Als der Weißhelm-Gründer James Le Mesurier im November letzten Jahres in Istanbul Selbstmord beging, war dies für die deutschen Medien ein Thema. Klar, konnte man doch – ohne jegliches Indiz – Russland für den Tod des ehemaligen britischen Elitesoldaten verantwortlich machen. Damals war der Öffentlichkeit schließlich noch nicht bekannt, dass Le Mesurier kurz vor seinem Selbstmord den Unterstützern der Weißhelme, darunter auch der Bundesregierung, einen Brief schickte, in dem er zugab, deren Spendengelder veruntreut zu haben. Aufgedeckt hat dies die mehrere Monate andauernde Recherchearbeit der niederländischen Zeitung „De Volkskrant“. Demnach einigten sich die Geberländer, den Betrugsfall geheimzuhalten. Das gilt offenbar auch für die Rechercheergebnisse aus den Niederlanden. Hatten die Weißhelme früher einen Stammplatz in der Berichterstattung, verschweigt man nun eisern die Dekonstruktion des Mythos. Von Jens Berger.
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26.000 Euro pro Monat – dieses üppige Gehalt zahlte sich James Le Mesurier in seiner Funktion als Leiter der in Amsterdam registrierten „gemeinnützigen“ Mayday Rescue Foundation aus, die die Finanzierung der syrischen Weißhelme vorwiegend durch Regierungen der NATO-Staaten als eine Art Förderverein sicherte. Das Geld floss in Strömen. Über die Jahre hinweg unterstützten Staaten wie die Niederlande, Deutschland und Großbritannien die Weißhelme mit mehr als 100 Millionen Euro. Bis heute ist unklar, wohin dieses Geld floss. Spätere Buchprüfungen konnten keine Belege mehr finden, wohin die „größeren Transaktionen“ gingen. Besonders pikant: Die niederländische Stiftung war offenbar nur eine von drei Säulen – die anderen beiden Säulen des „Finanzkonzerns Weißhelme“ waren zwei kommerzielle Firmen in der Türkei und Dubai. Wohin genau die 12 Millionen Euro Unterstützung der Bundesregierung ging, ob man beispielsweise über den Umweg der Weißhelme islamistische Rebellen in Syrien finanziell unterstützt hat, will offenbar niemand so genau wissen. Während Entwicklungshilfeorganisationen, die von der Bundesregierung Zuschüsse bekommen, über jeden ausgegebenen Cent penibel Auskunft geben müssen, pflegte die niederländische Stiftung offenbar ein Buchhaltungssystem, das in puncto Transparenz und Compliance eher an ein schwarzes Loch erinnert.
Anders sieht es mit den Summen aus, die Weißhelm-Gründer Le Mesurier persönlich aus der Kasse entwendete. Das sind neben seinem unangemessenen Gehalt, das höher als das der Bundeskanzlerin ist, Cash-Boni für sich, seine Frau und weitere leitende Angestellte. Die genaue Summe nennt auch „De Volkskrant“ nicht, ein eigens eingesetzter Bilanzprüfer bezeichnet die Boni der Zeitung gegenüber jedoch als „exzessiv“. So sollen die Le Mesuriers mit den Geldern der NATO-Länder unter anderem ihre bombastische Hochzeit in Istanbul finanziert haben. Hinzu kommen gefälschte Quittungen in Höhe von 43.000 Euro. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Bewertung der Vorgänge durch den Bilanzprüfer. „De Volkskrant“ zitiert ihn im Zusammenhang mit den „exzessiven“ Gehältern und Boni mit den Worten: „Aber die Geberländer wussten dies und hatten ihre Zustimmung gegeben“. Da wird die Bundesregierung wohl einige Fragen zu beantworten haben. Der Bundestag wurde jedenfalls in keinem dieser Punkte bislang informiert.
Und das ist kein Zufall. Wenige Tage nach Le Mesuriers Selbstanzeige und seinem Selbstmord ordneten die Geberländer eine forensische Prüfung der Bücher der Mayday Rescue Foundation an und einigten sich darauf, dass die gesamte Affäre als geheim einzustufen sei. Die Enthüllungen von „De Volkskrant“ stützten sich übrigens auf eben jene Prüfung. Was die Zeitung am Freitag veröffentlicht hat, ist also der Bundesregierung spätestens seit November 2019 bekannt. Und dennoch informierte sie weder die Öffentlichkeit noch den Bundestag über den Betrugsfall bei der Organisation, die wohl wie keine zweite im PR-Krieg gegen die syrische Regierung in Stellung gebracht wurde.
Im November 2019 war diese Schlacht des PR-Kriegs längst verloren. Bereits im Sommer 2018 wurden die ersten Mitglieder der Weißhelme mit positivem Asylbescheid nach Deutschland ausgeflogen. Im August kommentierte Tobias Riegel auf den NachDenkSeiten den Niedergang der Weißhelme mit den Worten: „Die offizielle Version des Syrien-Kriegs bricht vor unseren Augen zusammen“. Zum Zeitpunkt von Le Mesuriers Selbstanzeige ging es also eigentlich nur noch um Schadensbegrenzung und um die Aufrechterhaltung eines geschaffenen Mythos. Wie dieser Mythos noch nach seinem Tod gepflegt wurde, zeigt beispielhaft ein Artikel im SPIEGEL, der sich eher wie ein Nachruf auf einen Märtyrer liest.
Der geschaffene Mythos hat es in sich – eine eigene Oscar-prämierte Netflix-Doku, der alternative Friedensnobelpreis und eine begleitende Medienkampagne, die auch in ihrer Kritiklosigkeit ihresgleichen sucht. An diesem Mythos will man auch jetzt nicht rütteln. Ansonsten müsste man sich ja fragen, warum man selbst so lange unkritisch war und diesem PR-Feldzug auf den Leim gegangen ist. Und so viel Selbstkritik ist unseren Medien offenbar nicht zuzumuten. Bis auf RT Deutsch berichtete bislang kein einziges deutschsprachiges Medium über die Enthüllungen aus den Niederlanden. Da ruft man lieber mit großem Tamtam Wahrheitskommissionen zur Aufarbeitung der fiktiven Reportagen eines Claas Relotius ein, um sich am Ende als großer Aufklärer zu geben. Aber die große Lügen … an die möchte man lieber nicht erinnert werden.
Titelbild: Screencapture „The White Helmets“, Netflix via YouTube