In London scheint die Sonne, aber weiterhin nicht auf Julian Assange

In London scheint die Sonne, aber weiterhin nicht auf Julian Assange

In London scheint die Sonne, aber weiterhin nicht auf Julian Assange

Ein Artikel von Moritz Müller & Lutz Hausstein

Am Montag ging es in London mit dem Prozess gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange weiter, bei dem er sich gegen eine Auslieferung an die USA, wo ihm lebenslange Haft droht, wehrt. Bzw. er versucht sich zu wehren, denn die Umstände, unter denen der Prozess nun weitergeführt wird, scheinen ihm gegenüber eher feindselig und im wahrsten Sinne des Wortes obskur, denn eine transparente Berichterstattung wird vonseiten des Gerichts auf offensichtliche Weise erschwert. Insofern bestätigt das Verhalten der Richterin bzw. der Justiz die Notwendigkeit einer Organisation wie Wikileaks, die vor fast eineinhalb Jahrzehnten einmal angetreten ist, um Fehlverhalten von Regierungen und Organisationen offenzulegen. Zum Glück hat Julian Assange weiterhin eine Anzahl von engagierten Unterstützern und es gab zum Auftakt auch einiges Interesse der Medien. Ein Bericht aus London von Moritz Müller mit einem Kommentar zur Berichterstattung der ARD von Lutz Hausstein.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wie schon im Februar wollte ich mir nun mit eigenen Augen ein Bild von den Vorgängen im und um das Gericht machen. Schon damals war es recht schwer, Zugang zur Besuchertribüne zu erlangen, obwohl sich die Richterin an anderer Stelle, z.B. als es um die Veröffentlichung der Namen von Assanges Kindern und seiner Verlobten ging, auf ein öffentliches Verfahren beruft.

Im Februar gab es 18 Plätze für Frühaufsteher, was uns schon damals wenig erschien, und vor der jetzigen Verhandlung am zentralen Strafgerichtshof „Old Bailey“ hieß es, dass es wegen der Corona-Maßnahmen nur vier Plätze für die Öffentlichkeit gäbe, zusätzlich zu den fünf Plätzen für Angehörige von Assange. Diese Anzahl wurde dann am Montagmorgen von der Richterin nochmals ohne richtige Begründung auf zwei reduziert. Da ich relativ früh vor Ort war, hieß es, dass ich einen der beiden Plätze habe, aber dann überließ ich meinen Platz dem jetzigen Wikileaks-Vorsitzenden Kristinn Hrafnsson, da selbst er keinen Zugang zur Verhandlung haben sollte, obwohl seine Organisation eigentlich zusammen mit Julian Assange auf der Anklagebank sitzt.

Nach seiner Schilderung saß er dann in einem separaten Gerichtssaal auf einer Besuchertribüne, von der er den anwesenden Journalisten zuschauen konnte, wie sie das Geschehen auf Bildschirmen verfolgten. Die erst nach der Intervention der LINKE-MdB Heike Hänsel und des Europa-Abgeordneten Martin Sonneborn eingelassene Vertreterin von Reporter ohne Grenzen (RSF) versicherte mir, dass diese Tribüne groß genug sei, um selbst mit Corona-Distanz 9 oder 10 Personen zu beherbergen.

Eigentlich sollte RSF wie weitere Nichtregierungsorganisationen und politische Beobachter einen Videozugang zum Verfahren haben, der von der Richterin auch kurz vor Prozessauftakt entzogen wurde. Nach den Worten von Christian Mihr, dem Geschäftsführer von RSF in Deutschland, wurde seine Organisation vom Gericht nicht über diese Maßnahme informiert. Als Begründung gab die Richterin an, dass sie fürchte, die Kontrolle über das Verfahren könne ihr entgleiten und dass Zugangsberechtigte Mitschnitte des Verfahrens machen könnten. Warum ihr das nicht früher eingefallen ist und warum es nicht irgendwo in London einen größeren Raum gibt, wo mehr Beobachter unter diesen kuriosen Bedingungen Zugang finden, bleibt ihr Geheimnis. Insgesamt ist es natürlich eine Mammutaufgabe für eine einzelne Person, sich durch 100.000 Seiten von Akten zu wühlen.

