In den vergangenen ersten Juli-Tagen erließ der Oberste Gerichtshof Großbritanniens ein Urteil, das begründete Annahmen über eine grobe Verletzung des internationalen Rechts zulässt. Mit der Entscheidung verweigerte der High Court der venezolanischen Regierung den Zugang zu rund 30 Tonnen Goldbarren im Werte von mehr als einer Milliarde US-Dollar, die Anfang des neuen Millenniums von der damaligen Regierung Hugo Chávez der Bank of England als Sicherheit anvertraut wurden. Von Frederico Füllgraf.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die Entscheidung folgte auf die im Juni 2019 von der Deutschen Bank vorgenommenen Pfändung von 20 Tonnen venezolanischem Gold, die ebenfalls in der Bank of England deponiert waren und im Jahr 2016 von der Regierung Nicolás Maduro als Sicherheit für die Vergabe eines 750-Millionen-Dollar-Kredits – ein Devisen-gegen-Gold-Swap – angeboten worden waren. Theoretisch hatte die Deutsche Bank das Recht dazu, da Venezuela seinen Ratenzahlungs-Verpflichtungen nicht nachgekommen war, kündigte jedoch einseitig einen Kreditvertrag mit Laufzeit bis 2021. Venezuela focht die Pfändung nicht an. Doch bereits Mitte 2019 signalisierte diese Pfändung eine politische Dimension und Eskalierung, die nicht nur den jetzigen britischen Gerichtsbeschluss, sondern auch die nahezu zeitgleich von der Europäischen Union (EU) neu erlassenen Venezuela-Sanktionen erklärt, die seit Ende Juni 2020 auf 33 hohe Funktionäre der Regierung Nicolás Maduro und die Einfrierung ihres internationalen Vermögens erweitert wurden.
Die Offensive der „Parallelmächte“ und ihre Anerkennung durch die USA und Europa
Die Erklärung dafür umriss ich im Beitrag „Venezuela – Die zweite Amtszeit Nicolás Maduros und die „Delegitimierungs“-Maschine“ von Mitte Januar 2019, in dem die geplante rechtsradikale Demontage der Institutionen und der Aufbau eines subversiven Staates im Staat angedeutet wurden. Diese Doppelherrschaft war längst vor der Selbsternennung Juan Guaidós zum „Interimspräsidenten“ Venezuelas, im späteren Januar 2019, von Sprechern der rechtsextremen Szene mit dem Begriff des „Parallelstaates“ angekündigt worden. Dessen „Drehbuch“ scheint von Guaidó und seinen Verbündeten seitdem allerdings systematisch umgesetzt worden zu sein. So die Selbsternennung eines „Obersten Gerichtshofs im Exil“, der Boykott der Präsidentschaftswahl vom Mai 2018 mit der Nicht-Anerkennung der Wiederwahl Nicolás Maduros sowie die Nicht-Anerkennung der im August 2017 von der Regierung einberufenen Verfassunggebenden Versammlung.
Doch den gefährlichsten Anschlag gegen die finanzpolitische Souveränität, nicht nur der Regierung Maduro, sondern des Staates Venezuela generell, landete die Opposition mit zwei Maßnahmen. Zum einen forderte die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung am 15. Januar 2019 die Regierungen von 46 Ländern dazu auf, den Zugang der Regierung Nicolás Maduro zum venezolanischen Auslandsvermögen zu unterbinden. Wörtlich hieß es in dem Beschluss, die Behörden dieser 46 Länder mögen den „Schutz von Vermögenswerten gewährleisten“ und „die Aufsichtsbehörden von Finanzunternehmen anweisen, jeglichen Umgang mit Vermögenswerten ausdrücklich zu verbieten“. Die gleiche Petition wurde an Privatbanken dieser Ländergruppe versandt, zu der die 28 Mitglieder der Europäischen Union, die USA, Argentinien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Guyana, Honduras sowie Panama, Paraguay, Peru, Bulgarien, Russland, China, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören.
Am darauffolgenden 23. Januar ernannte sich dann der turnusmäßige Vorsitzende des venezolanischen Parlaments, Juan Guaidó, zum „Übergangspräsidenten“. Sechs Monate später nominierte Guaidó Ende Juli 2019 ein paralleles „Ad-hoc-Direktorium“ der venezolanischen Zentralbank (BCV). Der von den USA finanzierte und instruierte Regime Changer erklärte damals, das oppositionelle Direktorium sei „die einzige legitime BCV-Vertretung gegenüber internationalen Instanzen“, die fortan die Finanzen, einschließlich venezolanischer Konten bei ausländischen Banken, „verwalten“ werde.
