Am 26. November wurde an dieser Stelle das Buch „Die Katastrophe der digitalen Bildung“ des Wirtschaftsjournalisten Ingo Leipner rezensiert. Anschauungsmaterial dazu, wer in deutschen Lehranstalten bald die erste Geige spielen könnte, liefert der Fall Baden-Württemberg. Dort wird demnächst eine Microsoft-Software zur Schul- und Unterrichtsverwaltung in den Pilotbetrieb gehen. Zur Schar der Kritiker gehört der Pädagoge, Medienwissenschaftler und Buchautor Ralf Lankau. Im Interview mit den NachDenkSeiten warnt er vor fehlendem Datenschutz, falschen Heilsversprechen sowie dem Ende selbstbestimmten Lernens, Denkens und Handelns. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Herr Lankau, in Baden-Württemberg startet demnächst ein Pilotprojekt an 20 bis 30 Schulen, mit dem die Einbindung des Microsoft-Officeprogramms 365 in eine im Aufbau befindliche digitale Bildungsplattform erprobt wird. Der Vorgang sorgt für allerhand Aufregung bei Daten- und Verbraucherschützern, Informatikern sowie Lehrer-, Eltern- und Schülerverbänden. Was bereitet den Kritikern Sorge?
Kritisiert wird zum Beispiel die Abhängigkeit von kommerziellen IT-Anbietern, statt weiter mit OpenSource-Lösungen zu arbeiten. Es gibt angesichts des US-amerikanischen CLOUD Act europaweit massive datenschutzrechtliche Bedenken gegen MS 365 und andere US-Software. Drei konkrete Forderungen sind daher: Datenschutz, emanzipatorische Medienbildung und digitale Souveränität. All dies lässt sich mit kommerzieller Software gar nicht realisieren. Die Kritik, etwa der Informatiklehrerinnen und -lehrer, richtet sich aber auch gezielt gegen die völlige Missachtung dessen, was im zurückliegenden halben Jahr an den Schulen mit dem Lernmanagementsystem (LMS, d. Red.) Moodle und dem Videotool BigBlueButton bereits eingerichtet wurde und mittlerweile in vielen Schulen konstruktiv im Unterricht genutzt wird.
Sie meinen also, das Setzen auf das Microsoft-Programm kommt ohne echte Not? Weil von Nöten im digitalen Schulalltag ist ja gerade in Pandemiezeiten immer wieder zu lesen und zu hören.
Man muss wissen, dass neben Office 365 noch ein zweites, kommerzielles und inkompatibles Lernmanagementsystem etabliert werden soll. Das konterkariert den Einsatz der Lehrkräfte und demotiviert diejenigen, die eigenständige Lösungen entwickeln. Auf die Begründung aus dem Kultusministerium darf man daher gespannt sein. Auch auf den Zeitpunkt übrigens. Die Entscheidung für ein zweites LMS hätte Ende September fallen sollen, im Oktober öffentlich gemacht werden. Jetzt, mitten im laufenden Schuljahr und bei wieder drohendem Hybrid- und Distanzunterricht, wäre ein Wechsel absurd und unverantwortlich.
Und genau in dieser Zeit soll nun auch noch Office 365 im Pilotversuch an den Start gehen?
Ja, und dies, obwohl bei dessen Einsatz Rechtsstreitigkeiten mit Datenschützern, Eltern- wie Lehrerverbänden programmiert sind. Die Frage ist daher, warum sich das Kultusministerium trotz des technisch wie bildungspolitisch begründeten Widerspruchs und bereits erfolgreich in den Schulen eingesetzter Software berechtigten und juristisch sogar notwendigen Widerstand ins Haus holt. Darauf habe ich keine Antwort. Zumal es exakt keinen Grund für den Einsatz von Microsoft Office in Schulen gibt. Mit Libre und OpenOffice stehen zwei gleichwertige, lizenzfreie Open-Source-Anwendungen zur Verfügung, die auf allen Betriebssystemen laufen und vor allem offline funktionieren. Man kann arbeiten, ohne im Netz sein zu müssen. Das ist für Schulen ohnehin oft sinnvoller und datenschutzrechtlich sicher. Online geht man dabei nur nach Bedarf.
