Am Samstag wird der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ eingeweiht. Zumindest ist es so angekündigt. Einen Schlussstrich unter das Desasterprojekt und 14 Jahre Pleiten, Pech und Pannen markiert der Termin aber mitnichten. Längst zeichnet sich ab, dass der Airport zum Sanierungsfall für die Ewigkeit wird – nicht nur wegen Corona. Die Möglichkeit einer Privatisierung wird auch schon diskutiert, was die Sache nicht besser macht. Zum „Abheben“ besteht so oder so kein Anlass, findet sogar der „Chefpilot“. Eine leicht hämische Würdigung von Ralf Wurzbacher.
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Dieser Samstag wird ein schwarzer Tag für alle Spaßvögel. „Morgen eröffnet der BER!?“ Was seit bald zehn Jahren verlässlich für Lacher sorgt, könnte morgen tatsächlich bitterer Ernst werden. Am 31. Oktober wird (soll) der Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ (BER) offiziell und ein für alle Mal eröffnet werden. Dann ist Schluss mit lustig und die Welt um einen Running Gag ärmer. Im dann siebten Anlauf (verflixt) – nach zuvor sechs gescheiterten Versuchen – wird (soll) zum ersten Mal ein Linienflugzeug von dort abheben, wo am 5. September 2006 der erste Spatenstich in den märkischen Sand gesetzt wurde.
Aber weil man den Tag bekanntlich nicht vor dem Abend loben möge und als skeptischer Zeitzeuge der Geschehnisse (und Nichtgeschehnisse) am Standort Schönefeld im Süden der Hauptstadt den Konjunktiv besser in Hinterkopf behält, wollen die NachDenkSeiten das Event vorsichtshalber schon heute am Freitag (nicht dem 13.) würdigen. Denn man weiß ja nie, was in 24 Stunden noch alles schiefgehen kann, zumal und speziell beim BER. Und sollte am Ende doch noch etwas dazwischen gekommen sein, könnten wir das immer noch am Montag nachtragen – mit einer (Lach)-Träne mehr im Knopfloch.
„Monster“ gebändigt
Zu Scherzen dürfte der Chef der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB), Engelbert Lütke Daldrup, heute eher nicht aufgelegt sein. Sperrt er Sonnabendfrüh nicht die Tore auf, ist ohne Frage auch er seinen Job los. Davor hatten mit Rainer Schwarz, Hartmut Mehdorn und Karsten Mühlenfeld bereits drei „Chefpiloten“ vorzeitig den Abflug gemacht. Außerdem fegte der BER-Schleudersitz fünf Bauleiter aus dem Amt, zuletzt vor einem Jahr Carsten Wilmsen, der auf „eigenen Wunsch“ seinen Hut nahm, um sich „außerhalb der Luftverkehrsbranche“ weiterzuentwickeln … Seither ist der Posten vakant, wegen Sparzwängen und Corona.
Ein Schelm würde spötteln: Seit kein Obertechniker mehr da ist, läuft die Sache besser. Zumindest gilt das (offenbar) für die physische Baustelle. Wie es heißt, soll sogar die Brandschutz- und Entrauchungsanlage laufen, das „Monster“ also, dessen ewige Zicken Schuld daran waren, dass der Airport praktisch zweimal gebaut wurde. Erschaffen hat die Bestie Alfredo di Mauro, damals Leiter zweier Ingenieurbüros. Der „Stern“ fand 2014 heraus, dass er selbst gar kein Ingenieur ist, sondern nur technischer Zeichner, und die BER-Manager auf eine fingierte Visitenkarte hereingefallen waren. Zu seiner Verteidigung sagte der Ertappte:
„Ich habe die Leute am BER nicht korrigiert, mich hat aber auch niemand nach meinem Hochschulabschluss gefragt.“
Mängel ohne Ende
Man hätte womöglich auch anders Verdacht schöpfen können – nicht nur, weil di Mauro davor schon im Zusammenhang mit der Errichtung eines Ärztezentrums in Offenbach wegen Fehlplanungen gekündigt worden war. Im Falle einer Feuerkatastrophe am BER-Großflughafen sollte seine Konstruktion den Rauch über Hunderte Meter in den Keller pumpen und dann seitlich nach außen ableiten. Ein Blick in die Pläne hätte den Verantwortlichen viel Ärger, Zeit und Geld erspart. Nach den Gesetzen der Physik lassen sich heiße Gase nicht sagen, wo es lang geht, und steigen zuverlässig nach oben. Das Malheur erkannt hatte seinerzeit Technikchef Jochen Großmann, bei dessen Wahl die Macher aber auch kein gutes Händchen bewiesen. Kaum ein Jahr im Amt, wurde er wegen Bestechlichkeit und Betrugs entlassen und später zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Immerhin waren seine beiden Nachfolger Saubermänner und bis zu ihrem jeweils raschen Abgang vornehmlich damit befasst, Scherben aufzukehren. Die Liste der Mängel und Pannen am BER ist nichts für Lesemuffel und umfasste in der Spitze etliche tausend Punkte, darunter: massenhaft kaputte Automatiktüren, überfüllte Stromschächte, vergessene Brandmelder, Regen im Luftschacht, biegsame Parkhausdächer, verdunkelte Rettungswege, zu kurze Rolltreppen, geborstene Scheiben, zersprungene Terminalfliesen, zu niedrige Decken in den VIP-Lounges, haufenweise falsche Wegweiser, ein Notwarnsystem ohne Notstromversorgung, falsch nummerierte Räume, zu kleine Gepäckanlagen, zu wenige Abfertigungsschalter, Hunderte fälschlich gepflanzte Bäume et cetera pp.. Obendrein fanden sich als Sinnbild des Versagens 2014 in einem Altpapiercontainer irgendwo in Berlin ordnerweise Baupläne.
