Neun Monate nach dem Covid-19-Alarm der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 5. Januar 2020 füllen Nachrichten über den Impfstoff gegen die Pandemie die Seiten der weltweiten Medien, in Lateinamerika insbesondere im Hinblick auf die Testung. Hieß es in den internationalen Medien zunächst, mit einem verlässlichen Coronavirus-Impfstoff sei nicht vor mindestens zwei Jahren Forschungs- und Entwicklungszeit zu rechnen, stehen vor allem westeuropäische, russische und chinesische Pharmakonzerne mit Schlüsselländern wie Brasilien, Argentinien und Mexiko bereits seit vergangenem Juni in Verhandlungen. Von Frederico Füllgraf.
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Impfstoffprojekte von der Universität Oxford in Kooperation mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca („AZD1222“), aus Russland („Sputnik“) und China („CoronaVac“), die behaupten, Stadium 3 der Erprobung – nämlich Massentestung – gestartet zu haben, sind jedoch den Beweis der Wirksamkeit ihrer Impfstoffe schuldig. Dennoch stimmten mehrere Länder bereits dem Gesuch der Konzerne zu, als Standort von Labor- und Fabrikeinrichtungen für die örtliche Impfstoff-Produktion zu dienen. Dies ist bei den Beispielen Argentiniens und Mexikos der Fall, deren beider progressive Regierungen nach Auskunft des argentinischen Präsidenten Alberto Fernández vom vergangenen 12. August den Oxford-AstraZeneca-Impfstoff in Lateinamerika herstellen und vertreiben werden.
Experten weisen allerdings auf das Risiko eines russischen Rouletts hin, das aus wissenschaftlicher und ökonomischer Perspektive erfolgreich sein, jedoch auch komplett „in die Hose“ gehen kann: Während einerseits bei der Impfstoff-Herstellung Zeit gewonnen werden soll, dessen Wirksamkeit jedoch nicht garantiert ist, können Konzerne und involvierte Regierungen, samt der WHO, alles verlieren, wenn die Impfstoffe ihre Massentestung nicht bestehen. Ein solcher Fall trat bereits Anfang September bei AstraZeneca in Großbritannien ein, als bei einer Testperson eine transverse Myelitis – eine neuroimmunologische Rückenmarks-Infektion, die durch Virusinfektionen ausgelöst wird – diagnostiziert wurde und der Testlauf vorübergehend eingestellt werden musste.
Die Konzerne und die Probanden
Weltweit nehmen rund 18.000 Freiwillige an den Impftests von AstraZeneca teil, davon allein 5.000 Probanden in Brasilien, zumeist medizinisches Personal.
In Brasilien wurde die Massentestung von AstraZeneca mit ihrem Impf-Prototyp „AZD1222“ am Montag, den 14. September, wieder aufgenommen. In einer Erklärung der Bundesuniversität von São Paulo (Unifesp), die seit Juni den Testlauf im Land koordiniert, heißt es, die Wiederaufnahme sei von der Gesundheitsüberwachungsbehörde (Anvisa) und vom Brasilianischen Rat für Forschungsethik (Conep) bewilligt worden. Keine/r der 4.600 in São Paulo, Rio de Janeiro und Salvador rekrutierten, nicht-Covid-19-infizierten und geimpften Freiwilligen hätte „schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen gemeldet“, so die Pressemitteilung. Die Infektiologie-Expertin und Test-Koordinatorin an der Unifesp, Dr. Lili Yin Weckx, hatte bereits vor der Unterbrechung die bisher erzielten „positiven Ergebnisse“ hervorgehoben. Der Testlauf habe gezeigt, dass der Körper der Probanden bereits mit einer einzigen Dosis Antikörper bildete und in der zweiten Testphase eine deutlich höhere Antikörperkonzentration aufwies.
