Die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki sind für die meisten Menschen hier und heute weit weg, Geschichten aus einer anderen Zeit und vom anderen Ende der Welt. Der australische Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger, einer der profiliertesten englisch-sprachigen Journalisten, wandelt seit Jahrzehnten entlang der Schneise der Verwüstung, die die Militärgroßmacht Amerika weltweit geschlagen hat. Und er hat viele Indizien gefunden, die beklemmend deutlich machen: Atomare Szenarien sind für Militärstrategen und führende politische Köpfe in den Vereinigten Staaten auch heute noch denkbar – ja sogar planbar. Im Fokus US-amerikanischer Aggressionen steht, nicht erst seit Trump, China. Wann immer es um China geht, ist das mediale Begleitfeuer entsprechend giftig und diffamierend. Das hält Pilger für brandgefährlich. Übersetzung von Susanne Hofmann.
Es naht ein weiteres Hiroshima – es sei denn, wir halten es jetzt auf
Von John Pilger
Als ich 1967 das erste Mal nach Hiroshima kam, war der Schatten auf den Stufen noch da. Ein nahezu vollkommener Abdruck eines entspannten Menschen: die Beine gespreizt, der Rücken gebeugt, eine Hand neben sich, während sie dasaß und darauf wartete, dass eine Bank öffnete.
Um viertel nach acht Uhr am Morgen des 6. August 1945 wurden sie und ihre Silhouette in den Granit gebrannt.
Ich starrte den Schatten eine Stunde oder länger an, dann ging ich runter an den Fluss, wo die Überlebenden noch immer in Baracken lebten.
Ich traf einen Mann namens Yukio, in dessen Brust das Muster des Hemdes geätzt war, das er trug, als die Atombombe abgeworfen wurde.
Er beschrieb einen riesigen Blitz über der Stadt, „ein bläuliches Licht, wie ein Kurzschluss”, danach kam ein Wind auf, der wie ein Wirbelsturm dahinfegte, und es fiel schwarzer Regen. „Ich wurde zu Boden geworfen und bemerkte, dass von meinen Blumen nur noch die Stiele übrig waren. Alles war ganz still, und als ich aufstand, begegneten mir nackte Menschen, die kein Wort sagten. Manche von ihnen hatten keine Haut, keine Haare. Ich war überzeugt davon, tot zu sein.”
Neun Jahre später kehrte ich zurück, um ihn zu suchen, da war er bereits an Leukämie verstorben.
„Keine Radioaktivität in den Ruinen von Hiroshima”, schrieb die New York Times am 13. September 1945 auf ihrer Titelseite, eine klassische Desinformation. „General Farrell”, berichtete William H. Lawrence, „bestritt kategorisch, dass [die Atombombe] gefährliche, langanhaltende Radioaktivität verbreitete.”
Nur ein Reporter, Wilfred Burchett, ein Australier, hatte direkt nach dem Abwurf der Atombombe die gefährliche Reise nach Hiroshima unternommen. Er schlug die Anweisungen der alliierten Besatzer in den Wind, die die „Pressemeute” kontrollierten.
„Meine Worte sollen der Welt eine Warnung sein”, schrieb Burchett im Londoner Daily Express am 5. September 1945. Er saß in den Trümmern mit seiner Hermes-Reiseschreibmaschine und beschrieb die Krankenstationen, die voller Menschen waren, die keine sichtbaren Verletzungen aufwiesen und an etwas starben, was er „atomare Pest” nannte.
Für diese Beschreibung wurde ihm die Presseakkreditierung entzogen, er wurde angeprangert und verleumdet. Sein Zeugnis der Wahrheit wurde ihm nie verziehen.
Der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki war ein Akt vorsätzlichen Massenmords. Eine durch und durch verbrecherische Waffe wurde auf die Menschheit losgelassen. Der Abwurf wurde durch Lügen gerechtfertigt, welche die Grundlage von Amerikas Kriegspropaganda im 21. Jahrhundert bilden, die Rolle eines neuen Feindes und eines neuen Angriffsziels wurde China zugewiesen.
