Nawalny, Nowitschok und Nord Stream 2. Von Peter Vonnahme.

Nawalny, Nowitschok und Nord Stream 2. Von Peter Vonnahme.

Nawalny, Nowitschok und Nord Stream 2. Von Peter Vonnahme.

Peter Vonnahme
Ein Artikel von Peter Vonnahme

Das Geschehen rund um Nawalny, Nowitschok und Nord Stream 2 gleicht einem Verwirrspiel. Nicht Aufklärung ist das Ziel, sondern Vorverurteilung eines „Systemgegners“. Der Umgang mit diesem Komplex offenbart eine beklemmende Orientierungslosigkeit und Beliebigkeit deutscher Politik. Dieser Befund gilt nicht nur für die Regierungskoalition, sondern auch für einen Großteil der parlamentarischen Opposition.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Völkerrecht als Propagandamittel

In TV-Talkrunden überbieten sich die Allzweckwaffen Maas, Röttgen, Baerbock und Lindner mit der Beschwörung von Rechtsstaat und Völkerrecht. Bei einem Praxistest am Fall Nawalny wird – wieder einmal – deutlich, dass das hochgelobte Recht in der realen deutschen Außenpolitik zur Worthülse verkommen ist. Man beruft sich auf das Recht nur dann, wenn es gilt, dem Systemgegner – mit Vorliebe der Russischen Föderation – den Schwarzen Peter zuzuspielen. Insbesondere wird es als Aufhänger benutzt, um mittels Sanktionsandrohungen Menschen zur Rebellion gegen ihre Führungseliten aufzuwiegeln (Beispiele: Iran, Venezuela, Weißrussland).

Demgegenüber führt das Recht bei offenkundigen Völkerrechtsverletzungen der „westlichen Wertegemeinschaft“ ein beklagenswertes Schattendasein. Als Beispiel hierfür mögen die Kriege gegen Jugoslawien und den Irak, die US-Drohnenmorde in Afghanistan, die israelische Besatzung in Palästina und die menschenverachtende Flüchtlingspolitik auf dem Mittelmeer und auf den Inseln Lampedusa und Lesbos dienen. Wenn es um Bündnis- oder Rohstoffinteressen geht, spielt das Völkerrecht traditionell keine Rolle. In all diesen Fällen regiert nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren.

Mediale Vorverurteilung

Diese Doppelbödigkeit lässt erkennen, dass verlässliche Rechtsprinzipien unverzichtbar sind. Recht gilt entweder immer oder es gibt überhaupt keines. Es darf nicht sein, dass Politiker nach Gutsherrenart bestimmen, in welchen Fällen Recht relevant ist und wann es obsolet ist. Das Messen mit zweierlei Maßen gibt es nicht nur in der Politik, sondern es ist von Zeitungen und Rundfunk- und Fernsehanstalten bereitwillig übernommen worden. Offensichtlich geht Servilität vor Seriosität. Es ist unübersehbar, dass sich durch ständige Wiederholung auch verquere Denkschablonen in das Bewusstsein von Menschen einbrennen. Die deutsche Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Gefährlich wird es, wenn wie etwa im Fall Nawalny die Mainstreammedien – angefangen von ARD bis ZDF sowie von Bild bis zur WAZ – ungeprüft die von der Politik geäußerten Verdächtigungen übernehmen. Untersuchungen zeigen, dass gleichlautende Berichte und Bewertungen in unterschiedlichen Quellen für „wahr“ gehalten werden. Die Folge davon ist, dass heute schon viele Menschen glauben, dass Putin oder „der Kreml“ für die Vergiftung Nawalnys verantwortlich sind, obwohl keine Beweise vorliegen. Es steht Behauptung gegen Behauptung.

Der Fall Nawalny zeigt weiter, dass ein Großteil der deutschen Zeitungen und Rundfunk- und Fernsehanstalten ihrer Aufgabe nicht gerecht wurde. Sie ergreifen Partei gegen Russland und vergessen, dass sie von Gesetzes wegen zu Sorgfalt, Objektivität und Wahrhaftigkeit verpflichtet sind. Diese mediale Einseitigkeit bewirkt eine politische Vorverurteilung. Das tut der Wahrheitsfindung nicht gut.

