht aus den Einnahmen aus Steuern und Abgaben bestreiten können. Das sind keine Investitionen, sondern konsumtive Ausgaben. Wenn man also – was makroökonomisch ja sehr sinnvoll wäre – fordert, dass Kommunen und Länder mehr Polizisten, Lehrer, Sozialarbeiter oder Krankenschwestern einstellen sollen, dann muss man ihnen auch die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Und da dies explizit keine Investitionen, sondern konsumtive Ausgaben sind, sollten sie auch durch die laufenden Einnahmen und nicht durch Kredite gedeckt werden. Dafür braucht es aber höhere Steuern. Und nein, die von den Autoren in den Raum geworfene Digitalsteuer und die Finanztransaktionssteuer werden diese Lücke nicht schließen können.
Offenbar vergessen die beiden Autoren auch den Punkt, den sie als eines der zentralen Probleme identifiziert haben: Die Ungerechtigkeit und die immer stärker zunehmende soziale Ungleichheit. So findet sich im gesamten Text kein einziges Mal der Begriff „Umverteilung“. Um die immer massiver werdende Spreizung der Einkommens- und Vermögensschere zu stoppen oder gar umzukehren, ist es jedoch „nur“ mit Investitionen nicht getan. Hier müsste der Staat vielmehr nach dem Robin-Hood-Prinzip vorgehen und am obersten Ende der Einkommens- und Vermögensskala Geld abschöpfen, das er dem untersten Ende in einer möglichst sinnvollen Art und Weise wieder ausschüttet. Und das ist ohne Steuererhöhungen nun einmal nicht möglich.
Letztendlich machen Habeck und Hoffmann genau das, was sie mit ihrem Aufsatz kritisieren wollen – sie verheddern sich in Widersprüchen. Und man kann durchaus unterstellen, dass dies auch genau so gewollt ist. Progressive Steuerkonzepte sind in Hinblick auf eine kommende schwarz-grüne Koalition im Bund und mehr noch für den bald beginnenden Wahlkampf ein großes Problem. Aber nicht nur das. Bei der vergleichsweise wohlhabenden Klientel der Grünen, die stets auch mit der FDP flirtet, kommen derlei Forderungen auch nicht besonders gut an. Der DGB fordert zwar immer wieder eine Vermögenssteuer, reißt sich jedoch auch kein Bein aus, um bei diesem Thema mal ein Ausrufezeichen zu setzen. Sowohl Habeck als auch Hoffmann sind sozusagen solange Freunde einer Vermögenssteuer, wie keine realistische Chance besteht, dass sie auch umgesetzt werden könnte.
Und hier baut man nun argumentativ vor. Steuererhöhungen und die Forderung nach einer Vermögenssteuer dürfen – so die Autoren – makroökonomisch nicht direkt mit der nötigen Neuverschuldung für Investitionen in Verbindung gebracht werden. Das ist richtig. Falsch ist jedoch, deshalb auf diese Forderungen zu verzichten, stellen sie doch auch ganz ohne die direkte Zuweisung auf der Ausgabenseite eine Notwendigkeit dar. Das sehen die beiden Autoren offenbar anders. Und um dies zu maskieren, verzerren sie die Debatte. Solange der Staat krisenbedingt höhere Investitionen vornehmen muss, solle man auf die höhere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen verzichten. Zumindest diesen Satz kennt auch jeder SPD-Politiker. Dies könne man ja nachholen, wenn die Wirtschaft wieder brummt und der Investitionsrückstand aufgeholt ist; wohlwissend, dass dem nie so sein wird. Habeck und Hoffmann bekennen sich zwar grundsätzlich zu einem progressiveren Steuersystem, verschieben dies jedoch auf den Sankt-Nimmerleinstag. So bleiben sie zwar „koalitionsfähig“, verraten aber gleichzeitig auch ihre eigenen Forderungen nach mehr sozioökonomischer Gerechtigkeit und sozialer Gleichheit. Man könnte auch sagen: Grüne und Gewerkschaften verheddern sich in Widersprüchen.
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