In den 75 Jahren seit Hiroshima lautet die beständigste Lüge, dass die Atombombe abgeworfen wurde, um den Krieg im Pazifik zu beenden und Leben zu retten.
„Selbst ohne die Atombomben-Angriffe”, so lautete die Schlussfolgerung der United-States-Strategic-Bombing-Untersuchung von 1946, „hätte die Luftüberlegenheit gegenüber Japan genug Druck auf die japanische Führung ausgeübt, um die bedingungslose Kapitulation herbeizuführen und einen Einmarsch überflüssig zu machen. Auf der Grundlage einer detaillierten Untersuchung aller Fakten und mit der Unterstützung der japanischen Befehlshaber, die überlebt haben, kommt das Gutachten zu dem Schluss… dass Japan sich ergeben hätte, selbst wenn man die Atombomben nicht abgeworfen hätte, selbst wenn Russland nicht in den Krieg [gegen Japan] eingetreten wäre und selbst, wenn man keinen Einmarsch geplant oder erwogen hätte.”
Das Nationalarchiv in Washington enthält dokumentierte japanische Friedensofferten bereits aus dem Jahr 1943. Keine davon wurde weiterverfolgt. Eine Depesche, die der deutsche Botschafter in Tokio am 5. Mai 1945 verschickt hatte und die die USA abgefangen hatten, machte deutlich, dass die Japaner verzweifelt um Frieden nachsuchten, sie waren bereit „zur Kapitulation, selbst zu harten Bedingungen”. Nichts erfolgte daraus.
Der US-Kriegsminister Henry Stimson teilte Präsident Truman mit, er sei „besorgt”, dass die US Air Force Japan so in Grund und Boden bombardiere, dass die neue Waffe „ihre Stärke nicht zeigen” könne. Stimson räumte später ein, dass „keine Anstrengung unternommen wurde oder auch nur ernsthaft erwogen wurde, die Kapitulation zu erreichen, um die [Atom-] Bombe nicht einsetzen zu müssen.”
Stimsons Außenpolitik-Kollegen – die bereits an die Nachkriegsära dachten, die sie „nach unserem Bilde” gestalten wollten, wie es der Kalte-Krieg-Stratege George Kennan bekanntlich formulierte – machten deutlich, dass sie erpicht darauf waren, „die Russen mit der [Atom-] Bombe einzuschüchtern, die wir recht ostentativ wie einen Revolver an der Hüfte zur Schau trugen”. General Leslie Groves, der Direktor des Manhattan Project, das die Atombombe baute, bezeugte: „Mir für meinen Teil war immer klar, dass Russland unser Feind war und dass das Projekt auf dieser Grundlage durchgeführt wurde.”
Am Tag nach der Vernichtung Hiroshimas zeigte sich Präsident Harry Truman zufrieden mit dem „überwältigenden Erfolg” des „Experiments”.
Das „Experiment” wurde noch lange fortgesetzt, nachdem der Krieg zu Ende war. Zwischen 1946 und 1958 ließen die Vereinigten Staaten 67 Nuklearbomben auf den Marshall-Inseln im Pazifik explodieren: Das entsprach mehr als einem Hiroshima am Tag für die Dauer von zwölf Jahren.
Die Folgen für Mensch und Umwelt waren katastrophal. Als ich meinen Dokumentarfilm „The Coming War on China” drehte, mietete ich ein kleines Flugzeug und flog zum Bikini-Atoll auf den Marshall-Inseln. Hier hatten die Vereinigten Staaten die erste Wasserstoffbombe der Welt gezündet. Noch heute ist das Land vergiftet. Mein Geigerzähler stufte meine Schuhe als „unsicher” ein. Die Palmen sahen aus wie nicht von dieser Welt. Es gab keine Vögel.
Ich durchquerte den Dschungel und ging zum Betonbunker, in dem man am Morgen des 1. März 1954 um 6:45 Uhr auf den Knopf drückte. Die Sonne, die aufgegangen war, ging noch einmal auf und vaporisierte eine ganze Insel in der Lagune und hinterließ ein riesiges schwarzes Loch – ein bedrohliches Schauspiel aus der Luft: ein tödliches Nichts an einem wunderschönen Ort.