Des Weiteren gab sie an, dass im Februar ein Foto von Julian Assange von der Besuchertribüne aus gemacht wurde, welches dann aus dem Saal per „social media“ verbreitet wurde. Dieses Foto habe ich im Februar selbst gesehen und auch mir erschloss sich nicht der Sinn dieser unnötigen Aktion, aber auch diese Woche warten vor der Tür der Besuchertribüne wieder Personen, deren Motivation sich nicht nur mir nicht erschließt und die noch dazu eine ungute Stimmung verbreiten. Aber solche Aktionen gibt es wohl so lange, wie es uns Menschen gibt, aber es ist trotzdem schade.

Christian Mihr schilderte weiterhin, dass er schon vielen Prozessen in Ländern beigewohnt habe, die in der westlichen Darstellung als problematisch gelten, aber dass er sich dort willkommener gefühlt habe als im Vereinigten Königreich, wo bei diesem Verfahren noch nicht einmal der Anschein von Fairness und Transparenz gewährleistet sei. Nicht nur er scheint fassungslos über die willkürlich erscheinenden Aktionen der Richterin.

Nun zu dem, was andere Beobachter über das Geschehen im Gerichtssaal zu berichten hatten. Craig Murray, mit dem ich sprach, ist wie immer eine präzise Quelle.

Am Morgen war Assange formell erneut verhaftet worden, um die von den USA in letzter Minute vorgelegten zusätzlichen Beweise in den Prozess einbauen zu können. Diese Dinge waren nach Angaben von Wikileaks aber schon seit fast 10 Jahren bekannt. Allerdings hatten die Anwälte und Assange bisher keine Zeit, diese am 14. August vorgelegten Dokumente zu diskutieren, denn sie haben seitdem nur zweimal kurz über das öffentliche Telefon im Gefängnis telefoniert. In der Mittagspause am Montag hatten Assange und seine Anwälte das erste Mal seit Anfang März direkten Kontakt. Auch hier scheinen die Covid-Maßnahmen der Anklage direkt in die Hände zu spielen.

Die Verteidigung verlangte wegen dieser knappen Zeit die Nichtzulassung dieser neuen Anklage, aber die Richterin lehnte dies ab, weil es sich halt um Beweise handele. Nach der Mittagspause ersuchte die Verteidigung deswegen um eine Vertagung der Verhandlung, um sich auf diese „neuen“ Punkte mit ihrem Mandanten vorbereiten zu können, aber auch dies lehnte die Richterin mit dem Verweis ab, dafür sei es nun zu spät. Craig Murray merkte dazu im Gespräch an, dass die Verteidigung ihre Anträge ja nur der Reihe nach stellen könne. Insgesamt berichtet er von einer Richterin, die Assange und seine Anwälte herablassend und unfreundlich behandele: „Herr (Verteidiger) Fitzgerald, haben Sie mir noch irgendetwas weiteres Gehaltvolles zu sagen?“

Am Dienstag drohte sie damit, Julian Assange von der Verhandlung auszusperren, als dieser einen Zeugen unterbrach. Dazu kann man anmerken, dass es natürlich nicht erlaubt ist, Zeugen zu unterbrechen, aber dass die Richterin sich dies selbst eingebrockt hat, als sie im Februar darauf beharrte, dass er in einem Glaskasten sitzen solle, anstatt mit seinen Anwälten zusammen zu sitzen, wo er ihnen Informationen flüsternd und nicht störend zukommen lassen könnte. Im Februar habe ich selbst mitbekommen, wie über diese Frage im Gerichtssaal ausführlich diskutiert wurde, aber die Richterin meinte damals, wenn es etwas zwischen Verteidigung und Mandanten zu besprechen gäbe, dann könne der Prozess ja jederzeit kurz unterbrochen werden. Den Einwand, dass eine solche Verfahrensweise das Verfahren merklich in die Länge ziehen würde, schob sie damals beiseite. Das rächt sich nun, denn Rebecca Vincent, die am Montag und Dienstag im Saal anwesend war, bezeichnet das ganze Prozedere als äußerst schwerfällig und von Unterbrechungen durchsetzt.

