Ballermann-Hysterie – Medien und Politik drehen wild

Ballermann-Hysterie – Medien und Politik drehen wild

Ballermann-Hysterie – Medien und Politik drehen wild

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Medien und Politik haben eine neue Großgefahr für unsere Gesundheit ausgemacht – den Mallorca-Urlaub! Gesundheitsminister Spahn sieht ein neues Ischgl auf uns zukommen, der Ärzte-Funktionär Montgomery fordert eine Zwangsquarantäne für Mallorca-Rückkehrer und der oberste Mahner vom Dienst, Karl Lauterbach, nennt die Baleareninseln ein „Risikogebiet“, fordert eine Testpflicht für Urlauber und prophezeit eine von Mallorca-Urlaubern ausgehende „zweite Welle“ in Deutschland. Die Medien stimmen in den Tenor ein und übertreffen sich gegenseitig mit schrillen Meldungen und Bildern, die teilweise aus dem Archiv stammen. Klar, der „Sauftourismus“ am Ballermann ist ein denkbar einfaches Ziel. Wenn man die Sache aber nüchtern betrachtet und einen Blick hinter die Schlagzeilen wagt, wirkt die derzeitige Hysterie doch ziemlich schräg. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Auslöser für den Sturm der Entrüstung waren Bilder, die am letzten Freitag von der Mallorca Zeitung an Mallorcas Partymeile, dem berühmt-berüchtigten Ballermann, aufgenommen wurden. Doch was sieht man auf diesen Bildern? Eine Straßenbar, in der ein paar Touristen auf ihre Art und Weise feiern. Nichts Dramatisches. Dagegen ist jedes niedersächsische Schützenfest eine Sauforgie. Richtig ist jedoch, dass sich die abgebildeten Touristen offenbar nicht an die auf Mallorca vorgeschriebene Maskenpflicht und an die Abstandsregelung halten. Von der Polizei, die dafür verantwortlich ist, dass die Regelungen im öffentlichen Raum eingehalten werden, ist jedoch nichts zu sehen. Aber kann man diese Bilder verallgemeinern?

Ein deutscher Wirt, der ein Lokal auf der abgebildeten Partymeile betreibt, sieht dies gänzlich anders und verweist darauf, dass der Andrang auf die Neueröffnung eben jener abgebildeten Bar zurückzuführen sei, sich nur auf diese eine Bar beschränkte und sich nach zwei, drei Stunden wieder aufgelöst habe. Bereits am Folgetag hätten die Gastronomen auf die Vorfälle reagiert und Maßnahmen ergriffen, die ähnliche Vorkommnisse verhindern. Andere Gastronomen berichten Ähnliches. Auch darüber berichtete die Mallorca Zeitung, doch diese Meldung wurde von den deutschen Medien geflissentlich ignoriert. Man hatte offenbar eine Story im Kopf, die man erzählen wollte. Und diese Story sollte möglichst skandalös sein und da der Spuk offenbar am Samstag bereits ein Ende hatte, wurden die gewünschten Bilder halt selbst produziert. Die Mallorca Zeitung schilderte den Medienrummel vom Samstag …

Zu diesem Zeitpunkt allerdings lief die deutsche Medienberichterstattung gerade erst an. Etliche Kamerateams rückten am Ballermann an. Dort ging es am Wochenende ruhiger zu, aber so manche Urlaubergruppe ließ sich von den Reportern dazu animieren, grölend in die Kamera zu jubeln, wie etwa Aufnahmen des Videoreporters Sven Gonzales belegen.

Und wenn selbst dies nicht gelang, nutzte man halt zur Dramatisierung Bilder aus dem Archiv, wie der deutsche Wirt berichtet:

„Da waren so viele TV-Sender da, das waren fast alle. Sogar ein Team aus Holland war vor Ort. Dann sind teilweise Bilder gezeigt worden, die sind fünf Jahre alt. Da hängen Girlanden bei uns im Laden, das muss an Karneval gewesen sein. Sowas hänge ich doch nicht im Sommer auf!“

Auch ein YouTube-Film zeigt eindrucksvoll, wie Kamerateams trinkfreudige Touristen dazu animieren, „Party“ zu spielen. Diese Bilder waren es, mit denen die Hysterie geschürt wurde.

