Zu Beginn des Sommerlochs treibt die neu entflammte Rassismusdebatte seltsame Blüten. Selbsternannte Anti-Rassisten haben jetzt ihren gerechten Zorn auf das „M-Wort“ fokussiert. Der Mohr soll weichen – Straßen- und Apothekennamen, Stadtwappen und sogar Kanaldeckel, die teils seit Jahrhunderten den Mohren im Namen tragen oder abbilden, werden nun als rassistisch empfunden und passen offenbar nicht mehr in unsere ach so aufgeklärte Zeit. Die Berliner Verkehrsbetriebe sahen sich bereits genötigt, eine U-Bahn-Station umzubenennen und in Coburg tobt ein erbitterter Streit um den Schutzpatron der Stadt, den „Coburger Mohr“. Die Enkel der Nazis schaffen es womöglich sogar, woran ihre Groß- und Urgroßmütter und -väter gescheitert sind – den Mohren in Wort und Bild aus dem Stadtbild zu vertreiben. Gerade so, als würde unsere Gesellschaft und unsere Geschichte besser, wenn wir alle paar Jahre Straßennamen ändern und Denkmäler entfernen, anstatt aus der Geschichte zu lernen und Dinge, die nicht stromlinienförmig unserer Gesinnung entsprechen, als Stolpersteine zu begreifen, die zum Nachdenken anregen können. Von Jens Berger.
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Um den „Mohrenstreit“ besser einordnen zu können, ist leider ein kurzer geschichtlicher Exkurs notwendig. Der deutsche Begriff „Mohr“ tauchte erstmals in seiner althochdeutschen Form im 8. Jahrhundert auf und stellt eine Ableitung des lateinischen Begriffes „Maurus“ dar, der seinerseits als Ableitung des altgriechischen Begriffs „Mauros“ (deutsch: dunkel) als Adjektiv für die nordwestafrikanische römische Provinz „Mauretania“ verwendet wurde und heute korrekterweise mit „maurisch“ übersetzt werden müsste, damals aber – sicher vor allem aufgrund nur rudimentärer geografischer Kenntnisse – auch als Synonym für den Begriff „afrikanisch“ verwendet wurde. Im späten Mittelalter wurde aus dem „Mohren“ im Deutschen ein Synonym für die dunkelhäutigen Bewohner des afrikanischen Kontinents. Verantwortlich dafür war vor allem eine Legende und der christliche Brauch der Heiligenverehrung. Es geht um den heiligen Mauritius, dessen Name sich auf eben jene Wortherkunft begründet. Im Deutschen wurde aus dem lateinischen Mauritius bzw. Maurus der heute noch verbreitete Name Moritz, der in den vorigen Jahrhunderten oft in der Alltagssprache auch schlicht mit „Mohr“ verkürzt wurde.
Mauritius war, so will es die Legende, ein in der damals zum römischen Reich gehörenden ägyptischen Provinz Theben geborener römischer General, der mit seiner thebaischen Legion fern der Heimat im Namen des Kaisers in der heutigen Schweiz zur Niederschlagung von Aufständen eingesetzt wurde. Da der Christ Mauritius es jedoch ablehnte, Christen zu töten und den römischen Kaiser als Gott anzubeten, wurde er als Märtyrer im Jahre 290 hingerichtet, am Fuß des Großen St. Bernhard im Wallis begraben und von den ersten Walliser Bischöfen als Symbol für Mut, Charakterstärke und Tugendhaftigkeit für ihre Missionierungstätigkeit instrumentalisiert. Was daran Legende und was überlieferte Geschichte ist, ist unklar. Klar ist jedoch, dass der Afrikaner, der gemäß seiner biographischen Daten wohl eher ein hellhäutiger Ägypter war, seitdem vor allem in der Schweiz und später im Süden Deutschlands als Schutzheiliger und später als Ritter-Heiliger verehrt wurde. Letzteres ist vor allem dem ersten römisch-deutschen Kaiser Otto I. zu verdanken, der seinen Sieg über die Ungarn in der Schlacht am Lechfeld, die – wie man damals sagte – die deutschen Stämme vereinte, auf die göttliche Hilfe des heiligen Mauritius zurückführte und ihm später sogar seinen wichtigsten Kirchenbau, den Magdeburger Dom, weihen ließ. In der Folge wurde der Afrikaner Mauritius so unter den Ottonen und Stauferkaisern zu einem verehrten Reichsheiligen und zum vom Hochadel bevorzugten Kriegerheiligen, dessen Name und Abbildung sich in unzähligen Familien- und Stadtwappen wiederfinden – meist in einer zugegebenermaßen stereotypen Form, hatten die deutschen Heraldiker und Maler des Hochmittelalters doch nur eine sehr grobe Ahnung davon, wie ein Afrikaner eigentlich aussieht.
