Menschenrechts- und Friedenspolitik müssen zusammen gedacht werden – das sagt Stefan Herbst, ehemals Menschenrechtsreferent der Missionszentrale der Franziskaner und Mitglied im Koordinierungskreis des Forum Menschenrechte. Herbst hat sich in einem Gastartikel für die NachDenkSeiten Gedanken über die außen- und friedenspolitische Linie der Grünen gemacht und nimmt dabei den „Fall Nawalny“ als aktuelles Beispiel für eine lange Entwicklung, die den Grundwerten der Grünen eigentlich komplett zuwiderläuft.
Kein Zweifel: Den außenpolitischen Vogel der aktuellen Nawalny-Diskussion schoss die Grünen-Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt ab, als sie sich gegenüber Zeitungen der Funke-Medien-Gruppe folgendermaßen äußerte:
“SPD-Alt-Kanzler Schröder muss sich jetzt entscheiden, ob er auf der Seite der Demokratie und der Menschenrechte steht”. Worauf sie damit zielt: “Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (hat) einen sofortigen Stopp des deutsch-russischen Pipelineprojekts Nord Stream 2 gefordert. ….Die Bauarbeiten an der Pipeline in Mecklenburg-Vorpommern müssen sofort eingestellt werden und die Bundesregierung muss jetzt einen wasserdichten Weg aufzeigen, wie das Projekt beendet werden kann”.
Damit unterstellt Göring-Eckardt allen, die Zweifel an der Verknüpfung zwischen dem Milliardenprojekt Nord Stream II und einem mutmaßlichen Mordversuch hegen, Feinde von „Demokratie und Menschenrechten“ zu sein.
Die Grünen-Politikerin hat sich damit von der einstmals Grünen Friedenstaube in einen außenpolitischen Kampffalken entwickelt.[1] Sie stürzt sich auf Stimmen, die zur Besonnenheit im Umgang mit Russland mahnen, auf spekulative Anknüpfungen mit einer ungewöhnlich populistisch-stimmungsmachenden Rede. Kein Zweifel: Sie hat das handwerkliche Werkzeug politischer Diffamierung und Unterstellung gut gelernt. Sie ist zweifellos ins Lager politischer Verblender gewechselt, die – ihr Parteivorsitzender Habeck stößt ins gleiche Horn, wenn er Zweifler (und dies sollte gerade bei politischen Morden/Mordversuchen/Kalkülen die Herangehensweise jedes für das Gemeinwohl Verantwortung tragenden Politikers sein) als Verschwörungstheoretiker diffamiert – jenseits rationaler Politik auf Stimmungsmache setzen und im Namen von „Demokratie und Menschenrechten“ anders-rational-denkende Menschen als Verschwörungstheoretiker brandmarken. Die derzeitige kriminalistische Diskussion gleicht jener, die mir unterstellt, dass ich den mit einem Küchenmesser gestalteten Mordversuch begangen haben müsse, weil das Küchenmesser nun mal aus meiner Küche stamme und ich Ärger mit dem Opfer gehabt habe….
Auch energiepolitisch ist das, was die Grünen hier vertreten, allerdings nur die „halbe Wahrheit“. Sie müssten dann nämlich auch sagen, dass sie zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit von Erneuerbaren Energien einer Verteuerung des Gaspreises und einer möglichen Verknappung (die Ukraine hat die durch ihr Land führende Gasleitung schon einmal gesperrt) das Wort reden. Kurz- und mittelfristig sind diese Äußerungen nur als Unterstützung von Erdölländern, der Kohleenergie oder gar vom umweltschädlichen Gasfrackingverfahren der USA zu verstehen.
Gas ist sicherlich nur eine Übergangstechnologie. Aber sie ist gerade auch als kurzfristig einigermaßen CO2-neutrale Alternative zum Erdöl und zur Kohle (nach dem beschlossenen Atomausstieg) unverzichtbar. Die Politik der Grünen ist deshalb nicht nur außenpolitisch problematisch, weil sie das Verhältnis zu unserem europäischen Nachbarn Russland untergräbt, sondern sie ist energiepolitisch unredlich – von einer durchdachten grünen Alternative (sie bezeichnen sich als „Programmpartei“ sic!) gar nicht zu sprechen.