Zum Start schon überholt
Zum alten Eisen gehört mithin auch der Flughafen selbst, noch ehe er überhaupt an den Start gegangen ist. Ex-FBB-Chef Hartmut Mehdorn hatte schon vor sechs Jahren eine Erweiterung nach „Fertigstellung“ im Umfang von 3,2 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht. Hintergrund sind die (vor Corona) rasant gewachsenen Passagierzahlen mit Destination Berlin. 2019 wurden in Schönefeld und Tegel rund 35 Millionen Reisende gezählt, zu Beginn kann der BER aber bloß 27 Millionen Fluggäste bewältigen. Vor drei Jahren präsentierte Lütke Daldrup einen Masterplan, wonach der Standort bis 2035 für 2,3 Milliarden Euro ausgebaut werden müsse, um dann jährlich 55 Millionen Fluggäste abfertigen zu können. Man fragt sich: Wie sollen in 15 Jahren 20 Millionen mehr Menschen in einer Stadt unterkommen, die schon heute touristisch komplett überlaufen ist und ihren Einwohnern kaum mehr Platz bietet?
Aber gut. Mit Zahlen und Grenzen haben es die Zuständigen nie so genau genommen. Laut einem Gutachten von 1995 sollte der Ausbau von Schönefeld zum Hauptstadtflughafen 1,12 Milliarden D-Mark (sic!) kosten. Umgerechnet wären das heute 772 Millionen Euro. Zum Baustart wurde dann gleich mal mit zwei Milliarden Euro hantiert, 2009 schon mit über 2,4 Milliarden Euro. Nachdem 2012 der erste Eröffnungstermin geplatzt war, geisterte zunächst die Zahl 4,3 Milliarden Euro durch den Raum, die sich aber schon ein Jahr später in Luft auflöste und der Marke 5,1 Milliarden Euro weichen musste. Der aktuelle FBB-Businessplan setzt die Gesamtkosten mit 5,932 Milliarden Euro an, wobei diese Summe keine Zinsen und Tilgungen enthält. Entsprechend beziffert das Portal Ingenieur.de die Ausgaben bis zum 31. Oktober mit 7,1 Milliarden Euro.
Fass ohne Boden
Auf Flughafen-Berlin-Kosten.de ist die Entwicklung in einem Schaubild nachgezeichnet und der Verlauf mutet wie der Start eines Düsenjets an. Es geht steiler und immer steiler in die Höhe. Runter zieht das freilich den Steuerzahler. Auf der Webseite tickt ohne Unterlass eine Schuldenuhr. Pro Tag verschlingt das Projekt über eine Million Euro, in einem Monat 35 Millionen Euro. Nimmt man das ganze Geld, ließen sich damit sieben Millionen Kitaplätze finanzieren oder der stillgelegte Flugplatz Berlin-Tegel könnte 59 Jahre lang weiterbetrieben werden. Noch viel länger ginge dies, zieht man den Ausbau nach Gusto des FBB-Chefs in Betracht. In diesem Fall sei mit Kosten von „mindestens 9,59 Milliarden Euro“ bis 2040 zu rechnen.
Aber selbst das wäre wohl noch moderat geschätzt. Denn bei diesem Szenario ist der Faktor Corona noch gar nicht eingepreist. Der Berliner „Tagesspiegel“ hatte schon Ende April mit Verweis auf ein Expertengutachten berichtet, dass der BER bis 2023 einen Mehrbedarf von 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro hat, was Lütke Daldrup als „Milchmädchenrechnung“ zurückwies. Von wegen: Hätte Anfang September nicht der Haushaltsausschuss des Bundestages einen Staatszuschuss in Höhe von 26 Millionen Euro und ein Darlehen über 50 Millionen Euro für die Betreibergesellschaft bewilligt, wäre der BER schon vor dem Start bankrott gegangen. Bis zum Jahresende will der Bund zusätzlich 300 Millionen Euro zuschießen, zur Kompensation pandemiebedingter Schäden, wie es heißt.
Privatisierer wittern Beute?
Für 2021 hat die Bundesregierung einen Kredit über weitere 550 Millionen Euro zugesagt, schrieb am Dienstag die Onlineausgabe des „Spiegel“. Das Magazin ließ dazu Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit einem Lamento über die größte Luftfahrtkrise in der Geschichte zu Wort kommen. „Für den BER heißt das, dass wir uns die Wirtschaftspläne für die nächsten Jahre noch einmal intensiv anschauen müssen.“ Das lässt sich wohl damit übersetzen, dass der Airport zum Sanierungsfall für die Ewigkeit wird.
