Corona-Protest: Erst verleumdet, dann verboten

Corona-Protest: Erst verleumdet, dann verboten

Corona-Protest: Erst verleumdet, dann verboten

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das Verbot der Corona-Demo am Samstag ist skandalös, die Begründung ist fadenscheinig und mutmaßlich rechtswidrig. Der ganze Umgang von Medien und Politik mit den Protesten fördert die Radikalisierung. Von Tobias Riegel.

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Die Berliner Versammlungsbehörde hat für das Wochenende geplante Demonstrationen von Kritikern der Corona-Politik verboten, wie Medien berichten. Diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen falsch: Die Begründung erweckt den Eindruck, als sollten mit dem mutmaßlich vorgeschobenen Argument des Infektionsschutzes politische Äußerungen unterdrückt werden. Sie erweckt den Eindruck, als wolle sich der Berliner Senat zum Schiedsrichter bei der Beurteilung von Protest-Inhalten machen, nach dem Motto „Gute Demos, Schlechte Demos“, das die NachDenkSeiten etwa in diesem Artikel beschrieben haben . Das Verbot bleibt auch dann falsch, wenn man sich mit den Demo-Inhalten nicht identifizieren sollte: Solange keine justiziablen Äußerungen von den Veranstaltern bekannt sind, darf der Inhalt kein Kriterium für das Gewähren des Demonstrationsrechts sein. Das Argument des Infektionsschutzes erscheint, wie gesagt, vorgeschoben.

Verbot radikalisiert die Debatte

Mit dem Verbot wird einer Radikalisierung der Debatte Vorschub geleistet. Diese Radikalisierung wurde bereits in den vergangenen Wochen durch Diffamierungen der Demonstranten als rechtsextrem in die Wege geleitet. Das Demo-Verbot liefert nun aber auch für rechtes Personal zahlreiche Steilvorlagen und es vertieft gesellschaftliche Gräben. Nicht zuletzt erfüllt das Verbot den Tatbestand der Heuchelei und des Messens mit zweierlei Maß, etwa wenn die gleichzeitigen positiven Äußerungen zu den Demonstrationen in Belarus betrachtet werden. Die politisch-mediale Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Anti-Rassismus-Demos haben die NachDenkSeiten im obengenannten Artikel beschrieben. Eine parteiische Positionierung gegenüber den jeweiligen Inhalten von Demos durch die Politik, und in der Folge auch durch Verwaltung und Polizei, sei demnach abzulehnen: Diese Gruppen wurden nicht dazu berufen, sich als Schiedsrichter in der politischen Bewertung von Demonstrationen aufzuspielen. Der unterschiedlich gehandhabte Einsatz von Einschränkungen gegen Demos ist ein Eingriff in die Meinungsbildung und eine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung. Mit dieser Feststellung wende man sich nicht gegen Antirassismus-Demos und man pflichte auch den Machern der Grundrechte-Demos dadurch nicht vollumfänglich bei: Man stimmt nicht automatisch mit allen Standpunkten der Demo-Veranstalter überein, indem man das Prinzip der Versammlungsfreiheit verteidigt.

Das Verbot wird laut Berliner Senat maßgeblich damit begründet, „dass es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen wird. Besondere Auflagen wie zum Beispiel das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung als milderes Mittel seien bei den angemeldeten Versammlungen nicht ausreichend. Die Versammlungen vom 01.08.2020 hätten gezeigt, dass die Teilnehmenden sich bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen hinweggesetzt haben.“

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) vermischte diese Begründung aus Argumenten des Gesundheitsschutzes jedoch mit politischen Äußerungen: “Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird”, erklärte er. Diese Vermischung könnte verfassungswidrig sein, wie etwa der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek laut Medien erklärt: Wenn die eigentliche Motivation des Verbots eine politische sei, dann sei „das Verbot klar verfassungswidrig“. Das Verwaltungsgericht werde auch zu berücksichtigen haben, ob Demonstrationen mit anderer politischer Zielsetzung und vergleichbarem Verhalten der Teilnehmer hinsichtlich der Beachtung der Hygieneregeln vom Berliner Senat verboten worden seien. Wenn nicht, wäre das ein Indiz für Missbrauch der Verbotsmöglichkeit und eventuell ein Verstoß gegen das Willkürverbot.