Der radioaktive Niederschlag breitete sich rasch und „unvorhersehbar” aus. Laut offizieller Lesart „drehte der Wind plötzlich”. Das war die erste von vielen Lügen, wie freigegebene Dokumente und Zeugenaussagen der Opfer zeigen.
Gene Curbow, dem als Meteorologen die Aufgabe zufiel, das Testgelände zu überwachen, sagte: „Sie wussten, wo sich der radioaktive Niederschlag verteilen würde. Noch am Tag der Zündung hätten sie die Möglichkeit gehabt, Menschen zu evakuieren, aber sie haben sie nicht evakuiert; ich wurde nicht evakuiert… Die Vereinigten Staaten brauchten ein paar Versuchskaninchen, um an ihnen zu beobachten, wie sich die Strahlung auswirken würde.”
Wie bei Hiroshima war das Geheimnis der Marshall-Inseln ein kalkuliertes Experiment mit dem Leben vieler Menschen. Das war das Projekt 4.1. Es begann als wissenschaftliche Studie an Mäusen und wurde zum Experiment an „Menschen, die man der Strahlung einer Atomwaffe aussetzte”.
Die Bewohner der Marshall-Inseln, die ich 2015 kennenlernte, litten – wie schon die Überlebenden von Hiroshima, die ich in den 1960ern und 70ern interviewte – an einer Reihe von Krebsarten, für gewöhnlich an Schilddrüsenkrebs; tausende von ihnen waren bereits gestorben. Fehl- und Totgeburten waren an der Tagesordnung; die Babys, die überlebten, waren oft schrecklich missgebildet.
Anders als das Bikini-Atoll wurde das naheliegende Rongelap-Atoll während des Wasserstoffbombentests nicht evakuiert. Rongelap befindet sich direkt in Windrichtung des Bikini-Atolls. Der Himmel über Rongelap verdunkelte sich und es fielen Schneeflocken, zumindest hatte es zunächst den Anschein, es wären Schneeflocken. Nahrungsmittel und Wasser wurden kontaminiert; und die Bevölkerung fiel dem Krebs zum Opfer. Das ist bis heute der Fall.
Ich lernte Nerje Joseph kennen, die mir ein Foto von sich als Kind in Rongelap zeigte. Sie hatte schlimme Verbrennungen im Gesicht, ihr fehlten büschelweise Haare. „Wir badeten an diesem Tag an der Quelle, als die Bombe explodierte”, sagte sie. „Da fiel weißer Staub vom Himmel. Ich streckte meine Hände aus, um das Pulver aufzufangen. Wir haben es als Seife benutzt, um damit unsere Haare zu waschen. Ein paar Tage später begann mein Haar auszufallen.”
Lemoyo Abon sagte: „Einige von uns erlitten grauenvolle Qualen. Andere hatten Durchfall. Wir hatten furchtbare Angst. Wir dachten, die Welt geht unter.”
Im Archivmaterial, das ich in meinem Film verwendete, ist von den Inselbewohnern als „gehorsame Wilde” die Rede. Nach der Explosion sieht man, wie ein Sprecher der US Atomic Energy Agency prahlt, dass Rongelap „der am heftigsten verstrahlte Ort der Welt ist”. Er setzt hinzu: „Das wird spannend, einen Begriff davon zu bekommen, wie viel Menschen von der Radioaktivität aufnehmen, wenn sie in einer verseuchten Umwelt leben.”
US-Wissenschaftler, darunter auch Ärzte, haben mithilfe der Untersuchung der „Aufnahme durch Menschen” eine glänzende Karriere gemacht. Man sieht sie auf Zelluloid gebannt, in ihren weißen Mänteln, wie sie aufmerksam auf ihre Klemmbretter schauen. Starb ein Inselbewohner noch als Teenager, erhielt seine Familie eine Beileidskarte des Wissenschaftlers, der ihn erforschte.