Die Rolle des Rechts

Normalerweise wird zuerst aufgeklärt und dann erst verurteilt; das gilt zumindest in Rechtsstaaten. Im Fall Nawalny war es umgekehrt. Er war noch im Flugzeug nach Deutschland unterwegs, da stand Russland als Täter schon so gut wie fest. Mehr als das: Es wurden bereits Sanktionen gegen Russland gefordert.

Gerade in aufgeheizten Situationen sollte man sich an ein paar Rechtsgrundsätze erinnern, die über Jahrhunderte mühsam erkämpft worden sind:

  • Für alle Beteiligten gelten die gleichen Spielregeln (modern: „no double standards“).
  • Wer einer strafbaren Handlung verdächtigt wird, gilt solange als unschuldig, bis ihm in einem geordneten Verfahren die Tat nachgewiesen wird (Unschuldsvermutung).
  • Wenn im Verfahren Zweifel an der Schuld des Angeklagten verbleiben, ist er freizusprechen (in dubio pro reo).
  • Der Ankläger kann nicht zugleich Richter sein (Prinzip der Gewaltentrennung).

Legt man diese Maximen zugrunde, so wird die Beliebigkeit und Einseitigkeit der politischen und publizistischen Aussagen in Sachen Nawalny sichtbar.

Der unstreitige Sachverhalt

Gesichert ist, dass der russische Staatsbürger Alexej Nawalny am 20. August 2020 auf einem Inlandsflug in einem russischen Flugzeug Gesundheitsprobleme bekam und bewusstlos wurde, woraufhin das Flugzeug in der russischen Stadt Omsk notlandete. Am Abend gab das Krankenhaus bekannt, dass Nawalny im Koma liege und künstlich beatmet werde. Das russische Ärzteteam bemühe sich, sein Leben zu retten.

Das Umfeld Nawalnys vermutete sofort eine Beteiligung der russischen Regierung an einer Vergiftung. Bundeskanzlerin Merkel forderte umgehend Russland zur Aufklärung der Tat auf und bot Nawalny eine Behandlung in Deutschland an. Am 22. August wurde er in einem Sonderflug nach Berlin gebracht und in die Klinik Charité verlegt. Am 24. August teilte die Charité mit, erste klinische Befunde deuteten auf eine Intoxikation hin. Am 2. September erklärte die deutsche Bundesregierung, dass ein Labor für Toxikologie der Bundeswehr ein Nervengift der Nowitschok-Gruppe in den in der Charité entnommenen Proben Nawalnys nachgewiesen habe.

Warum deutsches Engagement?

Die erste und naheliegendste Frage ist: Warum hat sich Deutschland überhaupt in das Geschehen eingemischt? Denn es handelt sich offensichtlich um einen Vorgang, der ausschließlich innerrussische Bezüge aufweist (Hoheitsgebiet, Flugzeug, Opfer, Krankenhaus, Erstversorgung). Eine Notwendigkeit zum Eingreifen anderer Staaten war nicht erkennbar, zumal das russische Gesundheitswesen anerkannt leistungsfähig ist. Bemerkenswert ist, dass sich andere Staaten mit Hilfsangeboten zurückgehalten haben. Selbst die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates USA, Frankreich und Großbritannien haben sich nicht eingemischt.

Ein Grund für das deutsche Engagement könnte sein, dass Merkel und Maas Weltpolitik spielen wollten und ihnen ein Affront gegen Putin gelegen kam. Zugegeben, das ist Spekulation. Aber wenn spekuliert wird, dann muss es in alle Richtungen möglich sein.

Warum Bundeswehrlabor?

