Wie die Berichterstattung der deutschen Medien dabei hilft, China zum Feindbild Europas und der NATO aufzubauen. China ist ein furchtbares Land. Eine Diktatur, ein korrupter Einparteienstaat, der die Menschenrechte mit Füßen tritt, in dem die Zensur regiert und dessen kommunistische Partei sich allein durch Unterdrückung der eigenen Bürger und massive Propaganda der Staatsmedien an der Macht halten kann. Wer die Entwicklung der letzten Jahre und Chinas stetig wachsenden Einfluss auf der internationalen Bühne mitverfolgt hat, der muss den Eindruck gewinnen, dass das chinesische Regime seinen absoluten Machtanspruch auch auf den Rest der Welt auszubreiten gedenkt. Die Expansion des autoritären China ist eine Gefahr für die freiheitliche westliche Welt und damit auch für Deutschland. So oder so ähnlich muss der Eindruck sein, wenn man deutsche Medien liest. Von Walther Bücklers
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Wenn man deutsche Medien liest, kann es dann auch nur folgerichtig erscheinen, dass die EU China neuerdings als „Systemrivalen“ oder US-Außenminister Mike Pompeo China bei NATO-Treffen offen als „Bedrohung“ und Teil der neuen Achse des Bösen zusammen mit Russland und Iran beschreibt. Es wäre verantwortungslos, sich als westliche Wertegemeinschaft einem solch menschenverachtenden Regime nicht entgegenzustellen. Doch entspricht diese Bewertung der chinesischen Regierung und des chinesischen Staates wirklich den Tatsachen oder ist das negative Image Chinas das Resultat einer unverhältnismäßig kritischen Berichterstattung? Das Medienecho zur aktuellen Corona-Krise lässt hier eindeutige Schlüsse zu.
Denn wie bei beinahe allen Themen, die China betreffen, ist sich die deutsche Medienlandschaft erstaunlich einig. Dabei ist es egal, ob man die sogenannten Qualitätsmedien, wie FAZ, Süddeutsche und die Zeit, oder die öffentlich-rechtlichen Angebote wie die Tagesschau oder das Heute Journal konsumiert, die Berichterstattung unterscheidet sich bestenfalls marginal. China, so der Konsens, hat die Corona-Krise erst vertuscht, dann zu spät reagiert und schließlich durch eine medienwirksame Überreaktion versucht, das eigene Missmanagement vergessen zu machen. Der Protagonist im Mittelpunkt der Geschichte ist der junge Wuhaner Augenarzt Li Wenliang, der als Whistleblower bereits im Dezember versucht hatte, vor dem Virus zu warnen, bevor er von den chinesischen Behörden mundtot gemacht wurde. Die kommunistische Partei hat die Wahrheit unterdrückt, sonst hätte die Epidemie verhindert werden können. Die Partei trägt Mitschuld an der Krise, da sind sich alle einig.
Hat China die Krise vertuscht?
Ein Blick auf den Verlauf der Geschehnisse zu Anfang der Krise in China legt nahe, dass an dieser Darstellung Zweifel bestehen sollten. Die tatsächliche Protagonistin der Geschichte heißt nämlich nicht Dr. Li, sondern Dr. Zhang, sie ist keine Augenärztin, sondern eine Atemwegsspezialistin und hatte bereits am 27.12. den Behörden das Cluster von Lungenentzündungen in Wuhan gemeldet. Drei Tage später, am 30.12., warnten die Behörden Krankenhäuser in Wuhan vor dem Ausbruch einer unbekannten Lungenkrankheit. Die Nachricht verbreitet sich rasant über Social Media und wird bereits zu diesem Zeitpunkt erstmals vom amerikanischen ISID (International Society for Infectious Diseases) aufgegriffen. An diesem Tag warnt Dr. Li seine Freunde in einer privaten Social Media Gruppe.
Nur einen Tag später, am 31.12., richten sich die Behörden Wuhans erstmals direkt an die Öffentlichkeit, der nationale Nachrichtensender CCTV berichtet mehrmals (1/2) über die Ereignisse und Chinas Regierung informiert die WHO. Als Dr. Li drei Tage später von der Polizei einbestellt wird, beginnt China bereits den regelmäßigen Austausch mit den amerikanischen Gesundheitsbehörden.
