Nachtrag zu „Beutezug Ost“ – Dass Kohls Versprechen für „Blühende Lanschaften“ eine kalkulierte Lüge war, wussten die Verantwortlichen.
Das wusste auch Bundeskanzler Kohl, der westdeutsche Verhandlungsführer Schäuble und der gesamte CDU-Vorstand. Dazu hat Claus Noé eine interessante Notiz geschrieben (siehe unten Ziffer1). Zum gleichen Thema finden Sie in Ziffer 2 den Link zu einem Papier für die SPD Führung vom 30. Januar 1990. In Ziffer 3 folgt die Notiz eines westdeutschen Ingenieurs mit Kenntnissen von der Wettbewerbsfähigkeit des ostdeutschen Werkzeugmaschinenbaus und einen Link auf die Reaktion von Lesern der FAZ zum Fernsehfilm „Beutezug Ost“. Zum Schluss als 4. noch eine Bitte an Nachdenkseitenleser. Wir suchen den Link zum geheim gehaltenen Gutachten des Bundesrechnungshofs zum Verkauf der ostdeutschen Banken an die westdeutschen Banken. Albrecht Müller
- Claus Noé DIE GROSSE DEUTSCHE ILLUSION
Claus Noé war Staatssekretär bei Lafontaine im Bundesfinanzministerium und damit Kollege von Heiner Flassbeck. Zu Anfang seiner Bonner Tätigkeit war er 1968 und 69 Assistent der SPD Bundestagsfraktion und anschließend Unterabteilungsleiter beim damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller. Die Notiz, die wir hier wiedergeben stammt von 1990:DIE GROSSE DEUTSCHE ILLUSION
Zehn Jahre Einheitspolitik – zehn Jahre ökonomische Täuschung
… Die Akteure von 1990 wußten, was sie taten. Und sie wußten wozu: Wolfgang Schäuble bekannte bereits 1991 hinter dem Buchtitel: Der Vertrag. Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte: “Es war Lothar de Maizière genauso klar wie Tietmeyer … der die eigentlichen Verhandlungen führte … und mir, daß mit der Einführung der Westwährung die DDR-Betriebe schlagartig nicht mehr konkurrenzfähig sein würden. Wir konnten uns auch ausmalen, in welch dramatischer Weise dieser Eingriff sichtbar würde.” Nichts also mit der umlaufenden Legende, man habe nicht wissen können, was man tat, alles sei Neuland gewesen. Wer wissen wollte, konnte wissen. Warum also der dramatische Griff nach der D-Mark? Dazu Schäuble: “Mit dem Anliegen der Einheit würden wir die Wahlen gewinnen – eine Ansicht, die auch Helmut Kohl teilte, Heiner Geißler aber, so im CDU-Bundesvorstand, sehr besorgt in Frage stellte.” Intern wurden die Risiken also diskutiert. Nicht nur in der CDU, auch in der SPD, in der Oskar Lafontaine, 1990 Kanzlerkandidat, ökonomische Vernunft anmahnte – vergeblich. Fürs Wahlvolk dagegen wurden “blühende Landschaften” gemalt. …Die von Claus Noé wiedergegebenen Aussagen von Wolfgang Schäuble belegen ohne jeden Zweifel, dass es bei der Entscheidung um die Währungsunion und den Umrechnungskurs nicht um die Lösung der schwierigen Sachfrage – der Frage nämlich, ob in Ostdeutschland industrielle Arbeitsplätze erhalten bleiben – ging. Es wurde danach entschieden, wie Kohl und seine Partei am besten die Wahlen gewinnen. Millionen von Bürgern im Osten zahlen bis heute mit Arbeitslosigkeit, schlechter beruflicher Perspektive und mit Verlassen der Heimat für den Wahlsieg Helmut Kohls, Millionen im Westen mit einer unnötigen finanziellen Belastung. Der Witz dabei: die Mehrheit hat ihr Unglück 1990 und 1994 auch noch selbst gewählt. (Ich verweise hier auch auf meinen anekdotischen Bericht von einer Versammlung im Vorfeld der Volkskammerwahl vom 18. März 1990)
- Studie von Werner Kamppeter „Umbau der DDR-Wirtschaft und Implikationen für die BRD“ vom 30. Januar 1990
Ein Freund von mir schickte mir diese, von ihm Ende 1989 initiierte Studie – siehe PDF [1.5 MB] – des Ökonomen und damaligen Mitarbeiters der Friedrich-Ebert-Stiftung Werner Kamppeter.
