Die gehässige taz-Kolumne zur Polizei hätte man gerne ignoriert. Doch der Aufruhr ist groß und der Vorgang berührt auch interessante Fragen etwa zur Zensur. Der Abdruck der Kolumne ist scharf zu kritisieren, aber auch zu verteidigen. Die Androhungen von Klagen gegen den Text sind abzulehnen. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
In der Debatte um eine Kolumne in der Tageszeitung taz über eine „Abschaffung der Polizei“ sind beide Positionen zu kritisieren: Sowohl die Veröffentlichung des sehr fragwürdigen Textes in der taz als auch die Ankündigung von Innenminister Horst Seehofer (CSU), dagegen gerichtlich vorzugehen.
Gerne hätte man die inhaltlich schwache und stilistisch gehässige Kolumne ignoriert. Doch dafür herrscht mittlerweile ein zu großer Aufruhr – es gilt, ein Sommerloch zu füllen und zusätzlich von drängenderen Problemen abzulenken. Außerdem werden durch den Vorgang auch interessante Fragen berührt, darum lohnt sich die Beschäftigung damit.
Gehässige Kolumne, enthemmter Innenminister
Zum Text in der taz ist zu sagen: Das Niveau der Debatte um Polizei und Rassismus wird durch Texte wie diesen radikal gesenkt, stilistisch und inhaltlich. Auf das stilistische Niveau werden sich viele Rechte gerne einlassen. Der Kampf gegen Hasssprache wird erheblich erschwert, wenn man sich ihrer selber bedient. Es werden außerdem zahlreiche Steilvorlagen für Retourkutschen geboten. Inhaltlich ist die Kolumne als billig zu bezeichnen: Kürzungen bei der Polizei (und natürlich erst recht eine „Abschaffung“) sind nicht fortschrittlich, sondern neoliberal und sie sind als kurzsichtig abzulehnen, wie die NachDenkSeiten etwa in diesem Artikel beschrieben haben.
Mindestens ebenso abzulehnen wie der verunglückte Text ist die Reaktion von Horst Seehofer darauf. Das Gewicht und die ganze einschüchternde Macht seines Amtes gegen eine taz-Kolumnistin ins Feld zu führen, ist abzulehnen, und es widerspricht stark der Rechtsempfindung zur Pressefreiheit. Hier muss aber einschränkend betont werden: Gegen ein Medium zu klagen, ist nicht per se verwerflich, es ist das gute Recht jedes Bürgers. So hätte es z.B. die „Bild“-Zeitung wohl gern, dass ihre Opfer sich nur an den zahnlosen Presserat wenden könnten. Die prinzipielle moralische Verurteilung von Medienklagen ist also abzulehnen: Diese prinzipielle Verurteilung bedeutet auch eine Missachtung des Gerichts, weil dadurch jedes Urteil gegen ein Medium als „Maulkorb“ diffamiert werden kann.
Die taz, der Minister und der Fall Diekmann
Im konkreten Fall wird vor allem ein Problem daraus, dass Seehofer in seiner Funktion als Innenminister handelte, als er der taz öffentlichkeitswirksam eine Klage androhte. Eine Drohung, die ihm nun anscheinend um die Ohren fliegt – ein Schauspiel, das man nicht ohne Amüsement betrachtet. Hat Seehofer nicht vom Fall Kai Diekmann gelernt? . Ein Kommentar im Deutschlandfunk möchte schon den Rücktritt Seehofers herbeischreiben. Zur Rechtspraxis zitiert die „Bild“ einen prominenten Medienanwalt:
„Im Presserecht muss man zwischen zwei wichtigen Grundrechten abwägen: Auf der einen Seite die Meinungs- und Äußerungsfreiheit der Journalistin. Auf der anderen Seite die Rechte der betroffenen Persönlichkeiten (Polizei). Bei dieser Abwägung schlägt das Pendel zugunsten der Betroffenen. Der letzte Satz mit dem Abfallvergleich ist einfach zu viel. Es handelt sich um eine sog. Kollektivbeleidigung.“
Das müsse sich ein Polizeibeamter nicht bieten lassen. Die mögliche Strafanzeige des Bundesministers sei allerdings nicht erfolgversprechend, da solche Verfahren üblicherweise eingestellt würden.
Was darf „Satire“?
