Copy and Paste. Die Bundesregierung spart sich beim ÖPP-Rapport Fakten und Tastenanschläge.

Copy and Paste. Die Bundesregierung spart sich beim ÖPP-Rapport Fakten und Tastenanschläge.

Copy and Paste. Die Bundesregierung spart sich beim ÖPP-Rapport Fakten und Tastenanschläge.

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Letzte Woche passierte ein Machwerk sondergleichen das Bundeskabinett. Der „Transparenzbericht“ zu laufenden öffentlich-privaten Partnerschaften nimmt keinerlei Rücksichten auf Sorgfalt und Wahrheit und verkauft ein für den Staat ruinöses Geschäftsmodell als einzige Erfolgsgeschichte. Dauerkritik durch den Bundesrechnungshof findet so wenig Erwähnung wie Pleiten, Rechtsstreitigkeiten und Schattenhaushalte. Reich ist der Text nur an Plattheiten und Redundanzen. Die Zustimmung der Ministerriege erhielt er trotzdem – ohne Aussprache. Von Ralf Wurzbacher.

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Was hat man noch mal in der Schule über Demokratie und Parlamentarismus gelernt? Von wegen Wettstreit der Meinungen, Ausgleich von Interessen, Ringen um die besten Ideen, Konzepte und Lösungen. Und das alles zum Wohl der Allgemeinheit. Nimmt man einen Vorgang, der sich vor wenigen Tagen in der Schaltzentrale der Berliner Republik zutrug, könnte man ob der tollen Verheißungen in Zweifel geraten. Am Mittwochmorgen beschloss da das Bundeskabinett den „Entwurf eines Berichts der Bundesregierung über ÖPP-Projekte im Betrieb“. Wobei das Wörtchen „Beschluss“ falsche Illusionen wecken könnte. Tatsächlich wurde die Vorlage abgenickt oder, wie es im Vorwort heißt, die Zustimmung der Bundesminister „im Rahmen der Top-1-Liste ohne Aussprache“ herbeigeführt.

Der Ablauf ist nicht ungewöhnlich, die Top-1-Liste vom Mittwoch umfasste allein 25 Punkte, die man ohne Diskussion abhandelte. Die Ressortabstimmungen finden in solchen Fällen bereits im Vorfeld statt, die Verabschiedung ist dann bloß noch eine Formalität. Dagegen ist nichts einzuwenden, sofern davor wirklich so etwas wie eine regierungsinterne Erörterung des Gegenstands stattgefunden hat. Diesen Eindruck hinterlässt das besagte Papier aber gerade nicht, obwohl an seiner Anfertigung die Bundesministerien für Verteidigung (BMVG), für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), für Bildung und Forschung (BMBF) sowie „federführend“ das Bundesfinanzministerium (BMF) beteiligt gewesen sein sollen.

Orwell lässt grüßen

Schaut man sich die Inhalte genauer an, wirkt das Ganze eher wie ein eiligst zusammengeschustertes Machwerk aus haltlosen Beschönigungen und hohlen Phrasen. In einer Medienmitteilung klagte Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, dann auch mit Recht über „eine Farce“, während Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BügerInnenhand (GiB) angesichts der Titulierung „ÖPP-Transparenzbericht“ sich an George Orwells Neusprech erinnert fühlt. „Was bedeutet es für den Zustand einer Demokratie, wenn die Regierung solche Dokumente fröhlich und ohne Beratung verabschiedet“, befand er gegenüber den NachDenkSeiten.