Einzelne Landesregierungen in Brasilien hatten im Zeitraum Juni-August auch Verträge mit Russland und China über deren Impf-Prototypen „Gam-COVID-Vac/Sputnik V“ und „CoronaVac“ unterzeichnet, deren Massenerprobung im August beginnen sollte. Dimas Covas, Professor für Klinische Medizin und Direktor des staatlichen Butantan-Instituts – dem größten Forschungszentrum und Hauptproduzenten von Immunbiologika in Brasilien – versicherte zum Beispiel am vergangenen 13. September, der Impfstoff CoronaVac – vom chinesischen Pharmakonzern SinoVac Biotech – werde bis Ende 2020 mit insgesamt 46 Millionen Dosen im Lande erhältlich sein. China ist gleichzeitig mit drei Bio-Konzernen im Rennen: Sinopharm, CanSino und SinoVac.
Seinerseits hatte Russland erst am vergangenen 11. August seinen „Sputnik-V“-Impfstoff offiziell registriert, der im Nikolai-Gamaleya-Zentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelt wurde und in Zusammenarbeit mit dem Russischen Fonds für Direktinvestitionen (RFPI) hergestellt wird. Mit rund 40.000 Freiwilligen startete sodann Anfang September die dritte Phase der klinischen Studien mit „Sputnik V“, dessen Bekanntgabe sofort positive Rückwirkungen auf die Test- und Lieferungsverträge hatte, die Russland bereits mit Brasilien, Peru, Mexiko und Venezuela unterzeichnet hat. Allen Anzeichen nach soll der „Sputnik-V“-Impfstoff außerhalb Russlands vor allem in Brasilien hergestellt werden, und zwar im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná.
Chiles Regierung rief ebenfalls im August zur öffentlichen Bewerbung von 3.000 Freiwilligen auf, allerdings zur gleichzeitigen Erprobung mehrerer internationaler Impfstoff-Prototypen. Wissenschaftsminister Andrés Couve erklärte dazu, bereits seit April 2020 werde mit fünf ausländischen Laboratorien an mehreren Optionen der dritten Test-Phase gleichzeitig gearbeitet; eine Entscheidung, die auch für Argentinien, Brasilien und Mexiko zutrifft.
In Argentinien meldeten sich gar 15.000 Freiwillige zur Erprobung des „BNT162b1“-Impfstoff-Prototypen des US-amerikanischen Pfizer-Konzerns und des deutschen BioNtech-Labors. Die Tests werden im zentralen Militär-Krankenhaus mit ausgewählten 4.500 Probanden durchgeführt.
Als einziges Land unter den sogenannten Entwicklungsländern im Weltmaßstab begann auch Kuba mit der Testung seines eigenen Impfstoffs „Soberana 01“. Experten verschiedener Gesundheits- und Wissenschaftsinstitute auf der Karibikinsel haben Mitte August bei einem Treffen mit Präsident Miguel Díaz-Canel den kubanischen Impfstoff vorgestellt. Die Testphase begann am 24. August und soll bis Februar 2021 andauern. Dagmar García Rivera, Forschungsdirektorin am staatlichen wissenschaftlichen Zentrum Instituto Finlay, erklärte, an den Tests beteiligen sich 676 freiwillige Personen im Alter von 19 bis 80 Jahren. Im Falle eines Happy Ends wird Kuba im ersten Quartal 2021 als einziges Land Lateinamerikas einen eigenen Coronavirus-Impfstoff zur Verfügung haben.
Kriminelles Intermezzo: der Pfizer-Konzern als Partner der deutschen BioNTech
Dass sich das deutsche Großlabor ausgerechnet den wegen krimineller Impftestung und Korruption in Afrika verklagten US-Pharmariesen Pfizer als Geschäftspartner aussuchte oder von ihm aussuchen ließ, ist keine gute Visitenkarte.
BioNTech ist eine Firmengründung der Mediziner Ugur Şahin (Professor für experimentelle Onkologie an der III. Medizinischen Klinik der Universität Mainz), Christoph Huber und Özlem Türeci aus dem Jahr 2008, mit einem wissenschaftlichen Beirat unter Leitung des Schweizer Immunologen und Nobelpreisträgers der Medizin (1996) Rolf M. Zinkernagel. BioNTech steht in enger Verbindung mit der Bill & Melinda Gates Foundation, mit der das deutsche Pharma-Unternehmen 2019 eine Vereinbarung über die Entwicklung von HIV- und Tuberkulose-Programmen zur Identifizierung und Entwicklung von präklinischen Impfstoff- und Immuntherapiekandidaten zur Prävention von HIV- und Tuberkulose-Infektionen und zur langfristigen antiretroviralen therapiefreien Remission von HIV-Erkrankungen unterzeichnete und dafür 55 Millionen US-Dollar von der Gates Foundation erhielt.
