Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer

Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer

Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Ich kann die ganzen Meldungen zu Corona langsam nicht mehr hören. Von Tag zu Tag nimmt die Debatte groteskere Züge an und von Tag zu Tag werden die Gräben zwischen den Lagern tiefer. In Leitartikeln und Kommentaren in den sozialen Netzwerken wird bereits den „strengen Regeln des Lockdowns“ nachgetrauert. Viele Mitmenschen haben Angst. Angst vor dem Virus und neuerdings auch Angst vor den Menschen, die sich der hysterischen Stimmung nicht unterwerfen und versuchen, so viel „Normalität“ wie möglich zu bewahren. Menschen, die „trotz Corona“ mit Freunden ein Bier trinken oder an heißen Tagen in Badeseen ohne Maske und ohne Mindestabstand Abkühlung suchen. Wer gar gegen die Maßnahmen auf die Straße geht, gilt als „Covidiot“, als Wirrkopf und Gefährder des gesellschaftlichen Konsenses. Es ist kein Zeichen einer lebendigen Demokratie, wenn man am liebsten jeden Widerspruch gegen ein „gesundes Volksempfinden“ mit strengeren Maßnahmen, Ausgrenzung und Sanktionierung ausmerzen will. Das ist es, was mir Angst macht, und nicht die Bürger, die aus welchen Gründen auch immer, auf die Straße gehen, oder skurrile Personen, die von den Medien als deren „Vordenker“ hochgeschrieben werden. Ein sehr subjektiver Kommentar von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Solidarität ist keine Einbahnstraße

Fragt man die Anhänger strenger Regeln und Maßnahmen nach ihrem Motiv, so hört man oft, es ginge um Solidarität. Das ist kein schlechter Punkt, sind es doch in der Tat fast ausschließlich Angehörige bestimmter Risikogruppen, für die Covid-19 eine ernste Gefahr für Leib und Leben darstellt. Aber wie sieht es eigentlich mit der Solidarität gegenüber unseren Kindern aus, denen monatelang der Besuch von Kitas und Schulen verwehrt und nun nur unter Einhaltung einer im Unterricht absurden Maskenpflicht erlaubt wird? Wie steht es mit der Solidarität gegenüber den oft ökonomisch unterprivilegierten Alleinerziehenden? Was ist mit den Studenten? Was mit den Millionen Menschen, die in den Bereichen Kunst, Kultur und Gastronomie tätig sind? Haben junge Menschen nicht auch ein Recht auf Ausgelassenheit, Tanz und Spaß? Kann man die Solidarität gegenüber der einen Gruppe mit der Solidarität einer anderen Gruppe verrechnen?

Man kann nicht nur, man muss. Die Solidarität mit den Einen ist bei der Corona-Debatte auch immer die Unsolidarität mit den Anderen. Hier einen gangbaren Mittelweg zu finden, ist schwer und wer nur den Lockdown, aber nicht die Lockerung als solidarische Maßnahme sieht, verschließt sich der Kompromissfindung.

Die Geister, die wir riefen

Warum nimmt ein großer Teil unserer Mitbürger die Maßnahmen dennoch in einer Form hin, die von stoischer obrigkeitshöriger Gleichgültigkeit über sentimentale Larmoyanz bis hin zu schon fast militanter Unterstützung reicht? Sehen wir es doch mal aus folgender Perspektive: Seit nunmehr Jahrzehnten wurde unsere Gesellschaft getreu dem neoliberalen Ideal auf Individualismus getrimmt. Ein Jeder sollte seines eigenen Glückes Schmied sein, Solidarität galt als Auslaufmodell. Damit konnten sich zum Glück sehr viele Bürger nicht anfreunden. Das Unwohlsein blieb dabei in vielen Fällen jedoch im Verborgenen. Wie viele unserer Mitbürger, die nun Solidarität für die Risikogruppen einfordern, haben in der Vergangenheit gegen Kinderarmut, Hungerrenten oder prekäre Jobs kritisch Stellung bezogen? Auch Armut tötet. Offenbar ist Solidarität oft nur dann Solidarität, wenn sie von Politik und Medien eingefordert wird und damit staatstragend ist.

