Etwa 60 Prozent der syrischen Landwirtschaft seien bereits ganz oder teilweise zerstört, sagen Beobachter. Zu den Kriegsschäden kommen noch verheerende Brände. Sanktionen von EU und USA verschärfen zusätzlich eine Nahrungskrise in Syrien: Dem Krieg gegen Syrien folgt der Wirtschaftskrieg. Eine Reportage von Karin Leukefeld.
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Mehr als 150 Feuer flammten Anfang Oktober in den syrischen Küstenprovinzen Latakia und Tartus auf. Innerhalb von vier Tagen waren 179 Dörfer und forstwirtschaftliche Betriebe ganz oder teilweise beschädigt. 40.000 Familien waren betroffen, drei Menschen starben, 80 Menschen wurden mit teilweise schweren Verbrennungen ärztlich behandelt. Häuser und Eigentum waren ganz oder teilweise zerstört. Tiere, Ernten, Felder, Wälder und Naturreservate waren verbrannt.
Betroffen waren die Wälder um Al Haffa und Slunfe, auch das Tal der Christen, Wadi Nasara und die Stadt Majd al Hilou wurden nicht verschont. 40.000 Zitronenbäume, 3,37 Millionen Olivenbäume und 259.000 weitere Bäume seien ganz oder teilweise verbrannt, heißt es in einem Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (ICRC). Zerstört wurden demnach auch zwei Tonnen Tabak, 4000 Bienenkörbe und 30.000 Meter Tropf-Bewässerungsanlagen.
Brandstiftung oder Klimawandel?
Die internationalen Beobachter des ICRC führen die jährlichen Brände im Mittelmeerraum auf den Klimawandel zurück. In einem Bericht werden für die mittlerweile jährlich auftretenden Feuer die „hohen Temperaturen, die warmen Ostwinde, trockene Kräuter und Büsche“ als Ursache genannt. Lokale Möglichkeiten, die Feuer einzudämmen und zu löschen, seien völlig überfordert, so der Bericht weiter. Das ICRC stellte zur Unterstützung der betroffenen Bevölkerung in Latakia, Tartus und der ebenfalls betroffenen Provinz Homs Hilfe im Umfang von 510.000 Schweizer Franken (CHF), umgerechnet etwa 480.000 Euro, zur Verfügung. Auch die syrische Regierung, die durch einseitige wirtschaftliche EU- und US-Sanktionen und die Folgen des zehnjährigen Krieges am Limit ihrer Möglichkeiten ist, kündigte für die Betroffenen finanzielle Hilfen an.
Verbranntes Land im Al Ghab
Die Feuer in der Küstenregion waren nicht die ersten Feuer, die Syrien in diesem Jahr heimsuchten. Im September brannte es in Hama und im fruchtbaren Al Ghab Tal. Im Sommer hatten Feuer im Nordosten des Landes Weizenfelder vernichtet. Die Weizenfelder wurden von den Gegnern Syriens gezielt in Brand geschossen, auch in den Wäldern der Provinz Hama gab es Brandstiftung.
Kilometerweit ziehen sich oberhalb der Ebene Al Ghab schwarze Flecken, die von den großen Feuern übriggeblieben sind. Hier und in den Wäldern von Masyaf wüteten die Feuer sieben Tage lang, berichtete Abdul Mouanim Sabbagh der Autorin Mitte September in Hama. Sabbagh leitet die Niederlassung des Landwirtschaftsministeriums in Hama, das sowohl für Hama als auch für die sich östlich anschließende Provinz Rakka zuständig ist. Sabbagh und Abdul Munaim Steif, der Leiter der Forstbehörde in Hama, seien mit ihren Mitarbeitern Tag und Nacht vor Ort gewesen, um die Feuer bei Masyaf zu bekämpfen, sagt Sabbagh: „In so einer Situation müssen wir ganze vorne mit den anderen sein, um unsere Wälder und unsere Landwirtschaft zu retten.“ Hilfe kam von der Lokalbevölkerung, dem syrischen Zivilschutz und der Armee, berichtete Sabbagh, der ebenso wie der Forstbeamte Steif auf die Fragen der Autorin präzise und überlegt antwortete:
„Die Armee hat mit Hubschraubern Wasser aus nahe gelegenen Seen und Dämmen geschöpft und über den Brandherden verteilt. Auch der Iran hat mit Löschflugzeugen geholfen.“
Mitarbeiter der Landwirtschaftsbehörde Hama
Nach Hinweisen aus der Bevölkerung seien einige Personen festgenommen worden, Staatsanwaltschaft und Polizei untersuchten den Fall. „Doch der Schaden ist geschehen“, sagt Abdul Munaim Steif. Er schätzt den Verlust auf 50 Prozent des Waldbestandes. „Während des Krieges haben wir schon so viel Baumbestand verloren“, sagte der promovierte Forstingenieur. Durch Kämpfe und Bomben und außerdem hätten „alle Seiten“ die Bäume gefällt. „Die einen brauchten Holz zum Heizen, die anderen brauchten das Holz, um es weiterzuverkaufen.“ Beim Schutz der Forst- und Landwirtschaft kamen während des Krieges zehn Mitarbeiter ums Leben. Zu ihrer Erinnerung hat man Fotos von ihnen, darunter auch eine Frau, im Flur der Behörde aufgehängt.