BioNTech ist zweifellos „geschäftstüchtig“. Im Dezember 2019 erhielt das Unternehmen eine weitere Finanzierung in Höhe von 50 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank und im Juni 2020 flossen beachtliche 250 Millionen Euro als sogenannte Privatplatzierung von Pflichtwandelanleihen der Temasek Holdings in Singapur in seine Kassen. Mit Pfizer und dem chinesischen Pharmakonzern Fosun arbeitet das Unternehmen an der Entwicklung des „BNT162“-Impfstoffs gegen das Covid-19-Virus. „Falls als sicher erwiesen“, unterzeichneten Pfizer und BioNTech im Verlauf des Jahres Verträge über die Lieferung von 30 Millionen Einzeldosen des Impfstoffs für das Vereinigte Königreich, 100 Millionen Dosen für die USA und 120 Millionen Dosen für Japan.
Doch Pfizer hat einen weltweit üblen Ruf. Mitte der 90er Jahre führte der US-Konzern illegale und betrügerische Meningitis-(Hirnhautentzündungs)-Testversuche mit Kindern im afrikanischen Nigeria durch. An dem Versuch mit dem experimentellen Medikament Trovan starben 11 Kinder und Dutzende erlitten lebenslange Behinderungen.
„Die Zeit lief davon … da die Epidemie (in Nigeria) bereits ihren Höhepunkt überschritten hatte“, berichtete Investigativ-Reporter Walter Armstrong vor zehn Jahren im US-amerikanischen Monatsmagazin The Atlantic. Dem Unternehmen gelang es, innerhalb von sechs Wochen eine klinische Studie mit der experimentellen Trovan-Verbindung zu entwerfen, die weder bei Kindern noch gegen Meningitis getestet worden war, obwohl Risiken und Komplikationen eines solchen Versuchs in der Regel ein Jahr erfordern, um eine angemessene Bewertung vorzunehmen. Das vielversprechende Breitband-Antibiotikum stieß auf elterliches Misstrauen in den Industrieländern, die nicht bereit waren, ihre Kinder als Versuchskaninchen an den weltgrößten Pharmakonzern zu vermieten.
Da die staatliche, pädiatrische Zulassung jedoch der Schlüssel zum Geschäft und zur Umsatzmaximierung ist, charterte ein Trovan-Team einen Jet, flog nach der nigerianischen Stadt Kano am Rande der Sahara, „befehligte das überfüllte Gelände bröckelnder Aschenblockbunker, die als Krankenhaus galten“ (Armstrong), führte den Test durch und flog zwei Wochen später mit seinen Test-Daten wieder aus. Der Testablauf war aber ein wissenschaftlicher Betrug und ein Anschlag auf das weltweite Gesundheitssystem, wie folgende Pointe deutlich macht.
Obwohl die US-Richtlinien besagen, dass Meningitis-Experimente Langzeit-Follow-Ups vorweisen sollten, befolgte Pfizer keine derartigen Kontrollen. Als weniger als die Hälfte der getesteten Kinder in die Klinik zurückkehrte, erklärte der Konzern, diese Minderheit reiche für den Beweis aus, dass das Experiment keine Nebenwirkungen zeige. Als alle bis auf zunächst fünf der 100 Testkinder überlebten, brüstete sich Pfizer an der Wall Street, der Erfolg der Droge habe das Ding für einen Blockbuster, weil die Sterblichkeitsrate an unbehandelter Meningitis in Kano 20 Prozent betrug.
Eine Investigativ-Reportagen-Serie der Washington Post fand in Kano heraus, dass viele Eltern weder gewusst hatten, dass ihre Kinder Teil des Experiments waren, noch informiert wurden, dass eine benachbarte Klinik, ausgerechnet von „Medicines San Frontiéres“ verwaltet, ihren Kindern ein bewährtes Antibiotikum hätte verabreichen können.
