Oskar Lafontaine hat seinen Kommentar zum Angriff der Bundeskanzlerin auf Russland wegen des Anschlags auf Nawalny mit „Erbärmliche Heuchelei“ überschrieben. Siehe hier. Der Vorstoß der deutschen Bundeskanzlerin und ihrer Mitstreiter Kramp-Karrenbauer und Maas ist nicht nur erbärmlich. Er ist gefährlich. Dieser Vorstoß der Bundesregierung wird das Vertrauen zwischen Deutschland und Russland massiv beschädigen und zu einer gefährlichen Verhärtung in Russland beitragen. Es ist nämlich gar nicht ausgemacht, dass der Vorgang so ablief, wie er von Frau Merkel dargestellt wird. Es gibt andere Versionen. Es kann zum Beispiel genauso gut sein, dass westliche Geheimdienste ihre Hände im Spiel hatten. Es gibt so viele Ungereimtheiten an diesem Vorgang, dass es hoch fragwürdig ist, sich so festzulegen, wie die deutsche Bundeskanzlerin es getan hat. Albrecht Müller.
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Für mich ist der gestrige Auftritt der Bundeskanzlerin, der Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und des Bundesaußenministers Heiko Maas eine neue Bestätigung dafür, dass an der Spitze unseres Staates Einflusspersonen der USA stehen.
Über diesen bedrückenden Befund haben die NachDenkSeiten schon des Öfteren nachgedacht und berichtet. Dieser Befund war auch Gegenstand von Überlegungen und Recherchen beim Schreiben meines neuen Buches „Die Revolution ist fällig. Aber sie ist verboten“. Mit der Vorstellung dieses Buches wollte ich eigentlich bis Montag, den 7. September, warten. An diesem Tag erscheint es. Aus gegebenem Anlass zitiere ich jedoch einen einschlägigen Text aus dem Kapitel II. 12. „Unterwanderung und Einflussagenten“.
Auszug Seite 103 bis 105 von „Die Revolution ist fällig“:
„Also, es gibt wenig Fakten und Belege, aber es gibt Indizien. Das ist unbefriedigend, aber es macht trotzdem Sinn, darüber nachzudenken.
Zur Entschärfung des inneren Konfliktes nenne ich diese Personen im weiteren Text nicht Einflussagenten, sondern Einflusspersonen. Die Umformulierung nimmt der Analyse den Beigeschmack von krimineller Tätigkeit. Ob dieses Zugeständnis berechtigt ist, muss jede Leserin und jeder Leser selbst entscheiden.
Damit verstanden werden kann, wie wichtig dieses Thema ist, schlage ich vor, sich in die Person des Chefs des größten Rüstungskonzerns der Welt Lockheed Martin zu versetzen. Jetzt stellen Sie sich vor, der Chef dieses Unternehmens muss zu Beginn des Jahres 1990 feststellen, dass eine große Partei in Europa, die SPD, in einem Grundsatzprogramm festgelegt hat, dass es Abrüstung statt Aufrüstung geben soll und dass der Kalte Krieg mit seiner für einen Rüstungskonzern angenehmen Begleiterscheinung der gegenseitigen Aufrüstung beendet sein soll. Und er vernimmt auch, dass diese Position tendenziell vom amtierenden Bundeskanzler von der konkurrierenden Partei CDU, Kohl, geteilt wird. Er hat sich sichtbar mit dem Generalsekretär der KPdSU (mit Gorbatschow) auf das Ende des Kalten Krieges verständigt.
In dieser für das Unternehmen bedrohlichen Situation wird die Unternehmensleitung von Lockheed Martin Verschiedenes unternommen haben: Sie interveniert bei der eigenen Regierung, sie mobilisiert ihre Vertretung in Deutschland und Europa und diese wiederum organisieren Personen, die innerhalb Deutschlands, innerhalb der Parteien und der Medien gegen die neue Friedenspolitik Position beziehen. Es wäre sträflich, würde ein Konzern, der auf Rüstung und damit auch auf Konfrontation angewiesen ist, nicht den Versuch machen, Einfluss auszuüben und dafür auch Personen zu beeinflussen und notfalls zu bezahlen, die diese Arbeit übernehmen.
Das Unternehmen verzeichnete 1990 einen Gewinn von 604 Millionen, im Jahre 2019 waren es 6,23 Milliarden, also ungefähr das Zehnfache. Aber auch 604 Millionen waren ausreichend viel, um die Einflussarbeit und Lobbyarbeit auch in Europa zu finanzieren. Und es hat sich gelohnt.
