Mordfall Olof Palme: „Ich gehe nicht davon aus, dass Stig Engström der Mörder war“

Mordfall Olof Palme: „Ich gehe nicht davon aus, dass Stig Engström der Mörder war“

Mordfall Olof Palme: „Ich gehe nicht davon aus, dass Stig Engström der Mörder war“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Krister Petersson präsentierte kein Ermittlungsergebnis, sondern einen politischen Schachzug“, sagt der Autor Patrik Baab im NachDenkSeiten-Interview. Petersson ist der Generalstaatsanwalt, der den Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme neu untersucht hat. Gerade erst hat er auf einer Pressekonferenz die jahrelangen Ermittlungsergebnisse vorgestellt. In vielen Medienberichten heißt es, der Fall sei nun aufgeklärt, ein ehemaliger Skandia-Mitarbeiter, der bereits verstorben ist, habe Palme 1986 erschossen. Patrik Baab, der zusammen mit dem Politikwissenschaftler und Rüstungsexperten Robert E. Harkavy am Fall Palme arbeitet, traf Petersson im Zuge seiner Recherchen. Obwohl er Petersson als Mann kennenlernte, der tatsächlich aufklären will, misstraut er dem Ermittlungsergebnis. Aus welchen Gründen, erklärt er im Interview. Von Marcus Köckner

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Fall Olof Palme nach 34 Jahren gelöst. Der Mörder tarnte sich als Zeuge“, lautet die Schlagzeile beim Spiegel. Der Stern wählt die Überschrift: „Ermittler: Der Mord an Olof Palme ist aufgeklärt“. Beim Deutschlandfunk heißt es hingegen: „Mordfall Olof Palme: Ein Schlussstrich und kein Ende“.
Herr Baab, welche Schlagzeile ist denn nun korrekt?

Am besten gefällt mir die Schlagzeile des Zürcher „Tagesanzeiger“: „Ein Schlusspunkt, der keiner ist.“ Aber die des Deutschlandfunks „Ein Schlussstrich und kein Ende“ ist auch nicht schlecht. Beide Überschriften bringen das Dilemma des schwedischen Generalstaatsanwalts genau auf den Punkt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der reagierende Journalismus geradezu darauf gewartet haben muss, die endlose Geschichte um den Mord an Olof Palme – mit einem vermeintlichen Ermittlungsergebnis und einem mutmaßlichen Einzeltäter – endlich zu den Akten legen zu können. Dagegen ist sich, soweit ich das wahrnehmen kann, der agierende und recherchierende Journalismus einig: Krister Petersson legte ein Ermittlungsergebnis vor, das keines ist. Und niemand weiß das besser als Krister Petersson selbst.

Das müssen Sie uns erklären.

Um das zu verstehen, lohnt es sich, die Pressekonferenz von Krister Petersson etwas näher zu betrachten. Wegen der Corona-Krise wurde sie per Skype und Zoom übertragen. Sie dauerte etwa zweieinhalb Stunden. Krister Petersson und sein Ermittlungsleiter Hans Melander zeigten eine Power-Point-Präsentation. Jeder Journalist und jede Journalistin konnten nur eine Frage stellen. Beide lenkten den Blick auf den sogenannten Skandia-Mann Stig Engström, der längst verstorben ist.

Und das ist falsch?

Nein, das ist richtig und wichtig. Allerdings hätte es bereits 1986 geschehen müssen. Denn Stig Engström ist im Zusammenhang mit dem Mord an Olof Palme eine wichtige Figur. Er war als Werbegrafiker bei Schwedens größtem Finanzdienstleister Skandia beschäftigt, vor dessen Sitz Palme erschossen wurde.

Deshalb wird er als „Skandia-Mann“ bezeichnet?

Genau. Seiner Stechkarte zufolge hat er das Gebäude Sveavägen Nr. 44 genau um 23:19 Uhr verlassen. Später gab er an, nach ein paar Schritten habe er einen Schuss gehört und dann noch einen zweiten Knall. Er habe geholfen, das Opfer in Bauchlage zu bringen und habe mit Lisbet Palme gesprochen. Nur wurden diese Angaben weder von Lisbet Palme noch von anderen bestätigt. Stig Engström hatte einen Freund namens Willy Glaser, der in einer Wehrsportgruppe aktiv und Waffensammler war. In seiner Sammlung befand sich auch mindestens ein Revolver, Kaliber 357 Magnum. Glaser führte ein Unternehmen, das Kunden in den USA und Israel hatte. Engström und Glaser dürfen zu den Gegnern von Olof Palme gerechnet werden. Nun sagt Krister Petersson, man habe diese Waffe Probe geschossen, es sei aber nicht mehr feststellbar, ob es sich um die Tatwaffe gehandelt habe. Damit präsentiert Krister Petersson Bekanntes, aber keinen klaren technischen Beweis. Dennoch sagte er, man komme an Stig Engström nicht vorbei. Damit dreht er faktisch die Beweislast um und präsentiert einen Einzeltäter: den Skandia-Mann.