Zu suggerieren, diese mittelalterlichen Darstellungen seien rassistisch, ist jedoch grotesk. Es war vielmehr so, dass der „Mohr“ Mauritius wegen der ihm zugeschriebenen Tugendhaftigkeit von Hochadel und Kirche verehrt wurde und Name und Bildnisse ausnahmslos in einem positiven Kontext standen. Ein Heiliger, nach dem zahlreiche Städte (u.a. Saint Maurice im Wallis und St. Moritz im Engadin), Klöster und Kirchen benannt wurden und dessen Abbild in die Wappen von Städten und Adelsgeschlechtern aufgenommen wurde, sollte damit jedoch ganz sicher nicht aufgrund seiner Herkunft oder Rasse herabgesetzt werden. Interessant ist in diesem Kontext, dass Mauritius in späteren Zeiten in Kunst und Heraldik oft hellhäutig dargestellt wurde. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass die früheren Darstellungen mit afrikanischen Stereotypen ganz sicher keine Herabsetzung, sondern vielmehr eine Würdigung dunkelhäutiger Menschen waren.
Womit wir den Exkurs beenden und zum Coburger „Mohrenstreit“ kommen können. Der „Coburger Mohr“, der Schutzpatron der Stadt, ist eben jener heilige Mauritius, der im Wappen der Stadt und im Stadtbild auf zahlreichen Wappen, Häusern und seit langer Zeit auch auf den traditionellen Kanaldeckeln verewigt ist. Dies stellt nun für eine Berlinerin eine „Diskriminierung, Traumatisierung und Erniedrigung“ von „schwarzen Menschen“ dar. Daher startete sie mit einer Freundin eine Petition, um den Mohren aus dem Stadtwappen zu verbannen. Was als Posse hätte enden müssen, hat sich – dank der neu entflammten Rassismusdebatte in Folge des Mordes an dem Afroamerikaner George Floyd – zum heiß debattierten Feuilleton-Thema im Sommerloch entwickelt.
Dies ist einfach grotesk. Hätte die Stadt stattdessen den weißen Ritterheiligen St. Georg als Schutzpatron, wäre dies – gemäß der Logik der selbsternannten Anti-Rassisten – kein Problem. Der schwarze Heilige soll jedoch weichen; nicht weil er weniger tugendhaft als der heilige Georg war, sondern wegen seiner Hautfarbe. Genau das ist Rassismus! Wer eine Person aufgrund äußerlicher Merkmale – die eine bestimmte Abstammung vermuten lassen – kategorisiert und behandelt, ist per Definition ein Rassist, auch wenn er vorgibt, es doch eigentlich gut zu meinen.
Als traurige Fußnote der Geschichte sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass die beiden Petitionsschreiberinnen mit ihrem Werk genau das erreichen könnten, was zuletzt die Nazis versucht haben. Das Coburger Rathaus war das erste deutsche Rathaus, an dem bereits 1931 die Hakenkreuzfahnen gehisst wurden und 1934 musste auch der Mohr aus dem Stadtwappen weichen – er wurde durch einen SA-Dolch mit Hakenkreuz im Knauf in einem von Schwarz und Gold gespaltenen Schild ersetzt. Nur für den Austausch der historischen Kanaldeckel fehlte den Nazis dann zum Glück die Zeit. Wahrscheinlich werden sie nun in ihren Gräbern lachen, dass ausgerechnet selbsternannte Anti-Rassisten ihr Werk fortsetzen.
