Leserbrief zur Diskussion in der und um die Friedensbewegung

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Am 14. Dezember hatten wir diesen Beitrag veröffentlicht: Verschiedene Sichten vom Krefelder Appell. Oder: Über die Ausfächerung der Friedensbewegung. Die in diesem Text wiedergegebene Kommentierung einer früheren Veröffentlichung zum Thema Krefelder Appell hat einige Irritationen ausgelöst. Karl-Heinz Peil versucht in seinem Leserbrief, eine Brücke zu bauen. Danke. Hier ist seine Mail. Albrecht Müller

Lieber Herr Müller,

zu einer Replik auf den kritischen Beitrag von Wolfgang Jung zu dem NDS-Beitrag von Reiner Braun und Horst Trapp muss eines vorweg gestellt werden: Die Verdienste von Wolfgang Jung seit den 80er Jahren und insbesondere seine Auseinandersetzung mit der US Air Base Ramstein, vor allem publizistisch geführt über seine langjährig bis heute herausgegebene Luftpost, sind unstrittig. Umso bedauerlicher ist es deshalb, dass Wolfgang Jung sich in der letzten Zeit zunehmend in einer Weise äußert, die typische Merkmale von linkem Sektierertum und realitätsfernen Wunschdenken aufweist. Zunächst mal ist es generell unredlich, den kritisierten Autoren vorzuwerfen, was in ihrem Beitrag nicht erwähnt wurde. Es sei denn, der behandelte Kontext würde damit grob verzerrt. So wäre natürlich der Krefelder Appell nicht zustande gekommen, wenn es nicht bereits seit den 70er Jahren eine starke Friedensbewegung gegeben hätte. Dabei spielte das Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit (KOFAZ) eine tragende Rolle. Muss man dieses in einem Beitrag über den Krefelder Appell erwähnen? Kann man durchaus, muss man aber nicht unbedingt, da sich mit dem Krefelder Appell neue Strukturen der Friedensbewegung herausgebildet haben, die auch zur KOFAZ-Auflösung geführt haben. Nebenbei bemerkt: Der kritisierte Co-Autor Horst Trapp ist derjenige, der seinerzeit maßgeblich im KOFAZ aktiv war und die heute auf Fahnen, Aufklebern und Logos verwendete Friedenstaube als “das” Symbol der deutschen Friedensbewegung einführte.

Es sollte bei dem von Wolfgang Jung kritisierten Beitrag ja auch überhaupt nicht um die nicht vorhandene Nostalgie gehen, sondern um Bezüge zur heutigen Situation.

Auch bei der (Hybrid-)Veranstaltung am 15.11. in Frankfurt zum 40. Jahrestag des Krefelder Appells wurde dieses von den beiden Autoren in ihren Beiträgen herausgestellt. Ein Hauptredner dieser Veranstaltung war Frank Deppe, der das politische Umfeld beleuchtete, das dem Krefelder Appell vorausging. Er erwähnte dabei vor allem die innenpolitischen Veränderungen in Deutschland seit den 60er Jahren, die nicht nur zur Entspannungspolitik unter Willy Brandt, sondern angesichts eines international veränderten Kräfteverhältnisses auch zum nachhaltigen Wirken von sozialdemokratischen Politikern wie Bruno Kreisky und Olaf Palme führten.

Was wir heute international erleben, ist die Erosion dieser Entwicklung, die sich auch in der weitestgehenden Marginalisierung der OSZE als
“Überbleibsel”  zeigt.

Wenn Wolfgang Jung nun meint, man müsse nur die “richtigen” Forderungen stellen wie “NATO raus – raus aus der NATO”, dann verkennt er völlig die
heutige Situation. Bei der Positionierung im Umgang mit der NATO, die auch innerhalb der Partei Die LINKE sehr kontrovers ist, handelt es sich faktisch um einen “Nebenkriegsschauplatz”, da man unter Rückbesinnung auf die letzten Jahrzehnte eine Wiederbelebung der vorhandenen gesamteuropäischen Institutionen fordern muss – wozu neben der OSZE auch der Europarat gehört. Auf dieser Basis würde sich nämlich die Frage zum Umgang mit der NATO fast von selbst beantworten. Was von Wolfgang Jung hingegen als “Nebenkriegsschauplatz” bezeichnet wird, entwickelt sich hingegen sehr vielversprechend. Während Wolfgang Jung meint, sich an dem sehr bemerkenswerten Beitrag von Heribert Prantl in der SZ zur Friedensbewegung abarbeiten zu müssen, sollte etwas anderes hervorgehoben werden, worauf Reiner Braun bei der Veranstaltung am 15.11. in Frankfurt hingewiesen hat: Die am 9. Mai 2020 in der SZ platzierte Anzeige der Initiative „Abrüsten statt Aufrüsten“ wurde von allen (!) Vorsitzenden der DGB-Einzelgewerkschaften unterstützt. Ein weiteres Novum: Bei den jüngsten Tarifauseinandersetzungen von ver.di wurde auch argumentativ eingebracht, dass über eine Kürzung von Militärausgaben sehr wohl Geld vorhanden sei.

Es ist also einiges in Bewegung. Eine harte Nuss ist hingegen noch der Umgang mit den führenden Politikern der Grünen. Die Ursprünge dieser Partei sind zwar etwas älter als der Krefelder Appell, jedoch hat sich diese Partei gerade in dieser Zeit als pazifistische, neue politische Kraft mit integrierender Wirkung für unterschiedliche außerparlamentarische Bewegungen entwickelt. Das dokumentiert auch heute noch der Namensgeber der parteinahen Stiftung: Heinrich Böll. Die Grünen standen trotz der von Wolfgang Jung völlig zu Recht erwähnten antikommunistischen Position für eine politische Bandbreite in der Friedensbewegung, die heute nicht mehr denkbar wäre. Anstatt die Politik der Grünen in den frühen 80er Jahre zu kommentieren, sollte man dieser Partei heute ständig den Spiegel vorhalten. Die Grünen stehen für eine Metamorphose vom Pazifismus zum Bellizismus – Heinrich Böll würde sich heute im Grabe umdrehen.

Herzliche Grüße
Karl-Heinz Peil

P.S.: Beiträge von der Veranstaltung vom 15.11. (leider noch nicht von Frank Deppe) finden sich auf: www.frieden-und-zukunft.de  bzw. auch unter http://www.friedensratschlag.de/?Online-Publikationen:Standpunkte_in_der_Friedensbewegung

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