Aber kommen wir noch einmal auf das Herzstück der populistischen Rede von Göring-Eckardt zurück: Sie diffamiert mit ihrer Äußerung nämlich einen ehemaligen Markenkern deutscher sozialliberaler Handels- und Weltpolitik, die unter zwei Stichworten stand: Wandel durch Handel und Entspannungspolitik. Nun mag man gerade an der liberalen menschenrechtlichen Maxime gewisse Zweifel hegen: Handel könne Menschenrechte voranbringen. Aber völlig von der Hand ist dies nicht zu weisen, wenn es auch viele Beispiele dafür gibt, dass Handelsinteressen über Menschenrechtsinteressen gestellt werden und wurden (vgl. Ernst Käsemann, der einmal zur Argentinienpolitik der Bundesrepublik sagte: “Die Diplomatie kümmert sich nicht um die Menschenrechte und den Zivilschutz, sondern um ihre nationalen Repräsentationspflichten und kommerziellen Interessen. Ein verkaufter Mercedes wiegt mehr als ein Leben.”[2]). Jedenfalls friedenspolitisch ist es sicher, dass enge Handelsbeziehungen auch unterschiedlichste und feindlich gesinnte Interessensgruppen aneinanderbinden. Handel und gegenseitige Abhängigkeit verhindern, dass jemand Amok läuft und meint, alles auf eine Karte zu setzen, weil er damit nicht nur den Feind, sondern eben auch sich und seinen ureigensten Interessen schädigt. Außerdem gilt (wenigstens eingeschränkt) immer noch: Wer miteinander spricht, der schießt nicht auf den anderen. Gorbatschows Rede vom „Gemeinsamen Haus Europa“ deutet genau in diese Richtung. Wenn das Ziel der Entspannungspolitik in den Jahren 1987-1992 (mit und unter Gorbatschow!) erreicht wurde (auch dank der sozialdemokratischen entspannungspolitischen Vorarbeit, die damals noch „links von Grünen“ und der 68-er Friedens-, Frauen-, Eine-Welt- und Ökologie-Bewegung überholt wurden) so sehen wir nun, dass die „Grünen“ sich nach der Häutung und Emanzipation von ihren ehemaligen Wurzeln in Friedens- und Eine-Welt-Bewegung hin zu einer neuen Sanktions- und menschenrechtsmilitaristischen Interventionspartei entwickelt haben. Es ist dabei besonders aussagekräftig, dass man dabei dem schon in den 60-er und 70-er Jahren entwickelten US-amerikanischen außenpolitischen Narrativ von „Menschenrechten und Demokratie“ völlig ideologieunkritisch folgt und ihn in unseren Medien fast einspruchslos einsetzen kann, um andere zu diffamieren. Dabei waren wir im Diskurs schon einmal viel weiter, wenn, ja wenn die Grünen einen Noam Chomsky wirklich lesen und beherzigen würden, einen der besten US-amerikanischen Intellektuellen. Seine Werke zu Vietnam waren damals das intellektuelle Werk über den Vietnamkrieg. Der Vietnamkrieg war für die 68-er-Bewegung mitursächlich und führte letztlich auch zu den Grünen als „linke“ Abspaltung der SPD. Noam Chomsky gehörte sicherlich ursprünglich gerade zu den grünen-nahen Ideengebern politischer Debattenkultur. Aber seine Werke wie „Manufacturing Consent“ – (ähnlich medienkritisch wichtig auch Albrecht Müllers Buch „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“) oder „Wer beherrscht die Welt“ oder „Hybris – die endgültige Sicherstellung der globalen Vormachtstellung der USA“ oder „Der gescheiterte Staat“ und „Requiem für den amerikanischen Traum“ und und und sind heute weitgehend aus dem grünen intellektuellen Diskurs getilgt.