Sie sprachen den CLOUD Act an. Dieser erlaubt US-amerikanischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung den Zugriff auf Daten von US-Internetfirmen und IT-Dienstleistern, selbst wenn diese im Ausland gespeichert sind. Microsoft beteuert, die Daten wären in seinen Händen sicher und hat angekündigt, die Vorgaben der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu beachten. Man werde sich amerikanischen Behörden mit allen rechtlichen Mitteln entgegenstellen, wenn diese die Daten von Kunden für ihre Ermittlungen abgreifen wollen. Warum geben Sie darauf nichts?
Nach den Anschlägen vom 11.9.2001 sind die amerikanischen Gesetze rund um die IT so massiv verschärft worden, dass es für niemanden mehr Datenschutz gibt, nicht einmal für amerikanische Unternehmen. Der Europäische Gerichtshof hat in seinen beiden Urteilen zu Safe Harbour und Privacy Shield diese anlasslose Massenüberwachung durch US-Sicherheitsbehörden explizit benannt und festgestellt, das es keinen Datenschutz beim Austausch von Daten über und mit US-Firmen mehr gibt. Daher kann man von der Seite nichts erwarten, sondern muss proaktiv andere Lösungen, sprich alternative Softwarekonzepte realisieren.
Sie meinen, Microsoft könnte den Begehrlichkeiten der US-Behörden gar nicht widerstehen?
Wenn Microsoft die Herausgabe von Daten verweigert, wäre dies ein Verstoß gegen nationale Sicherheitsbestimmungen der USA. Der Konzern verlöre sofort seine Geschäftsgrundlage, die Server würden konfisziert, die Herausgabe der Zugangsdaten erzwungen oder gehackt, sofern nicht sowieso Hintertüren offen stehen. Edward Snowden hat die Mechanismen und Strukturen 2013 aufgedeckt. Sein Buch „Permanent Record“ sollte man unbedingt lesen. Dabei lösen sich sämtliche Illusionen über Datenschutz im Netz in Luft auf.
Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg, Stefan Brink, ist weniger argwöhnisch. „Es ist gut und notwendig, dass das Unternehmen sich nach dem europäischen Datenschutz richtet und seine Vertragsklauseln entsprechend ändert“, teilte er am 20. November mit. Für die Gespräche mit Microsoft bedeute dies „Rückenwind“.
Herr Brink sollte die neuen Vertragsklauseln von Microsoft kennen. Darin wird zunächst bestätigt, dass es behördliche Anordnungen zur Herausgabe von Daten gibt. Was Microsoft jetzt zusichert, ist, den Rechtsweg zu beschreiten und die US-Gerichte anzurufen, um die Weitergabe prüfen zu lassen. Außerdem verpflichtet sich Microsoft erstmals, die davon Betroffenen zu informieren, „wenn Microsoft durch eine staatliche Anordnung rechtlich bindend dazu verpflichtet wurde, Daten an US-Sicherheitsbehörden herauszugeben“. Dazu wird für solche Fälle ein Anspruch auf Schadensersatz zugesichert.
So weit, so nett. De facto landen die Daten aber bei irgendwelchen US-Behörden, ohne Informationen zum Grund oder Aussagen darüber, was damit gemacht wird. Das ist aus meiner Sicht kein Rückenwind für Gespräche mit Microsoft, sondern nur die öffentliche Bestätigung eines US-Unternehmens, dass man derzeit nicht mit US-Software und dessen US-Clouddiensten arbeiten kann. Um es klar zu sagen: Der CLOUD Act und die DSGVO sind unvereinbar.
Müsste man neben der Frage, was US-Ermittler mit Daten aus deutschen Schulen anfangen, nicht auch fragen, was Microsoft damit anstellt?
Wenn wir über Daten sprechen, sind es ja nicht die konkreten Texte oder die Matheaufgaben, die Schüler machen, sondern Telemetrie- und Metadaten, die ausgewertet und kapitalisiert werden. Entscheidend ist: Wer kommuniziert mit wem, wie oft, wie schnell reagiert jemand, an wen werden Posts oder Tweets weitergeleitet. Dieses immer dichter werdende Spinnennetz aus Kommunikations- und Verhaltensdaten profiliert eine Person und ganze Gruppen viel besser als irgendein austauschbarer Content. Hier entstehen die Daten für den sogenannten digitalen Zwilling, ein algorithmisches Abbild meiner Persönlichkeit, an dem man testen kann, wie ich auf Angebote, Werbung und andere Menschen oder Meinungen reagiere, wie leistungsfähig oder stressresistent ich bin und vieles mehr. Es werden Persönlichkeits-, Psycho- und Leistungsprofile angelegt und Sozialstrukturen von Kommunikationsgruppen abgebildet, um Menschen per Web und App zu steuern.
