Noch nicht einmal auf die Zahlen ist Verlass. Etwas mehr als 15 Milliarden Euro sind wohl bei den zwei EU-Geberkonferenzen zusammengekommen. Genau weiß man das nicht, aber das ist auch zweitrangig, geht es doch zum größten Teil ohnehin um vage Zusagen, Garantien und Mittel, die ohnehin bereits zur Verfügung standen. Es soll – so melden es zumindest die großen Medien – um die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Corona gehen. Bei den „Spendensammlern“ selbst hört sich das anders an. Sonntagsreden über eine gerechte Verteilung und einen Zugang für alle haben Konjunktur. Das ist alles skurril. Schließlich gibt es noch keinen Impfstoff, die Spitzenforschung findet vor allem in den USA und China statt und durch die Zeitnot werden einmal mehr Sicherheitsbedenken und Ethik ignoriert. Offenbar hat man aus der chaotischen Impfkampagne gegen die Schweinegrippe nichts gelernt. Von Jens Berger mit einem älteren Artikel zur „Schweinegrippeimpfung“ im Anhang.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Viel Geld mit vager Herkunft und vagem Verwendungszweck
6,15 Milliarden Euro – diese durchaus stolze Summe stand am Ende des von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen initiierten und am Samstag mit großem Tamtam und internationalen Celebrities als „Geberkonferenz“ durchgeführten Spendenmarathons. Ganze 4,9 Milliarden Euro kamen von der EU, weitere 383 Millionen versprach Bundeskanzlerin Merkel. „”Ich bin der festen Überzeugung: Impfstoffe, Tests und Medikamente müssen weltweit verfügbar, bezahlbar und zugänglich sein”, so Merkel in ihrer Videobotschaft. Das klingt ja ganz nett, hat aber weder etwas mit dem Spendenmarathon noch mit der vorangegangenen Geberkonferenz der EU zu tun. Ganze 4,9 der 6,15 Milliarden Euro des Spendenmarathons sind beispielsweise Wirtschaftsbeihilfen für „die ärmsten Länder der Welt“ und haben mit Corona nur am Rande zu tun. Das kommunikative Chaos ist gigantisch und auch die erste EU-Geberkonferenz vom 4. Mai, auf der angeblich 7,4 Milliarden Euro mobilisiert wurden, die später von anderen Akteuren auf 9,8 Milliarden Euro aufgestockt wurden, wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert. Von einem angeblich global erschwinglichen Impfstoff ist die Welt jedenfalls meilenweit entfernt.
Wofür hat die EU eigentlich im Mai konkret 7,4 Milliarden Euro mobilisiert? Und hat sie das Geld überhaupt mobilisiert oder handelt es sich um vage Zusagen und Budget-Umschichtungen nach dem Motto rechte Tasche, linke Tasche? Angeblich ging es ja um die Erforschung eines Impfstoffs gegen das Sars-Cov-2-Virus. Doch selbst nach ausgiebiger Lektüre von rund 200 Seiten Dokumenten, die die EU und ihre Partner dazu zur Verfügung stellen, lässt sich keine dieser Fragen auch nur im Ansatz beantworten. Da ist sehr viel von Gerechtigkeit, Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit eines Impfstoffs die Rede; außer wohlfeilen Sonntagsreden und vagen Angaben zum angedachten Einsatz der Mittel lässt sich jedoch keine konkrete Information mit belastbaren Aussagen finden. Der größte Teil der Zusagen beschränkt sich zudem auf Garantien für Kredite, also für Leistungen der Förderbanken, die auch ohne Geberkonferenz über die EU-Förderprogramme ohnehin zur Verfügung stehen und nun halt mit dem Corona-Label versehen werden.
Global Response
Ins Leben gerufen wurde die Aktion mit dem Namen „Global Response“ von der WHO und privaten Organisationen wie der Bill und Melinda Gates Stiftung. Alleine das wirft Fragen auf – vor allem die nach den Zuständigkeiten und der Kontrolle. Die EU bleibt hier betont vage. Die Empfänger bekämen zwar direkt das Geld, dürften dann jedoch nur zusammen mit den „Partnern“ entscheiden, wie es einzusetzen sei. Und wer sind diese Partner und wie sieht der Entscheidungsprozess unter ihnen aus? Keine Antwort. Dafür findet man im Kleingedruckten jedoch die Quelle für den kleineren Teil der Zusagen, die nicht als Garantie, sondern tatsächlich als Finanzzuschuss gewährt werden sollen. Die stammen zum übergroßen Teil aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020. Dafür steht der EU ein Budget von fast 80 Milliarden Euro zur Verfügung – wenn nun eine Milliarde davon an Forschung mit „Corona-Bezug“ verteilt wird, ist dies zum einen eine vergleichsweise geringe Finanzspritze, die zum anderen gar nicht neu mobilisiert, sondern schlicht aus einem vorhandenen Topf verteilt wird.