Archivbilder kamen auch zum Einsatz, um zu suggerieren, die Strände auf Mallorca seien überfüllt. So bebilderte die WELT einen auf welt.de in alle Artikel zum Thema eingefassten Film mit einem Bild, das einen komplett überfüllten Strand zeigt …

Die Abdruckrechte an diesem Bild[*] kann man für 29,99 Euro erwerben. Die NachDenkSeiten haben dieses Bild als Titelbild für diesen Artikel gewählt. Es stammt laut Agenturangaben vom 11. August 2018. Eine kurze Bildsuche ergab, dass dieses Agenturbild von ZEIT über Tagesschau.de, Deutsche Welle, Stern und SPIEGEL auf nahezu allen großen deutschen Nachrichtenportalen verwendet wurde – oft korrekt als „Symbolbild“ bezeichnet, oft ohne einen Hinweis darauf, dass dieses Bild bereits zwei Jahre alt ist und El Arenal in der „Vor-Corona-Zeit“ zeigt. Das ist manipulativ.

Wie es zurzeit an Mallorcas Stränden wirklich aussieht, können Sie live über Webcams verfolgen. Von einem Gedränge kann hier trotz guten Wetters keine Rede sein. Wenn man Mallorca-Rückkehrer fragt, berichten sie auch einheitlich davon, dass auf der Insel trotz Hochsaison erstaunlich wenig los ist und von einer Überfüllung der ohnehin diesbezüglich kontrollierten Strände gar keine Rede sein kann. Die Bilder unserer Medien suggerieren das genaue Gegenteil.

Und wie sieht es mit der Ansteckungsgefahr aus? Die ist – rein statistisch – überschaubar. Auf den gesamten Balearen mit ihren immerhin 1,1 Millionen Einwohnern gibt es zurzeit 109 „aktive“ Covid-19-Fälle – das ist weniger als ein Drittel der aktuell 336 Fälle im nur etwas größeren München. Wie man anlässlich dieser Zahlen auf die Idee kommen kann, Mallorca sei ein „Risikogebiet“ und rückkehrende Urlauber sollten in „Zwangsquarantäne“, ist schleierhaft.

Fest steht, dass die Buchungen für die Insel in der letzten Woche massiv eingebrochen sind – unklar ist jedoch, ob dies an der hysterischen Berichterstattung und Kommentierung oder an der von der mallorquinischen Regierung verhängten Maskenpflicht im Freien liegt. Denn wer will schon seinen Sommerurlaub unter einer Maske verbringen?

Man muss keine Sympathien für den Sauf- und Partytourismus haben. Derart hysterische Meldungen und Kommentare, die sich nicht auf Fakten, sondern auf gewollt dramatisierte Bilder stützen, sind jedoch wenig hilfreich – vor allem für eine Insel, die vom Tourismus lebt, der weit über den Sauf- und Partytourismus hinausgeht. Der lokalen Politik kommen diese Bilder jedoch sehr gelegen, will sie doch schon seit langem dem Sauf- und Partytourismus ein Ende machen. Hat man deshalb die eigenen Vorschriften nicht kontrolliert? Nun müssen sämtliche Lokalitäten am Ballermann jedenfalls für zwei Monate schließen – obgleich sich fast alle von ihnen an die Vorschriften gehalten haben.

Titelbild: zixia / Alamy Stock Foto


[«*] Ergänzung (23. Juli 2020): Eine Leserin hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass das u.a. von Welt.de verwendete Bild nicht exakt dem von uns herausgesuchten „Titelbild“ entspricht. Das ist richtig. Nach sehr genauem Bildvergleich kann man tatsächlich leichte Abweichungen feststellen. Dies war uns zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht bekannt. Weitere Bilddetails zeigen jedoch auch, dass die beiden Bilder mit sehr großer Wahrscheinlichkeit am selben Tag aufgenommen wurden. Dass das von Welt.de u.a. verwendete Bild ein Archivbild aus dem Jahre 2018 ist, ist jedoch unstrittig.

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