Russland sei bereit, die Kommunikation mit der Europäischen Union für einige Zeit zu beenden, so der russische Außenminister Sergej Lawrow. Dieses offizielle Ende der Geduld Russlands mit antirussischer Propaganda kommt nicht überraschend – die Deutlichkeit der Zuspitzung ist dennoch beunruhigend. Und tragisch: Deutschland und Russland würden beide sehr von einer Annäherung profitieren. Transatlantische Hetze torpediert diese Annäherung. Von Tobias Riegel.
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Die Worte des russischen Außenministers Sergej Lawrow vom Dienstag sind nicht überraschend: Russland hat zwar jahrelang mit großer Geduld die einseitigen Angriffe westlicher Propagandisten ausgehalten, ohne angemessen zu reagieren. Aber irgendwann musste der Moment erreicht sein, in dem das Fass überläuft. Wenn die ausgestreckte Hand ein ums andere Mal ausgeschlagen wird – und etwa die EU aktuell einmal mehr eine Partnerschaft mit der russischen Regierung als unmöglich darstellt – dann muss auch ein Gesprächspartner wie Lawrow irgendwann feststellen:
„Dann soll es so sein, wenn sie das wollen.“
Trotz der Folgerichtigkeit und der Erwartbarkeit der russischen Reaktion sind die deutlichen Worte Lawrows aber auch ein Paukenschlag – aus den gleichen Gründen: Man hatte sich im Westen schließlich daran gewöhnt, dass man Russland ganz nach Belieben mit unbewiesenen Vorwürfen überschütten kann, ohne dass das zu Konsequenzen für die antirussischen Stimmungsmacher führen würde.
Die Entschlossenheit der Transatlantiker
Nun sind diese erwartbaren Konsequenzen auch offiziell und in deutlichen Worten von russischer Seite formuliert worden – und diese Entwicklung trifft nicht nur die verantwortlichen Propagandisten und Spalter, sondern ganz Deutschland, die ganze EU. Man muss es als tragisch bezeichnen, wie es einer Gruppe entschlossener Transatlantiker in Politik und Medien gelingt, die Chancen auf deutsch-russische Entspannung für kurzfristige Erfolge – etwa den Stopp von Nord-Stream-2 – zu opfern und dadurch unser aller Zukunft zu gefährden.
Deutschland und Russland sind beide nicht frei von politischen Defiziten – insofern sollten sich beide Seiten mit moralischen Vorhaltungen sehr zurückhalten. Es steht zudem außer Frage, dass beide Länder von einer Annäherung und Entspannung sehr profitieren würden: auf wirtschaftlicher, kultureller und friedenspolitischer Ebene. Diese Annäherung muss stattfinden, auch wenn noch nicht alle Defizite in beiden Ländern beseitigt sind.
Deutschland führend bei antirussischer Propaganda
Und selbst wenn man die antirussischen Ressentiments der großen deutschen Medien teilen würde, müsste man die massiven Attacken des Westens gegen die aktuelle Regierung Russlands als mindestens kurzsichtig bezeichnen: Es ist durchaus möglich, dass eine auf den aktuellen russischen Präsidenten Wladimir Putin folgende Regierung erheblich radikaler und nationalistischer sein könnte.
Es ist beschämend, dass Deutschland eine tragende Rolle bei den aktuellen Kampagnen gegen die russische Regierung spielt und damit die russischen Sympathien für Deutschland ebenso brüsk beleidigt wie sie die Ostpolitik Willy Brandts verrät – diese destruktive Rolle deutscher Akteure hat gerade Albrecht Müller in seinem Artikel „Scharfmacher Deutschland – von Merkel über Maas bis Lesch“ beschrieben und Klinkhammer/Bräutigam gehen darauf im Artikel „Abgedreht: Merkel, Scholz, Maas, Nawalny“ ein. Den dieser Tage anscheinend vollzogenen fatalen Wendepunkt zwischen Deutschland und Russland haben wir im Artikel „Deutschland initiiert eine neue ‚Wende‘ – eine Wende zurück“ beschrieben. Oskar Lafontaine betont in diesem Artikel, dass für Anhänger der Ostpolitik Willy Brandts „die SPD nicht mehr wählbar“ sei.
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Das geht so ...
Die „politische Bombe“ Lawrows
Obwohl eine russische Reaktion auf die langjährigen und einseitigen Angriffe des Westens (in Form von aggressiver Propaganda und Sanktionen) lange überfällig war, ist nun doch eine gewisse Dramatik mit dem Auftritt Lawrows verbunden: Man hat das sehr beunruhigende Gefühl, nun sei eine Grenze überschritten worden. Der Blog „Anti-Spiegel“ ordnet den Vorgang gar als „politische Bombe“ ein:
„Wenn man bedenkt, dass die russische Regierung sich in den letzten fünf Jahren zwar sehr kritisch über die USA geäußert, aber große Zurückhaltung gegenüber der EU geübt hat, um die Brücken zu den europäischen Nachbarn nicht abzubrechen, dann sind die neuen Töne aus Moskau eine politische Bombe. Bisher hat Moskau trotz aller europäischen Sanktionen und der fortwährenden anti-russischen Rhetorik aus Europa sogar mit Verständnis reagiert, weil man in Moskau sehr wohl verstanden hat, dass das auf Druck der USA geschehen ist.“
Lawrow beschreibt, wie eine entschlossene transatlantische Gruppe in der EU eine Politik durchsetzt, die gegen die Interessen der EU gerichtet ist:
„Selbst der Instinkt, eigene Interessen zu sichern, muss Europa, das in der EU vereint ist, zur Partnerschaft mit Russland sowie dazu bewegen, mit Russland zusammenzuwirken. Meiner Meinung nach (…) ist die Europäische Union vorläufig nicht imstande, mit der russophoben Minderheit zurechtzukommen, die mit dem Prinzip des Konsenses, mit dem Prinzip der Solidarität spekuliert und mehr oder weniger konstruktive Herangehensweisen an die Entwicklung der Beziehungen zu Russland blockiert.“
Medien stellen Realität auf den Kopf
Viele deutsche Medien ignorieren den wichtigen Vorgang. Bei denen, die sich dazu äußern, schwankt die Reaktion zwischen Leichtfertigkeit und Heuchelei. Und natürlich möchten die Redakteure, die das deutsch-russische Verhältnis mit zerrüttet haben, nun die Situation entdramatisieren, um die eigene Verantwortung für eine gefährliche Zuspitzung zu mindern. Dafür wird die Realität auf den Kopf gestellt – etwa in der „FAZ“ verbindet sich unverantwortliche Leichtfertigkeit mit falschen Schuldzuweisungen:
„Es war die russische Politik, die die Europäer gezwungen hat, gegenüber Moskau einen harten Ton anzuschlagen. Dass Außenminister Lawrow darauf harsch reagiert, ist nicht weiter schlimm.“
Die Wirklichkeit ignoriert auch ein Artikel in der „Welt“, der nun Russland in die Rolle des Gesprächsverweigerers drängen will, obwohl es der Westen war, der zahlreiche deutsch-russische Kanäle abgewürgt hat: „Russland sagt wieder Njet“. Es sei also „Russlands Gesprächsboykott“, der nun die Diplomatie bremse. Die Lösung sei einfach: Um aus dem moralischen Bannstrahl des Westens zu entfliehen, müsste Russland einfach eine „neue Politik“ machen:
„Russlands Probleme anders zu lösen als mit Nowitschok, Pistolen und Njet würde Sanktionen überflüssig machen.“
Titelbild: Zbitnev / Shutterstock
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