Zusammengefasst: Nach erst Jahre später einsetzenden Ermittlungen verklagte die nigerianische Justiz den Pfizer-Konzern zu umgerechnet 5,2 Milliarden Euro Schadensersatz. Wikileaks gelang es jedoch, Geheimberichte des US-State Department anzuzapfen und nachzuweisen, dass die Pfizer-Verteidigungsstrategie sich nicht auf die Prozess-Verzögerung allein beschränkte, sondern fern jeder Selbstkritik und Entschuldigung obendrein auf Erpressung zielte. Die Interna des State Department berichten von Sitzungsprotokollen, in denen Pfizer-Vertreter den US-Botschafter darüber informierten, dass das Unternehmen der Klage des Bundesstaates Kano zugestimmt hätte, jedoch anstelle der geforderten 5 Milliarden ein „Taschengeld“ in Höhe von 75 Millionen US-Dollar angeboten hätte.
Der Konzern sei zu dem Schluss gekommen, die freche Summe sei angemessen, da die Klagen seit vielen Jahren andauerten und Pfizer jährlich angeblich mehr als 15 Millionen Dollar an Rechts- und Ermittlungsgebühren gekostet hätten. Aus den Leaks geht hervor, Pfizer habe für die Zustimmung der nigerianischen Justiz Schmiergelder angeboten. Der Fall ging in Revision und nach einem 15 Jahre langen Rechtsstreit beugte sich der US-Konzern dem Urteil und zahlte mit einer ersten Rate jeder betroffenen nigerianischen Familie 175.000 US-Dollar; nach wie vor ein billiges Taschengeld.
Der Fall inspirierte den renommierten britischen Kriminalroman-Autor John le Carré zu dem im Jahr 2001 erschienenen Roman The Constant Gardener und zur gleichnamigen britischen Spielfilmbearbeitung Der ewige Gärtner (2005) mit Ralph Fiennes und Rachel Weisz in den Hauptrollen.
Das GAVI-Impfnetzwerk vor der Covid-19-Pandemie und die Bill & Melinda Gates Foundation
Doch zurück zum Wettstreit der Vakzine.
Der Covid-19-Pandemie und dem weltweiten Wettkampf der Impfstoff-Hersteller geht ein machtvolles Geflecht privatwirtschaftlicher und staatlicher Akteure voraus. Die zentrale Rolle spielt hier die Vaccine Alliance, die sich zur Gründungszeit vor zwei Jahrzehnten Global Alliance for Vaccines and Immunization nannte, doch nach wie vor unter dem Akronym GAVI zeichnet. Die Organisation definiert sich selbst als öffentlich-private globale Gesundheitspartnerschaft für den Impfungs-Zugang mit Schwerpunkt in armen Ländern.
In der GAVI-Allianz sind Entwicklungsländer-Regierungen, die WHO, UNICEF, die Weltbank, die Impfstoff-Industrie, Ortsindustrien der Entwicklungsländer, Forschungs- und technische Agenturen sowie einzelne Vertretungen der Zivilgesellschaft vernetzt. Doch das Netzwerk sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wiederholten Dementis zum Trotz hier die Bill & Melinda Gates Foundation dominanten Einfluss ausübt. Die Stiftung pumpte seit ihrem und dem Bestehen von GAVI Milliarden US-Dollar in das Netzwerk und stiftete allein für die Bekämpfung von Covid-19 in den kommenden fünf Jahren 1,6 Milliarden US-Dollar an GAVI. Die GAVI-Allianz, insbesondere ein gewisser gesundheitspolitischer „Gates-Approach“ ist nicht unumstritten.
Beschäftigte des öffentlichen Sektors und Wissenschaftler des öffentlichen Gesundheitswesens in Industrie- und Entwicklungsländern haben GAVI und andere globale Gesundheitsinitiativen (GHI) mit Akteuren des privaten Sektors kritisiert und erklärt, sie besäßen weder die demokratische Legitimierung noch die Fähigkeit, über eine staatliche Agenda für das öffentliche Gesundheitswesen zu entscheiden. Im Zentrum der Kritik steht, dass private Geldgeber es einfacher finden, durch öffentlich-private Partnerschaften wie GAVI Einfluss auszuüben, als die traditionellen Gesundheitssysteme zu fördern.