Bezeichnend ist auch, dass die in den PR-Slogans genannten Top-Empfänger, die Koalition für Innovationen in der Epidemievorsorge CEPI und die Weltgesundheitsorganisation WHO, nur kleine Krumen vom großen Kuchen abbekommen. So beträgt die Zusage für CEPI 100 Millionen Euro, die WHO bekommt 158 Millionen Euro, wobei noch nicht einmal klar ist, ob diese Summe mit den normalen Beiträgen verrechnet wird. Was dies alles mit der Tagesschau-Überschrift „7,4 Milliarden für den Impfstoff“ zu tun haben soll, ist ein einziges Rätsel. Konkrete Investitionen in die Impfstoffforschung machen nämlich nur einen kläglichen Teil der Gesamtsumme aus und auch hier scheint das Prinzip eher rechte Tasche, linke Tasche zu sein. So wird die Impfstoffforschung des deutschen Unternehmens Curevac nun von der EU mit 75 Millionen Euro gefördert – nachdem bereits der Bund mit einer 300-Millionen-Euro-Beteiligung dem privaten Unternehmen, das zu Teilen dem SAP-Gründer Dietmar Hopp und der Bill und Melinda Gates Foundation gehört, Kapital zur Verfügung gestellt hat. Offenbar ist Curevac damit auch der einzige echte Trumpf in der Hand der EU. Ob das Tübinger Unternehmen jedoch tatsächlich einen marktreifen Impfstoff entwickeln kann, steht allerdings in den Sternen.
Die Suche nach einem Impfstoff
Historisch haben nur 6% der Impfstoffkandidaten es geschafft, Marktreife zu erlangen. Und dies lag weniger an den Finanzen, sondern vielmehr an Nebenwirkungen und mangelnder Wirksamkeit, die sich in späteren Phasen der klinischen Studien herausgestellt haben. Vor diesem Hintergrund ist der Anspruch der EU-Geberkonferenz, die ganze Welt mit einem bezahlbaren Impfstoff zu versorgen, reines Wunschdenken – zumal die Topforschung auf diesem Gebiet zur Zeit in den USA und China beheimatet ist; zwei Staaten, auf die das Wunschdenken der EU keinen großen Eindruck machen dürfte.
Während weltweit zurzeit rund 190 Impfstoffforschungsprojekte laufen, stuft die WHO „lediglich“ 17 davon als „vielversprechende Kandidaten“ ein. Darunter sind zwei britische Forschungseinrichtungen, ein Projekt davon unter Beteiligung des Pharmariesen AstraZeneca. Ganze acht Forschungsprojekte stammen aus China. Drei weitere Projekte werden von börsennotierten US-Biotechunternehmen durchgeführt. Ein Projekt kommt aus Russland, eines aus Südkorea. Das deutsche Forschungsprojekt von Curevac ist somit der einzige EU-Kandidat, der die präklinische Phase durchlaufen hat und von der WHO als vielversprechend eingestuft wird. Curevac ist somit auch der einzige potenzielle Hersteller, der sich den Forderungen der EU nach einem gerechten Zugang – so sie denn überhaupt ernstgemeint sind – unterwerfen könnte.
Wer bekommt Zugriff, wer bestimmt den Preis?