Der Vorgang berührt auch die umkämpfte Definition von Satire, denn darauf beruft sich zur Verteidigung die taz. Wenn aber Satire „fast alles darf“, wie es aktuell einmal mehr von vielen Seiten heißt: Sollte dann der Begriff vielleicht schärfer definiert werden? Ist es denn Satire, wenn grobe, pauschale und teils böswillige Beleidigungen aneinandergereiht werden, ohne dass diese satirisch gebrochen würden? Aufreizend an der Debatte sind auch jene Kommentatoren, die so tun, als würden allein sie den satirischen Gehalt eines Textes erkennen und die Kritiker seien einfach zu humorlos dafür. Das äußert sich in dem nun häufig geäußerten Satz, „Gerichte seien nicht dafür da, satirische Text zu erklären“. Das ist nicht nur arrogant gegenüber jenen Personen, die sich von groben Texten verletzt fühlen und deren Verletzung durch „Dummheit“ erklärt werden soll. Es ist auch inkonsequent, wenn man diese Position in Relation zu Äußerungen (auch der taz) beim „Kampf gegen Hasssprache“ setzt: In diesen Fällen sollen Gerichte durchaus über Meinungsfragen und inhaltliche Debatten entscheiden. Das ist im Übrigen noch der bessere Fall: Das sich verbreitende Modell, dass private Gruppen wie „Correctiv“ oder die Internetkonzerne selber Zensur ausüben, ist scharf zu kritisieren.
Wenn also im Falle der „rechten Hasssprache“ (im besten Fall) Gerichte über die Berechtigung bzw. den pauschal beleidigenden Charakter von Meinungsäußerungen entscheiden sollen – warum ist das dann im Falle eines taz-Textes ein Problem? Schließlich ginge es ja nicht um ein vorbestimmtes Urteil, sondern um eine gerichtliche Klärungshilfe bei einer gesellschaftlichen Debatte. Diese Frage ist aber keine Forderung nach Zensur der taz! Im Gegenteil ist sie ein Plädoyer dafür, auch andere grenzwertige Meinungsäußerungen nicht zu attackieren. In diesem Bereich muss die taz aber mittlerweile als teils moralisch auftrumpfend bezeichnet werden. Ein jüngeres Beispiel für den infamen Umgang der taz mit Andersdenkenden war dieser Artikel über Corona-Proteste in Berlin. Durch eine teils forsche Haltung gegen Andersdenkende hat sich die taz mittlerweile angreifbar gemacht.
Meinungsfreiheit: Die Heuchelei der taz
Wer auf anderen Feldern „abweichende“ Meinungen so hart attackiert wie die taz und viele große Medien, der macht sich der Heuchelei schuldig, wenn er diese Attacken dämonisiert, sobald sie einen selber treffen. Wer anderen den Mund verbieten will, auf den fällt das irgendwann zurück. Nochmals sei betont: Hier soll die Kultur der Meinungsunterdrückung scharf kritisiert werden – egal, ob es taz-Kolumnen oder Facebook-Kommentare betrifft: Beides darf nicht zensiert oder eingeschüchtert werden, es sei denn, strafrechtliche Aspekte werden berührt. Aber es sollten auch gleiche Bedingungen im Meinungskampf gelten. Man kann „den Hass“ im Netz nicht löschen und ihn gleichzeitig in der taz dulden. Moral hat bei dieser Frage nichts zu suchen: Wer wollte festlegen, welche grenzwertige Äußerung politisch genehm ist, weil sie ja für die „gute Sache“ wirkt, und welche grenzwertige Äußerung von Correctiv aufgespürt und von Youtube oder Facebook markiert oder gar gelöscht werden darf? Am Beispiel unterschiedlicher Bewertungen von Demos haben die NachDenkSeiten solche Ungleichbehandlungen an anderer Stelle kürzlich im Artikel „Gute Demos, schlechte Demos“ beschrieben.
Kritik an Seehofers Vorgehen ist sehr berechtigt – dadurch rückt eine Kritik an der taz aber etwas in den Hintergrund. Die Zeitung nimmt diese Steilvorlage gerne wahr: Zum einen, um vom Kern der Debatte (der Kolumne) abzulenken. Zum anderen, um sich nun in einer aufreizenden und exzessiven Selbstdarstellung zu dem Thema zu äußern. So bläst die Zeitung den Vorgang und die Selbstbespiegelung in ganzen Dossiers auf – hier findet sich die Artikelsammlung zur Kolumne, hier die zur nun bedrohten „Pressefreiheit“. Hier und hier hat sich die Chefredakteurin zum Vorgang geäußert, hier der Anwalt der taz. Es gibt noch zahlreiche weitere taz-Beiträge zum Thema.
Polizei, Rassismus, Medien: Debatte bleibt an der Oberfläche
Allgemein ist zu beklagen, dass durch die Debatte wieder nur die Oberfläche berührt wird – von der taz, von der Politik und den Medien: Ursachen (vor allem wirtschaftspolitische) werden nicht analysiert, Symptome werden dagegen exzessiv thematisiert. Und ausgerechnet jene, die bei der Polizei jahrelang das Personal gekürzt haben, beklagen nun eine Missachtung der Polizei – dabei ist Kürzung die größte Missachtung, weil dadurch der Eindruck entsteht, die Polizei wäre permanent überfordert. Dieses Verhalten ist auf allen Gebieten des vernachlässigten Staates zu beobachten: Die wirtschaftsliberalen Politiker beklagen die durch Kürzungen selber herbeigeführten Zustände. Sie sind die Ursache – Straßengewalt ist das Symptom. Die Frage ist nicht, ob wir eine öffentliche Polizei wollen, sondern was für eine. Anzustreben wäre ein Zustand mit weniger Überwachung, Bewaffnung und Technik, statt dessen mit massenhaft einzustellenden (unbewaffneten) Nachbarschafts-Beamten.
