Israel, Sudan, Trumps Wiederwahl und das Ende der Welt

Israel, Sudan, Trumps Wiederwahl und das Ende der Welt

Israel, Sudan, Trumps Wiederwahl und das Ende der Welt

Jakob Reimann
Ein Artikel von Jakob Reimann

Donald Trump strich im Eilverfahren den Sudan von der US-Liste der Terrorunterstützer, so dass Israel nach den Emiraten und Bahrain nun auch mit Khartum einen historischen Friedensprozess einleiten kann. Der Grund für diesen übereilten Schritt ist einzig und allein die US-Präsidentschaftswahl nächste Woche, bei der Trump in den Umfragen klar hinter Joe Biden liegt. Um diesen Zusammenhang verstehen zu können, müssen die ultrakonservativen Evangelikalen in den Fokus gerückt werden. Denn ohne diesen mächtigen Wahlblock ist Trumps Wiederwahl ausgeschlossen. Das Mittel, um den Support der Evangelikalen zu sichern, ist die Bedienung ihrer apokalyptischen, zutiefst antisemitischen Endzeit-Agenda. Von Jakob Reimann.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Seit bald drei Jahrzehnten ist der Sudan ein Paria der Staatengemeinde. Er wird international geächtet für den ersten Genozid im 21. Jahrhundert: den Völkermord in Darfur, dem bis zu eine halbe Million Menschen zum Opfer fiel. Gegen Diktator Omar Al-Bashir, der das Land bis zu seinem Sturz im April 2019 30 Jahre lang mit harter Hand regierte, wurde 2008 beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Haftbefehl ausgesprochen – damit erstmals gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt. (Die Führer der Saudi-Emirate-Koalition als Verantwortliche des zweiten Genozids im neuen Jahrtausend, den im Jemen, müssen hingegen weder Ächtung noch juristische Verfolgung fürchten – ebenso wenig die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und Deutschland als größte Komplizen.) Der Sudan steht schon seit 1993 auf der Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten des US-Außenministeriums, aktuell neben Nordkorea, Iran und Syrien. Der Regierung in Khartum wurde damals vorgeworfen, palästinensischen und libanesischen Kämpfern Unterschlupf zu gewähren, sowie später, Al-Qaida bei den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 und dem Angriff auf die USS Cole im Jemen 2000 unterstützt zu haben.

Die Trump-Administration hat nun entschieden, der Sudan ist kein Terrorunterstützer mehr und nach den historischen Friedensverträgen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain wird auch Israel Beziehungen zum einstigen Aussätzigen aufnehmen. Wie können diese Ereignisse eingeordnet werden? Und vor allem: Warum die Eile?

Die Arroganz der Macht

Am Montag vergangener Woche verkündete US-Präsident Trump – natürlich – via Twitter, der Sudan werde von der US-Liste der Terrorunterstützer gestrichen. Ganz im Stil des transaktionalen US-Präsidenten lautet die Vorbedingung, der Sudan müsse für die Angehörigen der Opfer der drei oben genannten Terroranschläge 335 Millionen US-Dollar auf einem Treuhandkonto hinterlegen. Normalerweise werden derartige Deals von Kennern der jeweiligen Region und den jahrzehntelangen Berufsdiplomaten im Außenministerium verhandelt, doch nicht so dieses Mal. Der zunehmend paranoide Trump vertraut niemandem und so wurden die Sudan-Verhandlungen einzig von seinem engsten Militärstab aus dem National Security Council geführt (jene Personen im ominösen Hochsicherheitsraum im Keller des Weißen Hauses, den wir aus einschlägigen Hollywood-Produktionen kennen). Nicht einmal der US-Sonderbotschafter für den Sudan, Donald Booth, war Teil der Verhandlungen, was den zentralen Punkt dieses politischen Stunts illustriert: Hier ging es nicht um die Sache, nicht um den Sudan, sondern um etwas ganz anderes.