Diese Liste ist jedoch nicht vollständig, da die USA abseits der WHO ihre eigene Impfstoffkoordination betreiben und dafür auch richtig viel Geld in die Hand nehmen. So hat die US-Bundesbehörde BARDA über ihre „Operation Warp Speed“ (deutsch: Operation Warp-Geschwindigkeit) bereits fast fünf Milliarden US$ an US-Pharmakonzerne ausgeschüttet, die an einem Impfstoff arbeiten – darunter Moderna, Johnson & Johnson, Merck und Pfizer. Letzterer Konzern wollte zunächst gar keine Zuwendungen bekommen, um seine Entwicklung frei – und zum besten Preis – auf den Markt bringen zu können, knickte dann aber ein. Bei den Konzernen herrscht Goldgräberstimmung. Erst gestern rief der US-Konzern Gilead für sein mit vagem Erfolg getestetes Medikament Remdesivir (kein Impfstoff) einen Preis von rund 2.000 Euro pro Dosis auf. Für einen kommenden Impfstoff könnte es sich dabei sogar als „Jackpot“ erweisen, dass das Coronavirus zur Mutation neigt und womöglich ein saisonaler neuer Impfstoff auf Basis des entwickelten Produkts auf den Markt gebracht werden kann. Dies wäre die Lizenz, Geld zu drucken, und die USA haben kein Interesse, diese Lizenz einem Hersteller aus einem anderen Land zu überlassen.
Zuwendungen aus den US-Programmen erhielten jedoch auch internationale Forschungsprojekte, wie das auch von der WHO als vielversprechend eingestufte Programm der Universität Oxford in Zusammenarbeit mit AstraZeneca oder ein Gemeinschaftsprojekt des US-Biotech-Unternehmens Arcturus und der Universität von Singapur. Wer im Erfolgsfall Zugriff auf die von US-Unternehmen entwickelten Impfstoffe hat, ist dabei klar geregelt – so ließ der CEO von Arcturus Reuters wissen, dass Singapur im Erfolgsfall ein Erstzugriffsrecht hat. Danach kommen natürlich die USA und dann „jeder, der bereit ist, dafür zu zahlen“. Genauso sieht dies die BARDA, deren technischer Direktor ein ehemaliger US-General ist. Das EU-Versprechen von einem Impfstoff, der allen zur Verfügung steht, kann weder für die Projekte aus den USA noch die Projekte der anderen Staaten gelten und ist daher komplett wertlos. Darüber können Milliardensummen nicht hinwegtäuschen.
So gesehen sind die Geberkonferenzen der EU eine einzige Luftnummer. Dabei hätte die EU – die sich für ihre Geberkonferenz ja auch mit internationalen Partnern wie Japan, Australien, Norwegen und Kanada zusammengetan hat – hier durchaus ein Zeichen setzen können. So hätte man ankündigen können, dass es für einen erstmal entwickelten Impfstoff, gleich welcher Herkunft, weder Patente noch einen Gebrauchsmusterschutz geben wird. Wer technisch dazu in der Lage ist, soll ihn ganz einfach produzieren können; egal ob es sich um einen deutschen Pharmakonzern, einen indischen Generika-Produzenten oder ein Werk in Südafrika handelt. Dies hätte eine Signalwirkung und würde dem Anspruch der Sonntagsreden Genüge tun. Aber genau darauf verzichtet man natürlich, sind Patente und Gebrauchsmuster doch im wahrsten Sinne des Wortes das Kapital des globalen Nordens und hier vor allem der USA und da wird auch Covid-19 keine Ausnahme machen.
Risiken und Nebenwirkungen inbegriffen
Dies ist jedoch beileibe nicht der einzige Pferdefuß bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs. Als besonders problematisch erweist sich hier die global angestrebte Verkürzung und Vereinfachung der klinischen Tests und der Zulassung. Die Rede ist von „Belastungsstudien“ (engl. chalenge studies). Um die in der Regel manchmal Jahre laufenden klinischen Studien der Phase II und III der Impfstoffzulassung dramatisch abzukürzen, will man Impfstoffkandidaten, die sich in Tierversuchen und verkürzten klinischen Studien mit kleiner Probandenzahl (unter 100 Menschen) als nicht sonderlich gefährlich herausgestellt haben, sofort an einer großen Population testen – dafür sollen dann gesunde, junge Probanden geimpft und dann mit dem Virus infiziert werden; eine Kontrollgruppe wird derweil mit einem Placebo geimpft und infiziert. Dies führt zuerst zu einem ethischen Problem: Man nimmt zumindest bei der Kontrollgruppe billigend in Kauf, dass sie sich mit einer Krankheit infiziert, die – wenn auch in sehr seltenen Fällen – auch bei jungen, ansonsten gesunden Menschen schwere Krankheitssymptome auslösen kann und deren Spätfolgen wissenschaftlich noch gar nicht erforscht sind. Die Gruppe, die stattdessen den Impfstoff verabreicht bekommt, fungiert derweil als Laborratte. Das Ergebnis ist dabei noch nicht einmal sonderlich aussagekräftig. Langfristige Nebenwirkungen können bei solchen kurzen Testreihen ohnehin nicht dokumentiert werden.
