Das ZDF fragt, ob man „wegen Nawalny“ den Kulturaustausch mit Russland beenden solle. Derweil boykottiert Außenminister Maas ein deutsch-russisches Wissenschaftsprojekt. Nach dem Sport („Staatsdoping“) sollen nun weitere Bereiche der deutsch-russischen Verständigung „politisiert“ und ein Dialog unmöglich gemacht werden. Von Tobias Riegel.
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Gerade hat in Berlin der Abschluss des „Deutsch-Russischen Jahres der Hochschulkooperation und Wissenschaft“ stattgefunden. Eigentlich war lange geplant, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow hier mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas zusammenkommt: Zum einen, um das vielversprechende und völkerverbindende deutsch-russische Wissenschaftsprojekt zu würdigen. Zum anderen aber, um zu nutzen, was internationale kulturelle, sportliche und wissenschaftliche Projekte „nebenbei“ möglich machen: Einen politischen Austausch auch in von giftiger Propaganda geprägten Zeiten. Ein Treffen von Maas und Lawrow beim Abschluss des „Deutsch-Russischen Jahres der Hochschulkooperation und Wissenschaft“ am gestrigen 15. September hätte also eine wichtige Gelegenheit sein können: dafür, im deutsch-russischen Verhältnis wieder ein Maß an Austausch und Vernunft walten zu lassen, inmitten der scharfen und irrationalen antirussischen Medienkampagne zum Fall Nawalny.
Kultur, Wissenschaft und Sport sollen „politisiert“ werden
Kultur und Wissenschaft sollen offensichtlich ebenso politisiert werden wie der Sport, der etwa durch die Kampagnen zur WM 2018 oder zum „russischen Staatsdoping“ bereits propagandistisch aufgeladen wurde – auch um die durch die „unverfänglichen“ Veranstaltungen möglich werdenden Dialoge zu unterbinden. Hier soll übrigens Doping durch russische Sportler nicht prinzipiell bestritten werden, aber die Instrumentalisierung dieses Sport-Themas für Geopolitik ist verwerflich. Neben der politischen Ebene soll zudem die friedliche und „unpolitische“ Begegnung der Bevölkerungen bei Sport oder Kultur torpediert werden – ein verwerflicher Angriff auf die Völkerverständigung. Ein weiteres aktuelles Beispiel für diese Tendenzen sind Angriffe auf den deutsch-russischen Kulturaustausch, über die etwa die ZDF-Sendung „Aspekte“ berichtet – dazu folgt weiter unten im Text mehr.
Das aktuelle Verhalten vor allem großer deutscher Medien, aber auch von großen Teilen der Politik gegenüber Russland ist heuchlerisch, destruktiv und langfristig riskant: Wie viele harsche und arrogante Zurückweisungen werden die Russen wohl noch hinnehmen? Wie wird sich das auf ein vielleicht einst als möglich oder nötig zu betrachtendes Bündnis zwischen Deutschland und Russland auswirken? Man sollte die anscheinende Geduld der Russen mit den Marotten einer radikalen deutschen Medienlandschaft jedenfalls besser nicht als Schwäche missverstehen.
„Lawrow schlägt Gesprächsangebot von Maas aus“
Die jüngste Chance zum vernünftigen Dialog in einer von Kampagnen irrational aufgeladenen Zeit hat, nach Aussagen von russischer Seite, der deutsche Außenminister verhindert: Bereits am 3. September hat er demnach nicht nur die Teilnahme an der Zeremonie zum „Deutsch-Russischen Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft“ abgesagt, sondern auch die Zeit für Gespräche mit der russischen Seite stark gekürzt, wie das russische Außenministerium aktuell mitteilte. In deutschen Medien wird der genaue Hergang der Absage als nicht eindeutig dargestellt, so schreibt der „Spiegel“ unter der irreführenden Überschrift „Lawrow schlägt Gesprächsangebot von Maas aus“, der Grund für die Absage sei „angeblich” eine Änderung im „Terminplan der deutschen Seite“. Im Gegensatz zu Maas hat Lawrow eine Grußbotschaft an das Wissenschaftsprojekt gesendet, eine deutsche Übersetzung der Mitteilung des Außenministeriums und eine Einordnung findet sich beim „Anti-Spiegel”.