Die Usurpierung des Zentralbank-Mandats hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Pfändung der Deutschen Bank. Nach dem Stand des Goldpreises im Juni 2019 war die venezolanische Deponie inzwischen 860 Millionen Dollar wert. Also hatte die Regierung Nicolás Maduro, abzüglich der Zinsen und Bearbeitungsgebühren, Anspruch auf Rückzahlung einer Differenz von 110 Millionen US-Dollar. Da stand die Deutsche Bank plötzlich vor der politisch brisanten Entscheidung: Wer hat das legitime Anrecht auf den Betrag? Die offizielle Regierung Nicolás Maduro oder die parallele „Regierung“ Juan Guaidó?
Die 110 Millionen US-Dollar wurden seitdem nicht ausgezahlt, was auch das politische Umfeld Guaidós auf die Palme brachte. Der im US-Exil aktive, ultrakonservative venezolanische Anwalt Carlos Ramírez López – der sich in den Medien gern als Experte für internationale Schlichtungsverfahren ausgibt – verbreitete die lächerliche Legende, Nicolás Maduro hätte die an die Deutsche Bank nicht ausgezahlten Schuldenraten in die eigene Tasche gesteckt und beide hätten sich mit dem Ziel „verschworen“, Venezuela um 3 Milliarden US-Dollar zu betrügen.
Dem Delirium sind ja bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Allerdings könnte die Begründung der britischen High Court von Anfang Juli zur Beschlagnahme der rund 30 Tonnen Gold nun die Entscheidung für den Auszahlungs-Begünstigten der Deutschen Bank beschleunigen. Denn Richter Nigel Teare urteilte: „Die Regierung Ihrer Majestät erkennt Herrn Guaidó als verfassungsmäßigen Interimspräsidenten von Venezuela an. Woraus folgt, dass sie Herrn Maduro als konstitutionellen Interimspräsidenten von Venezuela nicht anerkennt”.
Donald-Trump-Intermezzo: Vor Corona sind alle gleich, aber einige sind gleicher als andere …
Apropos 110 Millionen. Vom medialen Rampenlicht sichtlich gedämpfter angeleuchtet ist da der Antrag eines anderen prominenten Staatschefs und Milliarden-Schuldners der Deutschen Bank, nämlich US-Präsident und Unternehmer Donald Trump. Trumps Firmen-Imperium hat sich seit 1998 mehr als 2 Milliarden US-Dollar von der Deutschen Bank geliehen, wovon nach Angaben des Finanzmarktes – wiedergegeben von der deutschen BILD-Zeitung – bislang 95 Prozent plus Zinsen zurückgezahlt worden seien.
Bei seinem Amtsantritt schuldete Trump der Bank jedoch noch 350 Millionen Dollar, von denen seitdem angeblich zwei Drittel abgestottert wurden. „Doch die Corona-Krise beschert auch dem Hotel-Imperium der Trump-Familie herbe Einbußen“, so BILD mitleidig. Wegen der Pandemie sei der Betrieb in einer Reihe von Trump-Anlagen gestoppt oder zumindest stark eingeschränkt worden, weshalb der 2,1-Milliarden-Dollar-Tycoon und Staatschef um eine Stundung von 120 Millionen US-Dollar bettelte, die die Deutsche Bank in hartem Kontrast zur Behandlung der Regierung Nicolás Maduro mit Vergnügen bediente.
Mit nahezu leeren Staatskassen bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie hatte die venezolanische Regierung noch im April einen humanitären Appell an die Bank of England gerichtet. Sie bat darum, einen Teil der beschlagnahmten venezolanischen Goldreserven zu verkaufen und den Erlös an die Vereinten Nationen zur Unterstützung von Pandemie-Maßnahmen in Venezuela zu überweisen. Erst nachdem die britische Bank dies verweigerte, reichte die Regierung Nicolás Maduro Ende Mai eine internationale Klage zur Herausgabe ihres Goldes ein.
Piraterie by appointment of her Majesty the Queen…
Könnte die britische Gerichtsentscheidung etwa eine hintergründige „Spätrache“ für jene Zusicherung des todkranken Hugo Chávez sein, der im Februar 2012 anmahnte, in einem neuen Malvinen/Falkland-Krieg gegen Großbritannien würden venezolanische Truppen auf der Seite Argentiniens kämpfen? Dass die britischen Tories dies nicht vergessen haben, scheint ebenso möglich wie die Umsetzung von Chávez‘ Wink durch Nicolás Maduro.
