Lernen wir wirklich etwas aus der gegenwärtigen Krise? Vermutlich nicht viel. Beispiel Luftverkehr und Globalisierung. Und dann auch zur Mail eines Lufthansa-Piloten an die NachDenkSeiten
Eigentlich, so wurde allenthalben verlautbart, bringt die Corona-Krise auch eine Chance: radikal, also an die Wurzel gehend umzudenken. Konkret zum Beispiel: weniger zu fliegen, weniger und nicht so weit in den Urlaub zu fliegen, und weniger geschäftlich unterwegs zu sein, damit verbunden weniger global tätig zu sein, auf Regionalisierung bei Produktion und Warenaustausch zu setzen. Also Luft, Klima und die Meere schützen. Das wäre eine riesige Konversionsaufgabe. Stattdessen wird nun zum Beispiel die Lufthansa mit 9 Milliarden € gerettet. Über 100 € kostet das jeden einzelnen Deutschen, vom Baby bis zum Greis. Albrecht Müller.
Das zahlen wir dafür, dass es auch nach der Corona-Krise mit dem Luftverkehr weitergehen kann wie bisher.
Ich muss zur Beschreibung der gespaltenen Wahrnehmung dieser Problematik zwei Geschichten erzählen:
Erste Geschichte: Wie viele andere Zeitgenossen auch habe auch ich nach dem Lockdown Ende März bis in den Mai hinein erlebt, dass der Himmel wieder blau ist. Als Frühaufsteher genoss ich den Himmel manchmal schon morgens um 5:00 Uhr. Vor einer Woche war es vorbei mit dem Genuss. Zwanzig Minuten vor 5 zeigte sich der Himmel in der Morgendämmerung schön blau. 10 Minuten später war ein dünnes Band von West nach Ost erkennbar – das 1. Flugzeug am morgendlichen Himmel, der Streifen noch ganz schmal. 10 Minuten später war er schon breiter. Nach weiteren 10 Minuten waren 2 weitere Streifen zu sehen. Sie wurden langsam breiter und beherrschten schon die untere Hälfte des Bildes, das das Fenster umrahmte. Nach einer weiteren halben Stunde waren nur noch ein paar kleine dünne blaue Streifen erkennbar. Alles andere war milchig grau.
Diese Beobachtung schildere ich nicht wegen romantischer Gefühle, obwohl ich zugeben muss, dass ein blauer Himmel und auch ein natürlicher weiß-blauer Himmel etwas sehr Schönes ist. Aber um diesen romantischen Teil geht es nicht. Das Wiederauftauchen der Kondensstreifen ist ein Zeichen dafür, dass die Belastung unserer Umwelt weitergeht, dass wir wirklich nicht viel lernen aus der gegenwärtigen Krise. Wir lernen leider nicht, dass eine fundamentale Änderung nötig, sinnvoll und produktiv wäre. Ich will (wie schon häufig) die Elemente dieser fundamentalen Änderung nennen:
- Verkehrsvermeidung. Viel weniger Geschäftsreisen. Stattdessen Videokonferenzen, Telefonate. Schluss mit den Tages-Flugzeug-Trips nach London, Paris, Wien oder Barcelona usw. Radikale Verringerung der Urlaubsflugreisen, auch der Fernreisen.
- Verkehrsverlagerung auf die Bahn. Das würde den massiven Ausbau des Warenverkehrs verlangen.
- Gezielter Aufbau regionaler Wirtschaftsbereiche, weniger Globalisierung.
- Schluss mit der Subvention des Verkehrs, vor allem des Flugverkehrs. Auf jeden Fall endlich die Erhebung einer Kerosinsteuer. Hat die Bundesregierung auch nur ansatzweise an diese selbstverständlichen Möglichkeiten und Schritte gedacht?
- Vollkostenprinzip auch bei der Anlastung der Infrastrukturkosten, also der Kosten für Flughäfen, Lotsen usw.