Gewiss nichts Gutes, will man meinen, wofür sich in dem Report gleich haufenweise Belege finden. Los geht es gleich am Anfang mit einer kapitalen Lüge, wenn das BMVI mit Blick auf öffentlich-private Partnerschaften im Fernstraßenbau feststellt, dass sich die erwarteten Wirtschaftlichkeitsvorteile „bei einer projektübergreifenden Gesamtbetrachtung weitgehend bestätigt haben“. Zur Einordnung: Der Bundesrechnungshof (BRH) hat wiederholt beanstandet, die mit ÖPP verbundenen langfristigen Kosten für den Steuerzahler überstiegen die einer klassischen staatlichen Beschaffungsvariante nicht nur „weitgehend“, sondern in der übergroßen Mehrheit der Fälle. 2014 hatten die Finanzprüfer sechs dieser Unternehmungen begutachtet. Fünf davon verschlangen insgesamt 1,9 Milliarden Euro mehr als eine Realisierung in öffentlicher Hand.

Effizient, schnell, transparent, billig?

Solche Auswüchse sind nur logisch. Bei ÖPPs holt sich der Staat Investoren ins Boot, die für ihn eine Aufgabe erledigen, etwa den Bau von Verwaltungsgebäuden, Museen, Straßen oder Bahnhöfen, und die deren Betrieb über Laufzeiten zwischen 20 und 30 Jahren durch Vereinnahmung von Mietzahlungen oder bei Verkehrsprojekten durch Erlöse aus der Lkw-Maut sicherstellen sollen. Warum sollte ein Privatunternehmen, das Gewinne erwirtschaften muss, das alles zu günstigeren Konditionen schaffen können als die öffentliche Hand ohne Profitmaximierungsgebot? Die Frage ist so banal, wie die Antworten der politisch Verantwortlichen immer die gleichen sind und in schöner Regelmäßigkeit von der Wirklichkeit widerlegt werden.

Selbstredend betet auch der Regierungsbericht die alte Leier runter: Nach den bisherigen Erfahrungen wären „potenzielle Vorteile“ des ÖPP-Ansatzes: „höhere Termin- und Kostentreue, die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der jeweiligen Beschaffung durch die Risikoteilung und die dafür erforderliche, umfassende Analyse der Projektrisiken, größere Transparenz, die Förderung effizienzsteigernder Innovationen und ein Wissenstransfer aus dem privaten Sektor zur öffentlichen Hand.“ Immerhin lässt die Regierung mit dem Begriff „potenziell“ ein Hintertürchen offen, dass es vielleicht mal nicht hinhaut mit den schönen Versprechungen. Während man über das unterstellte Plus an „Effizienz“ und „Schnelligkeit“ einer von Privaten durchgeführten Neubau- oder Sanierungsmaßnahme noch streiten könnte, sprechen bei den Aspekten Transparenz und Kostentreue die Fakten eindeutig für die Überlegenheit des konventionellen Staatsmodells.

Die Verträge mit den privaten Betreibern unterliegen der Geheimhaltung, genauso wie die von großen industrienahen Anwaltskanzleien und Beratungsgesellschaften erstellten sogenannten Wirtschaftlichkeitsgutachen, die praktisch immer für die Privatisierungsvariante plädieren und der Realisierung in öffentlicher Hand eine Absage erteilen. Das Gegenteil von Transparenz offenbart sich ebenso in puncto politisch-parlamentarischer Aufsicht. ÖPPs werden ausdrücklich zur Umgehung der „Schuldenbremse“ oder der Maastricht-Stabilitätskriterien eingesetzt. Langfristige Kosten werden auf Einzeljahre gestückelt in Schattenhaushalte und die Zukunft verschoben und die Kontrolle und das Haushaltsrecht der Parlamente ausgehebelt. Damit eignet sich das Modell vorzüglich dazu, massenweise Steuergeld unter dem Radar der Öffentlichkeit in die Kassen von Baulöwen, Banken, Versicherern oder Hedgefonds umzuleiten – eben Umverteilung vom Feinsten.