Während sich der britische Mainstream, einschließlich des Guardians, bedeckt hielt, hagelte es Proteste aus den Reihen von Labour-Aktivisten, wie der Kolumnistin Fiona Edwards, die die Gerichtsentscheidung einen „Diebstahl“ nannte. „Die Rechtfertigung der britischen Regierung für den Diebstahl von Venezuelas Gold beruht auf einer unverschämten imperialistischen Mentalität und Politik. Hier maßt sich die britische Regierung an, besser als das venezolanische Volk zu wissen und zu entscheiden, wer der Präsident von Venezuela ist“, kommentierte Edwards.
„In wessen Namen, basierend auf welchen Rechten, mit welcher Expertise wagt es diese neue Heilige Allianz der von der NATO besetzten Länder, die sich als Europäische Union bezeichnet, venezolanische Beamte zu sanktionieren oder Usurpatoren anzuerkennen, die von niemandem gewählt wurden? Ihr unverbesserlicher Zustand, ständig von extrakontinentalen Truppen besetzt zu sein, lässt sie offensichtlich vergessen, was Souveränität und Unabhängigkeit bedeuten, und dass die Absolutismen des alten Kontinents keine Generalkapitäne oder Vizekönige in Amerika (mehr) benennen oder absetzen. Ich schlage vor, ihnen eine Kopie unserer Unabhängigkeitserklärung zu schicken, um zu sehen, ob sie ermutigt werden, ihre eigene zu erklären”, schimpfte und ironisierte seinerseits der mehrfach ausgezeichnete venezolanische Schriftsteller, Dramatiker und Essayist Luis Britto García.
Aram Aharonian, uruguayischer Publizist und Mitbegründer des venezolanischen Auslands-TV-Senders Telesur, schrieb, „Nationales und internationales Recht zählen nicht mehr. Das zeigte das Spektakel des Londoner Handelsgerichts, das beschlossen hat, die im Vereinigten Königreich aufbewahrten 30 Tonnen venezolanischer Goldreserven nicht an die Nation, sondern an den virtuellen und selbsternannten ´Übergangspräsidenten´ Juan Guaidó (eine Marionette Washingtons) auszuhändigen. Wir haben es hier mit der Neuinszenierung der vorsintflutlichsten Seeräuber-Tradition des alten Albion zu tun … Das Vereinigte Königreich ist eine notorische Quelle von Lumpenstücken. Großgrundbesitzer, Rassisten, Piraten, Ausbeuter und Plünderer: Sie wahren eine alte Tradition krimineller Handlungen. Wenn wir uns nur vor Augen führen, dass sie immer noch mehrere Kolonien in unserer Region in Besitz nehmen – Anguilla-Inseln, Bermuda, Kaiman-Inseln, Südgeorgien und die Südsandwich-Inseln, Falkland-Inseln, Pitcairn-Inseln, Turks- und Caicos-Inseln, Britische Jungferninseln, Britisches Antarktisgebiet – wird deutlich, dass diese Piraterie fortgesetzt wird. Was kann man von einem thalassokratischen Reich (einem Staat, dessen Herrschaft sich hauptsächlich auf Seegebiete erstreckt) erwarten, das aus Plünderungen, Piraterie, Beute, faulen Tricks und Sklaverei bestand und dessen Avantgarde die Korsaren von gestern waren und die globalistischen Freibeuter von heute sind?“, schimpft Aharonian.
Der venezolanische Außenminister Jorge Arreaza stimmte in den historischen Vergleich Edwards‘, Garcías und Aharonians ein. „Es gibt hier nur eine (legitime) Regierung, die rechtmäßig gewählt und konstituiert wurde und im Amt ist. Es ist ein Raubüberfall, deshalb waren im 18. Jahrhundert die berühmtesten Piraten die englischen Korsaren, die alle für die britische Krone handelten (…). Das Vereinigte Königreich verstößt gegen internationales Recht und beabsichtigt, Ressourcen aus Venezuela zu stehlen”, lautete seine erste Reaktion auf den Gerichtsbeschluss.
Das Außenministerium kündigte an, es werde Einspruch einlegen, Beschwerde in allen internationalen Foren einreichen. Als Parallelmaßnahme erließ die venezolanische Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen die in den britischen Goldcoup mutmaßlich Involvierten. Zu den Angeklagten zählen Ricardo Adolfo Villamil, Giacoma Cudish Cortesia, Manuel Rodríguez Armesta, Nelson Andrés Lugo und Carlos Andrés Suárez – allesamt Mitglieder des von Juan Guaidó benannten, illegalen „Ad-hoc-Verwaltungsrats“ der Zentralbank von Venezuela. Ferner werden Jose Gregorio Hernández, Irene de Lourdes Loreto und Geraldin Afiuni – Mitglieder der „parallelen“ Staatsanwaltschaft, die im venezolanischen Recht nicht existiert – ebenfalls strafrechtlich verfolgt. Mitangeklagt sind schließlich auch die an der Goldaneignung beteiligten und von Juan Guaidó ernannten „diplomatischen Vertreter“, darunter Julio Andrés Borges, Carlos Beccio und Vanessa Neumann. Sie werden des Landesverrats, der Usurpation von Funktionen und der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschuldigt, erklärte Generalstaatsanwalt William Saab.