Mindestens genau so problematisch ist, dass bei den meisten Impfstoffforschungsprojekten Techniken wie die der Boten-RNA (mRNA) zum Einsatz kommen, die bislang noch nie in größerem Umfang an Menschen getestet wurden. Welche Spätfolgen sich dadurch ergeben können, ist ebenso unbekannt, wie die Frage, welche seltenen Nebenwirkungen und Komplikationen es geben könnte. Dies ist umso problematischer, wenn es um den millionen- bis milliardenfachen ersten Einsatz der Impfstoffe nach den Belastungsstudien geht. Dafür sind dann nämlich nicht nur die Mitarbeiter im Gesundheitssystem, sondern ausgerechnet die Angehörigen der sogenannten Risikogruppen, also Alte und Menschen mit einschlägigen Vorerkrankungen, vorgesehen. Man testet also unerprobte Pharmazeutika an jungen, gesunden Menschen und setzt sie dann in großem Maßstab bei einer Gruppe ein, die alleine aufgrund der potentiellen Neben- und Wechselwirkungen überhaupt nicht mit den Probanden der Belastungsstudie vergleichbar ist. Selbst wenn man eigentlich zu den Impfbefürwortern gehört, ist dies ein Szenario, das einem die Haare zu Berge stehen lässt. Genau dieses Szenario ist jedoch Voraussetzung dafür, dass ein Impfstoff – wie versprochen – bereits im nächsten Jahr in großer Menge einsatzbereit ist.
Man hat nichts gelernt?
Es scheint, als habe man nichts aus dem Impfchaos gelernt, dass vor 11 Jahren bei der angeblichen Schweinegrippe-Pandemie eingetreten ist. Auch wenn die milde Schweinegrippe natürlich nicht mit dem viel gefährlicheren Sars-Cov2-Virus zu vergleichen ist, sind die Begleitumstände bei der Impfstoffentwicklung durchaus ähnlich. Damals hat man ökonomisch und medizinisch grob fahrlässig mit der Gesundheit der Menschen gespielt und dabei Milliarden an Steuergeldern in die Töpfe der Pharmakonzerne fließen lassen. Es schaut so aus, als wiederhole sich dieser Vorgang nun unter neuen Vorzeichen.
Wer historisch interessiert ist, für den wird der 2009 von mir geschriebene – leider online nicht mehr zu findende – Artikel „Mit Schweinsgalopp ins Impfchaos“ sicher interessant sein …
Anhang: Mit Schweinsgalopp ins Impfchaos (2009)
Die Schweinegrippeimpfung – Milliarden für die Pharmakonzerne, Risiken und Nebenwirkungen fürs Volk
Seit heute liefert das Dresdner Werk des Pharmamultis GlaxoSmithKline (GSK) den Impfstoff Pandemrix an die Landesbehörden aus. Grob eine Milliarde Euro wird die Schweinegrippeimpfung die deutschen Krankenkassen und die öffentlichen Haushalte kosten. In einem Anflug von fiebrigem Alarmismus unterschrieben die Bundesländer, das Bundesgesundheitsministerium und GSK bereits Ende 2007 einen Bereitstellungsvertrag der ursprünglich für die Bekämpfung einer Vogelgrippepandemie gedacht war. Die Vogelgrippe blieb jedoch aus, dafür überzieht nun die wesentlich milder und ungefährlicher verlaufende Schweinegrippe das Land. Der Vertrag mit GSK behält jedoch seine Gültigkeit und die Bundesländer müssen nun 50 Millionen Dosen eines Impfstoffes abnehmen, der eigentlich für die potenziell gefährliche Vogelgrippe gedacht war. Der Impfstoff Pandemrix ist vergleichsweise teuer, enthält Zusatzstoffe, die kaum getestet wurden und potenziell gefährlich sind und ist für den Patienten schlechter verträglich als konventionelle Impfstoffe. Trotz aller Risiken steht ein Gewinner bereits fest – GSK verdient am größten Feldversuch der modernen Medizingeschichte geschätzte 4,2 Mrd. US$, während sämtliche Folgekosten dank einer umfassenden Haftungsfreistellung vom Staat getragen werden müssen.
