Vor kurzem wurde in der zur Verlagsgruppe “The Lancet“ gehörenden Fachzeitschrift “EClinicalMedicine” ein sehr interessanter Artikel veröffentlicht, in dem versucht wird, zu ergründen, welche Faktoren und Maßnahmen im Ländervergleich in Bezug auf die Todesfälle mit Covid-19 in Zusammenhang stehen könnten. Die Studie war eine Beobachtungsstudie, sodass sie nur eine Korrelation, nicht aber eine Kausalität aufzeigen kann. Aber sie kann immer noch sehr starke Hinweise darauf liefern, welche Maßnahmen dabei helfen, Menschen vor Covid-19 zu schützen, und welche Faktoren das Risiko, geschädigt zu werden, erhöhen. Von Sebastian Rushworth, aus dem Englischen von Henning Rosenbusch.
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Das Bemerkenswerteste an der Studie war aus meiner Sicht, dass sie zu ergründen versucht, welche Auswirkungen Lockdowns, Grenzschließungen und Massentests auf die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 haben. Auch wenn Korrelation nicht automatisch eine Kausalität impliziert, so deutet ein Mangel an Korrelation doch immer stark auf einen Mangel an Kausalität hin oder zumindest darauf, dass eine kausale Beziehung, falls es sie gibt, extrem schwach ist. Und wenn man bedenkt, wie viel Geld, Mühe und Ressourcen in diesem Jahr für die Lockdowns aufgewendet worden sind und werden, wäre es doch ziemlich enttäuschend, wenn die Lockdowns einen so minimalen Effekt hätten, dass es überhaupt keine spürbaren Auswirkungen auf die Sterblichkeit gäbe. Oder?
Aber ich will nichts vorwegnehmen: Die Studie beschränkt sich darauf, die 50 Länder mit den meisten registrierten Fällen von Covid-19 zum Stichtag 1. April 2020 zu untersuchen. Wahrscheinlich wurden sie aufgrund von Ressourcenknappheit ausgewählt, anstatt alle 195 Länder zu betrachten. Die Daten, die aus öffentlich zugänglichen Zahlen gewonnen wurden, datieren dann bis zum 1. Mai 2020. Informationen über Covid-19, Einkommensniveau, Bruttoinlandsprodukt, Einkommensdisparität, Langlebigkeit, BMI (Body Mass Index), Rauchen, Bevölkerungsdichte und eine Reihe anderer Faktoren, die nach Ansicht der Forscher interessant sein könnten, flossen in die Datenerhebung ein. Die Autoren erhielten keine Drittmittel und berichteten über keine Interessenkonflikte.
Es gibt hier trotzdem ein paar Dinge, die man beim Betrachten der Ergebnisse beachten sollte: Zunächst einmal handelt es sich, wie erwähnt, bei allen Daten in dieser Studie um Beobachtungsdaten, sodass keine Rückschlüsse auf Ursache und Wirkung gezogen werden können.
Zweitens war der Mai noch in der Frühphase der Pandemie, und jetzt haben wir November, sodass uns die Daten von einem halben Jahr fehlen. Andererseits hatte die Ausbreitung in weiten Teilen der Welt bereits am 1. Mai ihren Höhepunkt erreicht und in den meisten Ländern waren zu diesem Zeitpunkt bereits seit Wochen und Monaten Lockdowns in Kraft, sodass es möglich sein sollte, sich eine ziemlich gute Vorstellung davon zu machen, welche Auswirkungen sie in Bezug auf die Verringerung der Zahl der Todesfälle durch Covid-19 haben.
Drittens baut die Analyse auf öffentlich zugänglichen Daten auf, die oft von verschiedenen Regierungen selbst zur Verfügung gestellt werden, wobei die Vertrauenswürdigkeit der Daten sehr unterschiedlich ist und sie daher auf unterschiedliche Weise klassifiziert werden. Beispielsweise gelten Daten aus Schweden als ungleich zuverlässiger als Daten aus China. Und während einige Länder bei der Entscheidung, ob jemand an Covid-19 gestorben ist oder nicht, recht umfassende Kriterien angewandt haben, sind andere Länder dabei sehr viel strikter vorgegangen. Die Länder mit strengeren Definitionen werden tendenziell niedrigere Sterberaten mit Covid-19 haben als die Länder mit großzügigeren Definitionen. Dieser Mangel an Homogenität der Daten kann es schwieriger machen, reale Muster zu erkennen.
Viertens haben die Forscher, die diese Studie erstellt haben, eine enorme Menge an Daten zusammengetragen, so ziemlich alles, was ihnen gerade einfiel und was in irgendeiner Weise mit den Covid-19-Statistiken in Zusammenhang stehen könnte. Das bedeutet, dass diese Studie auf eine “Datenschleppnetzfischerei” hinausläuft, d.h. sie durchläuft jede nur denkbare Beziehung, ohne Hypothesen aufzustellen, um herauszufinden, welche Beziehungen am Ende statistisch signifikant sind. Wenn man dies also tut, sollte man für die statistisch signifikanten Ergebnisse strengere Grenzen setzen, als man es normalerweise tun würde. Die Autoren haben dies nicht getan. Wir werden dieses Problem später in diesem Artikel kurz diskutieren.