Ferner wird kritisiert, dass Mitarbeiter der privaten, sogenannten „Gesundheitsinitiativen“ häufig direkt aus Elite-Bildungseinrichtungen rekrutiert werden und keine Erfahrung mit öffentlichen Gesundheitssystemen haben, insbesondere mit denen ärmerer Länder. So wundert es nicht, dass bei den GAVI-internen Debatten wichtige Stifter wie Norwegen und Großbritannien das öffentliche Gesundheitssystem unterstützten, während USAID und die Bill & Melinda Gates Foundation, insbesondere Bill Gates persönlich, sich dagegen aussprachen; ein Grund, weshalb WHO-Beamte wiederholt GAVI privat dafür kritisiert haben, dass die Organisation das Mandat der WHO verletzt und geschwächt habe.
Die CEPI-Impf-„Allianz für eine sichere Welt“
Die CEPI – New Vaccines For A Safer World („Koalition für Innovationen zur Vorbereitung auf Epidemien“) mit Hauptsitz in Oslo ist ein Geschöpf des Weltwirtschaftsforums von Davos (WEF) aus dem Jahr 2017. Es wurde mit einer Geldspende in Höhe von 460 Millionen US-Dollar aus der Taufe gehoben; etwas weniger als die Hälfte davon von privaten Spendern wie der Bill & Melinda Gates Foundation und des britischen Wellcome Trusts, mit je 100 Millionen US-Dollar. Zu den Mitbegründern gehört ein Staaten-Konsortium, bestehend aus Norwegen, Japan und Deutschland, dem später die Europäische Union (2019), Großbritannien (2020) und Indien beigetreten sind.
Die Zeitschrift Nature schrieb 2017, CEPI sei „mit Abstand die größte Impfstoff-Entwicklungsinitiative, die jemals gegen Viren eingeführt wurde, die potenzielle epidemische Bedrohungen darstellen“. Nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie wurde CEPI von verschiedenen Medien als „Schlüsselakteur im Wettlauf um die Entwicklung eines Impfstoffs“ gegen das Coronavirus bezeichnet. Unmittelbar nach der Gründung erklärte Bill Gates im Interview mit der Financial Times, das Hauptziel von CEPI bestehe darin, die Laufzeit für die Entwicklung von Impfstoffen von 10 Jahren auf weniger als 12 Monate zu verkürzen. Im Februar 2020 war CEPI durch Neuzugänge bereits mit mindestens 800 Millionen US-Dollar ausgestattet.
Wie GAVI definiert auch CEPI seine Gründungsmission als „gerechten Zugang” in Pandemie-Fällen, also den Verkauf von Impfstoffen an Entwicklungsländer zu erschwinglichen Preisen. Einerseits sollen hierdurch bestehende Patente der Pharmaindustrie heruntergehandelt oder gar missachtet werden, um skandalöse Justizdispute der Konzerne wie während der Ebola-Epidemie 2013-2016 zu vermeiden. Andererseits versucht CEPI jedoch mit der Einbindung von einflussreichen Staaten, auch die ungehinderten, globalen Handelsinteressen der Privatwirtschaft sicherzustellen.
Geschäftsgeheimnisse würden nicht von CEPI finanziert, heißt es in den Erklärungen der Organisation, Privatunternehmen müssten alle mit CEPI-Mitteln entwickelten Forschungsdaten teilen. Während CEPI das mit Eigenmitteln entwickelte geistige Eigentum kontroverserweise nicht behalten und patentieren werde – was den Mitgliedsstaaten erlaubt, die Impferzeugnisse zu besitzen – schreibt CEPI auch sogenannte „Einstiegsrechte“ vor. Im Klartext, das Recht, mit CEPI-Mitteln entwickeltes geistiges Eigentum für die Impfstoffherstellung mit Lizenz zu vergeben und zu nutzen, auch wenn das Unternehmen, das die Finanzierung erhalten und das geistige Eigentum beansprucht hat, später von der Vereinbarung mit CEPI zurücktritt.
Bereits im Januar 2020 begann mit mehrfachen Millionen-US-Dollar-Investitionen die CEPI-Förderung privater Pharma-Unternehmen (Moderna, Inovio) der University of Queensland sowie chinesischer Forschungsanstalten auf der Suche nach einem Covid-19-Impfstoff.
