Merkel und Steinmeier: Wenn Spalter Solidarität einfordern

Merkel und Steinmeier: Wenn Spalter Solidarität einfordern

Merkel und Steinmeier: Wenn Spalter Solidarität einfordern

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Sie reden von Gemeinsinn und vertiefen die Gräben – die Ansprachen von Kanzlerin und Bundespräsident zum Jahreswechsel illustrieren eine große Heuchelei, nicht nur bezüglich der Corona-Politik. Eine Chance zur Versöhnung wurde ausgeschlagen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Ansprachen zu Weihnachten und zu Neujahr wären eine Gelegenheit gewesen, die durch die Regierungspolitik gespaltene Bevölkerung wenigstens ein kleines Stück zu versöhnen. Diese Chance wurde nicht genutzt, im Gegenteil: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier praktizierten auch in ihren Beiträgen zu den Feiertagen genau jene angebliche Eindeutigkeit und jene daraus folgende Denunziation Andersdenkender, die bereits so tiefe Gräben verursacht haben. Die Rede von Merkel findet sich unter diesem Link, die von Steinmeier unter diesem Link.

Die Ansprachen kultivieren außerdem einmal mehr das Prinzip „Haltet den Dieb“: Die Verantwortlichen für ein auch durch Privatisierungen an die Grenzen geratenes Gesundheitssystem wälzen diese Verantwortung nun auf „uns alle“ ab – weil „wir“ unvernünftig sind.

Verantwortungsvolle Anführer hätten den Pfad der Phrasen und der Schuldzuweisungen zu diesem besonderen Jahreswechsel wenigstens kurz verlassen und eine Hand für die Kritiker ausgestreckt – wenn schon nicht aus Überzeugung, so doch um des gesellschaftlichen Friedens willen. Die fortgesetzte Praxis der pauschalen Verunglimpfung Andersdenkender durch Medien und Politik fand aber in den symbolisch aufgeladenen Reden stattdessen einen neuen Höhepunkt. Sie waren Ausdruck einer falschen Kompromisslosigkeit, die sich nur durch eine massive Medienkampagne aufrechterhalten lässt.

Die Bürger und ihre „falschen Ansichten“

Dabei wäre ein Zugehen auf jene Bürger, die der Corona-Politik geschockt gegenüberstehen und die nun monatelang durch Medien und Politik für ihre „falschen Ansichten“ beschimpft wurden, eigentlich verpflichtend gewesen. Das würde auch dann gelten, wenn die Analyse zu Corona tatsächlich so eindeutig wäre, wie das viele Redakteure täglich schreiben. Da diese „Eindeutigkeit“ aber auch auf sehr umstrittenen Werten wie den täglichen „Neuinfektionen“ beruht, gilt eine Verpflichtung zum politischen Brückenbau umso mehr.

Neben der falschen Eindeutigkeit, der Aggressivität gegen Kritiker und dem Versuch, die Folgen der eigenen Politik nun einer „undisziplinierten“ Bevölkerung anzulasten, sind auch die Andeutungen für die Zukunft interessant: Zieht euch warm an, klingt es hier zwischen den Zeilen: Es wird harte und langwierige Umwälzungen geben. Es sind auch diese potenziellen Zukunftsperspektiven eines problematischen und langfristigen Gesellschaftsumbaus, die viele Bürger beunruhigen – teils mehr als das Maskentragen in der Gegenwart. Karl Lauterbach hat diesen Sorgen über eine Verewigung eines Sonderzustands unter wechselnden und wohlklingenden Begründungen in einem Kommentar gerade neues Futter gegeben:

„Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.“

Merkel und die Andersdenkenden

Was Bundeskanzlerin Angela Merkel von Andersdenkenden hält, hat sie bereits vor einigen Wochen in skandalöser Offenheit gesagt, wie Medien berichteten: Da »das übliche Argumentieren« nicht helfe, seien Anhänger von Verschwörungsideologien »eine besondere Herausforderung« für die Politik, so Merkel. »Das wird vielleicht auch eine Aufgabe für Psychologen sein.« Es gebe bei Anhängern solcher Denkmuster »eine richtige Diskussionsverweigerung«. Dieser Absatz Merkels ist grundfalsch: Zum einen ist die indirekte Bezeichnung von Kritikern als Verrückte scharf abzulehnen. Zum anderen sind es vor allem Politik und große Medien, die eine Diskussionsverweigerung betreiben: Oft wird von dieser Seite bereits die Forderung nach einer Debatte als Ketzerei an der Corona-Ideologie abgetan. In ihrer Ansprache zu Neujahr hat Merkel nun noch eins draufgesetzt:

