Moskau hofft, noch in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump eine Verlängerung des New-Start-Raketenkontrollvertrages mit den USA zu vereinbaren. Der letzte noch gültige Rüstungskontroll-Vertrag, der die Zahl der strategischen Atomraketen im Besitz der USA und Russlands begrenzt, läuft am 5. Februar 2021 aus. Joe Biden hat sich zwar im Wahlkampf für eine Verlängerung des bestehenden Vertrages ausgesprochen, aber wann die Verhandlungen darüber beginnen, ist unklar. Von Ulrich Heyden, Moskau.
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Russland und China haben Joe Biden, dem Wahlsieger in den Vereinigten Staaten, bisher nicht gratuliert. Eine Gratulation für den Wahlsieger sei nicht möglich, weil Amtsinhaber Donald Trump „seine Niederlage nicht anerkennt und versucht, das Wahlergebnis in einer Reihe von Staaten auf gerichtlichem Weg anzufechten“, schreibt die Moskauer Tageszeitung Kommersant. Trump und seine Mannschaft täten zudem so, „als ob alles nach Plan läuft“. So habe Außenminister Mike Pompeo am Dienstag von „einem glatten Übergang in eine zweite Amtszeit“ gesprochen.
Moskau hofft auf eine Vereinbarung noch unter Trump
In Moskau hofft man, dass es in der Amtszeit von Trump noch gelingt, den New-Start-Vertrag zu verlängern, der am 5. Februar 2021 ausläuft. Es ist der letzte noch gültige Vertrag über Rüstungsbegrenzung zwischen Russland und den USA. In den letzten sechs Monaten hatten russische und US-amerikanische Unterhändler über eine Verlängerung des New-Start-Vertrages beraten, doch ohne Ergebnis.
Der New-Start-Vertrag trat am 5. Februar 2011 in Kraft. Nach dem Vertrag beschränkt jede Seite ihre Atomwaffenarsenale auf nicht mehr als 700 Interkontinentalraketen und ballistische Raketen auf U-Booten und an Bombern. Außerdem soll es nicht mehr als 1.550 Atomsprengköpfe und 800 Abschussvorrichtungen geben.
In den vergangenen sechs Monaten hatten Vertreter der USA und Russlands über eine Verlängerung des New-Start-Vertrages verhandelt. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am 16. Oktober vorgeschlagen, den New-Start-Vertrag für ein Jahr ohne Vorbedingungen zu verlängern. Doch darauf ging die US-Administration nicht ein.
Das russische Außenministerium hatte während der Verhandlungen zwei Zugeständnisse gemacht. Man war bereit, wie von den USA gefordert, den New-Start-Vertrag auf fünf Jahre zu verlängern und man war bereit, gemeinsam mit den USA die Verpflichtung zu übernehmen, die Zahl der Atomsprengköpfe innerhalb dieses Zeitraums einzufrieren. Doch die Forderung der USA, US-amerikanische Inspektoren müssten die Zahl der Nuklearwaffen in Russland kontrollieren können, wies Moskau zurück.
In Moskau hoffe man nun – so der Kommersant – dass Trump die Forderung nach der Inspektion der russischen Nuklearwaffen fallenlasse, weil er „seine Wahlniederlage anerkennt“ und weil er will, dass „die Lorbeeren des Retters der Rüstungskontrolle nicht an seinen Rivalen gehen“.
Joe Biden hat sich für eine Verlängerung des New-Start-Vertrages ausgesprochen
Es bleiben noch zwei Wochen, um die Formalitäten für eine Verlängerung des New-Start-Vertrages in die Wege zu leiten, schreibt der „Kommersant“. Und was passiert, wenn es vor dem Amtsantritt von Biden am 20. Januar nicht zu einer Vereinbarung über eine Verlängerung von New Start kommt?
Biden hat im Wahlkampf erklärt, er sei für eine Verlängerung des New-Start-Vertrages um fünf Jahre. Der Biden-Berater Antony Blinken erklärte, in den fünf Jahren könne man dann einen umfassenden Vertrag über strategische Raketen beraten, in den auch andere Staaten mit Atomwaffen einbezogen werden.
Doch Kontakte zwischen Moskau und der Mannschaft von Joe Biden gibt es bisher nicht, wie der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow erklärte. Man habe sich für diese Linie entschieden, da es mit dem früheren Sicherheitsberater von Trump, Michael Flynn, 2016 Probleme gab. Flynn habe seinen Posten verloren, weil er versucht habe, den Inhalt von Gesprächen mit dem russischen Botschafter in den USA geheimzuhalten. Diese Gespräche habe Flynn einen Monat vor dem Amtsantritt von Trump geführt.
Für Moskau ist Trump das „kleinere Übel“
Wladimir Putin hatte am 7. Oktober in einem Fernsehinterview erklärt, Russland sei bereit, mit beiden Präsidentschaftskandidaten der USA zusammenzuarbeiten. Putin hatte erklärt, Trump habe das Verhältnis zu Russland nicht so gestalten können, wie er wollte, weil er sich dem Konsens mit den Demokraten beugen musste, „nach dem man Russland eindämmen muss“.
Für Joe Biden fand Putin überraschende Worte der Anerkennung:
„Die Demokratische Partei ist traditionell den sogenannten liberalen Werten näher, sie ist näher den Ideen der Sozialdemokratie, wenn man es mit Europa vergleicht. Aus dem sozialdemokratischen Umfeld heraus entwickelte sich einst die Kommunistische Partei. Immerhin war ich fast 20 Jahre, genauer gesagt 18 Jahre, Mitglied der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Ich war ein einfaches Mitglied, aber man kann sagen, dass ich an die Ideen der Partei geglaubt habe. Viele dieser linken Werte gefallen mir bis heute. Gleichheit und Brüderlichkeit. Was ist daran schlecht? Das ähnelt den christlichen Werten.“
Doch was denkt man im russischen Staatsapparat über Joe Biden wirklich? Der Kommersant schrieb, in nichtoffiziellen Gesprächen mit Vertretern staatlicher Strukturen werde die Besorgnis über Joe Biden „nicht verschwiegen“. Die Zeitung zitiert einen anonymen Gesprächspartner. Dieser habe erklärt, die neue US-Administration werde „die Konfrontation zwischen beiden Ländern vertiefen“. Die Auseinandersetzung werde von Joe Biden „mehr ideologisch und mit Werten“ geführt werden.
Ähnlich äußerte sich der Leiter des außenpolitischen Komitees des russischen Föderationsrates, Konstantin Kosatschow. Er erklärte am Sonnabend via Facebook, auf den Sieg der Demokraten in den USA werde „eine Revanche aller nichtkonservativen Kräfte in der Welt folgen“. Das heiße, „mehr Russophobie in Europa, mehr Tote im Donbass und in vielen anderen Brennpunkten der Welt, mehr Sanktionen mit politischen Motiven.“ Aber auch Joe Biden müsse sich an eine „neue Welt“ gewöhnen. Das sei eine multipolare Welt, in der man „den Anspruch auf weltweite Führerschaft moralisch und nicht autoritär und mit Sanktionen“ zeigen müsse. Man müsse zeigen, „dass man im allgemeinen Interesse handelt, zum Beispiel beim Kampf gegen das Corona-Virus.“
Titelbild: rawf8 / Shutterstock