Grüne dichte Fichtenwälder, satte Hochmoore und zwischendrin ein röhrender Hirsch. Von diesem Bild in unseren Köpfen müssen wir uns verabschieden. Die Monokulturen, die seit Jahrhunderten als „Kunstwald“ unser Bild vom deutschen Wald prägen, wären auch ohne Klimawandel nicht überlebensfähig. Hitze, Stürme und langanhaltende Dürren greifen jedoch mittlerweile auch die vergleichsweise natürlichen Mischwälder an. Deutschlands Wälder sterben. 245.000 Hektar Wald gelten laut aktuellem Waldschadensbericht als tot und müssen wieder aufgeforstet werden – eine Fläche, so groß wie das Saarland. Vor unseren Augen, aber dennoch kaum beachtet, spielt sich zur Zeit eine ökologische Katastrophe historischen Ausmaßes ab und wir sind mangels konkreter Handlungsspielräume zum Zusehen verdammt und müssen uns nun die Frage stellen, welchen Wald wir in Zukunft haben wollen. Von Jens Berger.
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Die Jahre 2018 und 2019 waren laut einer Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung die beiden schlimmsten Dürrejahre seit Beginn der Erhebung durchgängiger Klimadaten im Jahre 1766. Und auch das Jahr 2020 ist im Vergleich zum langjährigen Schnitt zu niederschlagsarm. Regional reichen die Niederschläge bestenfalls für eine Durchnässung der oberen Bodenschichten. Für ältere Bäume mit teils mehrere Meter tiefen Wurzeln reicht dies nicht. Der aktuelle Dürremonitor des UFZ verzeichnet für weite Landstriche eine „außergewöhnliche Dürre“. Dabei ist nahezu das gesamte Bundesgebiet von der Dürre betroffen.
Für die Bäume hat die Dürre oft tödliche Folgen. Sie „verdursten“ zwar nicht, schalten aber in einen Stressmodus, der es Schädlingen wie Borkenkäfern und Pilzen leicht macht, das ansonsten robuste Abwehrsystem der Bäume zu überwinden und ihrerseits die Bäume derart zu schädigen, dass sie absterben oder dem nächsten Sturm zum Opfer fallen.
Sturmschäden im Januar 2018 – Bild: Niedersächsische Landesforsten
Der Harz ist ein tragisches Beispiel für diese Geschehnisse. Im Januar 2018 war es der Orkan Friederike, der binnen weniger Stunden flächendeckend ganze Fichtenwälder umknicken ließ. In exponierten Lagen vernichtete der Orkan so viele Bäume wie der reguläre Einschlag sonst in zwei Jahren. Was folgte war der Dürresommer und der Borkenkäfer. Das Katastrophenjahr 2018 endete mit einem schneearmen Winter und das Folgejahr brachte nicht nur eine erneute Dürre, sondern auch den heißesten Sommer seit Beginn der Messungen, der abermals von einem schneearmen Winter gefolgt wurde. So hatte es der vergleichsweise schwache Orkan Sabine im Februar 2020 leicht, dem bereits massiv geschädigten Wald abermals schweren Schaden zuzufügen. Wer heute durch den Harz wandert, fühlt sich stellenweise eher an Mad Max als an die Märchenverfilmungen erinnert, die unser „Idealbild“ vom deutschen Wald noch immer prägen.
Dies ist jedoch zum Teil – so paradox es klingt – durchaus gewollt. Hier hat man bereits früh erkannt, dass es eine reine Sisyphos-Arbeit ist, die in den letzten Jahrhunderten von Bergbau und Holzwirtschaft geschaffenen Fichten-Monokulturen zu bewahren, und begann bereits 2006 im Nationalpark Harz mit der Umsetzung eines Waldentwicklungsprogramms – ein wenig zugespitzt heißt dies, dass man den Kampf gegen Borkenkäfer und Klimawandel aufgegeben hat und den Wald in den Kernzonen sich selbst überlässt. In wenigen Jahrzehnten soll dort ein neuer Wald, ein Urwald entstehen, der so gut wie möglich ohne menschlichen Einfluss auskommen soll. Welchen Einfluss die Dürre auf dieses Vorhaben hat, ist jedoch nur schwer zu überblicken. Denn im Dürrejahr 2019 mussten im Harz erstmals nicht nur die Fichten, sondern auch die erwünschten älteren Buchen dem Klimawandel Tribut zollen. Ohne schattenspendendes Laubdach wird es jedoch auch für die jüngeren Bäume schwer, Hitze und Dürre zu trotzen.
Ein „neuer“ Wald entsteht – Bild: Jens Berger
Gleich an der Grenze des Nationalparks kann man heute beobachten, wie sinnlos die Sisyphos-Arbeit der traditionellen Forstwirtschaft ist. Dort betreiben die Landesforsten ihre Wirtschaftswälder und sind bereits drauf und dran, ebenfalls vor dem Borkenkäfer und der Dürre zu kapitulieren. Doch anders als im Nationalpark gibt es hier ökonomische Zwänge. So hat zwar auch das Land Niedersachsen über seine Landesforsten ein Wiederaufforstungsprogramm, das weg von den Monokulturen will, jedoch refinanziert sich dieses Waldumbauprogramm im Wesentlichen über die Einnahmen aus der Bewirtschaftung der Wälder. Laut Statistischem Bundesamt musste jedoch 2019 mit 32 Millionen Kubikmeter mehr als fünfmal so viel Schadholz gefällt werden wie vor 2017. Der Preis für einen Kubikmeter Harzer Fichte sank in den letzten Jahren von 90 Euro auf 20 bis 30 Euro und auch der Preis für Buchenholz ist seit dem letzten Jahr im freien Fall. Die Landesforsten erwirtschaften Defizite und schon bald muss sich die Politik die Frage stellen, ob eine defizitäre Bewirtschaftung der Wälder überhaupt noch Sinn macht oder ob es nicht klüger ist, die Bewirtschaftung zugunsten der Renaturierung zurückzufahren. Denn eines haben die Dürrejahre gezeigt: Im deutschen Mittelgebirge kommerziell Fichtenmonokulturen zu betreiben, ist ein Geschäftsmodell, das mit den geänderten natürlichen Rahmenbedingungen schlicht nicht zukunftsfähig ist.
Dürremagnituden im Gesamtboden in der Vegetationsperiode April bis Oktober
Der Harz ist mit diesen Problemen keineswegs allein. Auch im Schwarzwald, in Thüringen, in Brandenburg oder in Hessen gibt es ähnliche Probleme durch die Kombination aus Hitze und Dürre und den dadurch beförderten Schädlingsbefall an Bäumen. Ganze Waldstriche sind in vielen deutschen Regionen kahl und grau und dem baldigen Tod überlassen. Es scheint, als sei dieses Waldsterben unumkehrbar. Künftig ist mit häufigeren und langanhaltenderen Dürreperioden zu rechnen. Für den „traditionellen“ deutschen Wald, der in den meisten Regionen kein natürlicher, sondern ein von Menschen geschaffener, bewirtschafteter Nutzwald ist, ist dies eine schlechte Nachricht. Lassen wir den Wald – wie im Naturpark Harz – sterben und sich selbst neu entwickeln? Oder verabschieden wir uns von den Monokulturen und schaffen einen neuen, „klimastabilen“ Mischwald, der mit den geänderten Klimabedingungen kompatibel ist? Fest steht – der „Märchenwald“ aus unseren Vorstellungen hat in Deutschland keine Zukunft und ist eines der ersten sichtbaren Opfer des Klimawandels.
Titelbild: Jens Berger