Skandalöse deutsch-israelische Militärshow über dem KZ Dachau. Nein zu diesem Zynismus! Von Winfried Wolf

Winfried Wolf
Ein Artikel von Winfried Wolf

Am gestrigen 18. August donnerten zwei israelische Kampfflugzeuge vom Typ F-16 und drei deutsche Eurofighter in einer gemeinsamen Formation über das ehemalige KZ Dachau. Dies ist zynisch und ein Skandal. Die Bundeswehr wurde von NS-Generälen, die für den Holocaust mitverantwortlich waren, mitgegründet. Ex-NS-Militärs waren bis Mitte der 1960er Jahre die Spitzenvertreter der Bundeswehr. Die deutsche Armee und der Bundeswehrverband haben sich bis heute nicht von der Traditionslinie zur NS-Wehrmacht konsequent getrennt.

Demonstriert werden sollte mit dem Flug von Kampfflugzeugen über der KZ-Gedenkstätte Dachau, dass Deutschland und Israel eine Waffenbrüderschaft verbinde. Es soll nicht bei dem einmaligen Auftritt von israelischer Luftwaffe und Bundeswehr-Luftwaffe bleiben. In den folgenden knapp zwei Wochen wird es „gemeinsame Übungen“ der beiden Luftwaffen unter der Bezeichnung „blue wings 2020“ geben.

Ein Berichterstatter von „Bild“ – Maximilian Kiewel – überschlug sich vor Ort in einer Video-Reportage förmlich vor Begeisterung und behauptete, „beide Seiten können viel voneinander profitieren“. Die israelischen Militärs würden „das deutsche Terrain, den deutschen Wald, das Gelände hier“ so nicht kennen. Darüber hinaus verfüge die Luftwaffe der Bundeswehr „mit dem Eurofighter über ein modernes Flugzeug, was die Israelis so nicht haben“. Früher halt Herrenmensch. Heute zunächst mal nur noch Oberlehrer.

Die deutschen und die israelischen Soldaten, die an der Übung teilnehmen, tragen Abzeichen, auf denen der Davidstern und das Eiserne Kreuz „ineinander verwoben“ sind. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach von „einem „bewegenden Moment“ und betonte: „Heute stehen hier israelische und deutsche Soldaten Seite an Seite. Lasst uns an die schmerzhafte Geschichte erinnern – für eine bessere Zukunft.”

Erinnern? Auf eine solche Weise? Für welche Art Zukunft?

Halten wir fest: Die Bundeswehr, mit der die israelischen Soldaten gemeinsam trainieren, wurde von Nazi-Generälen, die für den Holocaust mitverantwortlich waren, gegründet. Und sie hat sich in ihrer Traditionspflege und in ihren Symbolen bis heute von der verbrecherischen Tradition des deutschen Militarismus und der NS-Wehrmacht nicht konsequent losgelöst. Im Konkreten:

