Der Westend Verlag aus Frankfurt hat in der Bestsellerliste für Paperback/Sachbuch in dieser Woche 5 von 20 Positionen erobert, also ¼! Es gibt x deutschsprachige Verlage ähnlicher Art, zum Teil sehr viel größere als Westend. In dieser Situation ein Viertel der Bestseller zu stellen, ist nicht nur Zufall, sondern auch das Ergebnis einer bewussten Strategie. Der Verlag hat sein Ansehen und Vertrauen bei guten Autoren systematisch auf- und ausgebaut. Über die dahintersteckenden Strategien habe ich mit dem Verleger Markus J. Karsten gesprochen. Vorweg will ich aber noch anmerken, dass andere Verlage ähnlich Großes leisten. Das ist in Zeiten wachsender Bedeutung des Internets erstaunlich und bewundernswert. Respekt also für alle Buchverlage, die sich in dieser schwierigen Zeit bemühen, aufzuklären. Albrecht Müller.
Fragen an Markus J. Karsten, an den Verleger des Westend Verlags:
Frage Albrecht Müller, NDS: Zunächst zur Information unserer Leserinnen und Leser ein paar kurze Fragen mit der Bitte um kurze Antworten: Wann wurde der Verlag gegründet? Wie viele Titel bringt er im Jahre 2020 auf den Markt? Wie viel Menschen arbeiten im Verlag mit? Wie viele Bestseller im vergangenen Jahr, also 2019? Wie viele bisher in diesem Jahr?
Antwort Markus J. Karsten: Den Westend Verlag gibt es seit Januar 2004, im Herbst desselben Jahres erschien der erste Titel: „50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Welt zu retten“, der sich damals bereits zu einem kleinen Bestseller mauserte und der auch immer noch lieferbar ist. Damals, in den Gründungsjahren, erscheinen zwei bis sechs Titel jährlich, mittlerweile sind über 300 Bücher publiziert. Die Jahresproduktion liegt bei dreißig bis fünfunddreißig Büchern, die von einer Mann- und Frauschaft von 15 MitarbeiterInnen gestemmt wird. Den ersten Spiegelbestseller, eine nach wie vor enorm starke Bezugsgröße in der Buchwelt, da sich viele Buchhändler an ihr orientieren, verzeichneten wir 2011. Seither gelingt es uns zunehmend, jährlich vier bis sechs Westendtitel auf den Bestsellerlisten zu platzieren, dieses Jahr sind es bereits sieben.
Frage: Manchmal muss man den Eindruck gewinnen, dass Gesellschaftskritik nicht gemocht wird. Der Westend Verlag ist ein kritischer Verlag mit mehrheitlich zeitkritischen Autoren. Haben Sie eine Nische entdeckt? Ist es eine große Nische?
Antwort: Bereits seinerzeit hatten wir den Eindruck, dass gewisse Themen, besser, deren Aufbereitung im öffentlichen Diskurs, medial nicht hinreichend bearbeitet werden. Damals hatte Heiner Flassbeck eine Kolumne in der Frankfurter Rundschau und ich fragte mich, wieso ich diese sich sofort erschließenden Erkenntnisse nicht schon längst auch an anderer Stelle wahrnehmen konnte. Man muss bedenken, zu der damaligen Zeit hing man mehr oder weniger noch der Illusion an, dass man doch weitgehend gut und genügend informiert ist, wenn man etablierte Medien verfolgt. Dass dies, mit den berühmten und immer auch genannten Ausnahmen, nicht der Fall ist, ist ein Verdienst hauptsächlich derjenigen, die anfingen, Nichtbekanntes und Nichtgenanntes im Internet zu publizieren und zu kommentieren. Die NachDenkSeiten sind hier zuvorderst zu nennen, aber natürlich auch der älteste politische Blog, Telepolis.
Ein Buch sollte sich ja im Idealfall prinzipiell und grundsätzlich mit einer Thematik auseinandersetzen: Ein Format, dem die sogenannte Digitalisierung bislang nicht so viel anhaben konnte. Vielen Menschen ist klar, dass sie auch in Alternativmedien nicht die Informationen in Gänze erhalten, die sie eigentlich zur Beurteilung verschiedener Sachverhalte benötigen. In diesem Sinne genießen Bücher nach wie vor hohes Vertrauen. Ob immer zurecht, steht auf einem anderen Blatt. Eine Zäsur in Bezug auf die Wahrhaftigkeit der bestehenden Presse- und Medienlandschaft war sicherlich das Frühjahr 2014 mit der Ukrainekrise. Vielen, auch denjenigen, die bislang nie dem Wort „Medienkritik“ begegnet sind, war plötzlich klar, dass extrem einseitig und unausgewogen berichtet wurde. Das hat mit Sicherheit viele sensibilisiert, insofern man sich automatisch fragte: Wenn ich in dieser Angelegenheit nicht umfassend informiert werde, dürfte dies bei anderen wichtigen politischen Fragen nicht anders sein.