Corona vereint die Bürger nun zu einer solchen staatstragenden „Solidar- und Schicksalsgemeinschaft“. Politik und Medien schreiten gleichförmig voran und die Bürger reihen sich freudig in die neue Gemeinschaft ein. Politologen nennen dies den „Rally-’round-the-Flag-Effekt“ – das letzte eindrucksvolle Beispiel dafür waren übrigens die Terroranschläge vom 11. September 2001. Die Muster sind eindrucksvoll: Es gibt eine große Gefahr (das Virus) und Gefährder (Demonstranten und Kritiker der Maßnahmen), ein gemeinsames äußerliches Erkennungszeichen (die Maske), gemeinsame Riten (Mindestabstand) und Vordenker, die den Weg weisen (die TV-Virologen), und über allem steht die Angst. Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, aber dafür das wohl bestdenkbare Motiv, sich einer derart allgegenwärtigen und gesellschaftlich akzeptierten Gruppenideologie zu unterwerfen. Die Gruppe nimmt mir die Angst und sorgt durch die für alle geltenden „Maßnahmen“ nicht nur für meinen Schutz, sondern auch für den Schutz der Gesellschaft als Ganzes. Ich bin nicht mehr als Individuum meines eigenen Glückes Schmied und auf mich selbst gestellt, sondern Teil einer großen Volksgemeinschaft, die sich um mich kümmert.

Das ist sicher für viele Bürger ein schönes Gefühl – nur dass hier Wahrnehmung und Realität deutlich auseinanderklaffen, stellen Politik und Medien schließlich nicht einmal im Ansatz die ideologische Basis unseres neoliberalen Systems infrage, das diesen Wunsch nach Gemeinschaft erst geschaffen hat. Dies ist staatstragend und systemstabilisierend. Wenn sich das Volk in Krisenzeiten hinter der politischen Führung schart und die Medien sich als Hüter der Wahrheit gegen die bösen Kritiker aus dem Netz aufspielen können, ist dies für beide ein Hauptgewinn. Was zählt da schon das Wohl der Kinder, das Schicksal Alleinerziehender oder gar der Künstler und Gastronomen? Und die kritischen Geister, die Dinge hinterfragen, haben in dieser Gesellschaft ohnehin schon lange keinen Bestandsschutz mehr. Dieser Hauptgewinn ist freilich nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde vor allem mit der Feder erkämpft.

Wirrköpfe als Medienprodukt

So kam es beispielsweise, dass von den Medien derart skurrile Personen wie der Koch Atilla Hildmann als Gefährder der öffentlichen Ordnung und „Vordenker“ des kritischen Teils der Öffentlichkeit hochgeschrieben wurden. Na klar, wer innerlich die Kritik an den Maßnahmen mit der Person Hildmann verbindet, wird zum Kritiker der Kritik. Teilnehmer von Demos werden wahlweise als Wirrköpfe oder Nazis tituliert – wer will sich durch seine tief im Inneren vielleicht ja vorhandene Kritik schon mit Wirrköpfen und Nazis gemein machen? Dann bleibt man doch lieber Teil der Gemeinschaft und hinterfragt lieber nichts.

Das macht mir Angst. Ich habe aber keine Angst vor den paar Wirrköpfen, die es ganz sicher auch auf derartigen Demos geben mag. Ich weiß auch nicht, welche Gefährdung beispielsweise ein Atilla Hildmann darstellen soll. Hat er die Hartz-Gesetze verabschiedet? Hat er Julian Assange eingesperrt? Beteiligt er sich an militärischen Drohkulissen? Setzt er um, was die Automobilhersteller und Banken ihm „empfehlen“? Nein? Und was hat er dann verbrochen, um derart prominent als „Gefahr“ dargestellt zu werden? Er erzählt viel Unsinn. Nun gut. So was soll es geben. Ich fühle mich von ihm schlimmstenfalls schlecht unterhalten … gefährdet fühle mich noch nicht einmal im Ansatz.

Demokratie braucht Widerspruch

Dafür fühle ich mich im höchsten Maße durch Mitbürger gefährdet, die sich bei Angst vor einer Bedrohung hinter der Politik zusammenrotten und Maßnahmen und Sanktionen gegen alles und jeden fordern, der als Gefahr für ihre Volkgemeinschaft wahrgenommen wird. Ich fühle mich auch durch eine Gesellschaft bedroht, die keinen Widerspruch zulässt. Eine Gesellschaft, die Profisportler feuert, nur weil sie auf einer Demo gegen die Maßnahmen waren, und Polizisten suspendiert, die auf einer solchen Demo ihr verfassungsmäßiges Recht zur freien Meinungsäußerung wahrgenommen haben.

Dafür muss ich übrigens nicht mit den Inhalten dieser Demos immer d´accord gehen. Inhaltlich gäbe es auch dort einiges zu kritisieren, aber anders als die von der Politik beschlossenen Maßnahmen stellen die Redebeiträge auf einer Demo für mich keine Bedrohung dar. Demokratie lebt vom Diskurs und von der Debatte. Wenn wir beide unterdrücken, bewegen wir uns in sehr gefährliches Fahrwasser und zeigen, dass wir nichts aus unserer Geschichte gelernt haben. Davor habe ich Angst.

Titelbild: Peeradontax/shutterstock.com

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