Mick Jaggers “Ex” und die “Venezuela Reconstruction Unit” als trojanisches Pferd der Briten in Caracas
Eine herausragende Rolle in den Manövern zur Vorbereitung des britischen Goldcoups nimmt die gebürtige Venezolanerin und gleichzeitige US-Bürgerin Vanessa Neumann ein. Sie dient seit einigen Monaten als Juan Guaidós „Botschafterin Venezuelas im Vereinigten Königreich“.
Die Dr. Phil., Unternehmerin und vielfache Millionärin ist Enkelin des aus der Tschechoslowakei geflohenen, jedoch in Berlin mit den Nazis kooperierenden und nach Venezuela ausgewanderten jüdischen Unternehmers Hans Neumann. Mit dem Chemie-Konzern Corimon gründeten Migrant Neumann und Bruder Robert ein mächtiges Imperium für Herstellung, Vertrieb und Verkauf von Farben, Harzen und Verpackungsmaterialien, das in Venezuela sowie Trinidad und Tobago operiert. Die Neumanns hatten jedoch auch eine Schwäche für Kultur und Politik. Sie gründeten das Instituto Neumann für Design-Ausbildung, waren Mitbegründer des Museo de Arte Contemporáneo Sofia Imber und betätigten sich als Verleger von zwei Tageszeitungen – das englischsprachige The Daily Journal und die spanischsprachige Tal Cual – die beide als oppositionelle Medien gegen die Regierung Hugo Chávez eingesetzt wurden.
Obwohl tschechischen Ursprungs, könnte man allerdings sinnieren, Hans Neumanns Unternehmungen passen wie die Faust aufs Auge von Aram Aharonians Beschreibung der britischen Piraten. Im Jahr 1976 erwarb er 60 Prozent der Aktien der Mustique Company, die der Brite Colin Tennant auf der gleichnamigen karibischen Insel errichtet hatte.
Zur geographischen und historischen Orientierung sei gesagt, dass die kaum fünf Kilometer lange Insel jahrhundertelang als Versteck britischer Piraten vor und nach ihren Überfällen auf spanische Goldfrachter genutzt wurde. Wie sämtliche benachbarten Archipele ist die Geschichte der Insel von rabiater Ermordung und Vertreibung der indianischen Urbevölkerung sowie anschließender Massen-Versklavung von dahin transportierten AfrikanerInnen gekennzeichnet. Europäische Pflanzer vertrieben im 17. Jahrhundert die einheimischen Kariben entlang der Inselkette der Kleinen Antillen nach Norden und legten mit westafrikanischen Sklaven Zuckerrohr-Plantagen an.
Nach dem Niedergang der Zuckerindustrie gegen Mitte des 19. Jahrhunderts überlebten etwa 500 Afrikaner durch Subsistenzlandwirtschaft und Fischerei, bis die Insel Ende der 1950er Jahre „wiederentdeckt“ und diesmal zum Luxus-Resort für britische Adlige und Millionäre ausgebaut wurde. Seine Prunkvillen könnten als Kulisse für Heiner Müllers karibisches Theater-Fragment „Der Auftrag“ dienen, in dem die Handlungsfigur Dubuisson jenen bösen Satz ausspricht, der nochmal wie die Faust aufs Auge die brutalen Kontraste auf dieser Welt veranschaulicht: „In den Zeiten des Verrats sind die Landschaften schön“.
Hans Neumann starb im Jahr 2001, als die Mustique Company und die Insel in den Besitz des Familienclans übergingen. Hier scheint die zwischenzeitlich mit dem konservativen britischen Publizisten William Cash verheiratete Vanessa Neumann mit Stones-Frontmann Mick Jagger eine Affäre begonnen zu haben, die 2009 in Scheidung und ihrer „Flucht“ in die USA gipfelten.