Mit grüner Realpolitik oder einer grünen Programmatik, die diesen Namen verdient hätte, haben solche Einlassungen nichts mehr zu tun: Sie helfen nämlich weder den Menschenrechten noch der Demokratie, noch sind sie energiepolitisch verantwortungsethisch vertretbar. So wie es keine Alternative zu halbwegs „freundschaftlichen Beziehungen“ zu den USA und unseren NATO-Partnern gibt, so wenig dürfte Deutschlands und Europas Außenpolitik von der Alternativlosigkeit freundschaftlich-partnerschaftlichen zu unserem unmittelbaren Nachbarn, Russland, wie auch zu unserem fernöstlichen Partnerland China bestehen. Wohin wollen die „Grünen“, ein grüner Außenpolitiker, die deutsche Politik treiben – so fragt man sich. Will man tatsächlich der US-amerikanischen Kriegs-, Sanktions-, Erpressungs- und Hegemonialpolitik eine europäisch-französisch-deutsche gleichgestaltete und gleichgeschaltete Außenpolitik hinzugesellen?
Den Grünen mangelt es heute an realpolitischen Alternativkonzepten. Sie verirren sich in außenpolitischem Kriegsfalkentum in einer untergründig militaristischen Menschenrechtspolitik (übrigens wird auch im Namen eines falsch verstandenen Feminismus weiterhin Krieg in Afghanistan geführt). Sie vergessen dabei auch wesentliche Lehren einer politischen Theologie des Jesus von Nazareth:
„Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? “ (Matthäus 7,3)
„Wenn Du mit einem Finger auf den Gegner zeigst, zeigen drei Finger auf dich zurück“, könnte man als volkstümliche Aneignung dieses Jesuswortes deuten. Für die Grünen: Sie bemerken nicht, dass sie ähnlich diffamatorisch unterwegs sind, wie sie früher einmal als „fünfte Kolonne des Kommunismus“ oder als verantwortungslose Gesinnungsethiker diffamiert wurden. Sie haben die eigenen Lehren der Vergangenheit über Bord geworfen: Es gibt auch bei völligen Unterschieden und Interessen unter Menschen (sollte Putin und Göring-Eckardt eine solche Personenkonstellation sein – wobei Göring-Eckardt nie ein regierungspolitisches Amt bekleidet hat) keine Alternative zu Gesprächen und Kommunikation. Wer den anderen mit Sanktionen belegt und zum Feindbild stilisiert, hat schon verloren, weil er seiner eigenen Logik auf den Leim geht und den Grundsatz von Dialog und Kommunikation, nämlich „Vertrauen“, zerstört. Man fragt sich, welche Grünen noch nach Russland reisen und dort Gespräche führen. Kann tatsächlich eine ehemals friedenspolitische Partei ernsthaft zu einem heutigen Parteitag eine US-Außenpolitikerin Madeleine Albright einladen[3], die die Grünen zusammen mit Joschka Fischer in den (völkerrechtswidrigen) Serbienkrieg geführt hat (und damals ein hegemonialer Affront gegen ein zur „Regionalmacht“ eingedampftes Russland war) und öffentlich die Sanktionspolitik der USA gegenüber dem Irak, dem über fünfhunderttausend Kinder zum Opfer gefallen sind, verteidigt hat (wenngleich sie diese Aussage auch später als „politischen Fehler“ bezeichnete). Die Grünen haben Hans Christof von Sponeck vergessen, der damals (im Jahr 2000) als Leiter des Oil-for-Food-Programms im Irak zurückgetreten ist, weil die USA unter Madeleine Albright sämtliche menschenrechtlichen Anfragen der mit den Folgen dieser Politik vertrauten UN-Experten abgeschlagen hatten – die UNO so zu einem Mordinstrument gegen die irakische Bevölkerung instrumentalisierten.[4] Madeleine Albright wurde wegen dieser mörderischen Sanktionspolitik nie zur Rechenschaft gezogen – nun darf sie (als Belohnung?) auf dem Grünen-Parteitag 2020 sich als außenpolitischer Friedens- und Beraterengel hervortun. Naja, würden die Grünen dagegenhalten: Immerhin ist Madeleine Albright frauenbewegt, ist Jüdin und außerdem und besonders wichtig: Mitglied der Demokratischen Elite. Aber was steht mehr für diesen „realpolitischen“ Wandel der Grünen von einer Friedens- zu einer potentiellen Kriegsverbrecherpartei – natürlich und das sei gesagt: „mit Offenheit und Optimismus will ich Demokratie gestalten und Freiheit bewahren“, als eine solche geschichtsvergessene Einladung. Man geht damit auch dem außenpolitisch gefährlichen Narrativ auf den Leim, dass die US-Politik unter den Demokraten alles anders machen würde. Nichts wäre geopolitisch falscher als diese Annahme, weil sie den politischen Diskurs einseitig auf die angebliche Alternative zwischen den ach so guten „Demokraten“ und den bösen „Republikanern“ verengt.