Die Studie wurde angefertigt und lag vor, bevor die Wechselkursfrage eingehend behandelt worden ist.
Die Studie wurde damals beim westdeutschen Teil der SPD-Gremien verteilt. Die Reaktion sei durchweg negativ gewesen.
Das kann nicht an der Qualität der Studie gelegen haben, eher an Denkblockaden, die auch die Mehrheit der damaligen SPD-Führung plagten.
Für Leser mit wenig Zeit verweise ich auf die Zusammenfassung auf den Seiten drei und vier. Dort heißt es zum Beispiel:„Während des Umbaus müsste die DDR-Wirtschaft vor der westlichen Konkurrenz geschützt werden. Marktwirtschaft ohne leistungsfähige Produktionsvoraussetzungen wirkt für die DDR zerstörerisch.“
„Im Interesse der ostdeutschen Konkurrenzfähigkeit müsste die DDR-Währung lange Zeit sehr niedrig bewertet seien, andernfalls fände der Boom in Westdeutschland statt.“
„Eine Währungsunion mit der Bundesrepublik, die sich nicht auf eine gemeinsam getragene Devisenbewirtschaftung stützt, oder die Schaffung eines einheitlichen Währungsgebietes hingegen droht, unmittelbar zum Kollaps der DDR-Wirtschaft zu führen.“
„Entscheidend wird die Leistungsfähigkeit der DDR-Unternehmen selbst sein. Sie muss gesteigert werden.“
Sie erkennen als Leser unschwer, dass der Geist dieser Studie sich diametral von dem unterschied, was dann der Geist der herrschenden Lehre und der politischen Entscheidungen der damaligen Regierenden war.
- Notizen eines westdeutschen Ingenieurs zur Konkurrenzfähigkeit des ostdeutschen Werkzeugmaschinenbaus und die Reaktion der „klugen“ Köpfe hinter der FAZ im Forum zu einem Kommentar zum Fernsehfilm „Beutezug Ost“
In der FAZ war ein Beitrag „Ihr seid alle ausgebeutet!“ zum Film von frontal 21 erschienen. Ich muss gestehen, dass ich schon bessere Artikel von Andreas Platthaus gelesen habe. Aber um diesen geht es hier nicht. Interessant ist das Forum. Dort überwiegt die fast schon ängstliche Furcht des konservativen, wirtschaftsnahen Bürgertums davor, mit einer Aufarbeitung des Themas Zerstörung der ostdeutschen Industrie könnte diesem Bürgertum sein ideologisches Spielzeug weggenommen werden. Das Selbstbewusstsein dieser Menschen beruht offensichtlich auf dem Glauben, dass im Osten alles marode war. Das ist das ideologische Lebenselixier dieser Schicht unangenehmer Zeitgenossen.
Nicht alle mit der Wirtschaft eng verbundenen Menschen im Westen teilen diesen begrenzten Horizont. Ich zitiere aus einer Mail eines NachDenkSeiten-Lesers und Ingenieurs aus Westdeutschland:
„Der Frontal21-Beitrag verdient allerhöchsten Respekt, auch wenn er nur ein schmales Segment der ganzen Treuhand- und Beratermisswirtschaft beleuchtet und sich niemand zu finden scheint , der das Komplettversagen umfassend darstellen kann .
Persönlich bekannt sind mir nicht wenige Personen, die nie selbst im Westen ein Unternehmen führen durften, die sich, weil längst ohne Arbeit, als Berater bei Berger und Co, verdingen mussten und die plötzlich den Osten sanieren sollten .