Wie gefährlich ist die Schweinegrippe?
Als die Schweinegrippe im April dieses Jahres in Mexiko und den USA ausbrach, befürchteten die Virologen anfangs aufgrund der relativ hohen Todeszahlen eine weltweite Pandemie mit schrecklichen Auswirkungen. Doch als die Schweinegrippe wenige Monate später in Europa ankam, war bereits klar, dass es sich bei ihr um eine Erkrankung handelt, die weniger Opfer fordert als die normale Grippe. Warum die Zahl der Todesopfer in Mexiko rund 100-mal so groß ist wie in Deutschland, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. In Europa verläuft die Schweinegrippe jedoch meist mild und ungefährlich.
Eine Besonderheit unterscheidet das Virus vom Typ H1N1 jedoch von den übrigen Grippeviren. Während die Todesfälle der saisonalen Grippe vor allem bei alten und kranken Menschen auftreten, nimmt die Schweinegrippe auch bei jungen und teilweise sogar zuvor kerngesunden Menschen einen schweren Verlauf, der in einigen Fällen sogar zum Tod führt. Nach Angaben der WHO haben sich weltweit bis jetzt fast 400.000 Menschen mit H1N1 infiziert, die Zahl der Todesopfer beträgt 4.735. In Deutschland haben sich rund 20.000 angesteckt und es gab nur zwei Todesfälle – verglichen mit der saisonalen Grippe, der jährlich tausende Opfer zugeschrieben werden, ist dies extrem wenig. Selbst wenn sich jeder zehnte Bundesbürger infizieren würde, läge die Zahl der Opfer „nur“ bei rund 8.100, und somit sogar weit unter dem langjährigen Grippedurchschnitt. Warum der Staat ausgerechnet bei der milde verlaufenden Schweinegrippe zur bislang größten und teuersten Impfkampagne aufruft, ist kaum zu erklären. Bereits zum Zeitpunkt der Impfstoffbestellung war es absehbar, dass H1N1 kein Killervirus ist.
Interessenkonflikte und Lobbyisten
Wenige Tage nachdem in Mexiko die Schweinegrippe entdeckt wurde, bezeichnete der britische Regierungsberater Sir Roy Anderson die Krankheit bereits als Pandemie und betonte, dass es mit Tamiflu und Relenza zwei effektive antivirale Mittel zur Bekämpfung der Krankheit gäbe. Beide Mittel wirken zwar bei schweren Fällen der Schweinegrippe gar nicht und verkürzen die Erkrankungszeit bei milden Verläufen durchschnittlich um gerade mal einen einzigen Tag, aber darum ging es Sir Roy auch nicht – Relenza wird von GSK hergestellt und Sir Roy Anderson bezieht als Lobbyist dieses Konzerns jährlich rund 136.000 Euro.
Von Anfang an war die Kommunikation über die Schweinegrippe fest in der Hand der Pharmakonzerne und deren „Freunden“ in den Regierungen und Ämtern. Vor allem GSK hat in der EU anscheinend sehr viele Freunde. Als es darum ging, einen Impfstoff gegen H1N1 zu entwickeln, war der britische Pharmamulti von Anfang an in der Pole Position.
Pandemrix – ein Stoff mit vielen Unbekannten
Der Schweinegrippeimpfstoff, der ab heute in Großpaletten mit jeweils 120.000 Impfdosen das Dresdner Serumwerk von GSK verlässt, trägt den Namen Pandemrix. Doch was sich so anhört, als sei es ein Zaubertrank des Druiden Miraculix für die tapferen gallischen Recken Asterix und Obelix, hat es in sich. Pandemrix ist kein erprobter Spaltimpfstoff, der im Wesentlichen aus 15 Mikrogramm Antigenen besteht. Neben einer auf 3,7 Mikrogramm reduzierten Antigenmenge wurden dem Impfstoff noch die von GSK patentierte Adjuvans AS03 – ein Wirkverstärker, der neben Polysorbat auch die ungesättigte organische Verbindung Squalen enthält – und der Konservierungsstoff Thiomersal zugesetzt. Sowohl für Squalen als auch für das quecksilberhaltige Thiomersal konnten in Tierversuchen erhebliche Nebenwirkungen festgestellt werden – allerdings bei Verabreichungsdosen, die weitaus höher sind als in Pandemrix. Diese nicht unproblematischen Zusatzstoffe weisen auch auf den eigentlichen Einsatzzweck von Pandemrix hin.
