Die Berichterstattung zu Corona hat einen großen emotionalen und ablenkenden Anteil: Sie transportiert dadurch weitgehend nicht die suggerierten „wissenschaftlichen Erkenntnisse“. Als letzter „Verbündeter“ der Meinungsmache wird nun auch Jesus von Nazareth missbraucht: So naheliegend die Nutzung der mythischen Figur ist, so schief ist das Bild. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Wenn die Berichterstattung zu einem eigentlich eher trockenen politisch-medizinisch-gesellschaftlichen Thema mit emotionalen Bildern arbeitet und die proklamierte Wissenschaft mit mythischen, kitschigen, individuell-persönlichen oder quasi-religiösen Elementen „anreichert“ – dann ist Skepsis angebracht. Denn die Nutzung dieser nicht hoch angesehenen Boulevard-Techniken spricht bereits dafür, dass die Menschen, die sie nutzen, nicht einmal selber von der Kraft der eigenen Argumente überzeugt sind.
Ein Beispiel für eine keine nützlichen Informationen, sondern nur lähmenden Schrecken verbreitende Berichterstattung vieler großer Medien sind die „Bilder von Bergamo“. Meist wird heute hinzugefügt, dass wir uns an diese emotionalen Bilder ja „alle erinnern“, als würde diese kollektive Erinnerung die argumentative Kraft der Fotos stärken: Wie könnten wir die für die „Pandemie“-Bekämpfung aussagelosen Schockbilder denn auch vergessen, nachdem uns diese Bilder in Endlosschleife gezeigt wurden?
„Jesus hätte Oma nicht besucht“
Nun gibt es eine weitere Facette einer solchen unwissenschaftlichen, emotionalisierenden und dadurch ablenkenden Berichterstattung: Kurz vor den dieses Jahr ganz offiziell diffamierten Weihnachts-Familienfeiern wird die Figur des Jesus von Nazareth als angeblicher Verbündeter der „Verantwortungsvollen“ in ihrem Kampf gegen die Disziplinlosigkeit des Pöbels ins Feld geführt und – man muss es so bezeichnen – missbraucht.
Würde Jesus also „die Oma“ an Weihnachten alleine lassen, wie der „Spiegel“ behauptet, weil die Regierung und ihre Berichterstatter das so verordnen? Würde sich Jesus einen durch diese Regierung hastig bestellten und intensiv beworbenen Impfstoff verabreichen lassen, wie die „Chefreporterin Politik“ der „Funke Zentralredaktion“ in diesem (mittlerweile gelöschten) Tweet behauptet? Und was bedeutet es für uns, dass “Jesus und Maria am Heiligen Abend auch alleine“ waren, wie Sachsens Regierungschef Kretschmer laut Medien behauptet?
Zur Verteidigung dieser neuen Überschreitung kann man sagen, dass die Benutzung von Jesus für die eigene Propaganda kurz vor Weihnachten zunächst naheliegend und verführerisch erscheint. Aber nur auf den ersten Blick. Denn bei näherer Betrachtung haftet diesen Versuchen der Instrumentalisierung etwas Verzweifeltes an, der Eindruck eines letzten zu ergreifenden Strohhalms.
Die Banalisierung des christlichen Mythos zur Indoktrination
Als Nicht-Theologe habe ich keine Detail-Kenntnis zu Jesus’ mutmaßlichen Einstellungen zu damaligen Hygieneregeln, zumal die direkte Personalisierung der mythischen Figur ohnehin problematisch ist. Als überzeugter Atheist habe ich zudem starke prinzipielle Vorbehalte gegen die Institutionen der Kirchen. Aber als Bürger habe ich großen Respekt vor der Religionsfreiheit und dem Bedürfnis vieler Bürger nach spiritueller Inspiration. Wichtig ist dabei, dass diese Freiheit privat und nicht politisch oder zur Missionierung genutzt wird – und dass Verfehlungen von Kirchenpersonal vor weltlichen Gerichten konsequent verfolgt werden.
Respekt habe ich auch als „Ungläubiger“ vor der teils verbindenden und sozialen Kraft, die Religionen neben Konfliktpotenzial auch innewohnen kann. Dieses Verbindende wird nun in sein Gegenteil verkehrt: Nächstenliebe ist es, die Oma allein zu lassen. Wenn nun eine zentrale mythische Figur des Christentums in billiger Art und Weise von Journalisten und Politikern für das dubiose Ziel der Meinungsmache benutzt wird und die verbindende Kraft der Religion auf den Kopf gestellt werden soll: Ich könnte mir vorstellen, dass das für viele Gläubige eine Provokation darstellt.