Gefragt war, wie der Bericht konkret aufzeigt, Privatisierung als Vehikel, um die auch auf dem Weltmarkt leistungsfähigen Betriebe der DDR auszuschalten.
Besonders deutlich wird das an den Aussagen des von Strauß in jungen Jahren verhöhnten Theo Waigel, einem Juristen, dem vor seinem Amt kaum jemand finanzpolitischen Sachverstand unterstellt hätte, wirtschaftspolitischen ohnehin nicht.
Daß der Jurist Fehlverhalten straffrei stellt, sagt über das was dann ablief, eigentlich schon alles aus.
Besonders deutlich wird die Geschichte am Niedergang des Maschinenbaus in Chemnitz, Magdeburg und Rostock und an bekannten Firmen:Heckert, führender und Europas größter Werkzeugmaschinenhersteller, wurde mit der Umrechnung jede vernünftige Weiterführung verunmöglicht. Profitiert davon hat die damals schon mehrfach marode Gildemeister Gruppe und eine Reihe damals noch existenter im Kern schon angeschlagener Mittelständler.
Von den Mittelständlern sind etliche inzwischen verschwunden, an Gildemeister ist ein japanischer Wettbewerber maßgeblich beteiligt und Heckert existiert auf Mittelstandsniveau.
Profitiert hat letztlich der Werkzeugmaschinenbau aus den USA, so entstand der weltweit größte Hersteller unter US Führung, indem er marode Westfirmen, gebeutelt vom Kunden Automobilindustrie, übernehmen konnte . Von denen existiert nur der Name in aller Regel noch. Besonders leistungsfähige DDR Heckert-Mitarbeiter sind dort in führenden Positionen.Takraf als herausragender Hersteller, dessen Krane auf der halben Welt installiert waren, wurde von einem Herrn v. Dohnany, einem Juristen, von dem nicht bekannt ist, daß er Erfahrung jemals in einer solchen Aufgabe gesammelt hatte, zerstört. …
Skeet in Magdeburg, verschwunden, MEZ weg, BMW anstatt dort etwas zu gestalten , läßt die Motorräder in Italien fertigen , Wartburg und Trabantfabriken existieren als Zweigwerke, zu den 250 Mrd. Minus darf man die zusätzlichen Subventionen für die neuen Billiglohnwerke addieren , die wenigstens eine schöne Fassade auszeichnet.
Sucht man nach der Erklärung für Waigels fixprivatisieren , wird man wohl dabei fündig: Es durfte nicht bewiesen werden , daß leistungsfähige , mit bestausgebildeten Mitarbeitern ausgestattete Betriebe des Ostsystems mindestens so leistungsfähig waren und wären , wie die industriellen Großbürokratien oder die ausbeuterischen Mittelständler , die sich an keinen Tarifvertrag halten und die bis heute nicht gelernt haben , was den Grundigs und Co. s geschah .
Das System wäre gefährdet gewesen. … - Wir suchen nach dem Gutachten des Bundesrechnungshofs zum Verkauf der ostdeutschen Banken an die westdeutschen Banken
Wir hatten am 3. Juli 2005 davon berichtet, dass der Berliner Tagesspiegel auf der Basis eines Bundesrechnungshofsberichtes einen sehr kritischen Artikel zum Verkauf der ostdeutschen Banken an die westdeutschen Banken publiziert hatte:
„Wie sich westdeutsche Banken auf unsere Kosten an fiktiven DDR-Krediten bereicherten“
Bisher sind wir nicht im Besitz dieses geheim gehaltenen Gutachtens. Es könnte aber sein, dass unter unseren Leserinnen und Lesern jemand über dieses Gutachten verfügt, oder eine Recherchechance sieht oder einen Link darauf besitzt. Dann wären wir dankbar für einen Hinweis. Wir möchten dieses Gutachten unseren Lesern zugänglich machen. Die Geheimhaltung finden wir lächerlich. Sie schützt die Täter.