So betrachtet, kommt das Virus den Verantwortlichen womöglich sogar zupass. In der Pandemie sitzen die öffentlichen Mittel ja ziemlich locker. Ein paar Hundert Millionen Euro mehr für einen mittellosen Airport fallen da weder auf noch ins Gewicht. Eine vorläufige „Rettung“ könnte ein nationaler Luftverkehrsgipfel am 6. November bringen. Scheuer versprach auch, sich für mehr internationale Flüge am BER einzusetzen. „Berlin ist unsere Hauptstadt, Berlin muss ein Drehkreuz sein.“ Gerade vom Pkw-Mautvermasseler weiß man, wie teuer falscher Ehrgeiz werden kann.
Apropos teuer: Der Sündenfall BER hat inzwischen die Privatisierungslobby auf den Plan gerufen. Den Anfang machte vor einem Monat der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, mit dem Vorschlag einer Teilprivatisierung des Airports. Die Erfahrung mit dem Bau zeige, „dass der Staat nicht alles besser kann, sondern dass es auf eine kluge Partnerschaft von Staat und privaten Unternehmen ankommt, um ein so wichtiges Großprojekt erfolgreich umzusetzen“. Dem pflichtete umgehend die FDP-Bundestagsfraktion bei. Die öffentliche Hand sei nicht allein in der Lage, die Herausforderungen der Zukunft – technologisch, strategisch und finanziell – zu stemmen.
Neoliberale Entstaatlichung
Fraglos ist das Projekt in staatlicher Trägerschaft (der FBB-Gesellschafter Berlin, Brandenburg, Bund) und immer wieder neuer politischer Einmischungen reichlich missraten und steht darin „Stuttgart 21“ in nichts nach. Und möglicherweise hätte ein privater Bauherr die Realisierung besser, schneller und auch billiger hinbekommen. Auf einem anderen Blatt stehen dagegen die langfristigen Lasten für den Steuerzahler. Im Falle einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) hätten die Betreiber noch über Jahrzehnte aus dem Vollen schöpfen können und sich der Staat noch ärmer sparen müssen. Entsprechend leidige Erfahrungen gab und gibt es zuhauf, etwa im Straßen- oder Schulbau (Kreis Offenbach). Und gerade Minister Scheuer hat in puncto Autobahnpolitik reichlich Leichen im Keller.
Dabei haben drei Jahrzehnte neoliberaler Entstaatlichung mit schwarzer Null, Schuldenbremse und Maastricht-Diktat erst die scheinbare Rechtfertigung für die großen Privatisierungsattacken geliefert, was auf dem Wohnungsmarkt die Mieter, in den Kliniken die Patienten und bei der Alterssicherung die verarmten Rentner ausbaden müssen. Gerade im Bereich großer Investitionsvorhaben müssen die kaputtgekürzten öffentlichen Verwaltungen, insbesondere die Planungs- und Bauämter, als Ausrede dafür herhalten, dass sich die Politik lieber die Privaten ins Boot holt. Und so werden dann wieder und wieder neue Privatisierungsabenteuer aufs Gleis gesetzt, in Berlin etwa in Gestalt der Zerschlagung der S-Bahn oder der sogenannten Schulbauoffensive (BSO).
„Keine Party“
Im Fall des BER jedoch dürfte die Pandemie die Begehrlichkeiten von Investoren bis auf Weiteres zügeln. In laufenden Jahr wird mit Passagierzahlen von lediglich zehn Millionen gerechnet, im kommenden mit 18 Millionen – beides Werte meilenweit unter den einstigen Planzahlen. Fratzschers Vorstoß widersprach dann auch prompt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Ob Investoren in der „aktuellen unsicheren Lage Schlange stehen“, erscheine „zweifelhaft“. Auch der Berliner Senat lehnte eine (Teil-)Veräußerung bisher strikt ab. Wobei das eine Garantie mit kurzer Haltbarkeit ist. In einem Jahr steht die Abgeordnetenhauswahl an und danach sieht die Welt vielleicht schon ganz anders aus.
Läuft morgen alles rund, dürfte der BER bis dahin zumindest im gebremsten Regelbetrieb operieren. Wie FBB-Geschäftsführer Lütke Daldrup schon vor einem Monat ankündigte, soll es am Samstag um 14 Uhr mit der zeitgleichen Landung zweier Maschinen von Lufthansa und Easyjet losgehen. Tags darauf werde ein Easyjet als erster kommerzieller Flieger von der alten Nordstartbahn Schönefeld in die Lüfte entschweben. Die Einweihung der neuen Südbahn erfolge erst am 4. November. Ausgelassene Feierlichkeiten stehen indes nicht auf dem Programm. „Der Weg bis zur Eröffnung war kein leichter. Berlin und ganz Deutschland wurden zur Lachnummer, wir deutschen Ingenieure haben uns geschämt“, beschied der BER-Chef und weiter:
„Es gibt keine große Party, wir machen einfach auf.“
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