Welche Darstellung in Bezug auf Lawrows Besuch auch zutrifft: Kein Zweifel besteht daran, dass Heiko Maas durch seine Absage der Teilnahme an der Zeremonie eines wichtigen deutsch-russischen Projekts schon wieder einen der wenigen verbliebenen Räume des deutsch-russischen Dialogs ungenutzt ließ und diesen Dialog damit insgesamt und langfristig weiter beschädigt hat. Das ist für einen Diplomaten ein sehr schlechtes Zeugnis.
Heiko Maas: Der Anti-Diplomat
Vor kurzem erst ist Maas durch seine Blockade einer Rückkehr Russlands in die G7 destruktiv aufgefallen. Die NachDenkSeiten haben in dem Artikel „Heiko Maas: Der antirussische Torwächter“ beklagt, dass mit Maas ausgerechnet ein „Sozialdemokrat als beflissene Speerspitze antirussischer Stimmungsmache“ wirkt. Der Artikel fährt fort, und diese Aussage kann man auch auf die ganz aktuellen Vorgänge um das „Deutsch-Russische Jahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft“ anwenden:
„Wie man als Reaktion auf internationale Konflikte die internationalen Gesprächsformate in der Form sabotieren kann, wie Maas und andere westliche Politiker und Medien das praktizieren, ist schwer zu rechtfertigen. Die aus einem angeblichen moralischen Vorsprung abgeleitete „strafende“ Haltung westlicher Politiker gegenüber Russland ist zudem nicht durch die politisch-militärischen Taten jenes „Westens“ gerechtfertigt. Schon gar nicht sollte sich der höchste Diplomat eines Landes in dieser für internationale Dialoge destruktiven Weise aus dem Fenster lehnen.“
„Kulturaustausch mit Russland beenden?“
Zum Thema des deutsch-russischen Kulturaustauschs hat das ZDF gerade einen Bericht des Magazins „Aspekte“ produziert: „Kulturaustausch mit Russland beenden? Das Nawalny-Attentat und die Folgen“. Hier wird die abzulehnende und in jeder Hinsicht destruktive Forderung nach einem Abbruch eines Kulturaustausches mit Russland immerhin noch mit einem Fragezeichen versehen.
Man fragt sich aber dennoch, wie ein „Kulturmagazin“ eine solche der Völkerverständigung und der verbindenden Kraft der Kultur widersprechende These überhaupt positiv in den Raum stellen kann. Im Bericht selber werden ebenfalls vor allem Fragen gestellt, aber mit einer eindeutigen „russlandkritischen“ Stoßrichtung.
Die Seriosität verlässt die Sendung in den Momenten, in denen sie Marieluise Beck als Kronzeugin einführt. Ein weißrussischer „Oppositioneller“ spricht sich aber gegen ein Abwürgen der kulturellen Verbindungen auch zwischen „feindlichen“ Staaten aus. Schwach ist die Position von Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die mit russischen Kultureinrichtungen etwa den „deutsch-russischen Museumsdialog“ führt. Anstatt diesen Dialog auch (und gerade!) in Zeiten der ungezügelten antirussischen Propaganda ohne Wenn und Aber zu verteidigen, lässt er seine Position – neben allgemeinen zutreffenden Sätzen zur verbindenden Kraft der Kultur – bedenklich im Vagen.
Mit Kultur, Sport, Wissenschaft Brücken bauen
Das Bestreben vor allem der USA, einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu treiben, ist bekannt, diese Haltung wird etwa in diesem bekannten Vortrag des Chefs des US-Thinktanks STRATFOR, George Friedman, unverblümt artikuliert. Man sollte sich diesem Bestreben entgegenstellen – auch mit Hilfe von Kultur, Sport und Wissenschaft. Darum darf man nicht zulassen, dass diese verbindenden Elemente nun diffamiert werden, um auch diese Brücken abzubrechen.
Titelbild: © MagMac83 / Shutterstock