Kostenexplosionen in Serie

Wozu das führt, erfährt man in dem ÖPP-Report nicht, weil dort, wie GiB-Sprecher Waßmuth anmerkte, „nur eitel Sonnenschein verbreitet wird“. Vor einem Jahr musste sich die Regierung ausnahmsweise mal doch ehrlich machen, in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Daraus ging hervor, dass von 15 laufenden oder geplanten Autobahnprojekten in öffentlich-privater Partnerschaft zwölf den ursprünglich veranschlagten Ausgabenrahmen schon gesprengt hatten. Lediglich eines der im Betrieb befindlichen lag demnach nicht über den Planzahlen, ein Abschnitt zwischen Bremen und Buchholz, wofür, Stand jetzt, nur 987 Millionen statt der kalkulierten eine Milliarde Euro abgerufen werden sollen. Das allerdings taugt nicht zur Entwarnung. Erfahrungsgemäß ziehen die Kosten nach hinten heraus drastisch an.

In den zehn anderen Fällen sind die Vorgaben längst Schnee von gestern. Den Vogel schießt ein Streckenteil der A 8 zwischen Ulm und Augsburg ab, der nicht wie einst vorgesehen 850 Millionen Euro, sondern mindestens 1,348 Milliarden Euro verschlingen wird. Eben dieses Projekt ist als eines von sieben im „Transparenzbericht“ aufgeführt. Über die finanziellen Unwuchten findet sich darin kein Wort. Stattdessen das: „Die Umsetzung des Betriebsdienstes erfolgt bislang vertragskonform.“ Dass die Betreiberfirma Pansuevia den Bund auf Millionenzahlungen infolge von Planungsfehlern der Politik verklagt hatte und damit Anfang 2019 gescheitert war, erwähnen die Berichterstatter mit keiner Silbe. Vielmehr bleibt als Botschaft hängen: Alles paletti!

Keine „Zufriedenheitseinschätzung“

Ein viel prominenterer Rechtsstreit betrifft die sogenannte Hansalinie zwischen Hamburg und Bremen. Das Konsortium „A1 Mobil“ wollte nicht weniger als 778 Millionen Euro Schadensersatz erstreiten, weil der Lkw-Verkehr nach der Finanzkrise 2008 und mit ihm die Mauterlöse eingebrochen waren. Die Affäre sorgte für reichlich Schlagzeilen und könnte auch mit der Abweisung der Klage durch das Oberlandesgericht Celle vor einem Jahr nicht ausgestanden sein. Die Betreiber hatten für den Fall einer juristischen Niederlage stets mit dem Gang in die Insolvenz gedroht. Auch die Hansalinie ist im ÖPP-Bericht aufgeschlüsselt, läuft aber wie alle anderen unter „vertragskonforme Umsetzung“, was einmal mehr heißen soll: Alles in bester Ordnung.

Zu genau will es das BMVI unter Leitung von Skandalminister Andreas Scheuer (CSU) aber dann doch nicht wissen. Zu allen behandelten Autobahnprojekten wird festgehalten: „Von einer projektbezogenen Zufriedenheitseinschätzung wird abgesehen.“ Demnach hätte man „Betroffene“ sehr wohl befragen können und zwar namentlich „Projektbeteiligte, Nutzer, Beschäftigte, Öffentlichkeit“, (Steuerzahler?), hat es aber lieber gelassen. Warum wohl? „In diesem Bericht werden Milliarden Euro umfassende Kosten und Risiken von ÖPP-Projekten geleugnet“, monierte Waßmuth. „Mit keinem Piep wird auf die scharfe Kritik des Bundesrechnungshofs eingegangen, laufende Insolvenzverfahren und Klagen gegen den Bund werden verschwiegen.“ Nach Ansicht von Grünen-Politiker Kindler lasse sich der Minister „trotz krasser Kostensteigerungen, trotz Klagen von Vertragspartnern von seinen Beratern die Welt schönrechnen“. Sämtliche Hinweise auf „schwerwiegende Probleme und strukturelle Intransparenz“ würden unterdrückt und wie schon bei der Pkw-Maut halte er auch bei ÖPP-Projekten alle wichtigen Akten gezielt unter Verschluss. Und wenn die wenigen veröffentlichten Kontrakte „stark geschwärzt“ seien, „dann ist das eben keine volle Transparenz“.