Als fragwürdig empfunden werden kann auch, wie gesagt, die hier vorgenommene Konkretisierung des christlichen Mythos zu einer sich angeblich real zugetragenen “Home-Story“: die Darstellung der mythischen Figur des Jesus als einst real existierendem Alltagshelden, der heute eine Maske tragen würde. Ist das nicht die totale Banalisierung der christlichen Erzählung zum Zwecke der Indoktrination für ein höchst weltliches Ziel?
Jesus würde heute erneut an ein (mediales) Kreuz genagelt werden
Und fällt das ganze Bild von Jesus als staatstragendem Corona-Jünger nicht zusammen, wenn man die (überlieferte) Charakterisierung zur Kenntnis nimmt? Kann man die mythische Figur Jesus nicht eher als einen radikalen Oppositionellen mit esoterischem Einschlag charakterisieren? Vermutlich würde er aber heute mit diesen Attributen nicht als Visionär gefeiert, sondern er würde als „rechtsoffener“ Spinner erneut an ein mediales Kreuz genagelt werden. Und das mutmaßlich auch von den Journalisten, die ihn nun vor ihren Karren spannen wollen.
Könnte Jesus in der Neuen Normalität überhaupt noch eine neue Bewegung entfachen? Wenn ja: Wo und wie sollten die nicht geimpften und als Nazis titulierten Hirten zusammenkommen? Hätte Jesus dem heute dominanten Menschenbild des für sein Gegenüber gefährlichen Virusträgers zugestimmt? Hätte Jesus die wegen der Corona-Maßnahmen (nicht wegen des Virus) nochmals zunehmende materielle Ungleichheit, den steigenden Hunger, die um Bildung und Gemeinschaft betrogenen Kinder und die isoliert sterbenden Menschen akzeptiert?
Merkel und das „antifaktische Weltbild“
In diesem Text werden die Erkenntnisse der Wissenschaft, die seit Jesus’ mutmaßlicher Lebenszeit wichtige medizinische und hygienische Fortschritte für das Leben der Menschen erzielt haben, nicht geleugnet. Umso verstörender ist, dass aktuell der kritische Teil dieser Wissenschaft so stark diffamiert wird, dass zahlreichen Wissenschaftlern der Mut genommen wird, ihren Standpunkt zu vertreten. Dieses Verstummen einer wissenschaftlichen „Opposition“ ist gewollt. „Der Wissenschaft zu vertrauen“, bedeutet nach heutiger offizieller Lesart offenbar, dass nur ein winziger Teil eines einzigen Fachbereichs gehört werden darf: Wer etwas anderes sagt als dieser ausgesuchte Kreis, vertritt wohl auch indirekt laut Kanzlerin Angela Merkel ein „antifaktisches Weltbild“:
»Seit der Aufklärung ist Europa den Weg gegangen, sich auf der Basis von Fakten sozusagen ein Weltbild zu verschaffen. Und wenn ein Weltbild plötzlich losgelöst oder antifaktisch ist, dann ist das natürlich mit unserer ganzen Art zu leben sehr schwer vereinbar.«
Corona ist real, ein rationales Vorgehen gegen das existente Virus wäre wünschenswert. Eine sachliche Debatte (auch mit seriösen Kritikern) über das durchaus umstrittene reale Gefahrenpotenzial von Corona ist darum extrem überfällig. Als Ergebnis dieser sachlichen, ausgewogenen und ergebnisoffenen(!) Debatte sollten die Maßnahmen auf Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Zusätzlich müssten die im Schatten von Corona bewegten Geldströme und mutmaßlichen Pläne zur Bürger-Überwachung im Blick behalten werden. Von dieser überfälligen (ergebnisoffenen!) Betrachtung mit emotionalen religiösen Mythen und schiefen Jesus-Bildern abzulenken, erscheint nicht nur wie ein Affront gegen manche Gläubige. Es ist auch das Gegenteil einer Aufklärung, der „wir“ uns angeblich so verpflichtet fühlen.
Titelbild: Motortion Films / shutterstock.com