Doch obwohl Nachrichten zum Ausbruch bereits in der Öffentlichkeit kursierten und die Behörden nur einen Tag später sowohl die eigene Bevölkerung als auch die internationale Gemeinschaft informieren, wird Dr. Li von den Medien irreführenderweise als „Whistleblower“ bezeichnet. Whistleblower bringen geheime Informationen gegen den Widerstand der Mächtigen an die Öffentlichkeit. Doch weder waren die Inhalte, die Dr. Li mit seinen Freunden geteilt hat, geheim, noch war es seine Absicht, sie publik zu machen, wie seine Social-Media-Nachrichten zeigen, in denen er explizit darum bittet, seine Informationen nicht außerhalb der Gruppe weiterzuverbreiten.
Dass Dr. Li sowie 7 weitere Ärzte von der Polizei einbestellt wurden, ist nicht dem Umstand geschuldet, dass er sensible Informationen preisgegeben hat, sondern rührt daher, dass seine Posts vor einem erneuten SARS-Ausbruch warnen. Die SARS-Epidemie von 2003 war – auch Dank einer echten Vertuschung durch die chinesischen Behörden – eine traumatische Erfahrung für China. Die Verbreitung von Falschinformationen zu diesem Thema haben das Potential, panische Reaktionen auszulösen, und stellen nach chinesischem Recht eine Ordnungswidrigkeit dar. Ein Gesetz, das auf deutscher Seite am ehesten mit der Gesetzgebung zur Wahrung des öffentlichen Friedens vergleichbar ist. Die Anwendung des Gesetzes auf Dr. Li hat, vor allem nach seinem tragischen Tod durch das Coronavirus, in China große Kritik hervorgerufen und letztendlich die Regierung zu einem rückwirkenden Freispruch gezwungen. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Dr. Li aus rechtlichen, nicht politischen, Gründen abgemahnt wurde oder dass Dr. Lis Privatnachricht weder auf die bereits laufende Untersuchung noch auf den weiteren Verlauf der Epidemie einen nennenswerten Einfluss hatte.
Von Dr. Zhangs Bericht bis zur Benachrichtigung der WHO hat es ganze 4 Tage gedauert. 10 Tage später gibt China bekannt, dass es sich um ein neuartiges Coronavirus handelt, und veröffentlicht die DNA-Sequenz des Virus auf zwei Open-Access-Seiten. Innerhalb von zwei Wochen ist die Weltgemeinschaft informiert, das Virus identifiziert, die DNA-Daten veröffentlicht und chinesische Wissenschaftler stehen im ständigen Austausch mit internationalen Partnern. Angesichts dieses Ablaufs der Geschehnisse sehen sich zwar auch die deutschen Medien genötigt, Chinas schnelle Reaktion anzuerkennen, bleiben aber trotz alledem konsequent dabei, dass eine Vertuschung stattgefunden hätte. Gleichzeitig wird Li Wenliang für das Schreiben einer unbedeutenden Privatnachricht zum unterdrückten Whistleblower hochstilisiert. Die Darstellung ist faktisch inkorrekt und es ist bedenklich, dass sie ausnahmslos von allen deutschen Medien verbreitet wurde.
Weitere Anschuldigungen, wie die Kritik, dass die ersten Corona-Fälle bereits im November in China auftraten, aber erst Ende Dezember offiziell diagnostiziert wurden, was auf eine Vertuschung hindeuten könnte, verkennen die Realität der medizinischen Praxis. Die Symptome von Corona-Patienten gleichen denen einer normalen Lungenentzündung. Eine häufig auftretende Krankheit, mit einem gängigen Behandlungsablauf. Nicht jeder Patient wird automatisch auf ein neues Virus getestet. Erst nachdem mit der gängigen Behandlung kein Therapieerfolg zu verzeichnen ist, werden weitere Maßnahmen ergriffen. Wenn man darüber hinaus berücksichtigt, dass das Virus in den meisten Fällen glimpflich verläuft und die frühen Patienten einzeln unterschiedliche Krankenhäuser aufsuchten, wird deutlich, warum erst das Auftreten eines Clusters von vier Patienten am gleichen Tag zur Einleitung einer weiteren Untersuchung durch die Behörden geführt hat.
Hat China zu spät auf den Ausbruch des Virus reagiert?
Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie über die Grenzen Chinas hinaus hätte verhindert werden können, hätte China rechtzeitig gehandelt; auch hier sind sich die deutschen Medien einig. Eine schwere Anklage, denn sie unterstellen so nicht nur politisches Versagen, sondern schieben der Volksrepublik die Verantwortung für zehntausende Opfer weltweit zu. Die Unterstellung scheint durch eine wissenschaftliche Studie widerlegt, die zu der Erkenntnis gelangt, dass es bereits mindestens im Dezember Infektionsfälle in Frankreich gab.