In Ihrem neuen Buch „Die Revolution ist fällig“ thematisieren Sie nicht nur diesen Aspekt sehr deutlich. Insofern ist dieses Buch ein idealtypischer Titel des Westend Verlages. An der schnellen Platzierung auf den Bestsellerlisten kann man ja ablesen, dass die „Revolution“, dass die dort gestellten Fragen und dargebotenen Aspekte die Menschen gerade in heutigen Zeiten sehr beschäftigen. Es bietet Orientierung in unübersichtlich werdenden Zeiten.
Frage: Wie haben Sie es geschafft, so viele gute Autoren anzuziehen? Gibt es Muster, nach denen Sie auf die Suche und auf die Jagd nach guten Autoren oder auch nur nach erfolgreichen Autoren gehen? Oder kommen diese von alleine?
Antwort: Wir werden immer mal wieder danach gefragt: Wie kommt ihr an eure Autoren? Die Antwort ist immer dieselbe. Wir betrachten uns als vollkommen undogmatisch und überparteilich und sehen uns in erster Linie der sozialen Frage verpflichtet. Insofern sind wir äußerst sachorientiert. Wer das ist, der wichtige Themen kritisch und kompetent aufbereitet, ist zunächst nachrangig. Andererseits stoßen wir dabei natürlich immer wieder auf spannende Köpfe aus Wissenschaft, Politik, Medien oder sonstigem Expertentum, die wir entdecken, und oft entwickeln wir dann zusammen ein Buchthema. Mal sind diese prominent, mal weniger. Offensichtlich treffen wir mit unserer Themen- und Autorenauswahl, nichts anderes tut ja ein Sachbuchverlag, oft den Nerv der Zeit. Inzwischen erreichen uns durchaus vermehrt Anfragen und Publikationsbegehren aus dem universitären Bereich. Deswegen bauen wir gerade einen eigenen Programmbereich Westend Wissenschaft auf. Eines der ersten Bücher, die dort in Kürze erscheinen, befasst sich wissenschaftlich, wie könnte es anders sein, mit Medienanalyse.
Frage: Welche Bedeutung hat die bei Ihnen augenfällige Kommunikation bis hin zur Verbundenheit der Autoren untereinander?
Antwort: Wir legen einerseits sehr großen Wert auf einen permanenten Austausch mit unseren Autorinnen und Autoren, auch dann, wenn gerade kein Buch veröffentlicht wurde, andererseits versuchen wir, dass alle AutorInnen untereinander ins Gespräch kommen. Die politische Tendenz begünstigt diesen natürlich, auch wenn in einzelnen Fragen durchaus schwergewichtige Differenzen bestehen. In diesen Komplex der Verlagsarbeit investieren wir viel Zeit und Ressourcen aller Art.
Frage: Wie könnte man den Buchhandel stärken und damit vielleicht auch unsere Innenstädte? Oder ist da alles perdu?
Antwort: Vor etwa zwanzig Jahren lief ich mit einer Freundin durch eine große südeuropäische Stadt; dabei fiel mir zum ersten Male bewusst auf, dass alles so aussah wie in Frankfurt: dieselben Handelsfirmen, dieselbe Außenwerbung, dieselben Produkte. Plusminus. Diese Entwicklung hat Amazon nicht ausgelöst, aber sicherlich in letzter Zeit noch verschärft. In Wien gibt es in jeder dritten Straße einen kleinen Buchhändler, da die Stadt Wien aktiv in das Mietgefüge eingreift. Dies zeigt, dass es andernorts am politischen Willen zu fehlen scheint, Innenstädte so zu gestalten, dass ein buntes Angebot im Einzelhandel besteht und man nicht nur das Handelsvolumen, sprich, den Umsatz und höchstmögliche Gewerbesteuern im Auge hat. Vielleicht lesen die Österreicher auch mehr, aber klar ist, BuchhändlerInnen sind mehr als Verkäufer. Bei Ihnen muss man sich wohl und aufgehoben fühlen. Ich kann mich erinnern, dies war etwa Mitte der Neunziger, da sagte eine Buchhänderin zu mir: „Guten Tag, Herr Karsten, gut dass Sie kommen, da habe ich etwas für Sie“. Diese Handelsfunktion muss unbedingt erhalten bleiben, Städte können dies nicht per Beschluss anordnen.