Nämlich um Israel. Nachdem die Trump-Administration bereits die Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) beziehungsweise Bahrain im September vermittelt hat, braucht Trump vor der Präsidentschaftswahl nächste Woche unbedingt noch einen weiteren israel-bezogenen außenpolitischen Erfolg (warum eigentlich, dazu gleich mehr). Und da Israel schließlich nicht mit einem „Terrorunterstützer“ Frieden schließen kann, musste Trump noch schnell das Streichen von der Terrorliste einfädeln. Trump verkündete die Normalisierung zwischen Sudan und Israel am vergangenen Freitag während eines Telefonats mit Generalleutnant Abdel Fattah Burhan, Vorsitzender des zivil-militärischen Übergangsrats und damit De-facto-Staatsoberhaupt des Sudan, dessen Premierminister Abdalla Hamdok und dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu. In einer gemeinsamen Erklärung der drei Länder hieß es, der „Kriegszustand zwischen Sudan und Israel“ würde beendet und dass beide Länder „Wirtschafts- und Handelsbeziehungen aufnehmen, wobei der Schwerpunkt zunächst auf der Landwirtschaft liegt“.

In den Straßen von Khartum kam es zu Protesten gegen die einseitige Normalisierung mit Israel, ohne dass als Vorbedingung ein gerechter Frieden mit Palästina geschlossen worden wäre – denn im krassen Gegensatz zu den korrupten und zumeist autoritären Führern in den arabischen Ländern ist die pan-arabische Solidarität mit Palästina weiterhin tief in den Völkern der Region verankert. Auch die sudanesische Opposition stellt sich gegen das Abkommen. Linke, Kommunisten, Baathisten, Nasseristen ebenso die Rechtszentristen, Nationalisten und Islamisten erklärten, die Übergangsregierung habe kein politisches Mandat, um einen derart historischen Schritt zu gehen. Anders als in den Monarchien in den VAE und Bahrain, wo „legitim“ ist, was der König sagt, ist der Sudan eine Republik und Demokratie. Nur existiert in der Übergangsphase zwischen der Revolution im April 2019 und den Wahlen 2022 kein Parlament. Anzunehmen, die nichtgewählte Übergangsregierung unter Generalleutnant Burhan verfüge über die konstitutionelle Autorität, die politische Legitimität oder gar ein von der Bevölkerung gedecktes Mandat, in dieser turbulenten Phase ein Abkommen dieser Tragweite abzuschließen, ist grotesk. Ein Bericht in der New York Times legt nahe, dass Khartum von Washington regelrecht in den Deal hineingedrängt wurde: „Ein hochrangiger sudanesischer Funktionär erklärte, seine Regierung habe sich dem monatelangen amerikanischen Druck schließlich gebeugt.“

Von äußeren Playern in Kollaboration mit dem politischen Klüngel im Inland aufoktroyierte Maßnahmen wie der Israel-Deal könnten das fragile Kartenhaus namens Sudan in seinem steinigen Demokratisierungsprozess ins Wanken oder gar zum Einsturz bringen, erneut könnten gegen die fragile Demokratie extremistische Kräfte gestärkt werden. Doch was kümmert das schon Präsident Trump?

Das einzige Motiv: Wiederwahl

Als Trump hinter seinem Schreibtisch im Oval Office saß und den „historischen Deal“ verkündete, fiel auf den Pressefotos eine Sache deutlich ins Auge: Hinter ihm standen zwar die üblichen Verdächtigen – die Pro-Israel-anti-Iran-Falken seiner Administration, Kushner, Pompeo, Mnuchin, Berkowitz – doch gab es weder eine israelische, geschweige denn eine sudanesische Delegation. Vorbei sind die Zeiten, als sich Staatschefs in Ferienresorts verschanzen und über Tage hinweg an Deals feilen, die Weltgeschichte schreiben werden; wie Sadat, Begin und Carter, als sie 1978 in Camp David den Israelisch-Ägyptischen Frieden aushandelten. Nein, für so etwas blieb Trump keine Zeit, heute wird Weltgeschichte via Telefon und Twitter geschrieben. Das hier geschah ad hoc und diente weder Frieden noch Stabilität in Nahost, sondern wie im Grunde alles, was im Trump-White-House ausgebrütet wird: Donald Trump.