Aber hätte China schneller reagieren müssen? Der Vorwurf zielt auf die zwei Wochen relativer Inaktivität zwischen der Veröffentlichung des Genoms und des Lockdowns von Wuhan am 23. Januar. In dieser Zeit veröffentlicht die Regierung wenig über neue Fallzahlen und betont, die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch gelte als nicht erwiesen, Großveranstaltungen finden wie geplant statt und die Reisewelle zum chinesischen Neujahr beginnt. Es ist natürlich wahr, dass ein früherer Lockdown den Ausbruch eingedämmt hätte. Im Nachhinein ist das eine einfache Schlussfolgerung, die allerdings die Komplexität der Situation, in der das Ausmaß des Ausbruchs unklar, die Eigenschaften des neuartigen Virus zum Großteil unbekannt und Testmaterialien nur unzureichend vorhanden sind, völlig außer Acht lässt.
Als Zong Nanshan, Chinas führender Epidemiologe, am 20. Januar die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch bestätigt, sind seit der Veröffentlichung des Virus-Genoms 10 Tage vergangen; eine Zeitspanne, die der Gründer und vormalige Leiter der US-Gesundheitsbehörden in China, Ray Yip, als „nicht unangemessen“ bezeichnet. Drei Tage später leitet China Gegenmaßnahmen ein. Von Dr. Zhangs Bericht bis zum Lockdown ist noch kein Monat vergangen.
Dass die chinesische Regierung schneller hätte reagieren können und dass Zeit durch die Inkompetenz der Wuhaner Behörden verloren ging, ist wahrscheinlich. Wieviel Zeit genau, ist aber Spekulation. Dass die chinesische Regierung aber schneller auf die Krise reagiert hat als fast jede andere Nation, ist Fakt. Landesweit sind zum Zeitpunkt des Lockdowns 571 Infektionen und 17 Todesfälle bekannt. Als vergleichbare Konsequenzen in Deutschland gezogen werden, sind bereits viermal so viele Menschen gestorben, in Italien sind es mehr als zehnmal so viele. Im geschichtlichen Vergleich ist die Geschwindigkeit von Chinas Krisenmanagement beispiellos. Egal ob AIDS, SARS, MERS oder Schweinegrippe: In allen Fällen dauerte es Monate, bis die Behörden auf den Ausbruch reagierten. Die vollkommene Eindämmung einer Krankheit, die nach aktuellen Erkenntnissen bei bis zu 80% der Fälle asymptomatisch verläuft und bereits im Dezember außer Landes auftrat, war nie realistisch. Aber es scheint der Maßstab zu sein, an dem die deutschen Medien China messen.
Chinas Krisenmanagement
Nach der überaus kritischen Beurteilung von Chinas anfänglichen Bemühungen, des Virus Herr zu werden, ist es wenig überraschend, dass auch das weitere Krisenmanagement nicht den Beifall der deutschen Medien findet. Im Januar und Februar setzt China die größte Quarantäneaktion der Geschichte um, entsendet 40.000 Mann medizinisches Personal in die Provinz Hubei, errichtet zwei Krankenhäuser in 10 Tagen und stellt die Wirtschaft auf medizinische Notversorgung um.
Der Lockdown ist keine vier Tage alt, da erklärt die SZ Chinas Maßnahmen bereits für schlicht falsch und blinden Aktionismus. Das Heute Journal nennt sie „martialisch“ und diskreditiert sie später als „die Mittel eines autoritären Staates“. Nur wenig später werden viele europäische Staaten vergleichbare Quarantänemaßnahmen einleiten. Als die WHO China für seine Reaktionsschnelligkeit und Transparenz lobt, ist das für die SZ „eine Schande“ und die FAZ mutmaßt, dass die chinesischen Medien der WHO die Worte in den Mund gelegt hätten. Als Chinas Maßnahmen Wirkung zeigen und die Infektionen Ende Februar deutlich zurückgehen, zweifelt man die Glaubwürdigkeit der Daten an. Als China beginnt, dringend benötigte Hilfslieferungen oft kostenlos in dutzende Länder zu versenden, wird dies als Propaganda und der Versuch politischer Einflussnahme gewertet. Als Hubei wieder seine Tore öffnet, ist Claus Kleber überzeugt, dass die Regierung leichtfertig die Gesundheit der Bürger aufs Spiel setzt und die Argumente für eine zweite Welle sprechen. Fast jeder Beitrag zu China wiederholt, dass es eine Vertuschung gegeben hätte.