Bevor wir auf die Ergebnisse zu sprechen kommen, möchte ich noch eine Sache erwähnen: Die Resultate werden als relative Risiken (nicht als absolute Risiken) dargestellt, was die Ergebnisse tendenziell eindrücklicher erscheinen lässt, als sie tatsächlich sind, und das statistische Signifikanzniveau wird in Form von Konfidenzintervallen und nicht in Form von p-Werten dargestellt (kein Problem an sich, nur eine andere Art der Darstellung von Daten). Falls Sie dies bisher noch nicht getan haben, empfehle ich Ihnen an dieser Stelle dringend meinen Leitfaden zur wissenschaftlichen Methodik, bevor Sie weiterlesen, um sicherzustellen, dass Sie aus dem Inhalt den größtmöglichen Nutzen ziehen. Wie auch immer, sehen wir uns die Ergebnisse an:
Die Faktoren, die am stärksten mit der Anzahl der Menschen korrelierten, die in einem Land an oder mit Covid-19 starben, waren die Fettleibigkeitsrate, das Durchschnittsalter und das Ausmaß der Einkommensunterschiede. Jeder Prozentpunkt Anstieg der Adipositasrate führte zu einem Wachstum der Covid-19-Todesfälle um zwölf Prozent. Jedes zusätzliche Jahr im Durchschnittsalter der Bevölkerungen führte zu einem Anstieg der Todesfälle bei Covid-19 um 10%. Am entgegengesetzten Ende des Spektrums führte jeder Prozentpunkt in Richtung einer größeren Gleichheit des Gini-Koeffizienten (eine Skala, die verwendet wird, um festzustellen, wie gleichmäßig das Einkommen in der Bevölkerung verteilt ist) zu einem Rückgang der Todesfälle bei Covid-19 um 12%. All diese Ergebnisse waren statistisch signifikant.
Ok, kommen wir zur aus meiner Sicht wichtigsten Erkenntnis, etwas, das die Autoren anscheinend zu verbergen versuchten, weil sie es kaum erwähnen: Nämlich Lockdowns und Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19. Die Autoren fanden keinerlei Korrelation zwischen der Schwere und Dauer der Lockdowns und der Zahl der Covid-19-Todesfälle. Und sie fanden auch keine Korrelation zwischen Grenzschließungen und Covid-19-Todesfällen. Weiterhin gab es auch keinen Zusammenhang zwischen durchgeführten Massentests und dem Tod mit oder an Covid-19.
Im Grunde scheint nichts von dem, was verschiedene Regierungen unternommen haben, um Covid-19-Tote zu vermeiden, irgendeinen Einfluss auf die Zahl der Todesfälle gehabt zu haben.
Wir werden auf diese unglaubliche Tatsache gleich noch einmal zurückkommen. Wie ich zuvor in meinem Artikel über die wissenschaftliche Methodik erörtert habe, müssen Sie die Grenze für die statistische Signifikanz umso strikter ansetzen, je mehr Beziehungen Sie betrachten. Da Sie sonst nur zufällig viele Beziehungen erhalten, die signifikant erscheinen, es aber am Ende nicht sind. Sie hatten einige Ergebnisse, von denen sie behaupteten, sie wären statistisch signifikant, die ich hier aber nicht erwähnen will, weil sie nach einer statistischen Korrektur aus meiner Sicht sicher nicht mehr signifikant sind.
Zum Beispiel behaupten die Autoren, es gäbe einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Bruttoinlandsprodukt und den Todesfällen durch oder mit Covid-19 oder eine signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der Krankenschwestern pro Million Einwohner und den Todesfällen mit Covid-19. Aber wenn man, wie die Autoren es taten, eine so große Anzahl von Variablen berücksichtigt, dann sind diese Ergebnisse aus meiner Sicht auf keinen Fall statistisch signifikant gewesen: Sorry, liebe Krankenschwestern.
Also, was können wir aus all dem schließen?
Zunächst einmal können Lockdowns die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 offensichtlich nicht reduzieren. Wow!
Wie ich bereits erwähnt habe, handelt es sich bei den Daten um Beobachtungsdaten, sodass wir nichts direkt über die Kausalitäten sagen können. Was wir jedoch daraus schließen können, ist, dass Lockdowns nicht zu funktionieren scheinen, denn wenn sie überhaupt einen Effekt haben, ist er zu schwach, um auf die Todesrate mit Covid-19 innerhalb der Bevölkerungen einen Einfluss zu haben.
Die andere wichtige Erkenntnis aus dieser Studie ist aus meiner Sicht der enge Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit (Adipositas) und dem Risiko, an Covid-19 zu sterben. Wir können nicht sagen, dass Adipositas an sich das Sterberisiko erhöht, aber Menschen, die adipös sind, haben so viele verschiedene biologische Systeme, die gleichzeitig gestört sind, dass es unmöglich ist, zu sagen, ob Adipositas die Ursache für ein erhöhtes Sterberisiko ist oder nur ein Marker für einen schlechten Gesundheitszustand im Allgemeinen.
Unabhängig davon ist Adipositas der stärkste Risikofaktor in Zusammenhang mit Covid-19. Und selbst wenn es nicht die Adipositas selbst ist, die Menschen tötet, so wissen wir doch, dass mit Adipositas auch viele Störungen im Stoffwechsel und in der Immunfunktion einhergehen. Man kann also berechtigterweise davon ausgehen, dass Bemühungen, die Fettleibigkeitsrate in der Bevölkerung zu senken, die Zahl der Menschen, die an oder mit Covid-19 sterben, verringern würden. Genau hier sollten wir als Gesellschaft jetzt unsere Bemühungen ansetzen: Menschen insgesamt gesünder zu machen, damit ihr Körper und ihr Immunsystem in der Lage ist und bleibt, Covid-19 (und Krebs, Herzkrankheiten, Demenz und all die anderen Krankheiten, die Menschen mit suboptimalem Gesundheitszustand töten) zu bekämpfen.
Titelbild: Felix Busse/shutterstock.com, © Henning Rosenbusch