Als die Bundesregierung am 29. Oktober die ersten Einzelheiten zu den Novemberhilfen für Gastronomie, Hotellerie, den Kulturbetrieb und die Veranstaltungswirtschaft vorstellte, sprach Finanzminister Scholz noch von „massiven, in dieser Größenordnung bisher unbekannten Unterstützungsleistungen“. Wenn bei den Betroffenen ein wenig Hoffnung aufkeimte, so wurde sie schnell von der Realität plattgewalzt. Bislang wurden nur einige wenige Abschläge bewilligt, die eigentlichen Hilfen fließen frühestens Mitte Januar – wohl dem, der einen ausreichenden Kreditrahmen hat. Mit dem Jahreswechsel laufen diese „großzügigen“ Hilfen übrigens aus und es ist davon auszugehen, dass der Lockdown weiter verschärft wird und noch sehr lange gelten wird. Auch viele Beschäftige in diesen Branchen stehen mit dem Rücken an der Wand. Die Lage ist dramatisch und außer Ankündigungen und wohlfeilen Worten ist von der Regierung nicht viel zu hören. Dort interessiert man sich mehr für Fallzahlen als für Menschen. Von Jens Berger.
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Die Hotellerie und Gastronomie sind einer der größten Wirtschaftszweige des Landes. Mehr als 2,4 Millionen Beschäftige erwirtschafteten 2019 in rund 222.000 Betrieben einen Umsatz von 93,6 Milliarden Euro. In diesem Jahr dürfte der Umsatz nur einen Bruchteil dessen betragen. Hotels und Restaurants mussten je nach Region zwischen vier und viereinhalb Monate komplett schließen und konnten in der übrigen Zeit durch die Hygiene-Auflagen und das Wegbleiben der verängstigten Kundschaft auch nur mit angezogener Handbremse wirtschaften. Die Corona-Hilfen von Bund und Ländern sollten die Verluste zumindest zum Teil decken und den Unternehmen damit ein Fortbestehen sichern. Doch ist das wirklich der Fall?
Nach aktuellen Zahlen des Branchenverbands DEHOGA konnte das Gastgewerbe im Frühjahr rund 1,37 Milliarden Euro Zusagen für Soforthilfen und im Sommer rund 450 Millionen Euro Zusagen für die Überbrückungshilfen bekommen. Das sind weniger als zwei Prozent des Jahresumsatzes, noch nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Wut war groß und um die drohenden Massenpleiten wenigstens zum Teil abzuwenden, zeigte sich die Politik zumindest auf dem Papier bei der Ankündigung des „Lockdown light“ Ende Oktober großzügiger. Fortan sollte nicht nur ein Teil der Fixkosten, sondern bis zu 75% des Vorjahresumsatzes als Verlustausfall erstattet werden. Das klingt sehr großzügig, ist es aber nur bedingt.
Von diesen 75% werden nämlich selbstverständlich noch die Kosten für das bewilligte Kurzarbeitergeld abgezogen. Wenn ein Restaurant also beispielsweise im Normalbetrieb 50% Personalkosten hat und sein gesamtes Personal in Kurzarbeit schickt, bleiben von den 75% schon einmal – vereinfacht gerechnet – nur noch 25% übrig. Davon müssen dann jedoch noch andere Fixkosten wie die Miete und die Kredit-/Abschreibungskosten für die Einrichtung abgetragen werden. Ein jeder kann ja mal über den Daumen peilen, was da am Ende – wenn überhaupt – noch übrigbleibt. Ein Befreiungsschlag sieht jedenfalls anders aus.
Und für viele Gastronomen und Hoteliers sieht die eigentlich brisante Rechnung ohnehin ganz anders aus. Wer keine riesige Kapitaldecke hat, ist durch den Umsatzeinbruch tief in die roten Zahlen bis an oder über die Grenze des Kontokorrentkredits gerutscht. Viele Betreiber haften mittlerweile zusätzlich mit ihrem Privatvermögen und haben auch ihren Dispokredit bis an die Grenze ausgeschöpft. Wenn auch die Novemberhilfen nun erst Monate später ausgezahlt werden, sind diese Kreditlinien zuvor erschöpft. Es droht die Insolvenz und in vielen Fällen sogar die Privatinsolvenz. Man kann das mit einem Verdurstenden vergleichen. Dem ist auch nicht damit geholfen, wenn ihm eine Flasche Wasser versprochen wird, die er jedoch erst in einigen Wochen bekommt.
Und die Gastronomie ist ja nur eines von vielen Opfern der Corona-Maßnahmen. Gar keine Sonderhilfen gibt es für Gewerbetreibende, deren Betriebe nicht durch Verordnungen geschlossen wurden, sondern die indirekt durch die Maßnahmen und die Angst der Kunden wirtschaftliche Nachteile haben. So herrscht in der Fußgängerzone und der gesamten Innenstadt meiner Kreisstadt Goslar seit Wochen gähnende Leere. Wo man sonst inmitten des Weihnachtsmarktes und des vorweihnachtlichen Kaufrauschs kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann, herrscht nun Maskenpflicht und es ist weit und breit kein Mensch zu sehen, der gewillt ist, Weihnachtsgeschenke zu kaufen oder sein Geld für Kunsthandwerk, einen Glühwein oder gebrannte Mandeln auszugeben. Die ansonsten zahlreichen Touristen aus Deutschland, Dänemark und den Niederlanden fallen in diesem Jahr natürlich auch weg. Darunter leidet vor allem auch der Einzelhandel, der zwar nicht per Verordnung geschlossen wurde und daher auch kein Anrecht auf die November- und Dezemberhilfen hat, aber wirtschaftlich fast genauso stark betroffen ist wie die Gastronomie. Die staatlichen Überbrückungshilfen können die Verluste nur zu einem sehr kleinen Teil ausgleichen. Auch hier drohen spätestens im nächsten Jahr Massenpleiten.