Die COVAX-Initiative
Neun der von CEPI geförderten Covid-19-Impfstoffkandidaten sind Teil der COVAX-Initiative. Mit den Worten der WHO: Die Mehrheit unter den Dutzenden von Covid-19-Impfstoffen, die derzeit weltweit entwickelt werden, wird „nicht erfolgreich sein“. Weniger als 10 der rund 175 Impfstoffprojekte gegen das Sars-CoV-2-Virus haben Testphase 3 – also die Verträglichkeitsprüfung mit Massentestung – angetreten. Von den rund 165 impfinteressierten Ländern haben nach Angaben der WHO bereits 80 potenziell selbstfinanzierende Länder unverbindliche Interessenbekundungen bei der von GAVI koordinierten COVAX-Fazilität eingereicht und sich 92 Volkswirtschaften mit niedrigem und mittlerem Einkommen angeschlossen, die vom COVAX Advance Market Commitment (AMC) unterstützt werden können. In diesem Stadium warnt die WHO jedoch, „die Regierungen stehen unter dem Druck, die Versorgung ihrer Bevölkerung mit den erfolgreichen Impfstoffen zu gewährleisten, doch wenn die Regierungen konkurrieren, könnten die meisten Länder aus der Versorgung herausfallen“. Die Initiative wurde COVAX genannt.
In der Eigendefinition will COVAX Facility COVAX „unter Verwendung eines derzeit von der WHO formulierten Zuteilungsrahmens einen fairen und gerechten Zugang zu Impfstoffen für jede teilnehmende Volkswirtschaft sicherstellen“. Wie dies funktionieren soll, erklärt GAVI folgendermaßen: „Die COVAX-Fazilität wird den gerechten Zugang sicherstellen, indem sie die Kaufkraft der teilnehmenden Volkswirtschaften bündelt und Volumen-Garantien für eine Reihe vielversprechender Impfstoffkandidaten bereitstellt, damit die Impfstoffhersteller, deren Fachwissen für die Produktion der neuen Impfstoffe in großem Maßstab von wesentlicher Bedeutung ist, frühzeitig gefährdete Investitionen tätigen können. Diese Produktionskapazität bietet den teilnehmenden Ländern und Volkswirtschaften die besten Chancen auf einen schnellen Zugang zu Dosen eines erfolgreichen COVID-19-Impfstoffs“. In Wahrheit ist COVAX nicht, wie von GAVI behauptet, ein gepoolter Beschaffungsmechanismus für Covid-19-Impfstoffe, sondern vor allem von staatlichen Finanzierungsmitteln für die Pharmaindustrie.
COVAX und CEPI sind zwei Gesichter der gleichen Medaille. Neun Impfstoffkandidaten werden derzeit von CEPI unterstützt. Sieben davon betreiben bereits Phase 3 der Testabläufe. Regierungen, Impfstoffhersteller mit ihrer eigenen Forschung und Entwicklung, Organisationen und Einzelpersonen haben bisher 1,4 Milliarden US-Dollar für die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen bereitgestellt. Offiziell fehlt jedoch eine Milliarde US-Dollar, „um das Portfolio weiter voranzutreiben“. Der Finanzierungsdruck der Pharmaindustrie wird offen zugegeben. „Der Erfolg von COVAX hängt nicht nur von den Ländern ab, die sich der COVAX-Fazilität angeschlossen haben, sondern auch davon, dass wichtige Finanzierungslücken sowohl für die F&E-Arbeit von COVAX als auch für einen Mechanismus zur Unterstützung der Beteiligung einkommensschwacher Volkswirtschaften an der COVAX-Fazilität geschlossen werden“, heißt es in ähnlich lautenden Erklärungen von GAVI/CEPI und der WHO.