- Eine Halbierung des Flugverkehrs als Ziel. Das würde ein gewaltiges Konversionsprogramm verlangen. Denn es stehen die Existenzen von sehr vielen Menschen auf dem Spiel. Bei den Fluggesellschaften. Bei den Flughäfen. Bei den Reisebüros. Leicht wäre das alles nicht. Aber es wäre auf jeden Fall besser, jetzt mit der Konversion anzufangen, statt so weiter zu wurschteln wie bisher.
Die notwendige Änderung stößt auf massiven Widerstand. Damit bin ich bei der 2. Geschichte.
Die Redaktion der NachDenkSeiten erhielt gestern eine Mail von einem Menschen, der bisher die NachDenkSeiten nicht kannte, aber jetzt auf Jens Bergers Artikel vom 26. Mai “Die Corona-Schock-Strategie – Klatschen für Krankenschwestern, Milliardengeschenke für Aktionäre” aufmerksam gemacht worden war. Die Mail enthielt massive Angriffe auf den Autor und auf die NachDenkSeiten. Wegen der Aggressivität dieser Mail haben wir recherchiert und herausgefunden, dass der Mailschreiber Pilot bei der Deutschen Lufthansa ist und sich offensichtlich persönlich getroffen fühlt. Jens Berger hat sachlich geantwortet. Weil nicht nur der Autor, sondern auch die NachDenkSeiten massiv angegriffen wurden, habe ich mich ebenfalls an den Mailschreiber gewendet und angekündigt, dass wir seine Mail und die Antwort von Jens Berger auf den NachDenkSeiten wiedergeben würden. In meiner Mail war die Möglichkeit angeboten, dass wir nicht seinen vollen Namen, sondern nur die Initialen nennen. Daraufhin hat uns der in seiner ersten Mail noch ausgesprochen forsche und von sich überzeugte Mailschreiber untersagt, seinen Text wiederzugeben. Andernfalls drohten juristische Schritte. Das fanden wir nicht sehr konstruktiv.
Weil die Mail jedoch zeigt, mit welchem massiven Widerstand jene rechnen müssen, die das Gerede vom Umdenken infolge Corona-Krise ernst nehmen, und weil daran auch sichtbar wird, dass wir Steuerzahler für die Rettung eines Unternehmens wie der Lufthansa kein Dankeschön, sondern stattdessen Aggression ernten, beschreiben wir in (1) den Inhalt dieses Schreibens einschließlich einiger typischer Verbalinjurien. Und dann (2) folgt die Antwort von Jens Berger.
- Inhalte einer Mail eines Piloten der Lufthansa an die Redaktion der NachDenkSeiten
Er weist zunächst darauf hin, dass er die NachDenkSeiten bisher nicht kannte, aber von Bekannten auf den Artikel von Jens Berger hingewiesen worden sei. Er sei „schockiert über die Dreistigkeit eines Journalisten, Falschinformationen zu verbreiten“. Damit würden die NachDenkSeiten der Debatte über Fakenews und alternative Medien Vorschub leisten. Wir würden die Bevölkerung verunsichern und gegen die bösen Konzerne und vermeintliche Kapitalisten, Milliardäre und andere aufbringen. Das sei hochgradig unseriös und verwerflich!
„Ihr Herr Berger“ spreche „in seinem reisserischen Artikel von ‘Milliardengeschenken für Milliardäre’ und bringe dabei u.a. auch die Rettung der Lufthansa ins Spiel. Zur Untermauerung seiner Phantasien bringe „der Schreiberling“ bewusst völlig falsche Zahlen ins Spiel wie z.B. den Umsatzverlust der Lufthansa im Zuge der Corona-Krise, Börsenwerte usw.