Bei Pandemrix handelt sich um ein Impfserum aus dem Baukasten, das eigentlich für die kurzfristige Produktion bei einer akuten und gefährlichen Pandemie gedacht ist. Die Adjuvans ist hierbei eine Art Wirkverstärker, der es dem Hersteller erlaubt, eine geringere Dosis des aufwändig herzustellenden Antigens zu verwenden. Diese Wirkstoffkombination hat jedoch in puncto Verträglichkeit und potenziell schweren Nebenwirkungen Nachteile. Verglichen mit einem Impfstoff ohne Wirkverstärker hat Pandemrix deutlich mehr unerwünschte Nebenwirkungen. Ob die Wirkverstärker auch seltene, aber schwere Nebenwirkungen auslösen können, konnte bislang in den wenigen klinischen Studien noch nicht festgestellt werden. Die nun anlaufenden Impfkampagnen sind somit eher ein Betatest am Patienten.
Wirkverstärker haben jedoch auch ihre Vorteile. Im Pandemiefall kann der Hersteller so kurzfristig höhere Chargenzahlen vom Band laufen lassen. Pandemrix hat seine Musterzulassung dementsprechend auch als Impfstoff für die potenziell gefährliche Vogelgrippe bekommen. Wenn eine Pandemie hohe Opferzahlen mit sich bringt und die Zeit knapp ist, überwiegt der potentielle Nutzen den potentiellen Schaden bei weitem. Die Schweinegrippe ist allerdings keine solche Pandemie.
Staat und Kassen übervorteilt
Die europäische Zulassungsbehörde „Emea“ ist bei der EU der Wirtschaftsdirektion unterstellt – und nicht der Direktion für Gesundheit oder Verbraucherschutz – und wird zu fast zwei Dritteln von der Pharmaindustrie finanziert. Die Ständige Impfkommission des Robert Koch-Institutes ist wiederum hauptsächlich mit Vertretern besetzt, die entweder lukrative Nebentätigkeiten für Pharmakonzerne oder mehr oder weniger intensive Kontakte zu ihnen innehaben – immer wieder taucht dort auch der Name GSK auf. Während in den USA nur Impfstoffe mit erprobten Wirksubstanzen zugelassen werden, hat die EU den Pharmamultis GSK und Novarits-Behring auch erstmalig Impfstoffe mit bislang kaum getesteten Wirkverstärkern genehmigt. Diese Entscheidung hat kostspielige Folgen für die Krankenkassen und die öffentlichen Haushalte und wirkt auf die betroffenen Pharmakonzerne wie ein warmer Subventionsregen.
Nach Angaben des unabhängigen Branchendienstes arznei-telegram bezahlen die Bundesländer für jede Impfdosis 9 Euro plus Mehrwertsteuer. Bei 50 Mio. Dosen sind dies stolze 450 Mio. Euro, getragen zum Teil auch von chronisch klammen Krankenkassen. Interessant ist hierbei vor allem die Kostenkalkulation des Herstellers GSK. Für das in Dresden hergestellte Antigen berechnet GSK einen Euro, für das aus Belgien stammende Adjuvans jedoch stolze sechs Euro. Wie GSK überhaupt auf diesen enormen Preis für seine Wirkverstärker kommt, ist nicht bekannt. Da die Herstellungskosten eher gering sind, dürfte ein Großteil der sechs Euro für die eigenen Patentgebühren anfallen. Ein konventionell hergestellter Impfstoff, der zwar fast die dreieinhalbfache Menge an Antigenen beinhalten würde, aber keine Adjuvantien, wäre somit für Staat und Krankenkassen deutlich günstiger und würde beim Patienten deutlich weniger Nebenwirkungen hervorrufen.