An dieser Berichterstattung ist kaum abzulesen, dass Chinas Krisenmanagement keine Katastrophe, sondern mit einer der weltweit niedrigsten Pro-Kopf-Raten an Infektionen und Todesopfern durchaus von Erfolg gekrönt war. Mit 85.000 registrierten Fällen und 4.600 Toten liegen Chinas Ergebnisse 50% unter denen Deutschlands, einem Land, dessen Reaktion im internationalen Vergleich als vorbildlich gilt. Chinas Bemühungen wird ein ähnlich positives Fazit verwehrt, da Chinas Zahlen schlicht als unglaubwürdig abgetan werden.
Eine klare Tendenz
Dass deutsche Medien nicht ganz unvoreingenommen berichten, wird besonders dann deutlich, wenn man das von ihnen entworfene Bild von Chinas fahrlässiger Stümperei, die die Pandemie erst möglich gemacht hat, mit den Meinungen weltweit anerkannter Experten vergleicht. Denn im Gegensatz zur deutschen Berichterstattung ist das Feedback hier überwältigend positiv. Bereits Anfang Januar erhält China universelles Lob für die Entschlüsselung und Veröffentlichung des Virusgenoms in Rekordzeit von Institutionen wie der WHO bis zu leitenden Politikern wie dem US-Gesundheitsminister, Alex Azar. Peter Daszak, Präsident der EcoHealth Alliance, nennt die Arbeit der chinesischen Kollegen „extrem schnell, extrem effizient“. Peter Hotez, Professor am amerikanischen Baylor College of Medicine und einer der führenden Experten für Coronaviren, nennt Chinas schnelle Veröffentlichungen „A game changer“. Aus Sicht von Peter Horton, Chefredakteur der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet, ist die Welt den chinesischen Wissenschaftlern und Medizinern für ihre schnelle, gründliche Arbeit zu Dank verpflichtet. Dr. Ian Lipkin von der Columbia Universität, einer der führenden Epidemiologen weltweit, lobt das große Pflichtbewusstsein, dass China bei seinen Bemühungen zur Eindämmung der Epidemie an den Tag legt.
Die Gegenmaßnahmen, die China Ende Januar ergreift, nennt Michael Ryan, Direktor des Health-Emergency-Programmes bei der WHO, „außergewöhnlich“ und lobt Chinas großes Engagement. Der Ende Februar erschienene Bericht der 25-köpfigen WHO-Mission, der auch deutsche und amerikanische Experten angehörten, nennt Chinas Gegenmaßnahmen „die wohl ambitioniertesten und aggressivsten“ der Geschichte. Für den Leiter der Mission, den Kanadier Bruce Aylward, steht fest, dass hunderttausende Menschen aufgrund von Chinas Krisenmanagement von der Krankheit verschont geblieben sind. Am 19. Februar veröffentlicht The Lancet einen offenen Brief von 27 führenden Wissenschaftlern und Medizinern, der die Arbeit, Reaktionsschnelligkeit und Transparenz der chinesischen Kollegen „bemerkenswert“ nennt. Christian Drosten ist einer der Autoren. Kaum eine dieser Expertenmeinungen findet in deutschen Medien Erwähnung.
Auch der Unterschied in der Corona-Berichterstattung zwischen China und den USA sollte Fragen aufwerfen. Während in China eine systematische Vertuschung unterstellt wird, die Gegenmaßnahmen als „martialisch“ beschrieben und die sich verbessernden Falldaten anschließend als unglaubwürdig abgetan werden, ist der Ton der US-Berichterstattung deutlich gönnerhafter. Als die USA z.B. Anfang April erstmals die weltweit größte Anzahl an Infektionen und Toten zu beklagen hat, versichert Claus Kleber in der Sendung am 11.04. zunächst, New York würde die Krise schon überstehen und lobt, die Stadt hätte Unmögliches möglich gemacht. Der anschließende Bericht zeigt erst Massengräber und überfüllte Kühllaster, um dann zu beruhigen, die Zahl der Neueinweisungen in die städtischen Krankenhäuser würde abflachen, das sei ein Grund zur Hoffnung. Das Video zeigt, dass die Neueinweisungen bei über 18.000 Menschen pro Tag liegen – Zahlen, die in China nie erreicht wurden. Auf YouTube läuft der Beitrag unter der Überschrift: „Zuversicht: New York hält zusammen.“ Einen solchen Optimismus, selbst unter deutlich besseren Vorzeichen, wird man in der Berichterstattung zu China vergeblich suchen, wie die FAZ mit dem zusammenfassenden Titel „Die Geschichte eines Scheiterns“ zeigt. Der Titel erscheint Ende März zu einer Zeit, als Wuhan seit fünf Tagen keine Neuinfektionen zu verzeichnen hat.