Zu hinterfragen ist auch, warum das Nawalny entnommene Probematerial ausgerechnet in einem Bundeswehrlabor untersucht worden ist. Das ist zumindest ungeschickt, weil es Russland ermöglicht, das Untersuchungsergebnis wegen unübersehbarer antirussischer Ressentiments wichtiger deutscher Politiker in Zweifel zu ziehen. Diese Sichtweise wird dadurch gestützt, dass es die deutsche Seite abgelehnt hat, der russischen Regierung ihre Laborbefunde direkt zu übermitteln. Das nährt den Verdacht, dass kein Interesse an einer gemeinsamen und objektiven Aufklärung besteht.

Nowitschok, ein Fingerabdruck Moskaus?

Die Vergiftung eines Menschen ist ein abscheuliches Verbrechen. Für die Strafwürdigkeit spielt es keine Rolle, ob der Straftäter auf Geheiß Putins gehandelt hat oder ob er von westlichen Geheimdiensten geleitet worden ist. Beides muss verfolgt und geahndet werden. Es darf auch keine Rolle spielen, ob das Opfer Nawalny ein mutiger Regimekritiker und Ehrenmann ist oder ein Schurke und Straftäter. Unübersehbar wird Nawalny im Westen für Ersteres gehalten – wegen seiner Gegnerschaft zu Putin.

Für die folgenden Überlegungen wird unterstellt, dass Nawalny tatsächlich mit Nowitschok vergiftet worden ist. Bekannt ist, dass dieses Gift in den 70er Jahren durch die ehemalige Sowjetunion entwickelt worden ist. Mit dieser Feststellung ist juristisch nichts gewonnen. Denn nach einem israelischen Geheimdienstbericht sind mindestens 20 Länder in der Lage, Nowitschok herzustellen. Damit sind auch Bezugsquellen für die giftige Chemikalie vorhanden.

Doch selbst wenn man wüsste, dass das gegen Nawalny eingesetzte Gift seinen Ursprung in Russland hatte, würde das nicht bedeuten, dass der Giftanschlag Russland bzw. seinem Präsidenten anzulasten ist. Denn der Präsident ist naturgemäß nicht für alle Straftaten seiner Landsleute persönlich verantwortlich, genauso wenig wie die Kanzlerin nicht für jeden in Deutschland verübten Mord verantwortlich ist. Erst wenn weitere Ermittlungen ergeben, dass ein Verbrecher im Auftrag des Kreml oder des Präsidenten gehandelt hat, wären die voreilig erhobenen Beschuldigungen und Sanktionen gegen Russland berechtigt.

Der CDU-Kanzlerkandidat Röttgen meinte, dass das Gift “eindeutige Fingerabdrücke“ hinterlassen habe, die auf Moskau hindeuten. Andere mutmaßten, dass es keine andere plausible Erklärung für die Vergiftung gäbe. Solche Begründungen machen in ihrer Schlichtheit sprachlos. Denn im Kern besagen sie: Man kann Putin zwar nichts beweisen, aber zuzutrauen ist ihm eine solche Tat allemal.

Welcher Richter, der Herr seiner Sinne ist, würde eine des Gattenmordes angeklagte Ehefrau mit der lapidaren Begründung verurteilen, dass sie – und nur sie – wegen ihrer krankhaften Eifersucht als Mörderin in Betracht komme; weitere Ermittlungen im Mordfall müssten deshalb gar nicht mehr angestellt werden?

Andere Denkmodelle

Die erste Frage lautet: Wer hat ein Motiv für die Vergiftung Nawalnys? Kriminalisten fragen: Wem nützt die Tat (cui bono)? Die spontane Antwort hierauf lautet: Putin und dem Kreml. Doch schon bei flüchtigem Nachdenken ergeben sich Tatvarianten, die nicht auf Putins Russland hindeuten. Mordmotive finden sich – wenn man der kriminalistischen Fantasie etwas Raum gibt – überall, bei rachsüchtigen Oligarchen (die Nawalny wiederholt der Korruption beschuldigt hat), bei mafiösen Untergrundkämpfern und nicht zuletzt bei ausländischen Geheimdiensten. Der Giftanschlag könnte aber auch Teil eines langfristig angelegten Plans mit dem Ziel sein, Russland wirtschaftlich, politisch und militärisch zu destabilisieren. Der Gedanke eines regime change ist bekanntlich ein altbewährtes Mittel US-amerikanischer Hegemonialpolitik. Auch die Vorstellung, man könne Putin durch ständige Verdächtigungen und Provokationen zu einer unbedachten Gegenrektion veranlassen, um dadurch einen Anlass für zusätzliche Wirtschaftssanktionen zu bekommen, ist durchaus rational.

