Die Pandemie werde durch die Einhaltung strikter Hygienevorschriften im Zaum gehalten, heißt es amtlich. Zur Hygiene gehört aber auch die Notdurft – und die ist in der Hauptstadt Berlin im öffentlichen Bereich gerade nicht verrichtbar, weil die WCs, derer es ohnehin viel zu wenige für die 3,5 Millionen Einwohner der Metropole plus Gäste gibt, geschlossen sind. Wegen Corona. Ein weiterer Mist, der zum Himmel stinkt, sagt Frank Blenz.
Das Römische Reich ging krachen. Dann wurde es hunderte Jahre still um das stille Örtchen der Römer mit Wasseranschluss. Das Mittelalter hielt Einzug, das Plumpsklo ohne Wasser, krasse Missstände in Sachen Hygiene folgten und zahlreiche Gesundheitskatastrophen wie die Pest – bekanntermaßen fehlender Sauberkeit geschuldet. Die Pest heißt heute Corona, die Ursachen sind wieder fehlende Hygiene, Sauberkeit, Achtsamkeit. Und da fällt dem Senat von Berlin nichts Besseres ein, als die wenigen öffentlichen Toiletten zu schließen und das auch den Tankstellenbetreibern aufzutragen: Tür zu vom Klo! Die Gaststätten als Anlaufpunkte für das stille Örtchen sind ebenfalls dicht – dank Lockdown light. Light? Sich erleichtern geht somit nur noch zu Hause, auf Arbeit oder in den Einkaufspassagen, oder…?
In Charlottenburg. Eine junge Frau mit ihrem Kind fährt mit Buggy schnurstracks auf eine Toilette zu, will hinein, sieht das Schild. Flucht: „Ditt jibt es doch nich, so eine Scheiße!“ Die Mutter schimpft, sie hat die Faxen dicke, schnappt sich das Kindchen, Hose runter in den Busch, Schaukelgriff und Wasser marsch. Doch halt… Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die im Amtsdeutsch „Wildpinkeln“ genannt wird. Bei der handelt es sich juristisch um eine „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, die als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bestraft wird. In Berlin kostet das 20 Euro.
Weil es in der Hauptstadt (und im ganzen Land ist das nicht besser) im Verhältnis zur Bevölkerung sehr wenige öffentliche Toiletten gibt, hat die Wildpinkelei Hochkonjunktur. Und nun heftiger, weil die Klos zu sind. Corona. Händewaschen, Desinfizieren, Mundschutz tragen, Abstand! Diese Worte werden getrommelt, Tag für Tag. Dass Gesundheit und Hygiene noch andere Orte und Lebensumstände berühren, dies indes ignoriert wird, wie bei der WC-Schließung der Hauptstadt, stinkt zum Himmel. Es ist aber richtig und wichtig, dass Themen wie Hygiene, Gesundheit und Körperkultur insgesamt zum Alltag gehören und gehegt und gepflegt werden, weil diese Themen nicht Alltag waren – vor Corona nicht und dies ist jetzt in Coronazeiten nicht anders. Die Wissenschaftler und die Politiker sagen inflationär, wie wichtig Hygiene ist. Das gilt auch fern des Virus, das gilt auch für die Notdurft.
Baustellen gibt es genug in unserer Turboleistungsgesellschaft, die gerade mit Maskenpflicht in die Deckung geht und bei vielen anderen Sünden weitermacht, als wären die nicht schlimm: Zigarettenkippen satt auf Bordsteinen, Straßen und Parks, Plastikmüll, Autoabgase in den Städten (laufende Motoren an den Ampeln), Glyphosat auf den Feldern (Obst und Gemüse in den Supermärkten), Antibiotika für Huhn und Schwein, Roundup in den Gärten und auf Garagenauffahrten. Dem nicht genug: Lichtsmog der Reklameschilder und Werbetafeln, Alltagslärm vom Laubbläser bis zur Dauerwerbeberieselung in den Malls.
Dem Bürger fällt viel ein, denkt er an die Versäumnisse, an die Ignoranz, an das Weglassen. Hauptsache Händewaschen, Desinfizieren, Mundschutz tragen, Abstand. Gerade die pandemischen Wochen und Monate müssen genutzt werden, dass viel gesprochen und überdacht wird, wie die Gesellschaft nach Corona aussehen soll. Und Hygiene und Gesundheit gehören dazu. Beides braucht unbedingt große Aufmerksamkeit und Kraft und Willen, auf dass wir nicht wie dereinst das Römische Reich krachen gehen, mit dem Krachen gehen.
Titelbild: Frank Blenz