Genauer, dessen Chancen zur Wiederwahl am kommenden Dienstag. Trump liegt deutlich hinter seinem Herausforderer Joe Biden zurück, aktuell mit rund acht Prozent. Doch wir wollen schließlich nicht die Umfragen vor der Wahl 2016 vergessen und ebenso wenig den Umstand, dass die US-Demokratie über ein zum Himmel schreiend undemokratisches und mittelalterliches Wahlsystem verfügt, bei dem nicht notwendigerweise gewinnt, wer die meisten Stimmen erhält: Von den fünf Wahlen seit 2000 gewannen die Demokraten alle bis auf eine und stellten doch nur zwei Mal den Präsidenten (einzig Bush gewann 2004; er verlor 2000 genau wie Trump 2016 und doch wurden beide Präsident). Angesichts dieser Umstände sowie der Versiertheit des Präsidenten, Chaos zu stiften und für sich auszunutzen, entbehrt eine Prognose über den Ausgang der Wahl nächste Woche journalistischen Standards. Doch einen außenpolitischen Erfolg kann Trump gut gebrauchen.

Die offensichtliche Antwort auf die Frage, warum Trump es mit der Terrorliste und der sudanesisch-israelischen Normalisierung so eilig hatte, ist also die US-Präsidentschaftswahl. Doch bei einem Blick unter die Oberfläche ist die Antwort nicht mehr ganz so offensichtlich.

Die Zugriffe bei den NachDenkSeiten wachsen. Die Arbeit wächst. Und auch der Aufwand. Wir bitten (auch) unsere neuen Leserinnen und Leser um Unterstützung.
Das geht so ...

Für wen ist Trumps Sudan-Geschenk?

Als Beobachter von außen ist es verständlicherweise weniger von Interesse, was Trumps Regierung innenpolitisch verzapft, als was sie im Rest der Welt anstellt – für die Menschen in den USA ist dies, wie zu erwarten, andersherum: Der gemeine Trump-Wähler interessiert sich nur bedingt für Israel und hätte, mit Verlaub, wohl Schwierigkeiten, den Sudan auf einer Karte zu finden. Das Pew Research Center fragte im Sommer 2020, welches von zwölf vorgegebenen Politikfeldern „sehr wichtig“ für die Wahlentscheidung im November sei. Bei Trump-Supportern lag Außenpolitik dabei auf Platz 6, hinter Waffen, Immigration, Supreme-Court-Besetzung, Gewaltverbrechen und auf Platz 1 die Wirtschaft (ethnische Benachteiligung übrigens auf Platz 11 und der Klimawandel weit abgeschlagen auf dem letzten Platz). Der eilig durchgeboxte Sudan-Israel-Deal richtet sich also eher nicht an Trumps nur begrenzt außenpolitisch interessierte Basis, auch wird er Unentschlossene an den Rändern damit nicht umstimmen können.