„Ich kann nur ahnen, wie bitter es sich anfühlen muss für die, die wegen Corona um einen geliebten Menschen trauern oder mit den Nachwirkungen einer Erkrankung sehr zu kämpfen haben, wenn von einigen Unverbesserlichen das Virus bestritten und geleugnet wird. Verschwörungstheorien sind nicht nur unwahr und gefährlich, sie sind auch zynisch und grausam diesen Menschen gegenüber.“

Nur die wenigsten Kritiker der Corona-Politik „leugnen“ das Virus. Und wer in den letzten Monaten tatsächlich zynisch und grausam gehandelt hat, das wird einst vielleicht eine Rückschau zeigen. Momentan ist die Deutungshoheit der Verteidiger der Corona-Politik zu stark, um mit einer rationalen Bewertung der Situation auch nur beginnen zu können. Merkel sichert sich aber bereits jetzt gegen eine solche Rückschau ab: „Wir mussten Entscheidungen treffen, von denen wir zunächst nur hoffen konnten, dass sie sich als richtig erweisen würden.“

Diese Zeit der mit „Unwissenheit“ begründeten politischen Unschuld gab es – sie ist jedoch lange vorbei. Inzwischen könnten die Entscheidungen sehr wohl rational überprüft werden. Doch bereits die Forderung danach wird medial und politisch scharf bekämpft. Und so kann Merkel weiterhin die Verantwortung, etwa für ein von einer neoliberalen Politik kaputtgespartes und auch darum an die Grenzen gelangendes Gesundheitssystem, auf „uns alle“ abwälzen:

„Die neben dem Impfstoff wirksamsten Mittel haben wir selbst in der Hand, indem wir uns an die Regeln halten, jeder und jede von uns. Wir alle zusammen.“

Steinmeier: „Leugner“ gegen „Vernünftige“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – ein zentraler Akteur bei der Einführung von Hartz-IV und beim Jugoslawien-Krieg – hat sich in seiner Weihnachtsansprache ebenfalls nicht als Brückenbauer erwiesen. Zwar sagte er irreführend: „Gerade in diesen Tagen erleben wir doch: Das Virus treibt uns nicht auseinander. Im Gegenteil, es lässt uns zusammenrücken.“ Dieses „Zusammenrücken“ steht allerdings noch aus – Steinmeier hat es mit seiner Rede nicht unterstützt. Im Gegenteil, bezeichnet auch er Kritiker als „Leugner“ der Gefahr und die Anhänger der Regierung als „vernünftig“:

„Diejenigen, die die Gefahr des Virus leugnen, sind zwar oft besonders laut. Aber die Vernünftigen sind die große Mehrheit.“

Als reinen, mit fragwürdigen Behauptungen unterfütterten Zweckoptimismus kann dieser Absatz bezeichnet werden – denn weder wurde angemessen gestritten, noch wird die Situation gemeinsam getragen:

„In einer Zeit der Verunsicherung haben wir gelernt, dass wir unserer Demokratie vertrauen können. Wir haben um den richtigen Weg gestritten – und Entscheidungen dann doch gemeinsam getragen.“

Schweigen wäre verantwortungslos

Seriöse Kritiker leugnen das Virus nicht. Diese zahlreichen seriösen Kritiker der Corona-Politik fragen, ob die angewandten Maßnahmen angemessen sind oder ob es nicht andere Wege gibt, die möglicherweise sozial ausgewogener und medizinisch wirksamer sind. Sie sind besorgt, dass Kontroll- und Überwachungs-Praktiken im Schatten der „Pandemie“-Panik eingeführt und nie wieder abgeschafft werden. Sie empfinden den Umgang mit den Kindern als absolut inakzeptabel. Sie fragen sich, wo all das Geld zur „Rettung“ herkommt und wer es wohl zurückbezahlen wird. Sie setzen das Gefahrenpotenzial des Virus und die panischen Reaktionen mit ihren bisherigen Erfahrungen bei ähnlichen Vorkommnissen ins Verhältnis. Manche Kritiker der „Pandemie“-Politik gehen noch erheblich weiter und fragen angesichts des umstrittenen Gefahrenpotenzials von Corona nach den „wahren“ Motiven für die radikalen aktuellen politischen Entscheidungen.

Alle diese drängenden Fragen zum Corona-Komplex können und sollen hier nicht abschließend beantwortet werden. Aber sie zu stellen, ist nicht nur legitim: Sie nicht zu stellen, wäre verantwortungslos.

Titelbild: Screenshot www.bundeskanzlerin.de