Und Sie sagen, die Schulen werden zum Einfallstor dieser Interessen?
Dort wird in Phase eins mit dem Digitalpakt Schule die technische Infrastruktur aufgebaut, um diese Telemetriedaten systematisch zu erheben und auszuwerten. Das ist die Grundlage für die datenbasierte Schulentwicklung in Phase zwei, also eine zunehmend automatisierte und standardisierte Beschulung mit Hilfe entsprechender Softwaresysteme. Der Avatar wird zum Lehrenden, Lehrkräfte zu Lernbegleitern und Sozialcoaches. Die Systeme sind im Einsatz und werden mittlerweile mit immer mehr Echtdaten gespeist. Es fehle nur noch der „große Freilandversuch“, schrieb Fritz Breithaupt 2016. Jetzt laufen die Systeme und verbreitern ihre Datenbasis mit jedem Einsatz in Schulen.
Was hat MS 365 in dieser Hinsicht zu bieten?
MS 365, zusammen mit dem integrierten Videotool MS Teams und vor allem Azure für das Identitätsmanagement, ist eine Cloudlösung, mit der man sehr viele Dienste und Daten zusammenführen kann. Es geht dabei nicht nur um die Organisation von Unterricht und die Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schülerschaft wie bei einem LMS. Das Ganze ist ein datenbasiertes „Schweizer Messer“ zur Schul- und Unterrichtsverwaltung und -organisation. Dazu braucht man personalisierte Daten, von Lehrern wie Schülern. Stichworte sind Personal oder Workplace Analytics und Activity Reports. Arbeitgeber und Softwareanbieter sprechen auch von People Analytics zur Optimierung der Human Ressources. Deshalb sollen möglichst schon Kinder an die digitalen Endgeräte und in die Cloud, mit Rückkanal für Nutzerdaten. So können die personalisierten Daten gleich korrekt einer Person zugeordnet und daraus Lern- wie Persönlichkeitsprofile generiert werden. Seine Persönlichkeit ändert man ja nicht so schnell, daher sind solche Daten so wertvoll und junge Menschen eine so attraktive Zielgruppe mit einer noch langen Konsumbiographie.
Aber so steht das bestimmt nicht in den Verträgen?
Natürlich nicht. Über den Umfang möglicher Datensammlungen wird kaum gesprochen. Diese Funktionen dürfen in den Schulversionen zur Zeit auch nicht aktiviert sein. Aber die weltweit teuersten Unternehmen sind IT-Firmen der Plattform- und Datenökonomie. Was ist die Grundlage ihres Geschäfts? Unsere Daten, die, anders als natürliche Rohstoffe, auch nicht weniger werden, sondern mit jedem Smart Device mehr. Wenn daher die vollständige Verdatung zur Automatisierung und Standardisierung aller Abläufe in Schulen das Ziel ist, ist der Einsatz der Komplettprogramme von Apple, Google oder Microsoft das richtige Werkzeug, dann mit den ganzen Analysefunktionen. Es werden damit zunehmend vollständig datenbasierte Lernfabriken mit prozessoptimierten Abläufen, validierten Ergebnissen und Lernleistungsprofilen für jede und jeden aufgebaut. Die Idee dahinter ist, dass man abprüfbares Wissen durch automatisiertes Beschulen und Testen produzieren kann wie eine Ware. Faktisch geht es nicht um Menschen und Lernprozesse, sondern um Produkte und Märkte.
Wir erleben gerade, wie die Corona-Pandemie diese Prozesse ungeheuer beschleunigt. Während etwa der Digitalpakt Schule davor nur schleppend in die Gänge gekommen war, soll jetzt mit noch mehr Geld und Knowhow alles viel schneller gehen. Wobei uns das Ganze auch noch als bildungspolitisch und sozial gebotene Unerlässlichkeit verkauft wird. Schließlich wäre ohne digitale Fernbeschulung mit dem ersten Lockdown praktisch ein halbes Schuljahr weggefallen.