Willkür und das Messen mit zweierlei Maß

Den Eindruck der Willkür bekräftigt auch die Tatsache, dass die Gegenproteste gegen die nun verbotene Corona-Demo weiterhin erlaubt bleiben sollen, wie Medien berichten. Den Tatbestand der Heuchelei erfüllt Berlins Innensenator Geisel aktuell bei der Einordnung von eventuell radikalen Demo-Teilnehmern. So fordert er einerseits bei den aktuellen Corona-Demos eine klare Distanzierung von eventuellen rechtsextremistischen Teilnehmern der Proteste durch alle Demokraten. Anlässlich der „Unteilbar-Demo“ von 2018 sagte er andererseits, angesprochen auf angeblich auch dort anwesende einzelne Extremisten:

„Wenn ich als Demokrat gefordert bin, gehe ich auf die Straße“, […] „Und ich lasse mich nicht davon hindern, dass auch Extremisten die Möglichkeit nutzen, dort ihre Meinung zu sagen.“

Die Veranstalter-Initiative Querdenken 711 aus Stuttgart hat angekündigt, gegen das Verbot der Polizei beim Berliner Verwaltungsgericht vorzugehen und wenn nötig auch das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht anzurufen, wie Medien berichten. Bis zum Mittwochnachmittag war beim Berliner Verwaltungsgericht noch keine Beschwerde gegen die Verbotsverfügung eingegangen. Wann nach einem Eingang erste Entscheidungen gefällt werden, sei offen. Unter diesem Link findet sich eine Presseerklärung von Querdenken-711 zum Demo-Verbot.

Eine problematische Vermischung von Infektionsschutz und politischer Diffamierung praktiziert auch der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Ressortchef Georg Maier: Bei der Demonstration am 1. August seien Auflagen “mutwillig missachtet worden. Wir stellen außerdem fest, dass von der rechtsextremistischen Szene stark mobilisiert wird”, sagte Maier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Beide Teile der Aussage sind Behauptungen, vor allem der zweite Teil stellt aber eine unzulässige politische Einordnung der Demonstranten dar.

Sind die Corona-Proteste rechtsradikal?

Die exzessiv wiederholte Behauptung, die Corona-Proteste seien rechtsextrem dominiert, sieht zumindest der Verfassungsschutz nicht gedeckt. So sagte Verfassungsschutzpräsident Haldenwang dem ARD-Magazin „Kontraste“, nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei es Rechtsextremisten nicht gelungen, sich an die Spitze der Demonstrationen gegen die Corona-Politik zu setzen. Zwar hätten rechtsextremistische Parteien dies in den vergangenen Monaten immer wieder versucht und intensiv für die Teilnahme an diesen Demonstrationen geworben. Nach der Wahrnehmung des Verfassungsschutzes seien diese Versuche aber “nicht besonders effektiv.” Rechtsextremisten sei es nicht gelungen, die “Hoheit über das Demonstrationsgeschehen zu bekommen“. Ähnliches hat die FAZ zu berichten. Demnach resultierte nach Einschätzung des Bundesverfassungsschutzes „aus der Kundgebung für die traditionelle rechtsextremistische Szene keine nennenswerte Anschlussfähigkeit an demokratische Kundgebungsteilnehmer“.

Zur weit verbreiteten Praxis, das Unbehagen über die Corona-Politik als rechtsextremen und hedonistischen Egoismus abzutun, haben die NachDenkSeiten in diesem Artikel geschrieben: Diese Hedonisten gibt es natürlich. Auf der anderen Seite geht es aber sehr vielen Bürgern nicht zu allererst um die akuten Einschränkungen wie die Maskenpflicht. Die würden viele Menschen wohl durchaus akzeptieren, wenn sie nicht das Gefühl hätten, dass die Begründung für die aktuellen Einschränkungen auf unseriösen Daten beruht und dass seriöse Fragen danach bereits als Ketzerei verdammt werden. (…) Wenn auf einer mutmaßlich unseriösen Grundlage so schnell und so einfach ein Ausnahmezustand kreiert werden kann, dann nährt das bei vielen Bürgern Ängste, auch für weitere Entwicklungen in der Zukunft. Und diese Sorgen gehen weit über aktuelle Alltagseinschränkungen hinaus, und sie haben wenig mit einem asozialen Hedonismus zu tun. Im Gegenteil: Wenn man den Spruch „Wehret den Anfängen“ ernst nimmt, so muss man den Impuls vieler Bürger nachvollziehen, einer möglicherweise heraufziehenden und jeweils mit „übergeordneten Gütern“ begründeten Überwachungs-Gesellschaft entgegentreten zu wollen.

Diffamierung in Medien, Parteien, Gewerkschaften

Solche Differenzierungen halten aber viele Medien auch in den letzten Tagen nicht von einer fortgesetzten Diffamierung der Demonstranten als rechtsextreme Spinner ab. In den öffentlich-rechtlichen Medien etwa hier oder hier. In den Privatmedien etwa hier oder (besonders infam) hier und hier.

Und auch die Gewerkschaft Verdi hat Stimmung gegen die nun verbotene Demo gemacht, etwa hier auf Twitter. Wie infam und selbstzerstörerisch sich einmal mehr die LINKE aktuell positioniert, das hat Albrecht Müller gerade in diesem Artikel beschrieben. Man muss auf Binsenweisheiten zurückgreifen: Die Rechte ist stark, weil die Linke schwach ist. Und es drängen sich einmal mehr die Fragen auf: Wo ist die linke Corona-Demo? Wo ist die Opposition? Warum überlassen die Linken den Rechten (schon wieder!) zentrale Themen?

Titelbild: Felipe Teixeira / Shutterstock


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