Ich will nicht missverstanden werden. Alle hier angedeuteten Denkmodelle sind spekulativ. Aber sie sind logisch nicht ausschließbar. Damit fällt die Arbeitshypothese, es gäbe für den Giftanschlag nur eine einzige schlüssige Erklärung, nämlich eine russische Täterschaft, krachend in sich zusammen.

So gesehen sind die gegen Russland und Putin erhobenen Schuldzuweisungen zumindest voreilig.

Putin als Täter?

Angenommen, Putin hätte ein Mordmotiv, wie wahrscheinlich wäre dann ein Giftanschlag ausgerechnet mit Nowitschok? Ziemlich unwahrscheinlich. Denn jeder Trottel könnte erkennen, dass der Verdacht unweigerlich in Richtung Putins ginge. Es ist schwer vorstellbar, dass der ehemalige KGB-Mitarbeiter, Schachspieler und gewiefte Taktiker Putin so töricht ist. Viel unverfänglicher wäre ein anonymer Schuss aus dem Hinterhalt, ein „Sturz“ in den U-Bahn-Schacht oder von einer Felsenklippe. Man muss also kein Putinversteher sein, um die Theorie, Nowitschok deute auf eine Täterschaft Putins hin, als weltfremd abzulehnen.

Vergiftung des Denkens

Die Vorstellung, dass Putin oder Russland im Zweifel immer verantwortlich sind, beruht auf einer Vergiftung des Denkens. Vergessen ist seine Rede im Deutschen Bundestag von 2001. Damals sagte er, das Herz Russlands sei “für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet”. Die Abgeordneten reagierten mit stehendem Applaus, in Deutschland herrschte Putin-Euphorie. Doch der überhebliche Westen ignorierte dieses Angebot. Zwanzig Jahre später zeigt sich ein völlig anderes Bild. Die aggressive Propaganda gegen Russland hat in den letzten Jahren hysterische Ausmaße angenommen. Reflexartig kamen Forderungen nach einer Bestrafung Putins, nach Sanktionen gegen Russland und nach einer verstärkten militärischen Präsenz der Nato in den russischen Vorhöfen. Die Reaktionen auf die Fälle Skripal und Nawalny bestätigen diese russophobe Haltung. Alles deutet auf eine choreographierte Kampagne hin mit dem Ziel, Russland als Schurkenstaat zu verunglimpfen. Eskalationspolitik dient jedoch weder deutschen noch russischen und schon gleich gar nicht europäischen Interessen. Eine gedeihliche Zukunft Europas ist nicht gegen, sondern nur mit Russland möglich. Trotz berechtigter Kritik an Teilaspekten der russischen Politik ist die gegenwärtige Hetze verantwortungslos, denn sie treibt die Welt in einen neuen Kalten Krieg.

Vernünftiger Umgang mit Russland

Es ist an der Zeit, zu einem angemessenen Umgang mit Russland zurückzufinden. Das Zerrbild, das heutige Russland sei primär ein friedloser, unglaubwürdiger und inhumaner Nachfolgestaat der Sowjetunion, muss überwunden werden. Es ist dies ein Stereotyp, der durch die Geschichte der letzten Jahre nicht gedeckt wird. Es gibt Staaten, die den Frieden auf der Welt weitaus mehr gestört haben als Russland.

Insbesondere für Deutschland ist Zurückhaltung geboten. Zum einen steht es Deutschland aus seiner historischen Verantwortung nicht zu, sich gegenüber Russland oberlehrerhaft und überheblich zu gebärden. Zum anderen sollte das Wissen darüber, dass Mitglieder des eigenen Bündnissystems mittels kriegsvorbereitender Lügen – wie etwa der „Brutkastenlüge“ (1991), des sog. „Hufeisenplans“ (1999) und der „Yellowcake-Lüge“ (2003) – die Welt mehrfach an den Rand des Abgrunds geführt haben, zu einem besonnenen Umgang mit Russland mahnen. Voreilige Verdächtigungen der Machart Röttgen, Maas und Baerbock dienen diesem Ziel nicht.