Konjunkturpaket für die Pharmabranche
GlaxoSmithKline hat alles auf die Pandemiekarte gesetzt und gewonnen. Schon während der Vogelgrippe kassierten GSK und der Schweizer Pharmamulti Hoffmann-La Roche fürstlich an der Panik. Weltweit orderten Regierungen für mehrere Milliarden Euro die Wundermittel Tamiflu und Relanza – alleine die deutschen Länder bunkern heute noch Tamiflu im Wert von 200 Mio. Euro. Doch für GSK hätte die Panik vor der Pandemie auch wesentlich unprofitabler sein können, schließlich investierten die Briten nicht nur Steuergelder in die Erforschung ihres Impfserums Pandemrix. Diese Investitionen, die eigentlich auf eine weltweite Impfkampagne gegen die Vogelgrippe abzielten, standen schon vor der Abschreibung, als plötzlich in Mexiko die ersten Schweine umfielen. Branchenexperten gehen nun davon aus, dass alleine GSK an der eher harmlosen Schweinegrippe 4,2 Mrd. US$ verdient – und GSK ist nicht der einzige Profiteur.
Bundeswehr und Regierung bevorzugt?
Am Wochenende machte die Meldung die Runde, dass für die Bundeswehr und die Bundesbehörden inklusive der Regierung selbst, nicht etwa Pandemrix, sondern das Konkurrenzprodukt Celvapan geordert wurde. Celavapan ist ein Impfstoff des amerikanischen Pharmakonzerns Baxter, der vor allem an Irland, Großbritannien und Neuseeland verkauft wird. Hergestellt wird Celvapan allerdings nicht in den USA, sondern in Österreich und Tschechien. Im Unterschied zu Pandemrix kommt Celvapan ohne Adjuvantien aus und es ist daher auch anzunehmen, dass der Impfstoff für die Bundeswehr und die Regierung geringere Nebenwirkungen haben wird. Wissen kann man dies jedoch nicht – Celvapan ist nämlich mitnichten der „bessere“ Impfstoff, wie am Wochenende gerne in den Medien behauptet wurde, sondern ebenfalls ein neuer Impfstoff, der noch weniger getestet wurde als Pandemrix und daher ebenfalls ein ganzes Spektrum an unbekannten schweren Nebenwirkungen auslösen könnte. Die Zulassung des Serums basiert auf gerade einmal zwei Studien mit insgesamt 845 Teilnehmern.
Die vermeintliche Überlegenheit von Celvapan ist daher ein Trugschluss – bei diesem Impfstoff kommen nämlich sogenannte Ganzvirus-Impfstoffe zum Einsatz, die aufgrund ihrer hohen Rate an unerwünschten Nebenwirkungen bereits vor Jahrzehnten durch die modernen Spaltimpfstoffe ersetzt wurden, die in geringer Dosis in Pandemrix enthalten sind. Celvapan ist somit weder besser noch schlechter als Pandemrix, sondern hat lediglich ein anderes Spektrum von potenziellen schweren Nebenwirkungen, die nun auch bei Regierung und Bundeswehr im Feldversuch getestet werden.
Feldversuche auch an Schwangeren und Kleinkindern
Als besonders gefährdet für schwere Krankheitsverläufe gelten Frauen im Allgemeinen und schwangere Frauen im Speziellen. Der nun vorgestellte Impfplan des Robert Koch-Instituts ordnet schwangere Frauen konsequenterweise auch in die Hochrisikogruppe ein, die zuerst geimpft werden soll. Aus ethischen Gründen sind jedoch bislang weder Pandemrix noch dessen Inhaltsstoffe klinisch an Schwangeren oder Kleinkindern getestet worden und auch das Konkurrenzprodukt von Baxter gilt hier als untauglich, da „Ganzkörper-Impfstoffe“ vor allem bei Schwangeren potentiell gefährlich sind und es für Celvapan gar keine Daten über Nebenwirkungen während der Schwangerschaft gibt.
Dabei gäbe es Alternativen – alle in den USA zugelassenen Impfstoffe der Firmen CSL, MedImmune, Novartis und Sanofi-Pasteur enthalten keine Wirkverstärker und basieren auf „Spalt-Impfstoffen“ und werden in altbewährten und ausgereiften Verfahren hergestellt. Wenn ein Land wie Deutschland kaum getestete Arzneimittel bei Schwangeren und Kleinkindern einsetzt, so ist die Abwägung zwischen potentiellem Nutzen und potentieller Gefahr komplett außer Kraft gesetzt. Kein Arbeitsplatz in der Pharmaindustrie kann so viel wert sein, dass man für seinen Erhalt Schwangere und Kleinkinder ohne Not in Gefahr bringt.