Außerdem merkte sie im Zusammenhang mit überhaupt nicht oder mangelhaft funktionierenden Videobefragungen von Zeugen an, dass hier der Eindruck von möglicher Inkompetenz entstehe. Auch ich frage mich, ob hier eine Mischung von Überforderung, Inkompetenz und Absicht am Werke ist und somit der Prozess möglichst weit von der Öffentlichkeit entfernt abgehalten werden soll. Es ist eine Ironie, dass dieses Verfahren mit seiner Intransparenz und anscheinender Willkür eigentlich genau die Notwendigkeit von Organisationen wie Wikileaks bestätigt. Es bleibt natürlich die Frage, wie viel von diesem Eindruck am Ende in der Öffentlichkeit ankommt und ob das genug ist, um die Verantwortlichen dazu zu bringen, das Verfahren zu einem rechtmäßigen Abschluss zu führen. Wenn man sieht, wie Julian Assange behandelt wird, bleiben einige Zweifel.

Er selbst wirkte am Montag wohl sehr abwesend und folgte nach den Worten der Beobachter dem Prozess sehr wenig, aber am Dienstag war er dann doch in besserer Verfassung, wie auch sein oben erwähnter Einwurf zeigt. Auch seine Verlobte Stella Moris sieht mitgenommen aus von der anhaltenden Unsicherheit, die über ihm und ihrer Familie schwebt, und auch seinem Vater John Shipton ist die Sorge um seinen Sohn anzusehen.

Insgesamt bleibt einem beim Zuschauen ein äußerst ungutes Gefühl und man fragt sich, was man Institutionen und Regierungen überhaupt noch glauben kann, auch in Bezug auf andere Themen wie z.B. die in alle Bereiche des Lebens dringenden Corona-Maßnahmen. Auch die Bundesregierung hat sich ja bis dato auf den Standpunkt zurückgezogen, dass es sich hier um eine innere Angelegenheit Großbritanniens handele, obwohl die UNO und deren Vertreter wie z.B. Nils Melzer das ganze Verfahren detailliert kritisiert haben.

Was uns bleibt, ist im Moment noch das Recht, auf die Straße zu gehen und an einer der Mahnwachen teilzunehmen und nicht nur dieses Geschehen genau zu beobachten und dementsprechend zu handeln, was unsere Rechte und Pflichten als freie Bürger betrifft. Ich für meinen Teil schwinge mich jetzt auf mein Klapprad und radele zu Old Bailey, um hoffentlich noch die heutigen Schilderungen zu bekommen.


Kommentar von Lutz Hausstein

Am 7. September 2020 gab es zu später, aber nicht, wie bei aufklärerischen Reportagen dieser Art sonst leider sehr häufig üblich, nachtschlafender Zeit eine ausgezeichnete Dokumentation zur Causa Julian Assange in der ARD.

Die meisten der dort dargestellten Aspekte und Informationen waren in den vergangenen Jahren schon Bestandteil der Berichterstattung der NachDenkSeiten zum Umgang mit Julian Assange. Seit Juni 2018 berichtet für die NDS Moritz Müller direkt aus London über die Quasi-Haft in der ecuadorianischen Botschaft, die dortige rechtswidrige Ausspähung von Julian Assange durch die spanische Firma UC Global, die jahrelang andauernde Kampagne, Julian Assange mit falschen Unterstellungen zu kriminalisieren bis hin zum Machtwechsel in der Regierung Ecuadors, die den Verlust des Asylstatus für Assange nach sich zog, dessen gewaltsame Verbringung durch die britische Polizei aus der Botschaft ins britische Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh und die vielfach dubiosen Umstände seines Verfahrens vor einem britischen Gericht, während gleichzeitig die schwedische Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen zur angeblichen Vergewaltigung zweier Frauen durch Julian Assange eingestellt hat. Wer sich umfassend zum Thema Julian Assange informieren möchte, kann die unter dem Schlagwort „Assange, Julian“ derzeit vorhandenen 80 Artikel sichten und daraus die für ihn relevanten Beiträge herausfiltern. Das ist auch deshalb empfehlenswert, da in vielen Artikeln einzelne Aspekte noch deutlicher herausgearbeitet wurden, als dies in der Film-Doku erfolgt ist, so z.B. die genauen Abläufe der konstruierten Vergewaltigungsvorwürfe, die in der Dokumentation nur unzureichend ausgeleuchtet wurden und deswegen auch schnell falsch interpretiert werden könnten.