Sanktionspolitik und Nord Stream 2

Es war eine voraussehbare Kettenreaktion: Kaum war bekannt, dass Nawalny vergiftet worden ist, wurde gemutmaßt, dass das mittels Nowitschok geschehen ist. Das wiederum ließ keine Zweifel offen, dass dann als Täter nur Russland in Betracht kommt. Und wenn dem so ist, dann muss darauf mit Sanktionen geantwortet werden. Was böte sich hierfür mehr an als ein Weiterbauverbot für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Schließlich handelt es sich dabei um ein russisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt mit dem Ziel, böses Russengas gegen gutes deutsches Geld nach Deutschland zu pumpen. Da Putin auf dieses Geld angewiesen ist, drängte es sich geradezu auf, ihn mit Geldentzug in die Knie zu zwingen. Strafe muss schließlich sein, auch wenn ein strafbares Verhalten noch gar nicht feststeht.

Dass dem Gasgeschäft ein rechtsgültiger Vertrag zugrunde liegt und in unserem Kulturkreis der Grundsatz pacta sunt servanda gilt, wird ebenso großzügig übergangen wie der Umstand, dass das Pipelineprojekt baulich zu 90 Prozent fertiggestellt ist und dass die beteiligten deutschen Firmen auf den Lückenschluss drängen. Doch die Marschrichtung bestimmt in diesem Fall nicht das Recht, auch nicht die Wirtschaft, sondern die Politik. Immerhin hat die Kanzlerin jüngst öffentlich erwogen, das Projekt aufzugeben. Servil sprang ihr der Kandidat Norbert Röttgen zur Seite, indem er verlautete, das sei die einzige Sprache, die Putin verstehe. Außenminister Maas meinte dasselbe, nuschelte aber seinem Amt entsprechend im Tonfall etwas verbindlicher, er hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern.

Bedrückend ist, niemand war so ehrlich, den wirklichen Grund für den Gesinnungswandel zu nennen. Die Trump-Administration und der US-Kongress wollen Nord Stream 2 verhindern. Außenminister Pompeo hat kürzlich erklärt, die USA würden “alles tun”, um die Fortführung des Projektes doch noch zu stoppen. Washington macht auch kein Geheimnis aus seinem Wunsch, das eigene teurere und umweltschädlichere Fracking-Gas nach Europa zu liefern. Die deutsche Regierung befindet sich in einem Dilemma: Um dem peinlichen Eingeständnis zu entgehen, dass man sich Trumps Erpressung beugen muss, nimmt man die Vergiftung Nawalnys zum Anlass, Russland der Tat zu bezichtigen und begleitend dazu unverfroren auf Moral und Empörung zu setzen.

Wohlgemerkt, es ist dieselbe Regierung, die zulässt, dass seit mindestens 2011 Drohnenmorde von deutschem Boden aus durchgeführt werden. Es ist dieselbe Regierung, die dem US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden und seinem (schwer erkrankten) Kollegen Julian Assange jegliche diplomatische Hilfe verweigert. Es ist auch dieselbe Regierung, die nach der brutalen Ermordung des saudischen Journalisten und Regierungskritikers Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul von Sanktionen gegen Saudi-Arabien absah, obgleich der Staat mittlerweile die Ermordung sogar zugegeben hat.

So gesehen ist der Giftanschlag auf Nawalny der Anfang eines von Heuchelei geprägten Trauerspiels.

Schön wäre es, wenn diejenigen Politiker und Journalisten, die sonst so beflissen über Recht und Moral schwadronieren, bis auf Weiteres beschämt schweigen würden.

Dem unglückseligen Alexej Nawalny, der für ein Schmierenspiel missbraucht worden ist, kann man nur baldige und vollständige Genesung wünschen.