Die einseitige Erblindung – menschenrechtliche Double-Standards der „neuen grünen Politik“
Wie kann Göring-Eckardt einen einzelnen Mordversuch, der nur „Plausibilitätsgründe“, aber keinesfalls Beweise aufbringen kann, zu einer Sanktionspolitik gegen Russland nutzen, während man die (fast) täglichen US-Morde bzw. außergerichtlichen Hinrichtungen durch Drohnen in Afrika, die noch dazu von Deutschland aus gesteuert werden, stillschweigend übergeht? Offensichtlich geht es den Grünen nicht um Menschenrechte, deren ethisches Proprium gerade darin besteht, unansehnlich der politischen Ausrichtung des verfolgten Menschen zu gelten, sondern um eine einseitige außenpolitische Positionierung Deutschlands und Europas zu einer Kriegspartei im westlichen Wertediskurs (oder sollte man Unwertediskurs sagen – wie natürlich, wenn von „Werten“ im Zusammenhang mit „Westen“ die Rede ist, eigentlich immer das Adjektiv „verlogen“ hinzukommen, mindestens aber mitgedacht werden müsste. Aber nein, höre ich mir schon entgegenrufen: Man könne doch nicht die deutsche Demokratie oder das demokratische „Amerika“ mit dem diktatorischen Russland vergleichen oder gar auf eine Stufe stellen). Hinzu kommt: Es besteht für eine rationale Politik ein Unterschied, ob eine außenpolitische Handlung auf Tatsachen oder Vermutungen beruht. Während man die faktenbasierte menschenrechtswidrige US-Außenpolitik hinnimmt, schlägt man lautstark Alarm und fährt heftigste Geschütze auf (Sanktionen sind Wirtschaftskrieg – also Krieg mit anderen Mitteln), wenn vermeintliche „politische Freunde“ anderswo vermeintlich bzw. mutmaßlich verfolgt und ermordet werden. Das eine ist Außenpolitik auf Fakten, das andere Außenpolitik auf Mutmaßungen, möglicherweise feindbilderzeugt, so wie die deutsche Außenpolitik bis in die späten 80-er Jahre hinein mit dem Antibolschewismus und Antikommunismus aus Kaiserzeit und Nationalsozialismus gleichermaßen gespeist, geprägt war.
Zurück zu Nawalny: Es geht den Grünen nicht um Nawalny (obwohl sie ihn wohl als Anti-Korruptionspolitiker und als Anti-Putin-Politiker als „Ihresgleichen“ längst adoptiert haben – über fremdenfeindlich-nationale Anklänge hinwegsehend) – sie benutzen den Mordanschlag auf ihn, ihre außenpolitische Agenda voranzubringen. Und die ist spätestens seit der Ukrainekrise antirussisch und einseitig (nicht nur gegenüber der USA als auch gegenüber der Rolle Deutschlands und Europas) erblindet.
Dabei haben die Grünen ja recht: Es gibt wohl keinen Zweifel, dass Menschenrechte in der außenpolitischen Menschenrechts- und Interessenpolitik immer nur eine Mauerblümchenrolle gespielt haben.