Das weniger bekannte Ziel ist die Entwicklung von drei „sicheren und wirksamen Impfstoffen“, die den an der COVAX-Fazilität teilnehmenden Ländern zur Verfügung gestellt werden können. So wurde aus dem Oxford/Astra-Zeneca-Impfstoff der „politische Führer“ in Lateinamerika, den die Bill & Melinda Gates Foundation mit 750 Millionen US-Dollar und die US-Regierung mit einer weiteren Milliarde US-Dollar finanzieren. Der Implementierung des Testlaufs, der Labor-Infrastruktur und der industriellen Herstellung schlossen sich neben den Regierungen Argentiniens, Mexikos und Brasiliens (im Alleingang) drei lateinamerikanische Milliardäre an: der Mexikaner Carlos Slim, der Argentinier Sigman und der in der Schweiz lebende Getränke-Multimilliardär und reichste Mann Brasiliens, Paulo Lemann.
Argentinien, Brasilien und Mexiko gehören zu den lateinamerikanischen Ländern, die sich für die COVAX-Allianz ausgesprochen haben. Die USA, China, die Europäische Union und Russland haben jedoch erklärt, dass sie vorerst nicht Teil der Koalition sein werden.
Der Gewinn Bill Gates‘
Bill Gates schätzte kürzlich, die Covid-19-Krise werde für reiche Länder wahrscheinlich Ende 2021 und für die übrigen Betroffenen 2022 enden. „Für die reiche Welt sollten wir dies (das Coronavirus) sicherlich bis Ende 2021 beenden können, während der Rest der Länder es bis Ende 2022 fertigstellen würde“, erklärte der Milliardär.
Nicht wenige fragen sich, was gewinnen die Bill und Melinda Gates mit ihrer Teilhabe an der globalen Gesundheits- und Impfstoff-Finanzierung? Die „Weltherrschaft“ mit einem nachträglichen Hirn-Chip-Implantat? Bill Gates als einer der „Illuminati“ in den Verschwörungs-Mythen versponnener Facebook-Seiten oder von Robert Kennedy Jr., der jüngst als „Held“ einer Covid-19-kritischen Demonstration in Berlin zelebriert wurde? Dem Unfug widersprach längst Oskar Lafontaine mit nüchternen Fakten, die in seinem Beitrag Bill Gates – Weltherrschaft und Verschwörungstheorie nachzulesen und zu würdigen sind, die aber auch in neuen Untersuchungen über die Motivationen des Turbo-HighTech-Milliardärs ausgeweitet und analytisch vertieft werden sollten.
Das Gates-Ehepaar und seine Stiftung feiern sich gern als „Retter von 122 Millionen Menschen“, denen ihre Hilfe in der medizinischen Notversorgung zugutekam. Bei diesen Feiern spielen die Medien eine zentrale Rolle der Hofberichterstattung und Beweihräucherung, die selten das medizinische Mäzenatentum des Gates-Ehepaares in Verbindung mit dem Microsoft-Konzern herstellen und somit ausblenden, dass Microsoft Anlagewerte in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar vereinigt und in den vergangenen acht Monaten dieses Jahres bereits 44 Milliarden US-Dollar eingefahren hat.
Microsoft CEOs behaupten, der Konzern zahle einen effektiven Steuersatz von 49 Prozent auf seinen Gewinn, doch die Silicon-Valley-DigitalTech-Giganten, darunter Microsoft, hinterzogen im Jahr 2019 rund 100 Milliarden US-Dollar an fälligen Steuern. Stiftungen sind das bewährteste Werkzeug zur Steuer-Hintertreibung und Philanthropie der Hebel medialer Dauerfeiern. Über Bill Gates sollte weiter recherchiert und publiziert werden, vor allem unter einem zweiten, relevanten und strategischen Aspekt: Stärkt sein Philanthropismus das weltweite öffentliche Gesundheitssystem oder begünstigt es umgekehrt seine zunehmende Privatisierung, vor allem in der sogenannten Dritten Welt?
Die Fragestellung führt natürlich auch zur von mehrfachen Vorwürfen betroffenen Gates-Partnerin WHO. Doch weder die WHO noch Gates sind das eigentliche Problem, sondern die haarsträubende Unterfinanzierung der renommierten UN-Organisation durch die Mehrheit ihrer Mitgliedstaaten, womit – Thema eines der nächsten NachDenkSeiten-Beiträge – der privatwirtschaftlichen Unterwanderung der WHO und anderer UN-Institutionen Tür und Tor geöffnet wurden.
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