Personelle Kontinuität NS-Armee und Bundeswehr: Die Wehrmacht war an der Shoa, an der vom NS-Regime europaweit organisierten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, aktiv beteiligt. Die Bundeswehr wurde Anfang der 1950er Jahre von Nazi-Generälen gegründet. Nazi-Militärs haben diese Armee rund eineinhalb Jahrzehnte lang geführt. Drei Beispiele: Der erste Generalinspekteur der Bundeswehr war der ehemalige Nazi-General Adolf Heusinger. Der Rezensent einer Heusinger-Biographie schreibt: „Kein zweiter Bundeswehrgeneral hatte in der nationalsozialistischen Diktatur eine solch exponierte Stellung besetzt. General Hitlers und Adenauers, Erfüllungsgehilfe kriegerischen Größenwahns und Gründungsvater der Bundeswehr – eine deutsche Karriere…“[1] Heusinger war von 1955 bis 1964 Generalinspekteur der Bundeswehr und zuletzt Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Ein zweiter Bundeswehr-Gründer war General Hans Speidel. Dieser Militarist wurde im April 1943 zum Generalstabschef der Heeresgruppe B in Frankreich ernannt. Speidel war an Kriegsverbrechen in Frankreich beteiligt.[2] Speidel war von 1957 bis 1963 General der Bundeswehr und zuletzt Oberbefehlshaber der Alliierten Landstreitkräfte Mitteleuropa der Nato. Das dritte Beispiel: General Johann Adolf Graf von Kielmansegg. Dieser Mann war in der NS-Zeit zuletzt Oberst und enger Mitarbeiter von Heusinger. Er verfasste gemeinsam mit Heusinger „Geheime Kommandosachen“, in denen dokumentiert wurde, welche „Sühneerschießungen“ von Zivilpersonen die Wehrmacht an den verschiedenen Frontabschnitten vorgenommen hatte. Heusinger und von Kielmannsegg halfen, in der „Bandenbekämpfung“ die „Unterstützung durch Kräfte des Heeres sicherzustellen.“[3] In der Bundeswehr hatte er zuletzt den Rang eines Generals. In der letzten Etappe seiner militärischen Laufbahn (bis April 1968) war er Nato-Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte Europa Mitte.

Bekenntnis der Bundeswehr zur Wehrmachtstradition. Jahrzehntelang gab es eine offene Traditionspflege der Bundeswehr mit positivem Bezug auf die Wehrmacht. Erst in dem Maß, wie die Verbrechen der Wehrmacht auch in Westdeutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgemacht wurden – hier spielte die von Hannes Heer konzipierte und vom Hamburger Institut für Sozialforschung getragene „Wehrmachtsausstellung“ („Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1945“) eine herausragende Rolle[4] – wurden diese Bezüge teilweise eliminiert und teilweise relativiert. Doch verschwunden sind sie keineswegs. Karl Theodor Molinari ist bis heute der Namenspatron des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV). Molinari war hochdekorierter Wehrmachtsoffizier, zuletzt im Rang eines Oberstleutnant; er wurde in Belgien wegen Kriegsverbrechen verurteilt. In der Bundeswehr hatte er zuletzt (1961) den Rang eines Generalmajors.[5] Bis heute gibt es die Generalfeldmarschall-Erwin-Rommel-Kaserne in Augustdorf in Nordrhein-Westfalen und die „Rommel-Kaserne“ in Dornstadt, Baden-Württemberg. Erwin Rommel war führender NS-Militär („Wüstenfuchs“). Er war an Judendeportationen beteiligt. Noch im November 1997 wurde die Eichelberg-Kaserne in Bruchsal umbenannt in „General-Dr.-Speidel-Kaserne“. Zu diesem NS-Militär siehe oben. Die „Gebirgsjäger“-Traditionalisten der Bundeswehr stellen sich bis heute in die NS-Gebirgsjäger-Tradition. Diese Einheit war in Griechenland an der Vernichtung hunderter Dörfer und deren Bevölkerung beteiligt.

Auch die Symbolik, die an den deutschen Militarismus und an die NS-Militärs erinnert, existiert weiter. Die zitierte Manöver-Bezeichnung „blue wings“ erinnert daran, dass die Luftwaffe der Wehrmacht die Farbe „blaugrau“ hatte.[6] Da mag man noch an Zufall glauben und von Äußerlichkeit reden. Doch die Verwebung von Davidstern und Eisernem Kreuz ist offen zynisch. Alle oben zitierten Nazi-Militärs und Bundeswehr-Mitbegründer, die direkt oder indirekt für die NS-Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Verantwortung trugen, waren Träger des Eisernen Kreuzes. Das Eiserne Kreuz der Bundeswehr unterscheidet sich nur unwesentlich vom Eisernen Kreuz der Wehrmacht. Das Eiserne Kreuz ist damit ein Symbol für den deutschen Militarismus, für das Vom-Zaun-Brechen von zwei Weltkriegen. Das Eiserne Kreuz kann nicht losgelöst werden von den Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Allgemeinen und von der Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust im Besonderen. Dieses Symbol der Täter in Verbindung zu bringen mit dem Davidstern, dem Symbol der Opfer, ist zynisch. Auf diese Weise sollen die NS-Verbrechen relativiert werden.