Der Sudan-Deal ist ein großer Erfolg für den Jüdischen Staat Israel – vielleicht also die jüdische US-Wählerschaft? Unwahrscheinlich. Denn Jüdinnen und Juden sind dicht hinter Afroamerikanern traditionell das treueste Bollwerk der US-Demokraten und wählen mindestens seit 1916 mehrheitlich Demokratisch – zumeist mit etwa zwei Dritteln, oft höher, und gar mit 90 Prozent der Stimmen im Falle von Roosevelt 1944 und Johnson 1964 (2016 gingen 71 Prozent der jüdischen Stimmen an Clinton). Eine Gallup-Umfrage von 2019 ergab, dass 44 Prozent der befragten Jüdinnen und Juden sich selbst als „liberal“ bezeichneten. Damit lagen sie weit über dem Landesschnitt von 25 Prozent und stellten gar die liberalste aller religiösen Gruppen dar. Sie haben traditionell zwar große Sympathien mit Israel, doch schwinden diese zusehends. Insbesondere unter jüdischen Millennials wird die Kritik am rechtsextremen Netanyahu immer lauter – bis hin zum offenen Bruch mit Israel und einem immer stärker werdenden Einsetzen für die palästinensische Sache. Eine Gallup-Umfrage von 2018 ergab, dass Jüdinnen und Juden in den USA mit 71 Prozent Ablehnung die mit Abstand größten Trump-Kritiker unter allen religiösen Gruppen waren – was durch die Stereotypen-Brille wenig intuitiv erscheinen mag, ist er doch der größte Gönner der israelischen Regierung in der Geschichte.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine allgemeine Bemerkung zu einem unsäglichen Narrativ: die Vermischung und Gleichsetzung von Judentum und Israel. Diese ist nicht nur faktisch grundfalsch und beruht auf unseren eigenen bigotten Vorurteilen, sondern ist ihrerseits in der Tendenz antisemitisch, weil sie die über die Jahrtausende hartnäckigste antisemitische Trope überhaupt wiederkäut: die der doppelten jüdischen Loyalität. Jenes Vorurteil also, Juden hätten stets eine größere Loyalität gegenüber dem Heiligen Land, seit 1948 dem Staat Israel, als zu den Ländern, in denen sie leben – und seien in ihren jeweiligen Gesellschaften daher stets Fremdkörper, denen mit Argwohn und Vorbehalt begegnet werden müsse. Donald Trump spricht bei Auftritten vor US-amerikanischen Jüdinnen und Juden immer wieder von „eurem Land“ oder „eurem Premierminister“ und meint damit nicht etwa die USA, sondern Israel und Netanyahu – klassisch antisemitische Rhetorik. Die Gleichsetzung von Judentum und Israel wird von reaktionären Kräften (pro-israelische Lobby in den USA, die Rechte in Israel) bis hin zu Antisemiten wie Trump, US-Nazi-Milizen oder den Charlie-Hebdo-Dschihadisten gebraucht und muss von progressiver Seite stets bekämpft werden.

Auch die jüdischen Wählerinnen und Wähler – die im Landesschnitt ohnehin nur zwei Prozent der über 18-Jährigen ausmachen, in den meisten Swing-States weit unter einem Prozent – sind also nicht die Adressaten von Trumps Israel-Sudan-Geschenk, sondern eine andere Teilmenge der US-Wählerschaft, die im Gegensatz zur jüdischen groß ist und in derem grotesken Weltbild Israel die zentrale Rolle zufällt.

Die evangelikale Rechte – die „Königsmacher“

Der Evangelikalismus ist eine missionarische Strömung des Protestantismus, der weltweit etwa 330 Millionen Menschen angehören. In den USA sind rund ein Viertel der Bevölkerung Evangelikale, in einigen Bundesstaaten fast die Hälfte. Im Zentrum ihrer Lehre steht die Bibel, die frei von jeglichen Irrtümern und deren Autorität daher absolut ist. Eine Gruppe, der allein in den USA zig Millionen Menschen angehören, ist selbstredend kein monolithischer Block, doch eint die Mehrheit der Evangelikalen ein fortschrittsfeindliches, (ultra-)konservatives bis rechtsextremes Weltbild, das ein striktes Abtreibungsverbot, Ablehnung pluralistischer Lebensstile und der Bürgerrechtsbewegung, Aufhebung der Trennung von Kirche und Staat, Glaube an Kreationismus und eine nur wenige Tausend Jahre alte Erde, Hypermaskulinität und striktes Patriarchat, ausgedehnte Anwendung der Todesstrafe, Marktradikalismus, Ethnozentrismus sowie die Feindschaft gegenüber der LGBTQ-Community, Muslimen, sozialen Sicherungssystemen und dem Kommunismus umfasst. Nach ihrer Auffassung sind Umweltkatastrophen keine natürlichen Ereignisse – und gewiss keinem menschengemachten Klimawandel geschuldet – sondern Gottes Strafe für „unzüchtiges Verhalten“ wie Homosexualität, Glücksspiel oder außerehelichen Sex. Homosexuelle sollen sich einer „Konversionstherapie“ unterziehen. Evangelikale streben einen „biblischen Kapitalismus“ an, die radikaleren Teile wollen auf Basis der 10 Gebote eine „extremistische christliche Theokratie“ errichten. Der Nazi Jair Bolsonaro ist ein radikaler Evangelikaler, in der Vereinigung „Christen in der AfD“ gibt es weite inhaltliche und personelle Schnittmengen. Und der mächtigste Vertreter der US-Evangelikalen sitzt im Weißen Haus: Vizepräsident Mike Pence.