In unserem letzten Interview zum Fall Olof Palme im August 2019 haben Sie gesagt, die aktuellen Ermittlungen zeigen, dass die Einzeltäter-Theorie in sich zusammenbreche. „Der schwedische Chefermittler denkt an eine professionelle, militärisch ausgebildete Tätergruppe, möglicherweise militärische Spezialkräfte“, so schlussfolgerten Sie damals. Nun sind die Ermittlungen abgeschlossen, der ermittelnde Staatsanwalt hat aber einen Einzeltäter präsentiert. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Derzeit sehe ich keinen Grund, meine Wertschätzung für Krister Petersson zu schmälern. Ebenso wenig sehe ich einen Anlass, das Recherche-Ergebnis von Robert E. Harkavy und mir zu korrigieren. Es lief darauf hinaus, dass der Mord an Olof Palme eine gemeinsame Operation von CIA, südafrikanischem Geheimdienst und dem schwedischen Arm der NATO-Geheimarmee Stay-Behind war. Tatsächlich hatte sich auch Krister Petersson zu Beginn seiner Ermittlungen von der Einzeltäter-Theorie verabschiedet und vermutete eine professionelle, militärisch ausgebildete Tätergruppe hinter dem Mord. Denn der Generalstaatsanwalt wusste, dass im Skandia-Gebäude der schwedische Arm von „Stay-Behind“ residierte und der Chef des Unternehmens Skandia, vormals Thule, Alvar Lindencrona, diese Gruppe bis 1978 leitete. Dann hat Lindencrona diese Funktion an den ehemaligen Chef des schwedischen Arbeitgeberverbandes SAF Curt-Steffan Giesecke abgegeben. Dass Stay-Behind im neutralen Schweden aktiv war, ist nun keine Verschwörungstheorie, um ein Wort aus dem Vokabelkasten journalistischer Ja-Sager zu verwenden, sondern steht in den Memoiren des früheren CIA-Direktors William Colby, der die schwedische Stay-Behind-Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut hat. In einer dreistündigen Diskussion, die Robert E. Harkavy und ich mit Krister Petersson im Sommer 2017 geführt haben, kreisten unsere Gedanken um diesen Punkt, und wir haben dies auch in die 4. Auflage unseres Buches aufgenommen. Daneben haben Krister Petersson und sein Team auch geheimdienstliche Unterlagen aus Südafrika bekommen. Der abschließende Ermittlungsbericht liegt mir noch nicht vor. Aber sie scheinen in die Gesamtbewertung keinen Eingang gefunden zu haben. Krister Petersson erklärte dazu auf der Pressekonferenz, man habe auch untersucht, ob Stig Engström Teil einer Gruppe gewesen sei, denn damals habe es Geheimgruppierungen gegeben. Zwar habe niemand darüber Auskunft geben wollen. Aber er könne nicht ausschließen, dass Engström Teil einer Verschwörung war oder Mittäter hatte.

Sie haben viel zum Fall Olof Palme recherchiert.
Wie ordnen Sie Engström ein? Anders gefragt: Kann er tatsächlich der Mörder gewesen sein?

Stig Engström tauchte am Tatort auf. Seine genaue Rolle ist bis heute ungeklärt. Er selbst kann nicht mehr befragt werden, weil er seit langem tot ist. Er war jedoch Waffennarr, Palme-Hasser und lebte im Stockholmer Stadtteil Täby unter Freunden, die durchaus eine Waffe schweren Kalibers wie die Tatwaffe hätten besorgen können. Nach dem Mord stellte sich heraus, dass der Hintereingang des Skandia-Gebäudes nicht abgeschlossen und die Überwachungskamera ausgeschaltet war. Er arbeitete im Skandia-Gebäude, wo auch das Stockholmer Hauptquartier von Stay-Behind zu finden war, bei jenem Finanzdienstleister, dessen Chef diese Gruppe führte. Es gibt Hinweise darauf, dass dort auch die CIA zur Tatzeit aktiv war. Deshalb geht der schwedische Journalist und Buchautor Lars Borgnäss davon aus, dass Stig Engström an einer Überwachungsoperation der SÄPO oder einer Stay-Behind-Gruppe teilgenommen hat, die mit dem Mord an Olof Palme in Zusammenhang steht. Dies habe von den Ermittlern nicht publik gemacht werden dürfen, weil es den Mordverdacht auf die Sicherheitskräfte selbst gelenkt hätte. Mich überzeugt das Ergebnis nicht, dass Stig Engström der Mörder war. Er hat wenig Ähnlichkeit mit dem Phantombild, und er war offensichtlich nicht jener Mann, der die Stufen der Tunnelgatan hinauflief und verschwand. Und wie soll ein Einzeltäter gewusst haben, dass Olof und Lisbet genau vor dem Skandia-Gebäude entlanglaufen, ohne Begleitschutz? Diese Entscheidung wurde ja erst kurz nach dem Kinobesuch gegen 23:10 gefällt. Wie passen zu diesem Ermittlungsergebnis die zahlreichen Männer mit Funkgeräten wie Anti Avsan, die in der Tatnacht in der Innenstadt von Stockholm gesehen wurden? Und wie passt zu einem Sonntagsschützen ein Schuss durchs Rückenmark, der den sofortigen Tod herbeiführt? Krister Petersson präsentierte in meinen Augen kein Ermittlungsergebnis, sondern einen politischen Schachzug.

