Steuerpolitik nach Börsenlage – oder wie die Versicherungswirtschaft mit dem Staat spielt
Da wird ab 1. Januar 2004 auf Betriebsrenten und Direktversicherungen statt dem halben plötzlich der volle Krankenversicherungsbeitrag erhoben, was sich für einen Rentner leicht auf einen Verlust in Höhe eines Mittelklasseautos hochrechnet, ohne dass ein Vertrauensschutz geltend gemacht werden könnte. Anders sehen das die deutschen Lebensversicherer, wenn es um Steuerentlastungen in Milliardenhöhe geht, sie wollen gegen rückwirkende Steuergesetze klagen, weil sich die Lage an den Börsen verändert hat. Dazu ein bemerkenswert aufklärender Beitrag in der heutigen FAZ.
Bis zum Jahr 2000 mussten Unternehmen – was eigentlich ganz normal ist – Kursgewinne aus Aktien versteuern und Kursverluste konnten als Abschreibungen steuermindernd geltend gemacht werden.
Das war in Zeiten der Börsenblase nicht so schön, weil man ja fast ausschließlich Gewinne zu versteuern hatte und nichts abschreiben konnte.
Dann wollte Hans Eichel die Wirtschaft ankurbeln und das Aktienkapital auf Trapp bringen, in dem er Kursgewinne nicht mehr besteuerte und (damals nicht mehr anfallende) Abschreibungen gestrichen hat. Das freute vor allem die Lebensversicherer, die mit den Beiträgen ihrer Versicherungsnehmer hohe Aktien- und Fondsgewinne einstreichen konnten und außerdem alte Beteilungen mit niedrigen Bilanzwerten im Börsenboom gewinnbringend veräußern konnten. Man brauchte für die Gewinne ja keine Steuern mehr zu bezahlen. Nun kam aber der Aktiencrash und brachte nur noch Kursverluste, diese durften aber nun leider nicht mehr abgeschrieben werden. Die Steuerlast war also plötzlich höher als in guten Börsenjahren – in Rede standen Beträge bis zu 10 Milliarden Euro.
Das wollte der Staat den Versicherungsgesellschaften aber nun wieder nicht antun und bot ihnen für die Jahre 2001 bis 2003 eine Alternative bei der steuerlichen Veranlagung an, sie konnten für diesen Zeitraum entweder auf Abschreibungen verzichten und Kursgewinne unversteuert einstecken. Oder sie konnten in diesen drei Jahren 80% ihrer Abschreibungen steuermindernd geltend machen, mussten dafür aber auch 80% ihrer Kursgewinne versteuern.
Das war den großen Lebensversicherungsgesellschaften zu wenig. Da die Baisse anhielt, wollten sie ihre Verluste zumindest bei den Aktienfonds nicht nur zu 80, sondern zu 100% abschreiben. Die Steuerexperten von “Allianz” u.a. waren nämlich auf die Idee gekommen, dass Fondsverluste dem Einkommensteuergesetz und nicht dem Kapitalanlagegesetz unterliegen und deswegen voll abgeschrieben werden dürften.
Gegen das Angebot des Finanzministers aus dem Jahr 2003 wollen die Versicherer nun angehen. Sie halten die “rückwirkende Nichtanrechnung” von Abschreibungen vor allem bei Aktienfonds für verfassungswidrig. Sie machen den Vertrauensschutz für sich geltend.
Was den Versicherern Recht wäre, müsste den Betriebsrentnern eigentlich nur billig sein. Zumal Letztere immerhin schon ein Arbeitsleben auf ihre Rente vertraut haben, während die Versicherer ihre Belastungen je nach Börsenlage beeinflussen konnten – “auch zum Wohl der Versicherten” wie es in der FAZ so schön heißt. Weil ja jede Wohltat, jedes Steuergeschenk an die Unternehmen in der derzeitigen politischen Betrachtungsweise zum Wohle der Allgemeinheit dient – egal ob damit Gewinne kassiert und wohin auch immer transferiert werden oder ob man den Staat noch ärmer machen kann. “Pferde-Spatzen”-Ökonomie nannte das der frühere Harvard Ökonom, John Kenneth Galbraith: Man muss den Pferden viel zu fressen geben, damit sich die Spatzen von den Pferdeäpfeln gut ernähren können.