Pence und die religiösen Fundamentalisten um ihn herum – Außenminister Mike Pompeo an vorderster Front – sollten ob ihrer mittelalterlichen Rückwärtsgewandtheit, ihrer literalen Bibelauslegung, ihres Fanatismus und ihres menschenfeindlichen Weltbilds in Analogie zu den radikalen Islamisten um ISIS und Al-Qaida konsequent als radikale Christianisten bezeichnet werden, als „christliche Taliban“, wie es US-Kommentator Bob Topper zuspitzt, mit ihrer Agenda, dem „christlichen Dschihad“, wie es der von mir hochgeschätzte Jeremy Scahill nennt. Diese Zuschreibungen mögen in europäischen Ohren grob polemisch bis albern klingen, doch beschreiben sie akkurat das Weltbild dieser Fanatiker. Im Kern ihrer wahnhaften Ideologie steht ein Konzept, das auf unfassbar zynische und menschenverachtende Weise Israel zurück ins Spiel bringt: Apokalypse, Harmagedon, die langersehnte Endzeit. In der folgenden Beschreibung – die oft nur schwer zu glauben ist – berufe ich mich maßgeblich auf die Expertise der Theologieprofessorin Candida Moss und des Religionshistorikers Matthew Avery Sutton.

Im Sprachgebrauch von Normalsterblichen bedeutet Apokalypse die totale Zerstörung, Weltuntergang, und gilt gemeinhin als wenig erstrebenswert. Bei den Evangelikalen ist das Gegenteil der Fall: Sie sehnen sich nach der Apokalypse. Sie sind Anhänger einer „Endzeit-Theologie“ und gründen ihre Lehre auf die wörtliche Auslegung der Offenbarung des Johannes, angereichert mit etwas Daniel, Ezechiel und Matthäus. Über die genauen zeitlichen Abläufe gibt es Debatten, doch läuft die Endzeit mehr oder weniger folgendermaßen ab: Es kommt zunächst zur unsichtbaren Wiederkunft Jesu. Dieser wird alle wahren Christen leibhaftig in den Himmel emporheben, die Phase der „Entrückung“. Nun hat Satan freie Bahn und lässt den Antichristen auf die Menschheit los. Es folgen sieben Jahre der Großen Trübsal, die von Krieg, Hunger, Naturkatastrophen, Terror und Seuchen geprägt ist. Nach dreieinhalb Jahren unterjocht der Antichrist sämtliche Nationen und errichtet eine weltweite Diktatur. Nach weiteren dreieinhalb Jahren kommt es schließlich zur sichtbaren Wiederkunft Jesu. In der Schlacht von Harmagedon setzen er und seine Armee der Terrorherrschaft des Antichristen ein Ende. Das Tausendjährige Reich entsteht, wobei nicht ganz klar ist, ob Jesus vor oder nach Errichtung des Millenniumreiches wiederkehrt. So oder so: 58 Prozent der weißen Evangelikalen in den USA sind der festen Überzeugung, Jesus werde noch vor dem Jahr 2050 wieder auf Erden wandeln.