Auch die Brände in der Küstenregion Anfang Oktober könnten gezielt ausgelöst worden sein, vermuteten syrische Gesprächspartner. Es sei kein Zufall, wenn so viele Feuer gleichzeitig in verschiedenen Regionen ausbrächen. Ein Videoclip wurde verbreitet, der die gezielte Brandstiftung zu belegen scheint. Uniformierte Männer sind zu sehen, die an verschiedenen Stellen Feuer legen. Untermalt wird die kurze Aufnahme von einem hasserfüllten Kampflied, das den Kampf bis zum Sieg betont. In einem Text zu dem Clip heißt es, man werde den Kampf gegen das Regime nun anders fortsetzen, als mit militärischen Mitteln. Verifizieren lässt sich der Ursprung des Videoclips nicht.
Dem Krieg gegen Syrien folgt der Wirtschaftskrieg
Die Küstenregion Syriens, das Küstengebirge, Al Ghab, Hama sowie die Provinzen Aleppo und Hasakeh im Norden und Nordosten bilden ein grünes Band und gelten mit den Golanhöhen und dem Jarmuk-Tal im südlichen Deraa als die wasser- und pflanzenreichsten Gebiete Syriens. Historisch ist dieses Gebiet als „Fruchtbarer Halbmond“ bekannt, der sich im Osten entlang von Euphrat und Tigris bis zum Persischen Golf erstreckt. Im Westen zog sich dieses fruchtbare Gebiet entlang des Jordans und des östlichen Mittelmeers bis zum Nildelta und – in der Verlängerung – auch entlang des Nils.
Syrien wird von West nach Ost in fünf Niederschlagszonen unterteilt, erläutert Agraringenieur Haitham Haidar, Direktor der Abteilung für Planung und internationale Zusammenarbeit, bei einem Gespräch mit der Autorin im Landwirtschaftsministerium in Damaskus (im September). Das wasserreichste Gebiet liege im Westen, den geringsten Niederschlag gebe es im Osten. Die östlichen Wüstengebiete umfassen demnach rund 55 Prozent Syriens, Landwirtschaft ist hier nicht möglich.
Agraringenieur Haitham Haidar vor der Landkarte Syriens
Der Regen in den Jahren 2019/20 sei gut gewesen, so Haidar, die Wasserreservoirs gut gefüllt. Doch durch den Krieg sei die Ackerfläche Syriens und damit auch die Anbau- und Erntemöglichkeiten deutlich zurückgegangen. Etwa 60 Prozent der syrischen Landwirtschaft, Anbaugebiete, Forschungs- und Versorgungseinrichtungen, Baumschulen, Saatgut- und Düngemittelzentren seien ganz oder teilweise zerstört. Bewässerungsanlagen und Brunnen seien gezielt zerstört worden, die FAO (UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung) schätze den Schaden, der zwischen 2011 und 2016 entstanden sei, auf 16 Millionen US-Dollar.
Bauern und gut ausgebildete Facharbeiter hätten das Land verlassen. Andererseits könnten viele Bauern ihre Felder nicht erreichen, um sie zu bearbeiten, weil sie von bewaffneten Kräften besetzt seien. Den Bauern fehle es an Geld, um Zerstörungen zu ersetzen und Neuanpflanzungen vorzunehmen. Alles werde durch die einseitigen Sanktionen zusätzlich verschärft, so der Agraringenieur Haidar. „Wir können keine neuen Maschinen, kein Saatgut, Düngemittel oder Pestizide importieren.“ Es mangele an Impfstoffen für das Vieh, Transportkosten seien gestiegen, weil Syrien keinen Zugriff auf die eigenen Öl- und Gasressourcen im Nordosten des Landes habe. Die einseitigen Sanktionen hinderten zudem Syrien daran, Öl beispielsweise aus den Nachbarländern Iran oder Irak zu importieren.
„Vor dem Krieg exportierte Syrien seine landwirtschaftlichen Produkte weltweit. Hauptabnehmer waren Libanon, Irak, Jordanien, Russland, afrikanische Länder und auch die Golfstaaten. Sie importierten Obst und Gemüse.“
Auch die syrischen Awassi-Schafe seien früher in die Golfstaaten exportiert worden, so Haidar weiter: „Es ist eine besondere syrische Zucht, deren Fleisch sehr beliebt ist. Im Krieg wurden die Schafe gestohlen und über die Grenzen außer Landes geschafft. Vor dem Krieg hatten wir 16 Millionen dieser Schafe, in diesem Jahr haben wir 7 Millionen gezählt.“
Die beschriebenen Verluste und Zerstörungen führten mit den einseitigen wirtschaftlichen Sanktionen von EU und USA zu einer Nahrungskrise in Syrien, sagt Haidar. Während des Krieges hätten die Bauern alles getan, um die Bevölkerung zu versorgen. Der Wirtschaftskrieg, der dem Krieg folgte, hindere sie daran. „Die Zerstörung unserer landwirtschaftlichen Produktion war nicht zufällig, sie war geplant“, ist der Agraringenieur überzeugt. Die Hilfe, die von der UNO und einigen Ländern gebracht werde, reiche für Syrien nicht aus.
„Syrien wird absichtlich gehindert, sich selber zu versorgen. Nicht das Regime, das Volk wird bestraft. Erst mit dem Krieg, jetzt mit den Sanktionen.“
Titelbild: Andrew Glushchenko / Shutterstock