Ich habe von fünf atomaren „Ground Zeros” auf der ganzen Welt berichtet – in Japan, auf den Marshall-Inseln, in Nevada, Polynesien und Maralinga in Australien. Mehr noch als meine Erfahrung als Kriegskorrespondent hat mir das die Augen für die Rücksichtslosigkeit und Immoralität großer Macht geöffnet; das heißt, imperialer Macht, deren Zynismus der wahre Feind der Menschheit ist.
Das wurde mir eindrücklich klar, als ich am Taranaki Ground Zero von Maralinga in der australischen Wüste drehte. In einem tellerartigen Krater stand ein Obelisk, in den eingraviert stand: „Ein britischer Atomwaffentest wurde hier am 9. Oktober 1957 durchgeführt”. Am Rande des Kraters befand sich ein Schild:
„Warnung: Gefahr durch Strahlung – einige hundert Meter rund um diesen Punkt könnte die Strahlung höher sein als für einen dauerhaften Aufenthalt als sicher erachtet wird”
So weit das Auge blicken konnte und darüber hinaus war der Boden verstrahlt. Rohes Plutonium lag herum, verstreut wie Talkumpuder: Plutonium ist so gefährlich für Menschen, dass ein Drittel eines Milligramms die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, um 50 Prozent erhöht.
Die einzigen Menschen, die das Schild gesehen haben könnten, waren die australischen Ureinwohner, für die man keine Warnung aufgestellt hatte. Laut einem offiziellen Bericht konnten sie von Glück sagen, wenn man „sie wie Kaninchen verscheuchte”.
Heute verscheucht uns ein nie dagewesener Propagandafeldzug wie die Kaninchen. Es ist nicht erwünscht, dass wir die tägliche Flut anti-chinesischer Rhetorik hinterfragen, die dabei ist, die Flut anti-russischer Rhetorik noch zu toppen. Alles Chinesische ist schlecht, ein Fluch, eine Bedrohung: Wuhan… Huawei. Sehr verwirrend, wenn „unser” am meisten verunglimpfter Chef das sagt.
Die aktuelle Phase dieser Kampagne begann aber nicht mit Trump, sondern mit Barack Obama, der 2011 nach Australien flog, um die größte Konzentration US-amerikanischer Marine-Truppen in der asiatisch-pazifischen Region seit dem Zweiten Weltkrieg zu verkünden. Plötzlich stellte China eine „Bedrohung” dar. Natürlich war das Unsinn. Bedroht war vielmehr Amerikas von niemandem infrage gestellte psychopathische Selbstwahrnehmung als reichste, erfolgreichste und „unverzichtbarste” Nation.
Völlig unbestritten war Amerikas Tyrannei – mehr als 30 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen erleiden gegenwärtig Sanktionen irgendeiner Art und eine Blutspur zieht sich durch wehrlose Länder, die bombardiert wurden, in deren Wahlen man sich einmischte, deren Ressourcen man plünderte.
Obamas Erklärung wurde bekannt als „Hinwendung nach Asien”. Eine, die sich dafür besonders stark machte, war seine Außenministerin Hillary Clinton, die, wie WikiLeaks enthüllte, den Pazifischen Ozean in „das Amerikanische Meer” umbenennen wollte.
Während Clinton nie einen Hehl aus ihrer Kriegstreiberei machte, war Obama ein Meister in Sachen Marketing. „Ich erkläre klar und deutlich und voller Überzeugung”, so der neu gewählte Präsident 2009, „dass Amerika sich für Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen einsetzt.”
Obama erhöhte die Ausgaben für Atomsprengköpfe schneller als jeder andere Präsident nach dem Ende des Kalten Krieges. Es wurde eine „einsetzbare” Atomwaffe entwickelt. Sie ist bekannt als B61 Modell 12 und steht laut General James Cartwright, dem früheren Vizechef der Vereinigten Stabschefs, dafür, dass „durch das kleinere Format ein Einsatz eher vorstellbar ist”.
Das Angriffsziel ist China. Heute schließen China mehr als 400 amerikanische Militärbasen samt ihren Raketen, Bombern, Kriegsschiffen und Atomwaffen nahezu vollständig ein. Die Basen reichen von Australien nach Norden über den Pazifik, Richtung Südostasien, Japan, Korea und über Eurasien bis nach Afghanistan und Indien und sie bilden, wie mir ein US-Stratege sagte, „die perfekte Schlinge”.