Die Rüstungswirtschaft hat es zusammen mit den Vertretern aus der Politik, die für eine Politik der militärischen Stärke stärker als für Entspannung und Friedenspolitik eintreten, geschafft, die sicherheitspolitische Konzeption Deutschlands und Europas von den Füßen auf den Kopf zu stellen. Darüber war schon ausführlich in Kapitel II. 8. und 9. berichtet worden. Statt Gemeinsamer Sicherheit mit Russland gibt es Konfrontation, neuerdings auch mit China, und statt Abrüstung gibt es Aufrüstung.
Eine für die Rüstungswirtschaft wichtige Botschaft war, dass Kriege möglich und nützlich sind, und auf Europa bezogen war die Botschaft, dass auch wir hier uns an Kriegen beteiligen sollen. Damit bin ich bei der Schilderung der Tätigkeit einer Einflussperson und eines Vorgangs, bei dem wir nicht auf Indizien oder Hörensagen angewiesen sind. Die Fakten liegen auf dem Tisch:
2003 hat der US-amerikanische Präsident George W. Bush den deutschen Bundeskanzler Schröder und die deutsche Bundesregierung aufgefordert, sich am Irak Krieg zu beteiligen. Zur Erinnerung: Dieser Krieg wurde von den USA mit einer Manipulation begonnen. Man brach ihn vom Zaun, weil der irakische Präsident Saddam Hussein angeblich Massenvernichtungsmittel produziere. Das stimmte aber nicht. Der deutsche Bundeskanzler Schröder verweigerte damals die Zustimmung. Die deutsche Oppositionsführerin Merkel forderte in einem Beitrag für die Washington Post, die deutsche Bundesregierung solle sich am Irak Krieg beteiligen. Der Artikel von Merkel hatte die Überschrift: »Schroeder Doesn’t Speak for All Germans.« Der Spiegel, damals noch ein bisschen kritischer als heute, notierte: »Merkels Bückling vor Bush.«
Der Vorgang war schon deshalb erstaunlich und ungeheuerlich, weil es ein stilles Einvernehmen unter allen politisch tätigen Menschen gibt. Man unterlässt es, die eigene Regierung auf fremden Boden zu kritisieren. Und man unterlässt es ohnehin, von fremden Boden aus die Forderung des Gastlandes an das eigene Land zu unterstützen. Gegen diese Regeln hat Merkel verstoßen. Für mich war damals klar geworden, dass diese wichtige Politikerin eine Einflussperson der USA und der NATO in Deutschland ist. Sie hat kein Etikett an ihrem Kostüm und trägt auch keine Hosen mit der amerikanischen Flagge. Aber es gibt viele Vorfälle, die als Indizien die geäußerte Vermutung bestätigen.
Zwei von Merkel vorangetriebene Personalentscheidungen will ich in diesem Zusammenhang nennen. Die Bundeskanzlerin hat ihre Parteifreundin Kramp-Karrenbauer zur Verteidigungsministerin und auch zur Parteivorsitzenden gemacht, genauer gesagt vorgeschlagen. Diese Ministerin könnte direkt der Sphäre des Kalten Krieges der 1950er-Jahre entstiegen sein. Sie gebraucht die gleichen Formeln, die damals das Konzept beschrieben: »Abschreckung« und »Politik der Stärke«.
Die Bundeskanzlerin hat außerdem ihre Parteifreundin von der Leyen, die als Verteidigungsministerin sowohl die Aufrüstung als auch die Provokation Russlands durch Auftritte in den baltischen Staaten mitgemacht hat und die alles andere als eine erfolgreiche, korrekte Ministerin war, zusammen mit osteuropäischen und stark von den USA beeinflussten Politikern auf den Platz der Kommissionspräsidentin in Brüssel gehievt. Von der Leyen kam wie Zieten aus dem Busch. Die Vernunft dieser Personalentscheidung ist schwer zu erfassen. Es war unter anderem ein Geschenk an die USA.
Sehr wohl weiß ich, dass andere Menschen die Person Angela Merkel und ihre Politik anders sehen. So ist die Welt nun mal.“
Soweit der Auszug aus „Die Revolution ist fällig. Aber sie ist verboten.“ Wie erwähnt, erscheint dieses Buch am Montag, den 7. September – 11 Monate nach dem Vorgänger „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“. Ich hoffe, mit dem neuen Buch eine ähnliche Aufklärungsleistung vollbringen zu können wie mit dem Bestseller vom letzten Jahr. Wenn Sie Interesse daran haben, dann wenden Sie sich bitte Anfang nächster Woche an Ihren Buchhändler oder an den „Buchkomplizen“.
Nach dem gestrigen Tag mit dem Auftritt von Angela Merkel und der Reaktion unserer Medien muss ich allerdings ehrlicherweise hinterfragen, ob Aufklärung überhaupt noch irgendeinen Sinn macht.
Titelbild: Gil Corzo / Shutterstock