Aktuell ist das Ziel, den durch Covid-19 erzwungenen Einsatz von Digitaltechnik zu verstetigen und Fernunterricht als Normalfall zu deklarieren. Wir gehen keinen Schritt zurück, heißt es, oder wir müssen das durch Covid-19 Erreichte verstetigen. Angesprochen wird dabei immer nur der Aufbau der technischen Infrastruktur, die Versorgung mit Endgeräten oder das Beschulen per Netz und Videos. Was mit den Menschen vor dem Bildschirm passiert, zählt nicht. Wir sind das zu optimierende Produkt.
Können Sie noch andere Beispiele nennen, die aufzeigen, wie aktuell im Windschatten der Pandemie eine Umgestaltung von Schule stattfindet?
Ich nenne nur mal zwei charakteristische Beispiele. Die FDP in Thüringen will vom Landtag beschließen lassen, dass Fernunterricht zum regulären Bestandteil von Schule und Unterricht werden soll, also auch außerhalb von Notzeiten. Obwohl wir wissen, wie wichtig Präsenzunterricht ist, besonders für sozial Benachteiligte. So aber öffnet man die Schultore für private, kommerzielle Anbieter. Das gleiche Spiel findet in Bremen statt. Der Senat hat 20.000 Lizenzen für ein privates Nachhilfeunternehmen finanziert. Es fehlen Lehrkräfte? Also schauen die Schülerinnen und Schüler schon in der Schule privat produzierte Lernvideos. Der Wettlauf ist eröffnet.
„Wir wollen, dass die eingesetzte Software der Schule dient, und nicht die Schule dem Anbieter bei der Erstellung von Profilen oder Produktangeboten“, findet Baden-Württembergs Landesdatenschutzbeauftragter Brink. Ist der Mann also doch nicht völlig frei von Zweifeln?
Wer weiß? Herr Brink verkennt sowohl das Grundprinzip der Telemetrie wie die Prinzipien der Datenökonomie. Das Sammeln von Nutzerdaten ist die Grundlage für die Produktoptimierung, wobei sowohl die IT-Systeme selbst wie die Software und die User Produkte sind. Dazu hieß es in einem internen Microsoft-Memo, das der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler publizierte. „In Zukunft werden wir Benutzer wie Computer behandeln: Beide sind programmierbar.“
Könnte Software und könnten digitale Tools den Schulen in Ihren Augen überhaupt dienen?
Auf alle Fälle. Wenn es wirklich um Lernprozesse ginge, könnte man ja mit Lernsoftware offline vor Ort arbeiten oder mit Tools, die ohne Rückkanal für Nutzerdaten funktionieren. Dazu müsste man aber im ersten Schritt klären, was denn genau gelernt werden soll am und mit und über Rechner und Netzwerke. Dafür könnte man dann Lehr- und Lernmaterial bereitstellen, ohne das Nutzerverhalten zu protokollieren. Alleine diese Entscheidung, keine Daten zu sammeln und auszuwerten, könnte die Diskussion über mögliche Anwendungen von IT in Schulen sofort deutlich voranbringen. Dann müsste man darüber diskutieren, wer welche Endgeräte braucht, auf welche Dienste jemand zugreifen kann und wie man den Unterricht und die Betreuung etwa bei Hausaufgaben organisiert. Warum nicht mit Lehramtsstudierenden, die derzeit selbst meist online arbeiten und Studentenjobs brauchen. Dazu würde man eine Infrastruktur aufbauen, die die Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schülern ermöglicht, ohne dass dabei Verbindungs- und Verhaltensdaten aufgezeichnet und ausgewertet würden. All das ist technisch umsetzbar, bloß funktionieren dann die Analysetools und damit die Geschäftsmodelle nicht. Um was geht es also?
Sie haben den Germanistikprofessor Fritz Breithaupt zitiert. Er hält die „dramatischen Veränderungen des Lernens“ durch IT-Technik für unvermeidbar und spricht von „Individualerziehung“ durch Softwaresysteme. Die Frage ist doch, ob es überhaupt noch ein Zurück geben kann, beziehungsweise ob und wie sich die Entwicklung noch aufhalten lässt.
In der Tat lässt sich derzeit ein Paradigmenwechsel beobachten. Zu Beginn der Digitalisierung war es das Ziel, möglichst vielen Kindern, auch aus sozial benachteiligten Haushalten, den Zugang zu digitalen Medien zu ermöglichen. Heute haben alle Kinder und Jugendlichen diesen Zugang, meist zu früh und oft unkontrolliert, mit zu langen Nutzungszeiten – nicht erst seit Corona. Es ist daher die wichtigste Aufgabe, den Zugang zu Bildschirmgeräten und Netzdiensten zu begrenzen, damit Kinder und Jugendliche sich normal entwickeln können.