Eine Studie der RAND Corporation – die seit Vietnam Amerikas Kriege plant – trägt den Titel: „Krieg mit China: Das Undenkbare durchdenken”. Die Autoren evozieren in der von der US-Armee beauftragten Studie den berüchtigten Slogan von Herman Kahn, dem Armee-Chefstrategen des Kalten Krieges: „das Undenkbare denken”. In seinem Buch „Über den thermonuklearen Krieg” arbeitete Kahn einen Plan für einen Atomkrieg aus, der sich „gewinnen” lasse.
Trumps Außenminister Mike Pompeo teilt Kahns apokalyptische Sicht. Er ist ein evangelikaler Fanatiker, der an eine „Entrückung am Ende” glaubt. Er ist vielleicht der derzeit gefährlichste Mann überhaupt. „Ich war CIA-Chef”, prahlte er, „Wir logen, betrogen, stahlen. Wir hatten quasi richtige Lehrgänge dazu.” Pompeo ist von China besessen.
Das Endspiel in Pompeos Extremismus kommt in den anglo-amerikanischen Medien kaum zur Sprache. Hier sind die Mythen und Lügengeschichten über China das täglich Brot, genauso wie einst die Lügen über den Irak. Ein aggressiver Rassismus ist der Subtext dieser Propaganda. Die Chinesen, die – obwohl weiß – als „gelb” eingruppiert wurden, sind die einzige ethnische Gruppe, die mittels eines „Ausschluss-Gesetzes” daran gehindert wurden, in die Vereinigten Staaten einzureisen, weil sie Chinesen waren. Die Populärkultur erklärte sie für finster, unglaubwürdig, „verschlagen”, verdorben, krankhaft, unmoralisch.
Die australische Zeitschrift „The Bulletin” hat sich der Verbreitung von Angst vor der „gelben Gefahr” verschrieben, als würde ganz Asien demnächst aufgrund der Schwerkraft auf die rein weiße Kolonie herabfallen.
Wie der Historiker Martin Powers schreibt, wäre es für Europa ein gefährlicher Gesichtsverlust, Chinas Modernismus, seine säkulare Moralvorstellung und seine „Beiträge zum liberalen Denken anzuerkennen. Und so wurde es notwendig, Chinas Rolle in der Debatte über die Aufklärung zu unterdrücken. … Seit Jahrhunderten macht Chinas Bedrohung des Mythos von der Überlegenheit des Westens das Land zur naheliegenden Zielscheibe rassistischer Hetze.”
Im Sydney Morning Herald beschrieb der unermüdliche China-Kritiker Peter Hartcher jene, die den chinesischen Einfluss in Australien verbreiteten, als „Ratten, Fliegen, Moskitos und Sperlinge”. Hartcher, der wohlwollend den amerikanischen Demagogen Steve Bannon zitiert, interpretiert gerne die „Träume” der aktuellen chinesischen Elite, die ihm offenbar vertraut sind. Sie sind von der Sehnsucht nach dem „Mandat des Himmels” von vor 2.000 Jahren inspiriert. So kann man das von ihm bis zum Überdruss lesen.
Um dieses „Mandat” zu bekämpfen, hat die australische Regierung von Scott Morrison eines der sichersten Länder der Erde, dessen Haupthandelspartner China ist, amerikanischen Raketen im Wert von hunderten Milliarden Dollar überantwortet, die auf China abgeschossen werden können.
Das wirkt sich bereits erkennbar aus. In einem Land, das seit jeher von gewalttätigem Rassismus gegenüber Asiaten gezeichnet ist, haben Australier chinesischer Herkunft einen Wachtrupp zum Schutz von Lieferfahrern gegründet. Smartphone-Videos zeigen beispielsweise einen Fahrer, dem ins Gesicht geschlagen wird, oder ein chinesisches Paar, das in einem Supermarkt rassistisch beschimpft wird. Zwischen April und Juni kam es zu fast 400 rassistischen Angriffen auf asiatische Australier.