Die Gelbe Gefahr
Kritische Berichterstattung ist wichtig. Guter Journalismus muss kritisch sein. Aber wer die deutsche Berichterstattung zu China mit den tatsächlichen Ereignissen in China vergleicht, muss den Eindruck gewinnen, dass es den deutschen Medien weniger um eine kritische Analyse von Tatsachen als vielmehr die Etablierung eines Feindbildes geht. Zu einfach, zu einseitig, zu negativ ist das Bild, das sie zeichnen. Und das trotz eigener Korrespondenten vor Ort.
Wie sonst lässt es sich erklären, dass vermutete bürokratische Inkompetenz der Wuhaner Behörden, die im schlimmsten Fall zwei Wochen gekostet hat, zu einer systematischen Vertuschung der kommunistischen Partei wird? Wie wird eine beispiellose und im internationalen Vergleich offensichtlich erfolgreiche Reaktion auf die Krise zu einem Schuldspruch, der China für zehntausende Tote weltweit verantwortlich zu machen versucht? Warum sonst wird der tragische Tod eines jungen Arztes als Symbol des Widerstandes gegen die kommunistische Partei, deren Mitglied er übrigens war, hochgejubelt? Warum wird bereits Anfang Februar, als der Verlauf der Krise noch vollkommen unklar ist, allenthalben über Systemversagen gemutmaßt? Weshalb spielen Fakten nur eine Nebenrolle, sobald Indizien gegen China sprechen?
Noch verstörender als die verzerrte Darstellung der Corona-Krise ist aber der permanente Versuch, das Kalter-Krieg-Narrativ des Systemwettstreits zwischen China und der westlichen Welt zu etablieren. Laut der SZ propagiert die kommunistische Partei die Überlegenheit ihres Systems und bietet sich gar als Alternative zur liberalen Gesellschaft an. Das Heute Journal versichert, dass China die Krise nutzen wolle, um zu beweisen, „dass Chinas System besser sei als die freiheitlichen „chaotischen“ Systeme des Westens.“ Die FAZ fürchtet, China könne die Schwäche seiner „Systemrivalen“ zu seinen Gunsten nutzen und auf der Weltbühne an Gewicht gewinnen. Die Sorge wird auch bei Matthias Naß’ unzweideutig betitelten Kommentar „China – ein krankes System“ in der Zeit deutlich. Den Tiefpunkt dieser hysterischen Farce bietet Claus Kleber an, als er in der Sendung zum zweiten Februar Chinas System mit dem Virus gleichsetzt und behauptet, Xi Jinping wolle „die Welt mit dem Sozialismus chinesischer Prägung infizieren“. Ist das noch Journalismus oder bereits die Propaganda, die man im Hinblick auf chinesische Staatsmedien so gern verlacht?
Die diesem Narrativ zugrundeliegende Annahme, dass Chinas Erfolg einer Niederlage für „den Westen“ gleichkommt, wird durch die jüngere Geschichte widerlegt, in der kaum jemand so sehr vom wirtschaftlichen Aufschwung Chinas profitiert hat wie die Firmen Europas und der USA. Die deutsche Autoindustrie, deren mit Abstand wichtigster Markt China ist, ist hier ein prominentes Beispiel. Die Behauptung, dass China daran gelegen sei, andere Staaten nach dem Muster der Amerikaner zu seinem politischen oder wirtschaftlichen System zu bekehren, ist eine Erfindung ohne Bezug zur Realität. Hier schreiben die Medien ungezwungen einen Konflikt zusammen, der kein Recht auf Existenz hat.
Das Bild, das die deutschen Medien von China zeichnen, ist eine hässliche Karikatur der Wirklichkeit und die eindimensionale Darstellung der chinesischen Regierung als verlogener Antagonist macht es unmöglich, innerstaatliche oder geopolitische Herausforderungen Chinas realistisch zu beurteilen. Diese Berichterstattung klärt nicht auf, sie wiegelt auf. Und wem die unverkennbare Übereinstimmung nicht nur der deutschen, sondern einer großen Vielzahl der Leitmedien in den NATO-Staaten in allen Sachen China auffällt, der kann leicht zu dem Schluss kommen, dass dies politisch motiviert ist und beim Aufbau genau des Feindbildes behilflich sein soll, das die US-Regierung sich zu wünschen scheint.
Titelbild: IHOR SULYATYTSKYY/shutterstock.com