Die dringend nötige Agrarreform in der Europäischen Union, die die Landwirtschaft ökologisieren sollte, die ihr im Klimawandel helfen sollte oder sie sogar zu einem Helfer gegen den Klimawandel machen sollte – sie ist gescheitert. Durchgefallen im Europäischen Rat und im Europaparlament. Das ist die schlechte Nachricht. Und jetzt die gute: Die EU-Kommission will das nicht akzeptieren. Von Florian Schwinn.
Frans Timmermans, der in der Kommission für den Green Deal zuständig ist, will den Einsatz von Pestiziden halbieren und den von Dünger um 20 Prozent kürzen, außerdem zehn Prozent Flächenstilllegungen. Am 10. November startete in Brüssel der sogenannte Trilog zur Gemeinsamen Agrarpolitik GAP, die Verhandlung von Rat, Parlament und Kommission. Das ist die einstweilen letzte Chance für eine Agrarreform, die diesen Namen verdient.
Aber halt, hatte nicht die deutsche Landwirtschaftsministerin von einem „Systemwechsel“ gesprochen, von einer großen Reform, die sie im Rat durchgesetzt habe? Ja, das hatte sie. Und wollte uns damit offensichtlich das Weiter-so, das sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Ministerrat ausgehandelt hatte, als Agrarreform verkaufen. Man darf spekulieren, ob das schlicht eine dreiste Lüge war oder Julia Klöckner einen amtsbedingten Knick in der Optik hat. Danach versenkte auch das Europaparlament mit einer ganz großen Koalition aus Konservativen, Sozialisten und Liberalen die zuvor zwei Jahre lang diskutierte Reform. Im Prinzip soll bei den europäischen Agrarsubventionen alles so bleiben, wie es ist. Wenn es nach dem Rat geht, werden 80 Prozent der Subventionen weiterhin an die landwirtschaftliche Nutzfläche gebunden. Viel Land – viel Geld. Wenn es nach dem Parlament geht, sind es 70 Prozent. Immerhin will das EU-Parlament eine Deckelung bei 100.000 Euro pro Betrieb und Jahr. Der Rest, also 20 oder 30 Prozent der Agrarmillionen, soll für sogenannte Eco Schemes ausgegeben werden. Nur was diese Öko-Regelungen sein sollen, außer einem neuen grünen Mäntelchen, ist noch unklar. Das sollen die Mitgliedsstaaten regeln. Auch das gefällt übrigens Kommissar Frans Timmermans nicht. Wenn es nach ihm geht, setzt die Kommission die Regeln und kontrolliert sie auch.
Was scheren mich Agrarsubventionen?
Ja, was haben wir anderen, wir Verbraucher, mit diesem ganzen Streit zu tun? Sehr viel, denn es geht dabei nicht nur um unser Geld, es geht sogar um unser Leben. Was die Landwirtschaft macht, entscheidet nicht nur über die Qualität unserer Lebensmittel, nicht nur darüber, ob wir Pestizide mitessen und einatmen, ob wir unseren Kindern schon mit der Muttermilch einen Giftcocktail servieren, sondern auch über unsere Zukunft.
Das liegt schlicht daran, dass die Landwirtschaft mit der für unser Überleben wichtigsten Ressource umgeht: mit dem Boden. Dieser Boden unter den Rädern der Traktoren ist das artenreichste Biotop der Erde. Millionen von Regenwürmern und Milliarden von viel kleineren Lebewesen sorgen dafür, dass er fruchtbar ist. Alles was auf der festen Erde lebt, ist von diesem Bodenleben abhängig, jede Pflanze, jedes Tier. Vor allem aber das Säugetier Mensch. Erst die Landwirtschaft hat es uns möglich gemacht, die ganze Erde zu besiedeln, als Bauern haben wir die Erde zu unserem Garten gemacht. Aber wir sind längst keine guten Gärtner mehr.
Landwirtschaft zerstört ihre Grundlage
Die in den letzten Jahrzehnten immer mehr industrialisierte Landwirtschaft hat lange schon damit begonnen, unsere wichtigste Ressource zu verbrauchen. Nicht nur durch Versiegelung, Siedlungs- und Straßenbau verlieren wir Boden, auch durch Erosion. Das Bundesland Niedersachsen, das die Erosion in Deutschland am längsten beobachtet und dokumentiert, geht von einem durchschnittlichen Verlust von bis zu 3,2 Tonnen Ackerkrume pro Hektar und Jahr aus. Mit davonfliegt im Wind oder wird davongespült vom Wasser der Humus, den das Bodenleben aufgebaut hat.
Humus ist aber nicht nur der Hort der Fruchtbarkeit des Bodens, Humus ist auch ein gewaltiger Kohlenstoffspeicher. Deshalb haben die Franzosen beim Klimagipfel in Paris die sogenannte Vier-Promille-Initiative gestartet, die übrigens auch Deutschland unterschrieben hat: Wenn wir pro Jahr nur vier Promille Humus mehr aufbauen würden auf allen landwirtschaftlichen Böden weltweit, wäre der gesamte menschengemachte CO2-Ausstoß des Jahres im Boden versenkt. Das könnten wir ein paar Jahre machen, bis der Humusgehalt der jeweiligen Böden gesättigt wäre. Und es gibt auch Landwirte, die das tun, und Projekte, die den Humusaufbau fördern. Aber das sind einzelne.
Die Europäische Union hat jetzt die Chance, die Agrarsubventionen so umzubauen, dass die Landwirte das andere Wirtschaften, was zum Humusaufbau nötig wäre, auch bezahlt bekommen. Wir würden dann keine bloßliegenden Äcker mehr sehen, wie jetzt im Herbst und Winter überall. Und ganz nebenbei würde die Biodiversität zunehmen, deren Rettung sich die EU ja auch auf die blaue Fahne geschrieben hat. Es kommt nur darauf an, dass die Kommission ihre Forderungen durchsetzt und den Green Deal nicht am Eingang der GAP-Verhandlungen zurücklässt.
Und wer jetzt glaubt, das sei aber nur eine sehr vage Hoffnung, dem sei zum Schluss noch eine gute Nachricht genannt: Die Trilogverhandlungen werden sich bis ins Frühjahr hinziehen, die deutsche Ratspräsidentschaft endet aber bereits am 31. Dezember.
Titelbild: Todor Stoyanov/shutterstock.com
Florian Schwinn ist Journalist im Bereich Politik und Wissenschaft, vor allem zu Umweltthemen. 2017 erhielt er den Deutschen Umwelt-Medienpreis. Sein aktuelles Buch heißt „Rettet den Boden! Warum wir um das Leben unter unseren Füßen kämpfen müssen“ und ist im Westend Verlag erschienen.