„Wir sind nicht euer Feind”, sagte mir ein hochrangiger Stratege in China, „doch wenn ihr [im Westen] beschließt, dass wir euer Feind sind, dann müssen wir uns unverzüglich wappnen.” Chinas Waffenarsenal ist klein verglichen mit dem von Amerika, aber es wächst rasch, insbesondere die Entwicklung von maritimen Raketen, die der Zerstörung von Schiffsflotten dienen sollen.
„Zum ersten Mal”, schrieb Gregory Kulacki von der Union of Concerned Scientists (eine US-amerikanische Wissenschaftlervereinigung, die sich für Abrüstung und Umweltschutz einsetzt; Anmerkung der Übersetzerin), „diskutiert China darüber, ob es seine Atomraketen in höchste Alarmbereitschaft versetzen soll, damit sie bei einer Warnung vor einem Angriff schnell abgefeuert werden können… Das wäre eine bedeutsame und gefährliche Wende der chinesischen Politik…”
In Washington traf ich Amitai Etzioni, einen angesehenen Professor für Internationale Beziehungen an der George Washington University, der schrieb, es sei ein „blendender Angriff auf China” in Planung, mit Schlägen, die [die Chinesen] irrtümlicherweise als Präventivangriffe zur Vernichtung ihrer Atomwaffen ansehen könnten, mithilfe dessen man sie in die Ecke treiben und vor ein furchtbares „use-it-or-lose-it”-Dilemma stellen würde, das zum Atomkrieg führen würde.”
2019 hielten die USA ihre größte militärische Einzelübung seit dem Kalten Krieg ab, großenteils unter strenger Geheimhaltung. Eine Armada von Schiffen und Langstreckenbombern probten ein “Air-Sea Battle Concept for China” (etwa: Luft-Seegefechts-Konzept für China – sie blockierten Seewege auf der Straße von Malakka und schnitten Chinas Zugang zu Öl, Gas und anderen Rohstoffen aus dem Mittleren Osten und Afrika ab).
Weil China eine derartige Blockade fürchtet, hat es sein Projekt der Neuen Seidenstraße entlang der alten Seidenstraße nach Europa entwickelt und unter Hochdruck Landebahnen an strategischen Punkten auf umstrittenen Riffs und Inselchen der Spratly-Inseln errichtet.
In Shanghai traf ich Lijia Zhang, eine Journalistin und Romanautorin aus Bejing, eine typische Vertreterin der neuen Querdenker, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Ihr Bestseller hat den ironischen Titel “Der Sozialismus ist großartig!”. Aufgewachsen während der chaotischen, brutalen Kulturellen Revolution hat sie Amerika und Europa bereist und dort gelebt. „Viele Amerikaner stellen sich vor”, sagte sie, “dass Chinesen ein elendes, unterdrücktes Dasein ohne jegliche Freiheiten fristen. Die Vorstellung der gelben Gefahr ist bei ihnen nach wie vor lebendig… Sie haben keine Ahnung, dass rund 500 Millionen Menschen aus der Armut befreit werden, manche sagen, es sind sogar 600 Millionen.”
Mit Absicht ignoriert oder verkennt der Westen die gewaltigen Errungenschaften des modernen China, sein Überwinden der Massenarmut und den Stolz und die Zufriedenheit des chinesischen Volkes, die von amerikanischen Meinungsforschungsinstituten wie PEW akribisch vermessen werden. Das alleine ist ein Kommentar zum bedauerlichen Zustand des westlichen Journalismus, der davon abgekommen ist, aufrichtig zu berichten.
Wir dürfen nahezu ausschließlich bloß die Fassade sehen, Chinas repressive dunkle Seite und das, was wir gerne seinen „Autoritarismus” nennen. Ganz so, als ob man uns unendliche Geschichten des bösen Superschurken Dr. Fu Manchu eintrichtert. Es ist an der Zeit zu fragen, warum das so ist – ehe es zu spät ist, das nächste Hiroshima aufzuhalten.