Es ist beklagenswert, dass Menschenrechte bei den USA oder auch bei Russland und China (allerdings Letzteres in weniger großem Ausmaß, weil es außenpolitisch bis heute keine Militärpolitik betreibt und nicht wie die USA Krieg als anderes Mittel der Politik begreift[5]) – aber auch zunehmend in der europäischen Außenpolitik nie eine letztendscheidende Rolle gespielt haben. Die Inkaufnahme ziviler Opfer wird ebenso von den USA (angefangen in Hiroshima bis zur Bombardierung von Städten in Syrien (Rakka laut Wikipedia: „nach 4500 Luftangriffen auf das Stadtgebiet sind etwa 1000 Zivilisten getötet worden und ein bedeutender Teil der Infrastruktur ist zerstört“) wie von Russland (Tschetschenienkrieg, Bombardierung von Städten in Syrien – wenn auch nicht in der Größenordnung von Rakka) betrieben. Die Geheimdienste aller Länder scheuen vor politischen Morden oder Attentaten (Frankreich – Rainbow Warrior) und Folter (CIA-Foltergefängnisse in Syrien und in Polen oder Guantanamo, das bis heute nicht geschlossen ist) nicht zurück.
Nun aber sich gerade gegenüber Russland zum Menschenrechtspuristen aufzuspielen, zeugt davon, dass man das außenpolitische Diktum von Joschka Fischer (dem ungarischen Metzgerssohn – ich habe Budakeszi immer seiner eingedenk besucht) bis heute nicht überwunden hat, der damals schon den Serbienkrieg – und wir erinnern uns daran, dass der Kriegseintritt Deutschlands damals der erste Kriegseinsatz Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg war, noch dazu völkerrechtswidrig, weil er die UNO überging – mit menschenrechtlichen Gründen (einen zweiten Holocaust vermeiden) legitimierte. Ähnlich dann auch die Verwicklung der grün-roten Außenpolitik in den Afghanistankrieg und den weltweiten Kriegsdiskurs „Krieg gegen den Terror“ – den die USA vor genau zwanzig Jahren vom Zaun brachen. Dieser wurde damals gegen uns als Menschenrechtler begonnen. Ich saß am Vorabend des Afghanistankriegs noch im Rahmen eines Treffens des Forum Menschenrechte dem Außenminister Joschka Fischer gegenüber, als wir (damals u.a. mit Claudia Lochbihler als Generalsekretärin von AI und späterer Grünen-Politikerin in Brüssel) ihn darauf festlegen wollten, dass Krieg gegen den Terror nicht zu führen sei. Es könne gegen „Terror“ kein Krieg geführt werden – und ein solcher Kriegsdiskurs würde in einen ständigen Krieg führen mit der durch Kriegs- und Notstandspolitik begründeten dauerhaften Außerkraftsetzung von Menschenrechten – und unsere Überlegungen wurden dann von einer noch viel bittereren Wirklichkeit überrollt) und ein menschenrechtlich-rechtsstaatlicher Verfolgungsdiskurs geführt werden müsse. Was wir nicht wussten: Fischer hatte schon damals sein O.K. für den am nächsten Tag beginnenden Angriff der USA auf Afghanistan gegeben und die deutsche Beteiligung signalisiert. Joschka Fischer legitimierte damals seine Ausführungen u.a. mit dem Satz, man könne nicht auch noch die andere Backe hinhalten, wenn der andere zuschlägt. Wie armselig wenig dieser Politiker von der jesuanischen Entfeindungsliebe verstanden hat und wie sehr er und seine Parteigenossen einem angeblich verantwortungsvollen „beschränkten“ Zugriff auf das Militär und militärische Lösungen erlegen sind, zeigt sich heute. Gerade angesichts des uns allen drohenden Atomtodes, der selbstzerstörerischen Rüstungsspirale und der Gefährdung menschlichen Lebens durch Umweltzerstörung und Biozid wäre ein anderer Zugang zur Realität, der den tiefsten Intuitionen von Religionen und Denkern entspricht, notwendig – ist das Gleichnis von „der anderen Backe“ im Grunde alternativlos. Allen, die mit „militärischem Druck“[6] zündeln, sei erneut gesagt: Nach einem mit Russland geführten Atomkrieg wird es keine zweite Welt mehr für die Menschheit geben. Und: Ohne China (ja und auch USA – seien sie nun von Trump oder Biden geführt) wird es kein Ende des Biozids und der drohenden Selbstauslöschung der Menschheit via Biozid und Klimakatastrophe geben. Es wird dem menschenrechtsverliebtesten und menschenrechtsinterventionshungrigsten Grünen auch nichts helfen, wenn auf seinem Grab steht: „Er hatte recht.“
Quo Vadis, Grüne? Ist Euch der Weg zu den Fleischtöpfen der Macht das Opfer jeder friedens- und außenpolitischen Vernunft wert? Und reagiert bitte nicht mit einem entrüsteten, schnellen und wohlfeilen Nein.