Es werde von ‘Geschenkorgien‘ für Milliardäre gesprochen, die anscheinend Dividenden aus ‘vergünstigten‘ Rettungsdarlehen bekommen sollen!? Das sei Quatsch. Im Rettungspaket der Bundesregierung sei klar vereinbart, dass es so lange keine Dividenden geben werde, bis der Kredit vollständig zurückbezahlt ist. Auch habe die Lufthansa bereits im März beschlossen, keine Dividende zu bezahlen usw. … Wie komme Herr Berger nur auf so einen Blödsinn?
Außerdem handle es sich bei dem Paket nicht um ein Geschenk, sondern um einen vollumfänglich rückzahlbaren Kredit mit einer Verzinsung von bis zu 9%. Das Aktienpaket des Bundes werde zu einem Preis von ungefähr 2,50 € pro Aktie an den Bund gehen. Der Kurs liege zwischenzeitlich wieder über 9€. Somit werde der Staat, wenn das Unternehmen wieder gesund sei, einen dicken Kursgewinn verbuchen können.
Da Jens Berger nach Meinung des Mailschreibers „wirtschaftspolitisch wohl nicht so ganz sattelfest ist, kommt noch der Hinweis, die Lufthansa sei mehrheitlich in deutschem Besitz. Was die amerikanische Investmentgesellschaft Blackrock besitzt, sei nur ein kleiner Minderheitsanteil. Insofern sei der Verweis auf diese Firma reine Polemik.
Herr Berger werde das selbstverständlich ganz anders sehen. „Ich betrachte seine unseriöse Berichterstattung als reine Schmiererei, die Sozialneid fördert und nichts zur sinnvollen Bewältigung dieser schweren Zeit beitrage. Dann kommt noch der Hinweis darauf, die NachDenkSeiten seien „keine seriöse oder alternative Quelle für gut recherchierte und objektive Informationen“
Soweit der Inhalt einschließlich einiger Originaltext Zitate aus der Lesermail vom 28. Mai. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden verstehen, dass wir diesen Angriff Ihnen gerne im Original zur Kenntnis gegeben hätten.
Dass ein Pilot der Lufthansa so dreist und teilweise bösartig angreift, obwohl wir gerade dabei sind oder dazu gezwungen werden, seine Firma, seinen Arbeitsplatz und auch sein überdurchschnittlich gutes Gehalt zu retten, ist wichtig für die Beurteilung der Chancen einer veränderten Politik. Wenn das der herrschende Geist ist und leider hat sich der wohl auch durchgesetzt, dann trägt die Corona-Krise in diesem Bereich jedenfalls keine Früchte.
- Antwort Jens Berger:
Lieber Herr …,
erst einmal schönen Dank für Ihr kritisches Feedback, das ich – das dürfte Sie nicht überraschen – inhaltlich nicht teile. Zum einen beziehen sich die von Ihnen genannten Zitatfetzen ja nicht auf die Lufthansa, sondern auf die Summe der Unternehmen (v.a. aus der Automobilbranche), die von den Subventionen betroffen sind. Im Artikel geht es schließlich hauptsächlich um die „Kaufprämie“ für Autos. Aber wenn wir bei der Lufthansa bleiben, kann ich Ihnen ja gleich mal ein paar Fragen stellen:
- Wo läge der Aktienkurs, wenn der Bund nicht schon vor Wochen eine Beteiligung und weitreichende Hilfsmaßnahmen angekündigt hätte? Kann es sein, dass die Beteiligungen von Herrn Thiele, BlackRock und Co. dann im Grunde wertlos wären?
- Zu welchem Zinssatz würde die Lufthansa ohne staatliche Hilfsangebote denn am Markt Kredite bekommen? Wie hoch wäre der Zinssatz für eine Wandelanleihe? Diese Punkte werden nicht zu Unrecht jetzt von der EU-Kommission geprüft, da Kredite mit einer Finanzierung unter Marktniveau eine Subvention darstellen, die genehmigungspflichtig ist. Die von ihnen genannten „9%“ sind ja nur der hypothetische Maximalbetrag. Der Eingangszinssatz beträgt 4% … das ist weniger als der finanziell grundsolide VW-Konzern zur Zeit als Coupon für seine Anleihen aufrufen kann. Und selbst 9% wären für einen „Junk-Bond“, was die Anleihe ohne Garantie des Bundes zweifelsohne wäre, nicht eben zu hoch.