Und es wird immer mehr, wie in den angelsächsischen Ländern, ein teures Privileg, nicht am Bildschirm beschult zu werden, sondern in eine Privatschule mit „echten“ Lehrerinnen und Lehrern gehen zu dürfen. Es wird ebenfalls zu einem Privileg, selbst darüber entscheiden zu können, welche Dienste man im Netz nutzt und welche Daten man von sich preisgibt. Im Übrigen hat auch Breithaupt, wie er 2016 in Köln einräumte, einen studentischen Nachhilfelehrer für seine Tochter engagiert, als sie Probleme mit Mathematik hatte. Denn das Personal Coaching sei immer noch die beste Methode, etwas zu lernen.
Sind das nicht Steilvorlagen für kritische Zeitgenossen?
Eigentlich schon und tatsächlich erleben wir schon so etwas wie eine Gegenbewegung, allerdings eine hochgradig elitäre. Bleibt es dabei, verstetigt und verschärft die digitale Transformation die soziale Spaltung noch mehr und etabliert technische Strukturen, die den Menschen zur Unterordnung zwingen. Vielleicht ist das Lernen von Gehorsam sogar das wichtigste Ziel dieser Zurichtung am Display. So erzieht man Untertanen.
Issac Asimov hat das schon 1954 in seinem Text „Die Schule“ beschrieben. Die Schulmaschine ist die autoritäre Instanz, so macht man Menschen zu Konsumäffchen, Sozialautisten und letztlich zu Psychopathen. Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat diese Prozesse bereits für die Globalisierung prognostiziert, für die die Digitalisierung nur die Infrastruktur liefert: „Ein Jahrhundert des Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert“, schrieb er 1997. „Menschen sind Objekte, nicht Subjekte von Prozessen, deren Subjekte möglicherweise überhaupt nicht als Personen identifiziert werden können.“
Bleibt die Frage nach den Möglichkeiten der Gegenwehr. Wie müsste die ganz praktisch aussehen und wer müssten die treibenden Akteure sein? Denn eines scheint klar: Gewerkschaften und Bildungsverbände halten nicht wirklich dagegen.
Gegenwehr beginnt ganz praktisch. Unterschreiben Sie als Lehrkraft oder Elternteil die Lizenz- und Nutzungsvereinbarungen für kommerzielle Software und MS 365 an Schulen nicht. Die Schulleitung oder der Träger müssen Alternativen anbieten, ohne jemanden auszugrenzen oder zu diskriminieren. Organisieren Sie sich, als Eltern oder Lehrkraft, arbeiten Sie am besten gleich zusammen wie in Baden-Württemberg. Hier kooperieren Informatiklehrerinnen und -lehrer mit Philologen, dem Landeselternbeirat und weiteren Organisationen und Verbänden. Und diese Kooperation bietet zusammen mit weiteren Partnern konkrete Alternativen für IT-Infrastruktur, LMS und Software an. Man kann Technik verantwortlich einsetzen, heißt das, ohne Datenprostitution. Solche Initiativen und Verbünde gibt es mittlerweile bundesweit. Denken wir IT gemeinsam neu und bauen Alternativen auf statt Abhängigkeiten.
Titelbild: Emilija Miljkovic/shutterstock.com
Ralf Lankau, Jahrgang 1961, ist Professor für Digitaldesign, Mediengestaltung und Medientheorie an der Hochschule Offenburg. Er leitet dort die grafik.werkstatt an der Fakultät Medien, forscht zu Experimenteller Medienproduktion in Kunst, Lehre und Wissenschaft und publiziert zu Design, Kommunikationswissenschaft und (Medien-)Pädagogik. Lankau betreibt das Projekt „futur iii – Digitaltechnik zwischen Freiheitsversprechen und Totalüberwachung“ (futur-iii.de) und ist Mitinitiator des „Bündnisses für humane Bildung – aufwach(s)en mit digitalen Medien“ (aufwach-s-en.de). Von Lankau erschien 2017 im Beltz-Verlag: „Kein Mensch lernt digital: Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht“ und im April 2019 gemeinsam mit Paula Bleckmann: „Digitale Medien und Unterricht: Eine Kontroverse“.