Für Sie ist es also nicht nachvollziehbar, dass der leitende Staatsanwalt Krister Petersson auf Engström als Mörder gekommen ist?

Während der Ausführungen seines Ermittlungsleiters Hans Melander schien Krister Petersson seltsam abwesend. Seine Körpersprache wirkte so, als ob er sich von seinem eigenen Ermittlungsergebnis distanzieren wollte. Ich habe Krister Petersson ganz anders kennengelernt, hellwach und klar kombinierend. Deshalb hatte die Pressekonferenz in meinen Augen einen Subtext. Ein Ermittlungsergebnis ohne Beweise, ohne Neuigkeiten, unter Ausklammerung wesentlicher Tatbestände – dafür gibt es in meinen Augen nur eine einzige Erklärung. Wir sollten in die Überlegungen einbeziehen: Die schwedische Generalstaatsanwaltschaft ist nicht unabhängig, sondern eine weisungsgebundene Behörde – wie die Staatsanwaltschaften in Deutschland auch. Sie ist direkt dem Justizministerium unterstellt. Mehrere Rechercheure gehen davon aus, dass Krister Petersson angewiesen wurde, die Ermittlungen jetzt einzustellen, weil die schwedische Regierung den Fall Palme im Windschatten der Corona-Krise endlich zu den Akten legen wollte.

Der Stern zitiert Petersson mit folgender Aussage: “Ich bin der Ansicht, dass wir so weit gekommen sind, wie man es von der Untersuchung verlangen kann.”
Das klingt irgendwie kryptisch, oder?

Nach meinem Eindruck wollte Krister Petersson damit sagen, dass man von dieser Untersuchung kein anderes Ergebnis verlangen kann als den Rückfall auf die schon beerdigte Einzeltäter-Theorie, weil die Ermittler vom Sicherheitsapparat, von den Geheimdiensten und von den politisch Verantwortlichen ausgebremst worden sind. Diese Ermittlung endete wieder einmal mit einer Vertuschung. Doch die schwedische Regierung täuscht sich. Die Palme-Ermittlungen auf diese Weise zu beenden, hat die Legitimationskrise des schwedischen Staates vertieft und die Glaubwürdigkeit der Ermittlungsbehörden nachhaltig beschädigt. Der Mord an Olof Palme ist für Schweden ein Trauma, welches das ganze Land bis heute spaltet. Dieser Riss in der schwedischen Gesellschaft wird nun noch tiefer.

Sehen Sie noch eine realistische Möglichkeit, den Fall aufzuklären? Wenn ja: Was könnte oder sollte noch getan werden?

Hier geht es nicht um Verschwörungstheorien. Es geht um politische Interessen. Der Zürcher Tagesanzeiger, mit dem wir das Gespräch begonnen haben, hat unter seinem Artikel ein Diskussionsforum eröffnet und damit einen Debattenraum eröffnet, in dem diese Interessen angerissen worden sind. Dies ist ein Beispiel für inklusiven Journalismus. Hier müssen wir darüber reden, dass Olof Palme ein Gegner der Rassentrennung in Südafrika war, zusammen mit Gorbatschow eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa anstreben wollte und den illegalen schwedischen Waffenhandel mit dem Iran gestoppt hat. Er war für die NATO und die USA, für den schwedischen Sicherheitsapparat und seine Rüstungsunternehmen, für das Apartheid-Regime in Südafrika und für die westlichen Geheimdienste ein Sicherheitsrisiko. Hier liegen die Mordmotive, und aus der Macht dieser Akteure erwächst die Hartnäckigkeit, mit der sie bis heute geleugnet werden.

Lesetipp (4. und aktualisierte Ausgabe): Im Spinnennetz der Geheimdienste – Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet? Westend Verlag. Frankfurt am Main, 2019. 416 Seiten. 20 Euro.

Titelbild: Tupungato/shutterstock.com