Coburg ist überall. Mohrenköpfe gibt es als Süßspeise schon lange nicht mehr, der „Sarotti-Mohr“ wurde durch einen „Sarotti-Magier der Sinne“ ersetzt. Auch in der Schweiz tobt der Streit um die Mohren in den Stadtwappen. In Frankfurt haben es die selbsternannten Anti-Rassisten auf zwei Apotheken abgesehen, die mit ihren traditionellen Namen „Zum Mohren“ bzw. „Mohren-Apotheke“ angeblich rassistisch sind. In Deutschland gibt es über 100 Apotheken, die den „Mohr“ in ihren Namen tragen, teils bereits seit 1578, wie die Nürnberger Mohren-Apotheke zu St. Lorenz – hier ist der Namensbestandteil übrigens eine Reminiszenz an die im Spätmittelalter überlegene Medizin und Pharmazie der „Mauren“, die sich seiner Zeit positiv von den „weißen“ Badern und Kurpfuschern unterschied, die durch unsere Lande zogen. Auch hier wird aus einem eigentlich positiven Bezug ein so nicht erkennbarer Rassismus fabriziert, der letzten Endes selbst rassistische Untertöne hat.
Nicht ganz so einfach ist die Debattenlage im Berliner Streit um die Mohrenstraße und die gleichnamige U-Bahn-Station. War der Begriff „Mohr“ im Mittelalter und der vorkolonialen deutschen Geschichte noch neutral konnotiert, änderte sich dies mit der beginnenden Kolonialisierung und den nationalistischen und rassistischen Überlegenheitsdünkeln späterer Jahre. Nun wurden Afrikaner auch nach Deutschland verschleppt – zunächst als Statussymbole in Form von Dienern an Adelshöfen, dann als Spielleute beim preußischen Militär und schließlich als Ausstellungsobjekte in Völkerschauen.
Die Berliner Mohrenstraße bekam ihren Namen um das Jahr 1700 herum; der genaue Grund für die Namensgebung ist strittig, steht aber in Verbindung mit der Ansiedlung mit schwarzhäutigen Bewohnern der Straße, die in der damaligen deutschen Sprache als „Mohren“ bezeichnet wurden. Kritiker sehen dies als Diskriminierung, Kritiker der Kritiker, wie der Historiker Götz Aly, vertreten indes die Position, die Namensgebung sei eher ein Zeichen für die „Achtung vor anders sprechenden, anders aussehenden Menschen“ und damit ein positives Symbol für die Epoche der Aufklärung.
Soweit muss man ja nicht gehen. Auch wenn der Begriff „Mohr“ in diesen Zeiten als solcher sicherlich kein herabsetzender Begriff war, so war das Bild der Deutschen von Schwarzen damals und mehr noch in der kolonialen wilhelminischen Ära sicher alles andere als positiv. Was beim „Nickneger“ (eine Sammelbüchse in Kirchen) begann, entwickelte sich über heute gruselig empfundene Völkerschauen in Tierparks bis zum von Deutschen durchgeführten Völkermord an den Herero und Nama und einem zutiefst rassistischen Weltbild, das sich später im Nationalsozialismus kumulieren sollte. Als dies schwingt beim Namen „Mohrenstraße“ mit. All dies ist jedoch auch kein Grund, eine Straße, die nicht nach den Tätern, sondern nach den Opfern von Rassismus benannt ist, umzubenennen.
Geschichte ist nun einmal nicht gleichförmig und vieles, was heute bestenfalls Kopfschütteln und schlimmstenfalls Scham und Schrecken hervorruft, war früher „normal“. Dies zu erkennen, ist eigentlich banal. Daraus auch zu lernen, ist jedoch elementar und unverzichtbar, will man aus seiner Geschichte lernen. Wer die Schattenseiten seiner Geschichte stets verdrängt und alles, was an sie ermahnt, dem Zeitgeist folgend umbenennt oder aus dem Stadtbild verbannt, bringt sich jedoch um die Chance, tagtäglich über seine Geschichte zu reflektieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn wir unser Stadtbild von sämtlichen Stolpersteinen befreien, laufen wir zwar bequemer, vergessen jedoch auch schneller. Der unselige Streit um den „Coburger Mohren“ zeigt, dass wir bereits viel zu viel vergessen haben; offenbar können wir uns gar nicht mehr vorstellen, dass der „Mohr“ über fast zwei Jahrtausende hinweg in unserer Kultur überhaupt nicht negativ besetzt war. Wer ihn nun aus unserem Stadtbild verbannen will, ist daher eher – sicher ohne es zu wissen oder gar zu wollen – ein geistiges Kind der dunkleren Perioden unserer Geschichte. Wäre es nicht schön, wenn kommenden Generationen auch dank solcher Stolpersteine diese Erfahrung erspart bliebe?
Titelbild: © Stadt Coburg