Wer detaillierter in die Debatte einsteigen möchte, kann das tun: Es sind zahllose Artikel dazu erschienen. Eher die Position der taz nehmen dabei etwa das „Neue Deutschland“, der „Spiegel“, die „Zeit“ oder der Deutschlandfunk ein. Eher kritisch gegenüber Zeitung und Kolumne positionieren sich etwa „Focus“ oder die „Bild“-Zeitung. Die CSU veröffentlichte auf Twitter gar einen Steckbrief mit einem Foto der Autorin und schrieb: „Die hässliche Fratze der hasserfüllten Linken in Deutschland zeigt sich. (…) SIE will Polizisten als Abfall auf der Müllhalde entsorgen!“ Später wurde der Tweet gelöscht. Und die FAZ hat zugespitzt einige ältere Titel der Autorin zusammengetragen:
„Wer schreibt so etwas? Yaghoobifarah arbeitet als freie Autorin, verfasst seit 2016 die Kolumne „Habibitus“ bei der „taz“ und wirkte beim 2015 eingestellten Blog „Ich. Heute. 10 vor 8.“ dieser Zeitung mit. Als sie 2017 in einer Kolumne die Kultur der „Kartoffeln“ und „Lauchs“ (gemeint sind: Deutsche) als „Dreckskultur“ bezeichnete, löste das einen mittleren Aufschrei aus, der heute müßig wirkt. Denn in dem Duktus ging es weiter, hier zitatweise dokumentiert: „Trust no white bitch“ (2016), „Deutsche, schafft Euch ab!“ (2017), „Auch sie sind Schweine“ (2018, über Frauen, die sich der MeToo-Bewegung verschließen), „Vielleicht betrachten Almans Rex & Co. als ihresgleichen, weil sie oft selber Hunde sind“ (2019), „Friedrich Merz … Seine Strategie gegen rassistische Gewalt? Verstaatlichte rassistische Gewalt“ (2020). Ironie oder ein doppelter Boden sind nirgends erkennbar, auch in der Kolumne über Polizisten nicht. (…) Warum bringt die „taz“, die sonst gerne gegen „Hass im Netz“ anschreibt, Texte, die – mit vertauschten Feindbildern, ansonsten wortgleich – in rechten Hetzblättern stehen könnten?“
Identitätspolitik: „Die Eigentumsverhältnisse werden nicht angetastet“
Ein interessanter aktueller taz-Beitrag geht ein auf den taz-internen Konflikt zwischen „intersektional Denkenden, meist jungen KollegInnen, für die Identität eine zentrale politische Kategorie ist, und dem Rest der Redaktion“. Durch diese jungen Kollegen würde zwar „niemandem verboten zu reden“. Erwartet werde aber, „sich der Auffassung anzuschließen, nichts zum Diskurs beizutragen zu haben, wenn man keine eigenen Erfahrungen hat – und deshalb freiwillig zu schweigen“. Und deswegen „darf“ eine Autorin wie Hengameh Yaghoobifarah in den Augen intersektional Denkender auch „alles“. Wer ihr das abspreche – und etwa die Kolumne kritisiere – sei kein guter Verbündeter der Diskriminierten, sondern verteidige nur seine Privilegien. Der Beitrag kritisiert diese verhängnisvolle Entwicklung:
„Was mit der politischen Fixierung auf Privilegien zu gewinnen ist, ist nicht ausgemacht. Diese zielt vor allem auf die Subjekte. Veränderung soll zum einen über moralische Anrufung und die daraus folgende Bereitschaft kommen, unrechtmäßige Vorteile abzutreten. In einer ‚neoprotestantischen Selbstdisziplinierung‘ sollen Weiße ihre Besserstellung aufgeben. (…) Die Organisationsfrage wird nicht gestellt, die Eigentumsverhältnisse werden nicht angetastet.“
Das ablenkende Potenzial einer bestimmten Ausprägung der Bewegung gegen Rassismus haben die NachDenkSeiten gerade in diesem Artikel beschrieben. Auch zu weiteren hier angesprochenen Themen haben wir bereits Beiträge veröffentlicht. So wird die teils fragwürdige Entwicklung der taz etwa hier oder hier oder hier thematisiert. Das Thema Zensur während der Corona-Krise wurde etwa hier oder hier oder hier aufgegriffen. Beiträge zum Thema Internetzensur finden sich hier oder hier oder hier.
Titelbild: Hadrian / Shutterstock