Wenn die deutsche Verteidigungsministerin am 18. August die Militärübung der deutschen und der israelische Luftwaffe mit Verweis auf „die bessere Zukunft“ begründete, dann soll damit außerdem die Bundeswehr einbezogen werden in die aggressive Politik der Regierung Netanjahu gegen die palästinensische Bevölkerung. Und dies ausgerechnet in Zeiten, in denen in Israel Zehntausende gegen diese Regierung auf die Straße gehen und den Rücktritt Netanjahus fordern, der wegen Korruption unter Anklage steht.

Ergänzende Anmerkung Albrecht Müller: Der Vorgang ist auch schon unabhängig von der Verbundenheit der Bundeswehr mit der Nazi-Wehrmacht zynisch. Was sollen Jagdbomber über einem KZ ? Was haben Jagdbomber positiv mit dem Leiden und der Vernichtung von Millionen Menschen zu tun? Der Vorgang zeugt von einer unmenschlichen Militarisierung der Politik und nebenbei auch noch von rücksichtsloser politischer Propaganda mit Hilfe der Showeffekte des Militärs. Ein rundum perverser Vorgang. Und deutsche Medien applaudieren und dpa verbreitet Foto und Text.

Winfried Wolf ist u.a. verantwortlicher Redakteur der Zeitung gegen den Krieg – ZgK. Die neue Ausgabe der ZgK, Nr. 47, erscheint pünktlich zum 1. September 2020, dem Antikriegstag. Vertrieb ab dem 24. August 2020. Ein Dank geht an Ulrich Sander, VVN-BdA, der für diesen Artikel wichtige Details beisteuert.


[«1] Johannes Hürter, Historiker am Münchener Institut für Zeitgeschichte, Rezensent der umfangreichen Heusinger-Biographie: Georg Meyer, Adolf Heusinger. Dienst eines deutschen Soldaten 1915 bis 1964. Hamburg.

[«2] Der „Combat”, Paris, schrieb am 4. April 1957 über Speidel: „Frankreich kann nichts dafür: Wenn es das Gesicht Speidels sieht, wird es durch dieses Gesicht an vier Jahre Erpressung, Folterungen, an vier Jahre Hölle erinnert. […] Das Blut der Toten lässt sich nicht so leicht trocknen wie eine Unterschrift. […] Ein Bündnis, das uns zwingt, unsere logischen Reaktionen zu unterdrücken, wird von Tag zu Tag unerträglicher erscheinen.”

[«3] Siehe: Prozessakten Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, Band IV 1947, Dok. US 562.

[«4] Die Ausstellung wurde erstmals am 5. März 1995 in Hamburg gezeigt. Bis 1999 wurden rund 900.000 Besucherinnen und Besucher gezählt.

[«5] Der genannte Bundeswehrverband (er zählt 200.000 Mitglieder) hat eine Karl-Theodor-Molinari-Stiftung. Auf der Website des Bundeswehrverbands wird diese wie folgt vorgestellt: „Das Bildungswerk des Deutschen Bundeswehr Verbandes (DBwV), die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung e.V., wurde bereits 1988 als Einrichtung zur politischen Erwachsenenbildung gegründet. Der Name geht zurück auf den ersten Bundesvorsitzenden des DBwV, Generalmajor a. D. Karl-Theodor Molinari.“ Zur NS-Vergangenheit dieses Militärs findet sich kein Wort. Siehe: dbwv.de/der-verband/stiftungen-engagement/karl-theodor-molinari-stiftung/

[«6] militaerlacke.de/fahrzeuglacke/1k-eimergebinde/wehrmacht/53/1k-ral-7016-blaugrau-nr.-4

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