Lästige Pflicht

Apropos: Zu mehr Offenheit im Umgang mit öffentlich-privaten Partnerschaften ist die Regierung durch Beschluss des Bundestages vom 12. März 2013 angehalten. Seither muss sie in der Mitte der Legislaturperiode zu laufenden Projekten Bericht erstatten. Dass dies eine lästige Pflicht ist, beweist der neueste Rapport mit großer Eindrücklichkeit. Wenn ÖPPs darin kontrafaktisch als die erste Wahl der Beschaffungsvarianten abgefeiert werden, ist das bei der neoliberalen Ausrichtung von Union und SPD keine große Überraschung. Erbärmlicher noch erscheint der Vorgang aber im Hinblick auf das „Wie“, sprich die Sorgfalt der Präsentation. So werden etwa unter der Überschrift „detaillierte Projektbeschreibung“ zu den behandelten Straßenbauprojekten immer wieder dieselben wortgleichen Plattitüden wiedergekäut – nahezu ohne jeden Fallbezug. Die fragliche Passage zieht sich jeweils über zwei volle Seiten, mit „Copy and Paste“ sieben Mal vervielfacht.

In Serie liest man da zum Beispiel: „Das BMVI beurteilt die bisher abgeschlossenen projektspezifischen Konzessions- bzw. Projektverträge für ÖPP-Projekte im Bundesfernstraßenbereich weitgehend positiv.“ Oder dieses Wortungetüm: „Die in der abschließenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zugrunde gelegten projektspezifischen Annahmen, insbesondere die über den Vergleichsmaßstab der öffentlichen Hand, den Public Sector Comparator (PSC), abgebildeten Kosteninformationen für die konventionelle Beschaffungsvariante wurden mangels Umsetzung der konventionellen Beschaffungsvariante nicht fortgeschrieben.“ Übersetzt soll das wohl heißen: Weil man das Staatsmodell verworfen hat, muss man sich nicht länger die Mühe machen, nachzurechnen, ob man damit vielleicht hätte günstiger fahren können.

Lust auf mehr

Die Mühe, diesen Schund zu studieren, dürfte sich keiner der Beteiligten gemacht haben. War schließlich davor schon abgekaspert, das Ding durchzuwinken. Und dass sich in Corona-Zeiten das Parlament damit eingehend befasst, steht auch nicht zu erwarten. Der Bundestag bekommt den Bericht ohnehin nur zur Kenntnisnahme zugeleitet. Dass die Menschen damit dreist für dumm verkauft werden? Und wenn schon, kriegt eh kaum einer mit. Was zählt, ist ohnehin nur die Ansage, dass ÖPPs ein „Erfolgsmodell“ sind, das Lust auf mehr macht. Wie heißt es doch so schön im Text: „Das BMVI und die Straßenbauverwaltungen der Länder haben durch die laufenden ÖPP-Projekte Erfahrungen gewonnen, die zur Weiterverfolgung von Betreibermodellen im Bundesfernstraßenbereich ermutigt haben.“ Weil er so wichtig ist, gibt es den Satz gleich in achtfacher Kopie.

Am Ende noch das: In den nächsten fünf Jahren soll die neu errichtete privatrechtliche „Autobahn GmbH des Bundes“ 300 Bau- und Sanierungsvorhaben stemmen, bevorzugt mittels ÖPP. Laut Bundeshaushalt waren dafür knapp 25 Milliarden Euro eingeplant. Der neueste Finanzplan der Gesellschaft beziffert die Kosten mit 30 Milliarden Euro. Noch Fragen? Zumindest der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), der rund 35.000 Handwerksbetriebe vertritt, hat Redebedarf. Dessen Hauptgeschäftsführer, Felix Pakleppa, fasst den Transparenzbericht als Beweis dafür auf, dass ÖPP-Projekte mit der Gründung der Autobahn-GmbH „endgültig der Vergangenheit angehören“ müssten. Da hat er wohl etwas missverstanden. Setzen, sechs!

Titelbild: keport/shutterstock.com