Aber es sind ja beileibe nicht nur Unternehmen und Betriebe, die herbe Verluste verkraften müssen. Sozialversicherungspflichtige Angestellte sind durch die Kurzarbeiterregelung zwar noch relativ gut abgesichert, auch wenn viele von ihnen nicht wissen, ob ihr Betrieb überhaupt wieder aufmacht. Aber wie sieht es mit all den Minijobbern und Aushilfen aus? Gerade in Hotellerie, Gastronomie und im Einzelhandel sind solch prekäre Arbeitsverhältnisse ja weit verbreitet. Und gerade diese Aushilfskräfte sind ja oft auf jeden Euro angewiesen und stehen finanziell nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Lassen Sie es mich mal ein wenig polemisch zuspitzen: Während der US-Multi Starbucks, der kaum Steuern bezahlt, vergleichsweise großzügig durch die November- und Dezemberhilfen entschädigt wird, geht die alleinerziehende Mutter, die abends ein paar Stunden kellnert, um überhaupt über die Runden zu kommen, komplett leer aus. Wie so ziemlich alle Entscheidungen der Bundesregierung haben auch die Corona-Hilfen eine deutlich zu erkennende soziale Schieflage. Doch darüber spricht erstaunlicherweise niemand.
Wie wäre es denn, wenn der Staat einen Schutzschirm für von den Corona-Maßnahmen betroffene Minijobber aufspannt und einfach und unbürokratisch den Lohnausfall ausgleicht? Gemessen an den Milliarden und Abermilliarden, die man in Konzerne wie die Lufthansa oder die TUI gepumpt hat, wären dies wahrlich Peanuts; Peanuts jedoch, die auf sozialer Ebene eine deutliche Wirkung hätten.
Und wo wir schon bei den Abermilliarden sind. Es ist ja erstaunlich, mit welchen Zahlen da seitens des Finanz- und Wirtschaftsministeriums hantiert wird. Der reale Geldfluss hat mit diesen Zahlen jedoch nur sehr wenig zu tun. So wurden von den 13,6 Milliarden Euro, die vom Bund im Frühjahr als Soforthilfen gebilligt wurden, gerade einmal ein Drittel abgerufen – und davon mussten sogar 305 Millionen Euro bereits wieder zurückgezahlt werden, da die Anträge fehlerhaft ausgefüllt wurden. Die Rede war schnell von Subventionsbetrug. Doch dies ist nur ein weiterer Schlag ins Gesicht der Geschädigten. So wurde beispielsweise ein freiberuflicher Veranstaltungstechniker, dem der komplette Umsatz weggefallen ist, des Subventionsbetrugs beschuldigt, der Hilfsgelder beantragt hatte, obgleich nach Sicht der Behörde kein „Liquiditätsengpass“ vorlag – sprich, der Mann hatte seinen Dispokredit noch nicht völlig ausgeschöpft. Zur Zeit laufen 8.200 vergleichbare Verfahren. Nur mit dem Rücken an der Wand zu stehen, reicht offenbar nicht. Man muss schon fast klinisch tot sein, um den Staat um Hilfe zu bitten.
So könnte es im nächsten Jahr vielen Selbstständigen und Unternehmen gehen. Die vergleichsweise ordentlich bemessenen November- und Dezemberhilfen laufen nämlich definitiv Ende Dezember aus. Bereits jetzt ist der Lockdown bis zum 10. Januar beschlossene Sache und es gibt wohl niemanden, der auch nur einen Cent darauf wetten würde, dass Hotels und Restaurants im Januar ihre Pforten wieder öffnen dürfen. Wahrscheinlicher ist es, dass schon in den nächsten Tagen auch der größte Teil des Einzelhandels im Rahmen eines harten Lockdowns geschlossen wird. Und da Erkältungsviren wie Corona nun einmal dazu neigen, erst im Frühjahr wieder zu verschwinden, werden diese Lockdowns sich sicherlich auch noch bis in den Mai hinziehen. Weitere Monate des Umsatz- und Verdienstausfalls drohen und ab Januar wird es nur noch die Überbrückungshilfen geben, die einen Teil der Fixkosten kompensieren. Man muss kein Prophet sein. Spätestens im Sommer nächsten Jahres werden viele Hotels, Restaurants, Kneipen und Geschäfte nicht mehr existieren. Aber das ist ja offenbar egal, geht es bei der gesamten öffentlichen Debatte doch nur um Infiziertenzahlen und Inzidenzwerte. Historiker kommender Jahrzehnte werden vielleicht eine Erklärung dafür finden, warum wir sehenden Auges derart töricht gehandelt haben.
Titelbild: Screenshot Tagesschau