Hier soll vor allem der Fokus auf die ARD-Dokumentation gerichtet werden, da in ihr sehr kompakt und durch das Bildmaterial auch äußerst eindrucksvoll die Vorgänge um Julian Assange nachgezeichnet werden. Entgegen den sonst stets erhobenen Vorwürfen der Vergewaltigungen wird deutlich die Motivation der US-amerikanischen Regierung(en) dokumentiert, die in der Offenlegung von abscheulichen Kriegsverbrechen durch US-Kampfeinheiten im Irak sowie weiteren Enthüllungen durch Wikileaks und Julian Assange zu suchen ist. Besonders der ehemalige CIA-Direktor und ehemalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta, der teils mit Aussagen zum Fremdschämen, aber auch mit haltlosen Behauptungen „glänzt“, hat sich so bis auf die Knochen blamiert. So wird zum Beispiel der Vorwurf Panettas, aber auch Hillary Clintons widerlegt, Julian Assange hätte mit seinen Veröffentlichungen die Leben von Informanten gefährdet – ein Hauptanklagepunkt der USA gegen Julian Assange. Erhellend auch der Auftritt von Edward Snowden, der thematisiert, dass die von Assange und Wikileaks geleistete Arbeit journalistische Kärrnerarbeit ist und der Angriff auf Assange als beispielgebender Angriff auf die Pressefreiheit zu bewerten ist. Die Aussagen des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Nils Melzer, wurden leider um entscheidende Passagen bezüglich der Vergewaltigungsvorwürfe gekürzt, sodass auch hier ein eher diffuses Bild zurückbleibt. Hervorzuheben ist jedoch, dass seine Einlassungen zur psychologischen Folterung von Julian Assange Eingang in die Doku gefunden haben.

Ungeachtet der punktuellen Unzulänglichkeiten hat die ARD mit der Dokumentation eine wichtige und aufklärerische Arbeit in ihrer Funktion als Vierte Gewalt geleistet. Sie leuchtet Hintergründe aus, hinterfragt Behauptungen und Positionen der Mächtigen und stellt deren Narrative infrage, indem sie diesen Fakten entgegenstellt. Sie versucht, hinter die Kulissen zu schauen und zu zeigen, „was ist“. So berechtigt, gerade in den letzten Jahren, Kritik an der Arbeit der öffentlich-rechtlichen Medien zu üben war und ist: Diese Dokumentation ist der Nachweis, dass und warum ein funktionierender ÖRR so eminent wichtig für das Funktionieren der Demokratie ist. Intakte Medien sind zwar nicht der Garant für eine funktionierende Demokratie, denn dann wäre Julian Assange erst gar nicht in seiner derzeitigen Lage, aber sie sind eine der Grundvoraussetzungen dafür.

Ergänzende Anmerkung: Offenbar gibt es mehrere Versionen dieser Dokumentation, auf jeden Fall mindestens zwei. Sie sind unterschiedlich lang (zwischen 45 und 60 Minuten) und weichen punktuell ein wenig voneinander ab. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sie zu verschiedenen Zeitpunkten produziert und geschnitten wurden und aus diesem Grund auf unterschiedlichen Informationsständen basieren. In den wichtigsten Kernaussagen stimmen sie jedoch, laut derzeitigem Kenntnisstand, überein.


Bilder: © Moritz Müller