Ein Jahr später gründete Vanessa Neumann die Consulting-Firma Asymmetrica, die offiziell Regierungen bei der Untersuchung von Korruption und illegalen Finanzpraktiken berät, sich aber längst auf „Beratung“ des US-State Dept. und des Pentagon konzentriert. Im Rahmen dieser halb öffentlichen, halb geheimen Konvente mit US-Militärs und zivilen NeoCons betätigte sich Neumann als Autorin des Buches Blood Profits, dessen Narrativ die Leser überzeugen will, „wie amerikanische Verbraucher Terroristen unbewusst finanzieren“. Damit setzte Neumann mehrfache Verschwörungstheorien auf die Agenda des State Dept., wie die Legende, die venezolanische Regierung sei seit Hugo Chávez‘ Präsidentschaft in Drogenhandel und internationale Geldwäsche involviert oder dass das Dreiländereck Argentinien-Brasilien-Paraguay eine Bastion der libanesischen Hezbollah sei; ein filmreifer, jedoch der US-Geopolitik nützlicher Spuk, über den die NachDenkSeiten ausführlich berichteten.
Im Mai 2019 enthüllte die sonst kaum auffällige New York Post, Vanessa Neumann sei von der britischen Regierung angeheuert worden. Die Dame ist also zugleich Juan Guaidós „Botschafterin“ und Agentin der Regierung Boris Johnson. Es sei ihr Traumjob, aber auch ein sehr seltsamer Job, erklärte sie ihren Auftrag: die Beschlagnahme von Vermögenswerten der venezolanischen Regierung, darunter drei Immobilien in London. Als kurzfristiges Ziel nannte Neumann auch die Aberkennung und Ausweisung von Maduros Botschafterin Rocio Maneiro.
Doch da gibt es noch eine entscheidende Pointe. „Im Gegensatz zu den USA haben die Briten immer noch eine Botschaft in Caracas. Und sie pflegen eine lange Tradition, Emporkömmlingen in Venezuela zu helfen, darunter Simón Bolívar und Francisco de Miranda, die 1811 die Spanier verdrängten“, erinnerte die NYP.
Was auf den ersten Blick als schizophrener Status der britischen Diplomatie gegenüber Venezuela betrachtet werden könnte – die Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen zur Regierung Nicolás Maduro bei gleichzeitiger Anerkennung Juan Guaidós als „einzigem Präsidenten“ Venezuelas – hat nach Polonius‘ Satz im Hamlet allerdings Methode. Neumann ist die Verbindungsfrau zum britischen Regime-Change-Versuch in Caracas. Und der läuft wie folgt ab.
John McEvoy, ein unabhängiger Journalist – der unter anderem für International History Review, The Canary, Tribune Magazine, Jacobin, Declassified UK und Brasil Wire schreibt – hatte Zugang zu Geheimdokumenten des Foreign & Commonwealth Office (FCO). Dort entdeckte er eine Abteilung mit dem Codenamen „Venezuela Reconstruction Unit”, die weder von der Regierung, beteiligten Diplomaten, noch von Guaidós Opposition zugegeben wird, jedoch von John Saville, dem ehemaligen britischen Botschafter in Venezuela in der Zeit von 2014 bis 2017, bearbeitet wird. McEvoy gelang auch die Feststellung, dass Guaidós „Botschafterin“ Vanessa Neumann mit Vertretern des FCO über die Wahrung der britischen Geschäftsinteressen beim „Wiederaufbau“ Venezuelas verhandelt hatte.
Angesichts der Tatsache, dass Venezuela über die nachgewiesenen weltgrößten Ölreserven verfügt und Neumann in der Vergangenheit für internationale Ölkonzerne aktiv war, könnten diese Verhandlungen auf britische und US-Umtriebe hindeuten. In einem abgehörten Telefonat soll Neumann den Briten und Exxon Oil selbst den Zuschlag des von Venezuela beanspruchten Equesibo-Territoriums an die ehemalige britische Kolonie und Nachbarland Guyana versprochen haben; eine Art von Landesverrat im Verständnis der Regierung Nicolás Maduro. Darauf angesprochen, habe das FCO sich mit humanitärer Hilfe herausgeredet. Großbritannien versuche, den Venezolanern „bei der Lösung ihrer entsetzlichen politischen und wirtschaftlichen Krise zu helfen“.
McEvoys Fazit: Selbst bei oberflächlicher Beobachtung der britischen Außenpolitik und der Geschichte der britischen Interventionen im Ausland müsste man dieser Erklärung sofort misstrauen. Genannt seien die zahlreichen Sanktionen, mit denen sich die britische Regierung in den letzten 16 Monaten am wirtschaftlichen Würgegriff gegen Venezuela – insbesondere beim Einfrieren von venezolanischem Gold im Wert von über einer Milliarde US-Dollar – beteiligt hat.
Titelbild: Rost9/shutterstock.com