Und hier schließt sich der Kreis: Der Messias wird nämlich erst wiederkehren, wenn der jüdische Tempel in Jerusalem wiedererrichtet und Israel als jüdische Theokratie im neuen Glanze erstrahlt. Die gesamte evangelikale Endzeiterzählung dreht sich um Jerusalem und Israel. Bei der Apokalypse kommt es zur Invasion Israels durch sämtliche Nationen dieser Welt, der Neubau des Tempels dient als Vorbedingung dieser letzten Schlacht. Die Evangelikalen brauchen im Heute also zwingend ein starkes Israel, so dass Jesus zurückkehrt und sie ins Himmelreich „entrückt“, bevor das große Abschlachten aller Nicht-Evangelikalen beginnt. Religionshistoriker Sutton nennt den Preis der „Entrückung“ einen „entsetzlichen Menschheits-Holocaust“, Theologieprofessorin Moss spricht von einem „göttlichen Genozid“, der den Großteil der Menschheit auslöschen wird. Die Juden sind hierbei die Bauernopfer auf dem Endzeitschachbrett der Evangelikalen und werden final vor die Wahl gestellt: Sie können ihren Glauben ablegen, zum Protestantismus konvertieren und mit in den Himmel aufsteigen – oder sie werden in Harmagedon abgeschlachtet. Das Sprungbrett in den Himmel bauen und dann zu sterben, dies ist die Funktion, die die Evangelikalen den Juden zuschreiben.

Moss stellt zur Intention der Evangelikalen klar: „Die Unterstützung des Staates Israel sollte daher keinesfalls als unerschütterliche Unterstützung für die religiösen Rechte der Juden missverstanden werden: Zur Endzeit müssen Juden konvertieren oder sterben.“ Es übersteigt meine geistigen Fähigkeiten, mir einen ähnlich eliminatorischen Antisemitismus auszumalen, der in seiner letzten Konsequenz derart hinterhältig und von Grund auf böse ist wie der als Philosemitismus getarnte Antisemitismus der radikalen Evangelikalen: Die Juden sollen als Opferlämmer ihrer doppelzüngigen, janusköpfigen Patrone ihre eigene Schlachtbank errichten, die für ihre Gönner als Himmelspforte ins ewige Reich Gottes fungiert und für sie selbst nur die restlose Auslöschung bereithält.

Die exzessiv pro-israelische Politik der Trump-Pence-Regierung erscheint in einem etwas anderen Licht, nicht wahr?

Die große Heuchelei

Der vulgäre, mehrfach verheiratete, Pornostars Schweigegeld zahlende, pussy-grabschende Kasinobesitzer Trump entspricht nicht gerade dem Prototypen eines demütigen bibeltreuen Protestanten. Wie schaffte es also der biedere, bornierte Mike Pence – der stets die Tür offenlässt, wenn er mit einer Frau allein in einem Raum ist – auf Trumps Präsidentschaftsticket?

Der Deal unaussprechlicher Heuchelei beider Seiten lautet in etwa so:

Weiße Evangelikale machen 17 Prozent der US-Bevölkerung aus – ohne deren Stimmen würde Trump nie im Oval Office sitzen. Mike Pence als führender Evangelikaler sichert Trump die Unterstützung dieser breiten rechten Wählerbasis. Im Gegenzug verteilt Trump Geschenke an die Evangelikalen: die Benennung rechter Verfassungsrichter auf Lebenszeit, Baubeginn der Mauer nach Mexiko, Migrantenkinder in Käfigen, Deportationen, Muslim Ban, Anti-Transgender-Gesetze und vor allem der fast gewonnene Kreuzzug gegen das Recht auf Abtreibung; kurz: ihr fettes Stück vom Make-America-Great-Again-Kuchen, das Zurück ins Amerika der 1950er Jahre, als es weder Schwule noch Mexikaner noch aufmüpfige Frauen „gab“. Und natürlich: ohne Sinn und Verstand völkerrechtswidrige Geschenke an Israel – dem Ort von Harmagedon, der Endzeitschlacht.

Und die weißen Evangelikalen lieferten: 2016 wählten sie zu überwältigenden 81 Prozent Trump. Wenn er am Dienstag auch nur den Hauch einer Chance haben will, braucht er mindestens ebenso hohe Zustimmung dieses mächtigen Wahlblocks. Der Sudan-Israel-Deal wurde durchgepeitscht, um die Evangelikalen daran zu erinnern, dass niemand anderes ihrer teuflischen Endzeit-Agenda dienen kann und wird wie Trump. Auf dass Jesus Christus bald durch die wunderschöne Jerusalemer Altstadt flanieren möge.

Titelbild: Ron Adar/shutterstock.com

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!