Titelbild: photocosmos1/shutterstock.com
[«1] Ganz auf dieser außenpolitischen Linie der Grünen argumentiert schon seit längerem die Heinrich-Böll-Stiftung und ihre Mitarbeiter. Siehe dazu der aktuelle Beitrag von Stefan Meister: „Das Ende der Ostpolitik. Wie ein Strategiewandel deutscher Russlandpolitik aussehen könnte.“
Auch hier wird wieder von einer „Bereitschaft (d.h. durch die NATO unter deutscher Beteiligung zu implementierenden) für Schutzzonen für Zivilisten in Syrien“ fabuliert, was einem unverhohlenen Aufruf zum Kriegseintritt Deutschlands in Syrien gleichkommt, „ohne militärischen Druck wird es nicht möglich sein….“. Außenpolitisch dürftig ist hier die Aneinanderreihung von Vorwürfen gegenüber Russland ohne Hinterfragung der eigenen US-dominierten, westlich-deutschen Außenpolitik. Wie widersprüchlich einseitig diese Position ist, zeigt, dass der Autor einerseits Russland vorwirft, eine Regierung zu haben, die keine Rechtsstaatlichkeit kennt – aber gleichzeitig den Bruch von mit Russland rechtsstaatlich ausgehandelten Verträgen (North Stream II) das Wort redet. Umgekehrt wäre der Autor zu hinterfragen: Ist eine Sanktionspolitik, der er das Wort redet, wirklich rechtsstaatlich legitim – untergräbt sie doch die Grundcharta der Vereinten Nationen – ähnlich auch die unverhohlene Argumentationsweise zur Einmischung in die russische Innenpolitik, man müsse „langfristig auf einen politischen und gesellschaftlichen Wandel in Russland setzen, da nur dieser Frieden und Stabilität garantiert.“ Sind solche Regime-Change-Spekulationen wirklich Russland angemessen – oder nicht die erneute Heraufbeschwörung eines Reiches des Guten hier und eines Reichs des Bösen dort? Sie reflektieren wohl auch die Kommunikationsunfähigkeit grüner Außenpolitik weltweit (ähnlich die zelotischen Äußerungen einer Göring-Eckardt zu China etc. etc. – nur die USA wird merkwürdig immer mehr ausgenommen). Ähnliche Einlassungen würde ich gerne von einem Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung im zu den USA benachbarten Kanada lesen…. Eignet sich eine solche Partei, die solche politischen Köpfe einstellt, noch für eine an deutschen Friedensinteressen orientierte, UN-freundliche und verlässliche Außenpolitik? Hinzu kommt: Der Autor fabuliert hier nur von den „Kosten für Russland“, nicht aber von den Kosten für uns. Ist eine Aufkündigung des fast fertiggestellten North-Stream-II-Projektes etwa für Deutschland, die Firmen, den Steuerzahler und auch den Gaskunden denn wirklich „kostenlos“ zu haben? So kann nur jemand argumentieren, der Schreibtischpolitik betreibt und nicht Verantwortung für ein Land, seine Wirtschaft, seine außenpolitische Verlässlichkeit und das Gemeinwohl trägt.
[«2] lebenshaus-alb.de/magazin/004430.html
[«3] gruene-bundestag.de/videos/we-must-defend-essential-freedoms
[«4] Wichtig die Rede zur Preisverleihung der Deutsch Arabischen Gesellschaft: d-a-g.de/uploads/media/Preis_2019_Laudatio_Dr._Gysi.pdf
[«5] Madeleine Albright: „Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.“ fembio.org/biographie.php/frau/biographie/madeleine-albright/
[«6] Siehe Anmerkung 1!