- Wie hoch ist eigentlich der Zins des KfW-Kredits? Ist dies ihrer Meinung nach ein marktüblicher Zins für ein stark angeschlagenes Unternehmen? Wenn nein: Ist dies dann keine Subvention, bei der die Altaktionäre die Begünstigten und der Steuerzahler der Leidtragende ist?
- Warum begnügt sich der Bund mit einer „stillen Einlage“? Müsste er bei dem gewaltigen finanziellen Engagement nicht die Aktienmehrheit – und damit die Mehrheit der Stimmrechte – beanspruchen?
- Wer profitiert von diesem Deal?
- Warum nutzt der Bund diese Möglichkeit, bei der er finanziell hohe Risiken eingeht, nicht dafür, um über die Mehrheit der Stimmrechte Einfluss auf die Unternehmenspolitik zu nehmen?
Zu Ihrem Argument, die Kredite, die Wandelanleihe und die stille Einlage würden nicht als Dividende ausgeschüttet: Das ist für dieses Kalenderjahr festgelegt, in dem eine Dividende ohnehin nicht zur Debatte steht. Aber was passiert, wenn die Lufthansa sich – z.B. durch den Verkauf einiger Geschäftsfelder – neu aufgestellt hat und in welcher Form auch immer später wieder Gewinne macht?
Fakt ist doch, dass der Bund mit neun Milliarden Euro Steuergeldern – das sind übrigens 200 Euro pro Haushalt – die heutigen Aktionären erst einmal vor einem absehbaren Totalverlust gerettet hat. Wir können darüber debattieren, ob eine Rettung der Lufthansa im Kern nötig ist; da wäre ich wahrscheinlich sehr nah bei Ihnen. Der Punkt ist aber doch, zu welchen Konditionen der Bund dies tut. Warum verstaatlicht er die Lufthansa z.B. nicht komplett? Mit neun Milliarden Euro hätte er gemäß der aktuellen(!) Bewertung eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Über ein „Squeeze-Out“ könnte er den Konzern sogar komplett verstaatlichen. Es spricht ja auch im Kern erst einmal nichts dagegen, den Konzern nach einer Sanierung wieder zu privatisieren. Dann wäre idT der Bund der Gewinner und nicht die momentanen Aktionäre. Die können sich in der Tat über die nun verabschiedete Vorgehensweise freuen, kommen sie doch vollkommen ungeschoren davon, während der Steuerzahler voll ins Risiko geht. Denn was passiert denn bitte, wenn die Lufthansa keine Gewinne, sondern Verluste macht und KfW-Kredite und Wandelanleihe nicht bedient werden können? Ich tippe mal darauf, dass der Bund dann genau das tun wird, was ich hier skizziere. Und ich bin da ja beileibe nicht der einzige Kritiker.
Der sicher nicht eben als konzernkritisch zu sehende „Aktionär“ hat den Deal übrigens folgendermaßen kommentiert …
“Kurzum: Der Lufthansa-Vorstand hat für den Konzern ein insgesamt günstiges Rettungspaket herausgehandelt, während das Chance-Risiko-Verhältnis für den Steuerzahler – wieder einmal – eher schlecht ist.“
Seien Sie mir bitte nicht böse, aber mich erinnert diese Form der „Rettung“ fatal an die deutsche Strategie der „Bankenrettung“. In UK und USA war man da nicht so marktkonform und hat damit am Ende den klar besseren Kurs gefahren. Diese Lektionen scheinen in Berlin nicht angekommen zu sein.
Sie können das natürlich anders sehen. Aber Ihre Vorwürfe der Desinformation sind dann doch „ein wenig“ seltsam.
beste Grüße
Jens Berger